„Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!“ Psalm 34,15

Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes heissen." Matthäus 5,9

Die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen haben gemeinsam verkündet, dass der gerechte Frieden eine Pilgerreise hin zu Gottes Plan für die Menschheit und die gesamte Schöpfung ist (Ökumenischer Aufruf zu einem gerechten Frieden). Der Weg des gerechten Friedens führt uns zu dem Beispiel Jesu von Nazareth, zu einer gemeinschaftlichen Suche nach dem Wohle aller, zu einem ganzheitlichen und systemisch ausgerichteten Weg vom Konflikt zur Versöhnung. Denn „das Leben und die Lehre, der Tod und die Wiederauferstehung Jesu Christi verweisen auf das friedliche Reich Gottes. Indem wir in der großen Hoffnung leben, die uns im Leben, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi zuteil wurde, haben wir uns dazu verpflichtet, das Wohl aller Menschen zu suchen.

Jeder Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen. Frauen und Männer, Kinder und Ältere, Zivilisten und Soldaten, die Verwundeten und die Sterbenden, die Trauernden und die Furchtsamen, die Vertriebenen und diejenigen, die bleiben, alle sind Bild und Gleichnis Gottes (Imago Dei.) In dieser Zeit sind wir berufen, mehr wie Christus zu werden, uns abzuwenden von Gleichgültigkeit, Gier und Zorn und uns statt dessen vollständig zu verwandeln in eine weltweite menschliche Gemeinschaft, die die Fülle des Lebens genießt und die Würde jedes Menschen erkennt und seine Bedürfnisse erfüllt.

Wir als Teilnehmende der Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 15. bis zum 18. Juni 2022 in Genf, Schweiz sind seit unserer letzten Tagung vom 9. bis zum 15. Februar 2022 alle tief betroffen von den Ereignissen in der Ukraine, denn wenn ein Teil des Leibes leidet, so betrifft es den ganzen Leib. Wir zeigen uns solidarisch mit all denjenigen, die in diesem Konflikt leiden. In unseren Herzen ist Trauer, dass nach acht Jahren eines ungelösten Konflikts im östlichen Teil der Ukraine die Russische Föderation am 24. Februar 2022 die ungesetzliche Invasion ihres Nachbarlandes begonnen hat, eines souveränen Staates.  Diese tragische Entwicklung stellt eine furchtbare Missachtung von Diplomatie, Verantwortlichkeit und internationalem Recht dar.

Wir beklagen die Tatsache, dass die Menschen in der Ukraine aus diesem Grund ein erschreckendes Maß an Tod, Zerstörung und Vertreibung erleiden. Tausende ukrainische Zivilisten sind getötet worden, Städte wie Mariupol liegen in Schutt und Asche, und mehr als 14 Millionen Menschen – mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Ukraine – sind seit der Invasion aus ihrer Heimat geflohen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Berichte über Gräueltaten, die am Ende als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten müssen, dazu zählen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt sowie die ständig steigende Gefährdung, Opfer von Menschenhandel zu werden.  Mit dem Konflikt geht die massive Verbreitung von Waffen in der Region einher. Waffen können aber keine Lösung für diese Krise bieten, die einzige echte Lösung besteht darin, „den Frieden zu suchen und zu verfolgen.“

Die Auswirkungen dieses Krieges drohen zudem viele Millionen Menschen in verschiedenen Ländern weltweit, die bereits von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, in eine Hungersnot zu stürzen, für weit verbreitete politische und gesellschaftliche Instabilität zu sorgen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene internationale Sicherheitsarchitektur zu zerstören, ein neues globales Wettrüsten zu provozieren und das Tempo zu beschleunigen, mit dem wir uns auf eine Klimakatastrophe zubewegen, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Nationen der Welt eigentlich endlich zusammenschließen müssten, um diese uns alle betreffende existenzielle Bedrohung abzuwenden und die Erderwärmung auf 1,5° C zu begrenzen.

