Angenommen von der 10. ÖRK-Vollversammlung als Teil des Berichts des Ausschusses für öffentliche Angelegenheiten
Übersetzt aus dem Englischen vom Sprachendienst des ÖRK

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Als Christinnen und Christen bekennen wir uns zur Würde, die allen Menschen durch Gott den Schöpfer verliehen ist. Dies stellt die Basis für ein christliches Verständnis der Menschenrechte dar. Wir erachten die Religionsfreiheit als fundamentales und unverwechselbares Menschenrecht von besonderer Bedeutung. Wir wollen mit Dankbarkeit würdigen, dass die Bedeutung der Religionsfreiheit, wie sie in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) definiert ist, in vielen Kontexten als ein Recht anerkannt und geschützt ist, das für alle gilt.

Seit seiner Gründung hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) immer wieder seine Besorgnis mit Blick auf die Religionsfreiheit zum Ausdruck gebracht. Durch seine Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten (CCIA) beteiligt der ÖRK die Mitgliedskirchen an verschiedenen Initiativen, die sich mit spezifischen Situationen der Religionsfreiheit und der Menschenrechte befassen. Er hat sich jedoch nie isoliert mit dem Recht auf Religionsfreiheit beschäftigt. Die erste ÖRK-Vollversammlung im Jahr 1948 brachte ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die Religionsfreiheit „ein wesentliches Element in einer besseren internationalen Ordnung ist“. Des Weiteren bekräftigte sie: „Wenn die Christen sich für diese Freiheit einsetzen, dann fordern sie nicht irgendein Vorrecht für Christen, das anderen verweigert wird.“ Die 10. Vollversammlung in Busan trat in dem Jahr des 1700. Jahrestags des Erlasses des Edikts von Mailand zusammen, das Toleranz gegenüber Christinnen und Christen wie auch Angehörigen aller anderen Religionen zusagt, und die Vollversammlung bekräftigt erneut ihr Engagement für Religionsfreiheit.[i] Der ÖRK hat diese Prinzipien in den vergangenen Jahrzehnten seines Kampfes für Religionsfreiheit und für Menschenrechte durchgehend aufrechterhalten.

Über die Jahre hinweg hat der ÖRK verschiedene Erklärungen zu Fragen der Religionsfreiheit und der Menschenrechte angenommen, aber auch auf konkrete Situationen reagiert, in denen das Recht auf Religionsfreiheit verweigert wurde. In jüngeren Jahren hat der ÖRK mit Besorgnis den alarmierenden Trend einer Zunahme von Hass, Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung in verschiedenen Teilen der Welt beobachtet, in denen religiöse Minderheiten gezwungen wurden, unter prekären Umständen zu leben. Es erreichten ihn auch immer wieder Berichte aus unterschiedlichen Teilen der Erde über die zunehmende Verletzung der Religionsfreiheit für religiöse Minderheiten. In diesem Zusammenhang hat der ÖRK in den letzten drei Jahren mehrere Initiativen ergriffen, um sich insbesondere mit den Problemen hinsichtlich der Rechte religiöser Minderheiten zu befassen.

