*Von Marianne Ejdersten
Frage: Warum sind Sie nach Moskau gereist?
Der Besuch erfolgte auf Ersuchen des ÖRK-Zentralausschusses und ist Teil einer Reihe von Besuchen, die uns schon in den Nahen Osten, den Libanon, nach Syrien, Palästina, Israel, die Ukraine und nun Russland geführt haben und mit denen wir durch Begegnung und Dialog Brücken des Friedens und der Versöhnung bauen und militärische Auseinandersetzungen, Kriege und Gewalt verhindern wollen.
Auf dem Programm standen auch ein Besuch im kirchlichen Hilfezentrum für Geflüchtete in Moskau und Gespräche mit Vertretern der Moskauer Geistlichen Akademie.
Wir sind auf Wunsch des Zentralausschusses dort gewesen, um zu versuchen, einen Dialog über die Theologie des Krieges anzustoßen. Andere Stimme forderten angesichts der Gefahr eines nuklearen Flächenbrandes zudem einen Notfall-Besuch. (Siehe Text in: Seine Heiligkeit Patriarch Kyrill und geschäftsführender ÖRK-Generalsekretär treffen sich in Moskau und sind sich einig, dass Krieg nicht heilig sein kann | Ökumenischer Rat der Kirchen (oikoumene.org)
F: Was war die erste Reaktion von Patriarch Kyrill?
Unser Treffen dauerte mehrere Stunden und wir hatten ausreichend Zeit für ausführliche Gespräche. Zudem hatte ich eine Privataudienz mit dem Patriarchen. Ich habe ihm von den Ergebnissen der 11. ÖRK-Vollversammlung im August/September, der Erklärung zum Konflikt in der Ukraine und der jüngsten ÖRK-Zentralausschusstagung im Juni berichtet. Wir haben keine Themen gemieden oder verschwiegen; wir haben sehr klar kommuniziert, was wir in unseren Erklärungen zum Ausdruck gebracht haben, und waren in unseren Präsentationen mutig. Die russische Delegation umfasste auch aktuelle Mitglieder des ÖRK-Zentralausschusses, die an der Formulierung der Erklärung im Juni beteiligt waren und die an der 11. ÖRK-Vollversammlung teilgenommen und Mitglieder im Redaktionsausschuss gewesen sind, der die Erklärung zum Konflikt in der Ukraine formuliert hat. Aufgrund der Umstände örtlich geltender Gesetze und der dringenden Notwendigkeit, den Dialog fortzusetzen, steht nicht alles, was wir im Rahmen unseres Treffens erörtert haben, im Bericht. Wir müssen feinfühlig mit der Situation umgehen, in der die Kirchen leben, und während wir zwar die ganze Wahrheit sagen, wollen wir gleichzeitig aber auch sicherstellen, dass wir nicht noch mehr Schaden anrichten.
Patriarch Kyrill erklärte, der Krieg würde nicht von den Kirchen geführt, sondern von der Politik. Und dass es die Rolle der Kirchen sei, Frieden zu stiften, wie wir auch in unserem Bericht festgehalten haben.
Ich bin noch einen Schritt weitergegangen und habe zwei Fragen gestellt, die in unseren Erklärungen nicht enthalten sind, die aber einige unserer Mitgliedskirchen zum Ausdruck gebracht haben: 1) Was ist die theologische Haltung des Patriarchen zum Krieg in der Ukraine, da verschiedentlich der Eindruck entstanden ist, dass er ihn als „heiligen Krieg“ unterstütze? 2) Welche Erklärung kann er dafür liefern, dass der den Begriff „metaphysischer Krieg“ in Bezug auf den Krieg in der Ukraine verwendet hat?
Wie in unserem Bericht erwähnt, hat er Antworten auf diese Fragen geliefert.
Zusammenfassend kann man sagen: Wir haben unseren Auftrag erfüllt; wir haben Patriarch Kyrill besucht und mit ihm gesprochen, wir haben einen Dialog angestoßen und haben vernommen, dass auch die russische Seite den Dialog fortsetzen möchte. Meiner Meinung nach haben wir also den Auftrag erfüllt, den uns der Zentralausschuss gegeben hatte.
F: Warum bestand die ÖRK-Delegation nur aus Männern?
Wir sind mit einer sehr kleinen Delegation unterwegs gewesen, weil dies kein normaler Besuch bei einer Kirche war und Krieg herrscht. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten mit dem ökumenischen und diplomatischen Protokoll umzugehen und dieses Mal ging es um ein Treffen zwischen Patriarch Kyrill und dem geschäftsführenden Generalsekretär des ÖRK, wie Sie auch in der Pressemeldung vom 17. Oktober nachlesen können. Geschäftsführender ÖRK-Generalsekretär zu Besuch in Moskau | Ökumenischer Rat der Kirchen (oikoumene.org)
Begleitet haben mich Pastor Dr. Benjamin Simon, ÖRK-Programmreferent für zwischenkirchliche Beziehungen, und Priester Mikhail Gundiaev, der Vertreter des Moskauer Patriarchats beim ÖRK. Sie waren wegen ihrer Funktionen dabei, nicht wegen ihres Geschlechts. Ich versuche immer, Delegationen ausgewogen zu besetzen, aber aufgrund der besonderen Umstände mit dem Krieg im Hintergrund waren die Funktionen der Personen in diesem Fall mein Hauptaugenmerk; zudem habe ich versucht, die Delegation so klein wie möglich zu halten, um – wie vom Zentralausschuss gewünscht – einen Dialog anzustoßen. Mir war klar, dass das zu gewissen Reaktionen führen würde. Im obersten Leitungsgremium des ÖRK-Stabs sind wir drei Frauen und drei Männer.
