Salaam und Gnade sei mit Euch aus Jerusalem, der Heiligen Stadt. Als arabischer Christ bin ich dankbar für die Möglichkeit, eine theologische Betrachtung anlässlich der diesjährigen „Sieben Wochen im Zeichen des Wasser” schreiben zu dürfen. Natürlich hat dieser Teil der Welt aufgrund des trockenen Klimas und der geringen Wasservorkommen schon immer mit dem Thema Wasser zu tun gehabt. Allerdings steht das palästinensische Volk aktuell vor einer besonders großen Herausforderung in dieser Frage. Es handelt sich um eine Krise, die jedes Jahr an Ausmaß zunimmt.

Der erste Grund für die gegenwärtige Wasserkrise liegt darin, dass Israelis und Palästinenser zwar denselben Bergaquifer teilen, allerdings 80 % des Wassers zu den Israelis gepumpt wird, während die Palästinenser lediglich 20 % erhalten. Gemäß den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über den Wasserverbrauch decken diese 20 % den Bedarf der Palästinenser nicht. Daher müssen sie von Israel Wasser kaufen, das aus dem Grundwasserbecken unterhalb des palästinensischen Bodens stammt (vgl. www.btselem.org/water, in englischer Sprache).

Dieser ungleiche Zugang zu Wasserressourcen führt natürlich auch zu einer Ungleichheit im Verbrauch. Israelis verbrauchen durchschnittlich 183, Palästinenser nur 73 Liter Wasser pro Tag. Die WHO empfiehlt 100 Liter zur Deckung der menschlichen Grundbedürfnisse und 150 Liter zur Sicherung einer angemessenen Lebensqualität (vgl. www.who.int/water_sanitation_health/diseases/wsh0302, in englischer Sprache).

Der zweite Grund für die aktuelle Wasserkrise ist die marode Infrastruktur im Westjordanland. Die jahrzehntelange militärische Besatzung hat dazu geführt, dass Gemeinden nicht über ausreichend Mittel verfügen, um neue Systeme zur Gewinnung, Speicherung und Aufbereitung von Wasser zu bauen oder die vorhandenen zu reparieren. Häufig werden Projekte von palästinensischen Gemeinden durch politische Manöver der Besatzung gestoppt – zum Beispiel, indem Baugenehmigungen nicht erteilt werden, solange Israelis keine vergleichbaren Baumaßnahmen in illegalen Siedlungen durchführen dürfen.

Sie sehen also, dass Wasser und Gerechtigkeit eng miteinander verbunden sind. Für die Wasserkrise wird es keine Lösung geben, solange keine Gerechtigkeit herrscht.

Und der Engel zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes; mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker.”

Die Wasserkrise in meiner Gemeinde verleiht dem Textabschnitt aus der Offenbarung eine besondere Bedeutung für uns heute. Die Stadt, die der Verfasser beschreibt, ist ein „Neues Jerusalem”, wo der Strom des lebendigen Wassers ungehindert fließt, gemeinsam mit Heilung, Frieden und Gerechtigkeit für alle. Aber wenn ich in meinem Kirchenbüro hier in Jerusalem sitze, weiß ich sehr wohl, dass kein solcher Fluss durch die Stadt fließt. Hier in Jerusalem und dem Heiligen Land dürsten wir noch immer nach Heilung. Wir dürsten noch immer nach Frieden. Wir dürsten noch immer nach Gerechtigkeit für alle Menschen – für Palästinenser und Israelis, Juden, Christen und Muslime.

Und wir dürsten noch immer nach Wasser.