Religionsfreiheit: ein inhärentes Menschenrecht

Die Achtung des Rechts auf Religionsfreiheit sollte als inhärentes Menschenrecht und als politische Tugend betrachtet werden, die Grundvoraussetzung für die demokratische und friedliche Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ist. Ohne Gleichheit und Gerechtigkeit kann Religionsfreiheit nicht existieren. Es gibt keine wahre Freiheit ohne Gleichheit und es gibt keine Gleichheit ohne die mögliche Integration und Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger in einer Gesellschaft. Ein angemessenes christliches Verständnis der Menschenrechte betont Freiheit, Gleichheit und Teilhabe als Verkörperungen der Menschenrechte. Religionsfreiheit gründet sich auf die innere Würde eines Menschen, der von Gott mit Vernunft und freiem Willen ausgestattet worden ist. Das Grundprinzip des Rechts auf Religionsfreiheit ist nicht nur ein natürliches Menschenrecht und ein Bürgerrecht, sondern es ist auch in der biblischen Lehre  und einer theologischen Bekräftigung menschlicher Würde verankert. Wir wiederholen unsere Grundüberzeugung, dass alle Menschen nach Gottes Bild geschaffen wurden, und dass Jesus Christus derjenige ist, in dem wahre Menschlichkeit vollkommen verwirklicht wurde. Das Abbild Gottes in jedem Menschen und in der gesamten Menschheit bestätigt den grundlegenden Beziehungscharakter der menschlichen Natur und unterstreicht die menschliche Würde. Weitverbreitete und ernsthafte Verletzungen dieser Freiheit belasten die Stabilität, Sicherheit und Entwicklung jeder Gesellschaft und haben tiefgehende negative Auswirkungen auf den Alltag von Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften sowie auf das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft. Es ist daher von grundlegender Bedeutung, zunächst zu bekräftigen, dass alle Menschen mit einer ihnen innewohnenden Würde ausgestattet sind. Dies gründet nicht nur darauf, dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden (1.Mose 1,26-27), sondern Christinnen und Christen bekräftigen außerdem diesen universellen und inneren Wert aller Menschen aus trinitarischer Perspektive.

Der ÖRK hat die Bedeutung der internationalen Menschenrechts-Regelwerke und -Normen in Bezug auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit stets anerkannt. Als die Vereinten Nationen im Jahr 1948 die AEMR entwarfen, übernahm die Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten eine aktive Rolle bei der Formulierung von Artikel 18 dieser Erklärung, in dem es heißt: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“ Der Artikel enthält normative Grundwerte, welche den minimalen Schutzstandard darstellen: innere Freiheit, äußere Freiheit, welche die Verbreitung der eigenen Religion beinhaltet, Freiheit von Nötigung und Zwang, Freiheit von Diskriminierung, Respekt der Rechte von Eltern und Betreuern und das Recht des Kindes auf religiöse Selbstbestimmung, sowie die gesellschaftliche Freiheit und den Rechtsstatus religiöser Körperschaften. Dies schließt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen sowie die angemessene Rücksichtnahme von Arbeitgebern gegenüber dem Glauben der Angestellten mit ein.

Diese Verpflichtung wurde später im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) und im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bekräftigt. Beide wurden im Jahr 1966 abgeschlossen. Eine Ausweitung der Verpflichtungen wurde 1981 in der Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung vorgenommen. Die darin enthaltenen Rechte gelten auch für jene, die sich zu keiner Religion bekennen, da ihre Gedanken und ihr Gewissen dieselbe Freiheit genießen. Aufgrund unserer theologischen Grundlegung sind wir der festen Überzeugung, dass Menschenrechte kein Ziel an sich darstellen, um nur die Interessen oder Rechte von bestimmten Gruppen zu schützen. Vielmehr sehen wir in den Menschenrechten die Richtung, in die sich die Gesellschaft hin zu einem Frieden mit Gerechtigkeit entwickeln sollte. Sie bieten einen Rahmen, der es jedem ermöglicht, eine vollere und reichere Lebensqualität zu erlangen. Alle Aspekte der Menschenrechte müssen in Bezug auf das Leben bewertet werden. In diesem Kontext müssen die Rechte auf Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung für den einzelnen Menschen in jeder Gesellschaft durchgesetzt werden.