Unsere stellvertretende Generalsekretärin, Prof. Dr. Isabel Apawo Phiri, hatte die Leitung der gemeinsamen Delegation von ÖRK und der ACT Alliance beim Besuch in Russland Ende Mai übernommen. ÖRK-ACT-Delegation besucht Russland und informiert sich über die Unterstützung der Kirche für Geflüchtete aus der Ukraine | Ökumenischer Rat der Kirchen (oikoumene.org)
Über die Zusammensetzung der Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche und die Geschlechterverteilung dort hat die Russische Orthodoxe Kirche selbst entschieden.
Neben den bereits genannten Personen haben an dem Treffen, das in der Residenz des Patriarchen im Danilow-Kloster stattfand, auch Metropolit Antonius von Wolokolamsk, der Vorsitzende der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, Archimandrit Filaret (Bulekow), der Stellvertretende Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen, Priester Mikhail Gundyaev, der Vertreter des Moskauer Patriarchats beim ÖRK und anderen internationalen Organisationen in Genf, und Priestermönch Stephan (Igumnow), der Leiter der Geschäftsstelle für zwischen-christliche Beziehungen, teilgenommen.
F: Wie geht es nach dem Besuch weiter?
Wir werden die Situation weiter beobachten und in unsere Gebete einschließen und den Dialog fortsetzen. Wir arbeiten mit vier Schwerpunkten: die Beziehungen unter den Kirchen, Friedenskonsolidierung, Erklärungen und Kommunikation.
Die bei uns für die Beziehungen unter den Mitgliedskirchen zuständigen Mitarbeitenden werden den Dialog fortsetzen und die Besuche vorbereiten, die aufgrund des Antrags der ukrainischen Kirche auf Einzelmitgliedschaft im ÖRK notwendig sind. Pastor Dr. Benjamin Simon, ein Professor in Bossey, wurde mit der Aufgabe betreut, sicherzustellen, dass auch die Anwerbung von russischen Studierenden für ein Studium in Bossey weitergeht.
F: Was antworten Sie jenen Menschen, die sagen, Sie hätten sich nicht nachdrücklich genug gegen Krieg ausgesprochen? Es gibt Stimmen, die sagen, dass andere globale religiöse Führungspersonen öffentlich eine kritischere Haltung gegen den Krieg zum Ausdruck gebracht haben als Sie.
Gleich nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat der ÖRK im Februar 2022 begonnen, seine Haltung in Erklärungen zum Ausdruck zu bringen, dann hat der ÖRK-Zentralausschuss im Juni Erklärungen dazu veröffentlicht und auch die 11. ÖRK-Vollversammlung im September. Wir haben die Haltung des ÖRK hinsichtlich der sich anbahnenden humanitären Katastrophe aufgrund dieses Krieges sehr klar zum Ausdruck gebracht und den Krieg explizit als Invasion und Angriff bezeichnet. Es war nichts neues und wir haben nichts verschwiegen: Ich persönlich habe Patriarch Kyrill und dem russischen Präsidenten Putin einen Brief dazu geschrieben. Unsere Korrespondenz ist unter folgendem Link dokumentiert:
Brief an Patriarch Kyrill von Moskau (in englischer Sprache (2. März 2022)
ÖRK fordert Präsident Putin nachdrücklich auf, den Krieg zu beenden und den Frieden in der Ukraine wiederherzustellen (ÖRK-Pressemitteilung vom 25. Februar 2022)
Die Haltung des ÖRK ist eindeutig und das wurde auch nicht unter den Teppich gekehrt, sondern bei unserem Treffen mit Patriarch Kyrill klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Zudem waren die russischen Mitglieder des ÖRK-Zentralausschusses und diejenigen, die an der 11. ÖRK-Vollversammlung teilgenommen haben, auch bei dem Treffen mit dem Patriarchen dabei. Es gab keinen Grund, Worte oder Auffassungen zu vertuschen oder zu verwässern, da diese in unseren Erklärungen und in unserer bisherigen Korrespondenz mit dem Patriarchen auch schon verwendet wurden. Ich kann verstehen, dass bestimmte kritische Stimmen die Hermeneutik des Argwohns nutzen, aber hier ist das nicht der Fall. Wir sind nach Moskau gefahren, um einen offenen und ehrlichen Dialog zu führen und das ist es auch, was wir getan haben.
Ich hoffe und bete, dass sich die Gemeinschaft von Kirchen im ÖRK weiterhin für einen gerechten Frieden und ein Ende des Kriegs in der Ukraine und der Kriege überall anders auf der Welt einsetzt. Und ich bete auch, dass der ÖRK weiterhin jene offene Plattform sein wird, auf der christliche Gläubige zusammenkommen können und die Mut und Geduld vermittelt, einander zuzuhören, auch wenn wir mal unterschiedlicher Meinung sind. Mögen wir uns alle weiterhin darum bemühen und uns engagiert gemeinsam dafür einsetzen, Brücken der Gerechtigkeit, des Friedens, der Versöhnung und der Einheit zu bauen.
*Marianne Ejdersten, Direktorin der ÖRK-Kommunikationsabteilung mit Sitz in Genf, Schweiz
Fotos vom Besuch des geschäftsführenden ÖRK-Generalsekretärs in Moskau
Erklärung des ÖRK-Zentralausschusses zum Konflikt in der Ukraine (23. Juni 2022)