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Humberto Shikiya

Prof. Dr h.c. Humberto Martin Shikiya.

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Wie hat CREAS die Publikation „Interreligiöse Solidarität im Dienst einer verwundeten Welt“ aufgenommen?

Prof. Shikiya: Einige Mitglieder von CREAS haben über die verschiedenen Kanäle des ÖRK in den sozialen Netzwerken von dem Dokument erfahren. Der ÖRK ist ja zusammen mit anderen kirchlichen Diensten und Werken für zwischenkirchliche Zusammenarbeit in Europa und Nordamerika vor 21 Jahren eine der treibenden Kräfte bei der Gründung von CREAS gewesen.

An welchen Stellen hat das Material in dem Kontext, in dem Sie arbeiten, besondere Bedeutung?

Prof. Shikiya: Das Material hat große Bedeutung für das Engagement im Bereich Kapazitätsaufbau, Wissensproduktion und der Mobilisierung von Wissen, für die Begleitung von gesellschaftlichen Prozessen in den Gemeinwesen, für die technische und wirtschaftliche Unterstützung von kleineren Projekten und das Eintreten für die öffentliche Ordnung. Das Dokument hat große Bedeutung, weil es uns anregt, aus biblisch-theologischem Blickwinkel eingehend darüber nachzudenken, was CREAS tut, was es tun will und auch über die strategischen Ziele unseres Tuns.

Der Inhalt ist ein hoffnungsfroher Aufruf, ökumenisch und interreligiös zusammenzuarbeiten. Und daran müssen auch andere Akteure der Zivilgesellschaft und der multilateralen Zusammenarbeit beteiligt werden. Wir arbeiten hier in einem Kontext, der von großer Ungerechtigkeit und einer Vielzahl von Wunden geprägt ist – und in dem die Pandemie zu sehr vielen Verlusten und großen Schäden geführt hat.

Der Lebenskontext von Millionen Menschen in Lateinamerika und der Karibik wurden auf bisher ungekannte Art und Weise in beträchtlichem Maße verändert; und die Pandemie hat uns sehr deutlich aufgezeigt, wie vulnerabel die meisten oder sogar fast alle Menschen sind. Der kulturelle Wandel, den wir in Bezug auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, unsere Lebensrealitäten und unser Verhalten erlebt haben, war schwindelerregend und verwirrend. Die Auswirkungen der Pandemie auf die Menschen hatten gesellschaftliche, psychologische, wirtschaftliche, gesundheitliche, kulturelle, ökologische, religiöse und spirituelle Dimensionen.

Welche Bedeutung hat das globale ökumenische Dokument in Bezug auf diese Themen im Kontext der Pandemie in Lateinamerika?

Prof. Shikiya: CREAS hat 2020 mit verschiedenen Strategien versucht, die Gesundheits- und Wirtschaftskrise zu bewältigen, die noch zu den bereits bestehenden Krisen in Argentinien und der ganzen Region hinzukamen. Die Maßnahmen sollten vor allem gesellschaftlichen Gruppen mit geringeren Einkommen helfen, die eigentlich auf den informellen Sektor angewiesen sind und für die der Lebensunterhalt vollkommen weggebrochen ist. Sie wurden mit Projekten für Ernährungssicherheit, die Bereitstellung von Gesundheitsprodukten und Workshops zum Aufbau von Resilienz unterstützt, die ein Sicherheitsnetz für viele Menschen in Argentinien und Brasilien darstellten.

Die Maßnahmen wurden mit agilen Kooperationsmechanismen durch Initiativen von Kirchen, ökumenischen Organisationen und Netzwerken in den Gemeinwesen umgesetzt. Kurzfristig konnten wir hier mit elf zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerken aus den Gemeinwesen zusammenarbeiten und dadurch 75 Stadtviertel in zehn Provinzen Argentiniens erreichen. So haben wir durch ein Projekt von Frauengruppen zum Beispiel 400 Familien aus indigenen Völker in Nordargentinien unterstützt: Sie haben Tiere für die Zucht und als Nahrungsquelle erhalten, um den Ernährungsnotstand zu bewältigen und Überschüsse zu vermarkten.

Was soll durch die Nutzung des Dokuments in erster Linie erreicht werden?

Prof. Shikiya: Das Dokument ist höchst relevant, weil es zu gemeinsamer Reflexion und gemeinsamem Handeln aufruft. CREAS hat es daher als ökumenisches Studiendokument nach dem Motto „sehen, beurteilen, handeln und feiern“ genutzt. Diese Art der bereichsübergreifenden Analyse hat zu einem erneuten Lesen und neuen Verständnis des Dokuments geführt: Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Wegweiser, der ausgehend von Dialogen, Erkenntnissen und Gesprächen in der interkulturellen, ökumenischen und interreligiösen Begegnung mit Anderen konkrete Maßnahmen und Prozesse für den Rückbau, den Aufbau und den Wiederaufbau darlegt.

Das Dokument ist sehr nützlich, weil es zu ökumenischer und interreligiöser Zusammenarbeit motiviert und ermutigt, um das Engagement für den prophetischen Aufruf zu stärken, die Reflexionen und das Handeln mit Hoffnung zu begleiten, die zu einer Förderung und Stärkung neuer Formen der nachhaltigen Entwicklung mit mehr Gerechtigkeit und Frieden beitragen, die wiederum ein Leben in voller Genüge und unser aller Heimatplaneten schützt.

Konkret heißt das, das Dokument war Quelle der Inspiration und Referenzwerk für den Start eines neuen Projektes für die Ausbildung junger Führungspersonen in einer Reihe von Kirchen in Lateinamerika. Der Projektvorschlag stand unter der Überschrift Ikumeni und soll bewährte ökumenische und interreligiöse Praktiken fördern, um auf diakonische und Wandel bewirkende Art und Weise zu nachhaltiger Entwicklung beizutragen und eine Kultur des Friedens und der Würde mit Gerechtigkeit auf lokaler Ebene umzusetzen.

„Interreligiöse Solidarität im Dienst einer verwundeten Welt: Ein christlicher Aufruf zum Nachdenken und Handeln während der Corona-Krise und darüber hinaus“