Wir haben immer wieder die Prinzipien und Werte der Religionsfreiheit sowie die Pflicht der Staaten und Verantwortlichen in den Regierungen betont, die Religions- oder Weltanschauungsfreiheit in all ihren Dimensionen zu respektieren, zu schützen und zu fördern, und zwar für alle Menschen im Geltungsbereich ihrer Gerichtsbarkeit oder ihrer Kontrolle ungeachtet ihrer Religion oder Überzeugung. Auf Grund dieser Überzeugungen betont der ÖRK die Notwendigkeit, die bestehenden Schutzmechanismen zu stärken und wirksame Sicherheitsmaßnahmen gegen die Verletzung von nationalem und internationalem Recht im Hinblick auf die Religionsfreiheit zu entwickeln. Wir sind der Meinung, dass es seitens der religiösen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteure gemeinsame und koordinierte Anstrengungen geben sollte, um das Recht auf Religionsfreiheit zu schützen. Im gegenwärtigen Kontext besteht die reale Gefahr, dass religiöse Minderheiten in bestimmten Ländern durch eine zunehmende Welle von religiösem Extremismus noch stärker unterdrückt werden. Die Wahrung des Rechts von religiösen Minderheitengruppen, in Frieden und Harmonie unter ihren zu religiösen Mehrheiten gehörenden Nachbarn zu leben, ist überlebenswichtig, und zwar nicht nur für die Menschen, die den religiösen Minderheitengruppen angehören, sondern auch für die allgemeine Stabilität und die demokratische Regierungsführung, insbesondere in Ländern, die von vergangenen autoritären Regierungssystemen befreit worden sind.

Die Rechte von religiösen Minderheiten sollten in allen Kontexten in einem demokratischen Prinzip verankert sein, das Mehrheiten und Minderheiten als gleichberechtigte Nutznießer des Staates behandelt werden und zwar so, dass die Würde und die Menschenrechte aller Menschen respektiert und geschätzt werden. Regierungen, religiöse Gemeinschaften, nationale und internationale Menschenrechtsinstitutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen sollten unterschiedliche Rollen übernehmen, um die Rechte von religiösen Minderheiten zu schützen und um religiöse Toleranz zu fördern. Dies betrifft vor allem Situationen, in denen die Politisierung von Religion den religiösen Hass verstärkt und die Rechte der religiösen Minderheiten verletzt. Verletzungen der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit gegenüber Angehörigen religiöser Minderheiten, ob in Form von Desinformation, Diskriminierung oder Verfolgung, die vom Staat oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, müssen bekämpft werden. Die individuellen und gemeinschaftlichen Rechte von Angehörigen aller religiösen Minderheiten müssen respektiert werden. Das betonte der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit in seinem jüngsten Bericht. Dort sagt er, dass nach dem Prinzip des normativen Universalismus „die Rechte der Menschen, die religiösen Minderheiten angehören, nicht auf die Mitglieder einer vorher abgegrenzten Gruppe beschränkt werden dürfen. Stattdessen sollten diese allen Menschen offen stehen, die de facto in einer Minderheitensituation leben und besonderen Schutz benötigen, um eine freie und nicht-diskriminierende Entwicklung ihrer individuellen und gemeinschaftlichen Identitäten zu ermöglichen.“ Deshalb müssen die Rechte aller Angehörigen religiöser Minderheiten als grundlegende Menschenrechte behandelt werden.

Die Politisierung von Religion und die ‚Religionisierung‘ der Politik

In unserer heutigen Welt erleben wir einen Trend zur Politisierung von Religion. In dem Maße, in dem die Religion einen immer wichtigeren Raum in der Politik und im öffentlichen Leben einnimmt, werden nun in vielen Teilen der Erde die Politisierung der Religion und die ‚Religionisierung‘ der Politik zu weitverbreiteten Phänomenen. Der Trend geht dahin, dass die Politisierung der Religion die politische Polarisierung verstärkt und sich somit die religiöse Spaltung beinahe überall auf der Welt zeigt. Wird Religion innerhalb der sozialen und politischen Arena zur spaltenden Kraft, so kann sie in ihrer intensiveren und dauerhafteren Ausprägung zu einer religiösen Kluft beitragen. Die Wahl von politischen Verbündeten mit radikaleren Positionen erlaubt einer Religion, ihre Interessen in der politischen Arena besser zu verteidigen, um somit eine privilegierte Stellung und Vorteile von der Regierung zu erhalten. In der jüngsten Geschichte wurden wir Zeuginnen und Zeugen des facettenreichen Trends der Politisierung von Religion. Die Kehrseite dieses Phänomens jedoch, insbesondere der Einfluss der ‚Religionisierung‘ der Politik, wurde nicht immer wahrgenommen.