Der Zentralausschuss würdigt die verschiedenen Initiativen des ÖRK hinsichtlich der Situation in der Ukraine schon vor der ursprünglichen Krise 2014, insbesondere aber nun nach dem Einmarsch am 24. Februar 2022, und bringt seine Unterstützung dafür zum Ausdruck. Der Zentralausschuss bekräftigt die deutliche Verurteilung durch den geschäftsführenden Generalsekretär des an diesem Tag gestarteten militärischen Angriffs und seine wiederholten Appelle, diesen Krieg zu stoppen, und begrüßt die verschiedenen anderen Initiativen, die angestoßen und unternommen wurden, einschließlich der zwei ökumenischen Runden Tische, die der ÖRK einberufen hat (am 30. März und 10. Juni 2022), und die mit dem ACT-Bündnis gemeinsam unternommenen Besuche bei den Ortskirchen und Partnerorganisationen, die Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen und für die sorgen, in Ungarn und Rumänien (14.-18. März 2022) sowie in Russland (21.-26. Mai 2022), die ukrainische Geflüchtete aufnehmen und versorgen.

In der ökumenischen Gemeinschaft von Kirchen werden zunehmend ernsthafte Sorgen über jeglichen Missbrauch der religiösen Sprache zur Rechtfertigung oder Unterstützung dieses bewaffneten Angriffs durch die Russische Föderation auf das benachbarte souveräne Land geäußert, der in krassem Gegensatz zu der christlichen Berufung steht, Frieden zu stiften. Es wird dringend eine frische und kritische Analyse des christlichen Glaubens und seines Verhältnisses zur Politik, zur Nation und zum Nationalismus gefordert.

Der Zentralausschuss weist explizit auf das Ergebnis der  Interorthodoxen Vorbereitungskonsultation zur ÖRK-Vollversammlung (veranstaltet in Zypern vom 10.–15. Mai 2022) hin, auf der die Teilnehmenden ihre „tiefe Sorge über den Konflikt in der Ukraine“ zum Ausdruck gebracht haben, der „bereits zahlreiche Menschenleben gefordert hat, und auf der sie „einstimmig den Krieg verurteilt haben und alle Konfliktparteien auffordern, alles in ihrer Macht stehende für einen dringend gebrauchten Frieden zu tun und für Sicherheit in der Ukraine, Russland, Europa und der ganzen Welt zu sorgen.“ Sie haben ebenfalls „systematische Desinformationskampagnen“ verurteilt, die „Spaltungen und Hass fördern.“

Besonders aus ökumenischer Sicht sind Begegnungen und Gespräche in so einer Situation von zentraler Bedeutung, und wir bekräftigen die Erkenntnis der Teilnehmenden am zweiten Runden Tisch, der vom ÖRK am 10. Juni 2022 einberufen wurde, dass „der Aufruf zu Dialog und Begegnung und dem Streben nach gegenseitigem Verständnis die Quintessenz allen ökumenischen Bestrebens sei. Spaltung und Ausgrenzung sind das genaue Gegenbild zu den Zielsetzungen unserer Bewegung.“ Wir begrüßen und anerkennen das Engagement des Moskauer Patriarchats, das die ÖRK-Gemeinschaft sowohl in Russland als auch der Ukraine repräsentiert, unter der Ägide des ÖRK an Begegnungen und Gesprächen über die Situation in der Ukraine teilzunehmen, obwohl die Umstände eine Teilnahme an den bisher einberufenen Runden Tischen verhindert haben. Gemeinsame Gespräche bleiben aber dringend erforderlich, um sich über die kritische Lage der Menschen in der Ukraine sowie der Zukunft der Welt und der ökumenischen Bewegung auseinanderzusetzen.

Der Zentralausschuss:

Verurteilt den illegalen und nicht zu rechtfertigenden Krieg, den die politische Führung der Russischen Föderation den Menschen und dem souveränen Staat Ukraine aufbürdet. Beklagt dass sehr viele Menschen durch Tod, Zerstörung und Vertreibung, durch zerstörte Beziehungen und die tief verwurzelte Feindschaft zwischen den Menschen in der Region, durch das gestiegene Risiko einer Hungersnot in Weltregionen, die schon jetzt von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, und durch wirtschaftliche Not und gestiegene gesellschaftliche und politische Instabilität weltweit immer noch einen furchtbaren Preis zahlen.