Manchmal, wenn wir solche Bibeltexte lesen, erscheint uns der „Strom lebendigen Wassers” sehr abstrakt, wie ein Traum. Aber für Palästinenser, die nicht genügend Wasser haben, ist das Problem alles andere als abstrakt. Die Einwohner von Bethlehem müssen häufig über einen Zeitraum von 10-21 Tagen ohne Wasser auskommen. Gelegentlich gibt es auch in unseren Lutherischen Schulen der Gemeinde kein Wasser. Können Sie sich vorstellen, was für Zustände in einer Schule mit 300 Mittelstufen-Schülerinnen herrschen, wenn kein Wasser da ist? In so einer Situation sind wir gezwungen, Wassertanks zu kaufen, um den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten. Das ist umso schmerzlicher, wenn wir sehen, wie unsere Nachbarn in den illegalen Siedlungen eine Runde im Swimming Pool drehen oder ihren Rasen bewässern. Wir dürsten weiter nach Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.

Wasser ist kein Luxus für Menschen. Es ist eine Notwendigkeit! Es reinigt nicht nur, sondern erfrischt auch. Es löscht nicht nur den Durst, sondern bringt auch neues Leben. In der Bibel wird Wasser stets als Quelle des Lebens bezeichnet. Als Abraham die drei Engel bewirtete, gab er ihnen Wasser und sagte: „Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum.” (1. Mose 18,3-4) Der Prophet Jesaja sagte zu den Menschen: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!” (Jesaja 55,1) Und als Jesus mit der Frau am Brunnen sprach, sagte er zu ihr: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.” (Johannes 4,13-14)

Wir glauben, dass Wasser eine Gabe Gottes ist, an der die ganze Schöpfung Anteil haben soll. Dieses Verständnis von Wasser, das aus Gottes Güte fließt, wird in der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Hoffnung in Ramallah deutlich. Dort gibt es ein buntes Kirchenfenster, auf dem die sieben Tage der Schöpfung dargestellt sind. In der Mitte sind das Lamm Gottes und das neue Jerusalem mit dem Strom des lebendigen Wassers zu sehen, der von dem Fenster oberhalb des Altars fließt. Es sieht so aus, als würde das Wasser von dem Neuen Jerusalem und dem Altar mitten durch unsere Gemeinde hindurchfließen.

Das ist ein wunderschönes Bild. Aber es ist auch eine wunderschöne Verheißung. Als getaufte Nachfolger Jesu glauben wir, dass die Ströme der Schöpfung, die Ströme der Gerechtigkeit, die Ströme des Friedens und die Ströme der Gleichberechtigung Gaben Gottes für das gesamte Volk Gottes sind. Sie fließen aus dem Herzen Gottes. Und sie fließen vom Fuß des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus.

Gedanken und Fragen für die Reflexion

Während der Fastenzeit können wir über folgende Fragen nachdenken:

  • Betrachten wir Wasser in unserem Alltag als eine Gabe Gottes oder als etwas, auf das wir ein Recht haben?
  • Dürsten wir in dem gleichen Maße nach Gerechtigkeit wie nach einem Glas Wasser?
  • Für diejenigen, die das Vorrecht haben, in einem Umfeld von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu leben, ist es schwierig, die Notlage anderer zu verstehen. Wie können Sie in dieser Fastenzeit ihren Durst nach Gerechtigkeit, nach Gleichberechtigung, nach der Gegenwart Gottes verstärken?
  • In welcher Verantwortung stehen wir, wenn es darum geht, uns für diejenigen einzusetzen, die nicht im gleichen Maße Zugang zu Wasser haben wie andere?

Lasst uns beten:

Heiliger Gott, Schöpfer der Welt, wir danken dir für die Gabe des Wassers. Vermehre unseren Durst nach deiner Gegenwart in dieser Fastenzeit. Öffne unsere Augen, damit wir sehen, wo der Strom der Gerechtigkeit durch menschliche Sünde aufgehalten wird. Öffne unseren Mund, damit wir uns für die einsetzen, die sich nach einem gleichberechtigten Anteil an den Gaben der Schöpfung sehnen. Öffne unsere Herzen, damit wir das Wasser des Lebens mit allen teilen. Wir bitten dich im Namen unseres Herrn Jesus Christus, der mit dir in der Einheit des Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.