Die ‚Religionisierung‘ der Politik, die die Harmonie in der Gemeinschaft zerstört und den religiösen Hass verstärkt, wird gleichzeitig auch für politische Zwecke instrumentalisiert. Sie führt in diesem Kontext letztlich dazu, dass die Politik die Interessen der religiösen Gruppen und ihrer Führungspersonen, die die politische Macht beeinflussen und beherrschen wollen, begünstigt. Religion wird in verschiedenen Ländern während der nationalen Wahlen – und da insbesondere vor dem Urnengang – als effektives Instrument benutzt, um gezielte Abstimmungsergebnisse zu erreichen. Problematisch ist, im Großen und Ganzen, vor allem die Annahme, dass Parteien oder Bewegungen nur dann Erfolge erzielen, wenn sie während der Wahlen an die religiöse Identität appellieren. Bestimmte religiöse Gruppen verfolgen Strategien, mittels derer sie durch Anstachelung religiöser Ressentiments gegen andere religiöse Minderheitengruppen  für sich eine besondere Rolle in der Politik entwerfen und aufbauen. Gleichzeitig stellen sie sich selbst als wahre Verfechter ihrer Religion dar, die von Minderheitenreligionen und deren Verbindungen zum Ausland bedroht ist. Wenn Religion für politischen Erfolg benutzt wird, so werden die Beziehungen zwischen verschiedenen religiösen Gemeinschaften immer mehr durch Veränderungen in der lokalen und nationalen Politik beeinflusst, wobei sich die Politik bereits weitgehend an bestimmte religiöse Einstellungen angepasst hat. Dieser Trend liefert den Menschen verschiedener Religionen noch mehr Gründe, in engen Kategorien religiöser Gesinnung zu denken und der Meinung zu sein, dass ihre Religion über jener der anderen steht. Deshalb verursacht der zunehmende Trend der Politisierung von Religion nicht nur ernsthafte Probleme für Christinnen und Christen, sondern belastet unterschiedliche religiöse Gemeinschaften, die als Minderheiten in vielen Regionen der Welt leben. Die Politisierung der Religion und der Anstieg des religiösen Extremismus in vielen Gesellschaften verstärken sich gegenseitig. Dieser stellt nicht nur eine Bedrohung für die Religionsfreiheit der Anhänger von Minderheitenreligionen dar, sondern auch für das Überleben der religiösen Minderheiten an sich.

Zunahme der religiösen Intoleranz und der Diskriminierung religiöser Minderheiten

Mit großer Sorge haben wir verschiedene Fälle beobachtet, in denen die Ausübung der freien Meinungsäußerung als Vorwand benutzt wurde, um die Religionsfreiheit religiöser Minderheiten zu verletzen. Obwohl der Begriff der „Minderheit“ meistens ein soziales und politisches Konstrukt ist, können und haben diese sozial-politischen Konstrukte in der Praxis eine verheerende Auswirkung auf die Gruppe von Menschen, die innerhalb einer Gemeinschaft der „Mehrheitsreligion“ zahlenmäßig nicht stark genug ist. Dies gilt jedoch nicht nur mit Blick auf die Religion.

Während wir die vielen positiven Schritte zu umfassenderer Achtung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit in zahlreichen Kontexten erkennen und begrüßen, sind uns auch die vielen ernsthaften Verletzungen dieser Rechte bewusst. Letztere bereiten uns große Sorgen, wie die Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit durch Regierungen, Einzelpersonen und Gruppen der jeweiligen Mehrheitsreligion. Noch immer gibt es Praktiken, die die Rechte des Einzelnen zum Religionswechsel beschneiden. Dies kann zur Trennung von Familien, zu materieller und sozialer Ausgrenzung, ja selbst zu strafrechtlicher Verfolgung, Gefängnis oder sogar zur Todesstrafe führen. Vorschriften gegen Religionsübertritte, welche missbraucht werden können und zu verstärkter negativer öffentlicher Wahrnehmung von religiösen Minderheiten und zu vermehrter Gewalt gegen sie führen, sind in den Gesetzgebungen einer Reihe von Ländern zu finden und sollten überprüft werden.