Erklärt, dass „Krieg mit all seinem Morden und allen anderen furchtbaren Folgen, die er mit sich bringt, nicht mit Gottes Natur und seinem Willen für die Menschheit vereinbar ist und gegen unsere fundamentalen christlichen und ökumenischen Grundsätze verstößt, und verurteilt jeden Missbrauch der religiösen Sprache und religiöser Autorität zur Rechtfertigung dieser bewaffneten Aggression.

Wiederholt den Aufruf der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen, die sich im ÖRK zusammengeschlossen haben, zu einem sofortigen Ende dieses tragischen Kriegs, zu einem sofortigen Waffenstillstand, um das Sterben und die Zerstörung zu stoppen, und zu Dialog und Verhandlungen, um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen.

Appelliert nachdrücklich an alle Konfliktbeteiligten, die Grundsätze des internationalen Völkerrechts besonders im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur sowie der menschlichen Behandlung von Kriegsgefangenen zu respektieren; wir fordern nachdrücklich von beiden Seiten den Austausch von Kriegsgefangenen und der Leichname der Gefallenen.

Fordert ein deutlich größeres  Engagement der internationalen Gemeinschaft für die Suche nach Frieden und die Friedensförderung anstelle einer eskalierenden Konfrontation und Spaltung. 

Bekräftigt den Auftrag und die besondere Rolle des Ökumenischen Rates der Kirchen, seine Mitgliedskirchen in der Region zu begleiten und eine Plattform und ein sicherer Raum für Begegnung und Dialog zu sein, auf der und in dem die vielen drängenden Fragen angegangen werden können, die sich aus diesem Konflikt für die ökumenische Bewegung und die Welt insgesamt ergeben, sowie die Verpflichtung seiner Mitglieder, nach Einheit zu streben und der Welt zu dienen, und ruft deshalb die Mitgliedskirchen der ökumenischen Gemeinschaft in Russland und in der Ukraine nachdrücklich auf, diese Plattform zu nutzen.

Lobt die Ortskirchen, kirchlichen Dienste und Werke und alle humanitären Hilfsorganisationen, die Menschen aufnehmen und versorgen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, und unterstreicht die in diesem Kontext zentrale Bedeutung des Grundsatzes der Neutralität der humanitären Hilfe.

Betet für alle Opfer dieses Konflikts, in der Ukraine und anderswo, auf dass ihr Leid ein Ende haben möge und sie Trost finden und ein Leben in Sicherheit und Würde für sie wiederhergestellt werden möge, und versichert sie der Liebe und des Mitgefühls der ÖRK-Gemeinschaft von Kirchen in ihrer furchtbaren Lage.

Fordert unsere christlichen Brüder und Schwestern der russischen und ukrainischen Kirche auf, ihre Stimmen zu erheben und die fortwährenden Tötungen, Zerstörungen, Vertreibungen und Enteignungen der Menschen in der Ukraine und ihrer christlichen Brüder und Schwestern zu verurteilen.

Fordert den geschäftsführenden Generalsekretär auf, eine Delegation des Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens nach Kiew und Moskau anzuführen und sich an beiden Orten mit den Kirchenführungen zu treffen und zu erkennen, was zum Frieden dient und was erforderlich ist, ihre Regierungen zu einem sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu veranlassen.

Ersucht weiterhin den geschäftsführenden Generalsekretär, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, damit die bevorstehende 11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe (31. August - 8. September 2022) einen sinnvollen Beitrag zu den Bemühungen um Frieden durch Dialog, um Gerechtigkeit, die Menschenwürde und die Menschenrechte der Menschen in der Ukraine und auf der ganzen Welt, und um Versöhnung und Einheit leisten kann, zu der wir von unserem Herrn und Heiland Jesus Christus aufgerufen sind.