Mit Besorgnis beobachteten wir in den letzten Jahren eine größere Tendenz zur Verlagerung der Diskussion über Religions- und Weltanschauungsfreiheit auf Fragen der Diffamierung von Religion. Damit wird der Geist der universell akzeptierten Norm des Rechts des Einzelnen auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit negiert. Die Verlagerung hin zu einem Ansatz, der eher Religionen schützt als Einzelpersonen, führt nur zu einer Untergrabung der elementaren Menschenrechtsprinzipien und der internationalen Menschenrechtsnormen. Überdies öffnet sie dem Missbrauch von Gesetzen in lokalen Kontexten, in denen religiöse Minderheiten verfolgt werden, Tür und Tor. Die in die Strafprozessordnung verschiedener Länder eingeführten Bestimmungen, die dem Missbrauch von Blasphemiegesetzen Vorschub leisten, sind hierfür klare Beispiele. Artikel 20 des UN-Zivilpaktes legt das Prinzip fest, dass „jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, durch Gesetz verboten wird“. Der Trend geht aber dahin, dass „das Aufstacheln zum Hass“ zunimmt, und das selbst in Ländern, die dem Zivilpakt beigetreten sind. Daher ist es äußerst besorgniserregend, dass Zwischenfälle, die den Artikel 20 des Zivilpakts betreffen, nicht strafrechtlich verfolgt und bestraft werden. Gleichzeitig beobachtet ein Bericht des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte aus dem Jahr 2012, der „Aktionsplan von Rabat über das Verbot des Eintretens für nationalen, rassischen oder religiösen Hass“, dass

„die Mitglieder von Minderheiten durch den Missbrauch vager innenpolitischer Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verfahrensweisen mit einer abschreckenden Wirkung auf andere de facto verfolgt werden. Diese Aufspaltung von einerseits fehlender strafrechtlicher Verfolgung ‚realer‘ Fälle von Aufstachelung und andererseits Verfolgung von Minderheiten unter dem Deckmantel innenpolitischer Aufstachelungsgesetze scheint allgegenwärtig. Die Gesetze gegen Aufwiegelung in den verschiedenen Ländern der Welt können als heterogen bezeichnet werden, manchmal auch als überaus eng oder vage. Rechtsprechung über Aufstachelung zu Hass findet man selten und sie erfolgt ad hoc. Obwohl einige Länder diesbezüglich Maßnahmen verabschiedet haben, sind die meisten davon zu allgemein und werden nicht systematisch durchgesetzt. Es mangelt ihnen an Fokus und entsprechender Evaluierung ihrer Auswirkung“.

Wir sehen die Gefahr, dass einerseits religiöse Mehrheitsgruppen ihre Religion als Instrument benutzen, um politische Systeme und die politisch Verantwortlichen zu beeinflussen, während andererseits in derselben Gesellschaft lebende religiöse Minderheiten verfolgt und diskriminiert werden. Die Strategien der ersten Gruppe führen oft zu Gewalt, die die schiere Existenz der religiösen Minderheiten bedroht. Wir beobachten den alarmierenden Trend, dass Konflikte an einem bestimmten Ort, mit ihren lokalen Ursachen und ihren lokalen Eigenschaften falsch interpretiert und als Teil eines Konflikts an einem anderen Ort instrumentalisiert werden. Dies geschieht vor allem dann, wenn extremistische Gruppen Religion zur Rechtfertigung von Gewalt verwenden. Trotzdem ist es ermutigend zu sehen, dass die Schlüsselrolle, die die Religion bei Konfliktlösungen, Versöhnung und Friedensstiftung spielt, oft klar ersichtlich und anerkannt ist. In verschiedenen Ländern der Erde haben Menschen, die sich selbst als politisch und wirtschaftlich ausgegrenzt bezeichnen, oft das Gefühl, dass die dominanten religiösen Gruppen, die die Macht innehaben, diskriminierende Normen anwenden, wenn es um Minderheitenrechte wie z. B. um Religionsfreiheit geht. Obwohl die Probleme ihre Wurzeln in sozio-ökonomischen Faktoren, in sozialer Fragmentierung und Gruppenhass haben, können bei der Mobilisierung von Religion für politische Zwecke solche Vorfälle selbst in traditionell toleranten Gesellschaften zunehmen. Die aktuellen Situationen insbesondere in Asien, Afrika und dem Nahen Osten beweisen, dass Religionen den geopolitischen Kontext von Ländern und Regionen beeinflussen und belasten können. Die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem „arabischen Frühling“ führten im Nahen Osten und in Nordafrika zum Aufstieg verschiedener Gruppen und Parteien in dominante Positionen im Namen der Mehrheitsreligion. In Ländern des Nahen Ostens wie Ägypten, Syrien, dem Irak und Iran leben die religiösen Minderheiten in Angst und Unsicherheit.

Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Kanada, in Lateinamerika und der Karibik sowie in verschiedenen europäischen Ländern gab es in den letzten Jahren Fälle, in denen die Religionsfreiheit religiöser Minderheiten eingeschränkt und begrenzt wurde. In der Praxis kommt die Diskriminierung und Intoleranz gegen religiöse Gruppen in diesen Ländern in öffentlichen Diskussionen und in Anordnungen der Regierungen zum Ausdruck, die religiöse Kleidung, Symbole und Traditionen hinterfragen oder verbieten.

In verschiedenen Ländern werden religiöse Minderheiten aufgrund ihrer Religion oder ihres Glaubens diskriminiert. Diskriminierende Gesetzgebung und staatliche Praktiken liefern den legitimierenden Rahmen für umfassendere Diskriminierung innerhalb der Gesellschaft. Entbehrungen, soziale Ausgrenzung und Gewalt gegenüber Minderheiten sind die zwangsläufigen Folgen systematischer Diskriminierung, welche den sozialen Zusammenhalt bedroht. Zahlreiche religiöse Gemeinschaften haben Mühe, den gesetzlichen Status zu erhalten, den sie für ihr Funktionieren benötigen. Genauso schwierig wird es für sie, wenn sie Grund und Eigentum wie z. B. Gotteshäuser und Kultstätten, Friedhöfe oder andere Einrichtungen erwerben, bauen und instandhalten wollen. Diese Rechte werden religiösen Minderheiten in verschiedenen Ländern verwehrt. Die Diskriminierung religiöser Minderheiten beeinträchtigt auch ernsthaft deren rechtmäßigen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Beschäftigung, sowie zur Teilhabe am politischen Prozess. In vielen Fällen zeichnen Lehrpläne und Lehrbücher ein negatives Bild von der Rolle religiöser Minderheitsgruppen in der Gesellschaft oder räumen ihnen zu wenig Platz ein. Dies wiederum dient auch dazu, existierende gesellschaftliche Vorurteile zu bestätigen und Intoleranz und Diskriminierung zu fördern. Der obligatorische Religionsunterricht im Glauben der Mehrheit für Kinder aus religiösen Minderheiten verletzt die Rechte der Eltern und Kinder. Die bestehende Gesetzgebung und staatliche Praxis bestimmter Länder bezüglich Mischehen wirken sich negativ auf das Recht auf Religionsfreiheit im Bereich der Erziehung der Kinder aus solchen Ehen aus.

Das Versagen der Staaten, religiöse Minderheiten vor Gewalt zu schützen, bedroht das Überleben der Gemeinschaften und stellt eine Verletzung der internationalen Verpflichtungen des jeweiligen Staates dar. Die Kultur der Straflosigkeit, die durch das Ausbleiben von Ermittlungen und strafrechtlicher Verfolgung von Verbrechen gegen Mitglieder von Minderheitengruppen in einer Reihe von Ländern geschaffen wird, zeigt sich deutlich in der Politisierung von Religion. So führen z. B. die Untätigkeit der Regierung und das Fehlen geeigneter Mechanismen zur Einhaltung von Gesetzen zu einer schrittweisen Erosion einer lang gehegten Tradition der religiösen Toleranz. Dies wiederum begünstigt eine Kultur der Politisierung von Religion, die religiöse Minderheiten in ihrer Existenz bedroht. In einem Land wie Pakistan politisierten die Militärdiktaturen die Religion durch Änderungen des Strafgesetzbuches, wodurch der systematische Missbrauch des Blasphemiegesetzes gefördert wurde. Letzteres wird heute von den religiösen Extremisten als wichtiges Instrument gegen die religiösen Minderheiten im Land eingesetzt. Die Politisierung von Religion im indischen Kontext führt zu einer ständigen Bedrohung der gemeinschaftlichen Harmonie und des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlichen Glaubens. Die in der Verfassung verbürgten Garantien des Rechtes auf Religionsfreiheit sind ständig gefährdet und religiöse Minderheitengruppen werden oft von Gruppen religiöser Extremisten angegriffen, die versuchen, Religionen und religiöse Gefühle für politische Zwecke zu mobilisieren. Die Politisierung von Religion und die ‚Religionisierung‘ von Politik in verschiedenen afrikanischen Ländern intensivieren religiösen Hass, Gewalt in der Gemeinschaft und politische Instabilität. Extremistisch-religiöse Gruppen der Mehrheitsreligionen sowie politische Parteien sind für die Entwicklung derartiger Situationen verantwortlich. Nigerias Norden, Tansania, der Sudan, Indonesien, Sri Lanka und Myanmar liefern neben anderen Ländern Beispiele für die Verbreitung von religiösem Hass und anhaltende Gewalt im Namen der Religion. In anderen Kontexten benutzen die amtierenden Regierungen die Religion, um die Unterstützung der Mehrheitsreligionen zu gewinnen. Ihr Ziel ist es, sich eine kommunale Wählerschaft zu sichern und sich politische Macht zu verschaffen. Oftmals führt ein solches Vorgehen zu Konflikten und Gewalt, insbesondere wenn Regierungen Religionsfreiheit verweigern sowie wenn einer Religion oder Minderheitengruppe Beschränkungen in der Gesellschaft oder von Seiten der Regierung auferlegt werden. Einige Beispiele seien genannt von Vorfällen, in denen der ÖRK involviert war: In Malaysia hat die Ablehnung, dass Christen das Wort „Allah“ benutzen, religiösen Hass und religiöse Spannungen über Jahre hinweg erhöht. Regierungsfreundliche politische Parteien waren für die Intensivierung der Kontroverse verantwortlich. Der Methodistischen Kirche in Fidschi wird die Freiheit verwehrt, als religiöse Gemeinschaft zu existieren. Immer wieder wurde ihr durch Einschreiten der Regierung die Erlaubnis verweigert, ihre nationale Versammlung im Land abzuhalten. Die Regierung der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (EJRM) hat der orthodoxen Erzdiözese Ohrid das Recht verweigert, sich als religiöse Organisation zu registrieren. Die Einmischung der Regierung in das Rechtssystem des Landes führte zu der illegalen Festnahme des Kirchenoberhaupts. Kosovo war in letzter Zeit mit systematischen Überfällen auf über 100 christlich-orthodoxe Heiligtümer konfrontiert, was im Hinblick auf ihr kulturelles Erbe zu einem historischen Revisionismus führte und die Existenz der serbisch-orthodoxen Gläubigen bedrohte. In Albanien sind orthodoxe Kirchen nicht immer angemessen geschützt, so gab es jüngst z. B. extrem gewaltsame Zwischenfälle während verschiedener Gottesdienste.

Die 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen, fasst auf ihrer Tagung vom 30. Oktober bis 8. November 2013 in Busan, Republik Korea, deshalb folgenden Beschluss. Sie

A)  bekräftigt erneut das Engagement des ÖRK für das Prinzip des universellen Rechts aller Menschen auf Religions- oder Weltanschauungsfreiheit;

B)  wiederholt unsere Überzeugung, dass die Kirche ein wichtiges Element zur Förderung und Verteidigung der Religionsfreiheit und der Rechte religiöser Minderheiten ist, basierend auf ihren historischen Werten und ihrem Ethos, die Menschenwürde und die Menschenrechte eines jeden Menschen aufrechtzuerhalten;

C)  erkennt an und wiederholt, dass die Förderung und der Schutz der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit als Teil des prophetischen Zeugnisses ein Anliegen der Kirchen und der ökumenischen Gemeinschaft und Teil ihrer Arbeit sein sollte;

D)  ruft die ÖRK-Mitgliedskirchen auf, sich aktiv für die Verteidigung der Rechte aller religiösen Minderheiten und deren Recht auf Religions- oder Weltanschauungsfreiheit einzusetzen, insbesondere wenn es darum geht, gegen Gesetzgebungen oder Verordnungen vorzugehen, die in Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen die Religionsfreiheit beschränken würden;

E)  würdigt die positiven Schritte, die von verschiedenen Staaten zur umfassenderen Gewährleistung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit in einer Reihe von Kontexten unternommen worden sind;

F) bringt seine ernste Besorgnis über die zunehmende Tendenz einer Politisierung von Religion und einer ‚Religionisierung‘ der Politik sowie über den zunehmenden Terrorismus zum Ausdruck, die jede soziale Gesellschaftsstruktur und die friedliche Koexistenz von religiösen Gemeinschaften gefährden;

G)  bringt seine ernste Besorgnis über die staatliche Einmischung in die Entscheidungsprozesse religiöser Gruppen zum Ausdruck, sowie über die Auferlegung von religiösem Recht und religiöser Rechtsprechung durch staatliche Sanktionen;

H)  ruft die weltweite ökumenische Gemeinschaft auf, als Vermittlerin mit ihren jeweiligen Regierungen zusammenzuarbeiten, um Strategien zum wirksamen Schutz von Menschen und Gemeinschaften von Minderheitsreligionen gegen Bedrohungen oder Gewaltakte durch nichtstaatliche Akteure zu entwickeln;

I)   ruft die Regierungen auf, die bestehenden Schutzmechanismen zu stärken und eine Gesetzgebung in Kraft zu setzen, die die Rechte der Angehörigen religiöser Minderheiten schützt, sowie wirksame Maßnahmen einzuführen und den universellen normativen Status mit Blick auf die Freiheit der Gedanken, des Gewissens, der Religion oder der Weltanschauung, einschließlich des Rechts auf Wechsel der Religion und des Rechts auf Bezeugung der Weltanschauung, anzuwenden;

J)    fordert die Staaten dringend auf, strafrechtliche Bestimmungen aufzuheben, die Blasphemie-, Apostasie- oder Anti-Konversionsgesetze missbrauchen, um Abweichungen von der Religion der Mehrheit zu bestrafen oder religiöse Minderheiten zu diskriminieren und deren Recht auf Religions- oder Weltanschauungsfreiheit zu verletzen;

K)  fordert die Staaten dringend auf, eine Anti-Diskriminierungsgesetzgebung einzuführen, um Personen und Gemeinschaften zu schützen, die unterschiedlichen Religionen angehören, insbesondere um Diskriminierung und Verfolgung aufgrund von Glauben oder Weltanschauung zu beenden;

L)   lobt die UNO für ihr Eintreten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit und ruft die UNO, insbesondere den Menschenrechtsrat, auf, der Religions- und Weltanschauungsfreiheit die gleiche Bedeutung beizumessen wie sie anderen grundsätzlichen Menschenrechten zuerkannt wird, und jeglichen Versuchen zur Schwächung des Prinzips der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu widerstehen;

M)  ruft die UNO auf, die Rolle des Sonderberichterstatters über Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu stärken; und

N) ruft zu gemeinsamen und koordinierten Bemühungen seitens der religiösen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteure auf, um den Verletzungen der Rechte von religiösen Minderheiten und deren Religions- und Weltanschauungsfreiheit entgegenzutreten.


[i] Die Delegation der Evangelischen Waldenserkirche möchte ihren Widerspruch gegen die Erwähnung des Edikts von Mailand zu Protokoll geben, da sie es als nicht hilfreich ansieht, in einer Erklärung zu Religionsfreiheit auf ein historisches Ereignis zu verweisen, durch das Kirche und Staat eng verbunden wurden und das zu einer Ära von Religionsfreiheit nur für eine Religion führte.