Mission aus der Sicht von Menschen im Kampf

Vorbereitungspapier Nr. 9

BERICHT DER URM-WELTMISSIONSKONFERENZ
ABOKOBI, ACCRA, GHANA
1. - 7. Mai 2004

teil I: einführung und grundgedanken

Einführung

Die Konferenz für kirchlichen Dienst im städtischen und ländlichen Bereich (URM) zum Thema "Mission aus der Sicht von Menschen im Kampf" war der krönende Abschluss eines zweieinhalbjährigen Reflexionsprozesses über Mission an der Basis, der von der Globalen Arbeitsgruppe des URM bei ihrer Tagung im Februar/März 2002 in Jacerei, São Paolo, Brasilien, ins Leben gerufen worden war. Der Reflexionsprozess wurde von den regionalen URM-Netzwerken in Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten und in Nordamerika getragen. In den meisten Fällen fand die Reflexion in örtlichen Gemeinschaften, auf nationaler und regionaler Ebene statt. In allen Fällen wurden Berichte verfasst, die die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Reflexionsprozess zusammenfassten.

Zur Konferenz in Abokobi in Accra versammelten sich über achtzig Teilnehmende aus 36 Ländern und sieben der acht Regionen des ÖRK. Die Pazifik-Region war nicht vertreten.

Die Konferenz und der zu ihr hinführende Vorbereitungsprozess hatten zwei Hauptziele: eine die Arbeit und die Ausrichtung des URM in den nächsten Jahren prägende Vision von Mission aus der Sicht von Menschen im Kampf zu formulieren und diese Vision von Mission auf der ÖRK-Konferenz für Weltmission und Evangelisation 2005 in Athen vorzulegen. Diese zweigliedrige Aufgabenstellung bestimmte die Diskussionen und den Schwerpunkt unserer Konferenz.

Auf der Konferenz sollten diese beiden Ziele zu einem offenen Prozess werden, der den Teilnehmenden die Gestaltung der Diskussion erlauben und gleichzeitig Ideen und Anliegen in das Gespräch einfließen lassen würde. Zu diesem Zweck waren mehrere kleinere Gruppengespräche in das Programm aufgenommen worden, über die dann im Plenum berichtet werden sollte und die von den sachkundigen Beiträgen einer eigens dafür eingesetzten "Zuhörer-Gruppe" geleitet wurden. Dieser Gruppe unter dem Vorsitz von Pfr. Dr. George Mathew gehörten Vertreter und Vertreterinnen aus allen Regionen an. Die übrigen Mitglieder waren Mario Gonzales Figueroa (Lateinamerika, mit María Bentacur Paez als Dolmetscherin), Helena Hooper (Afrika), Anna Marisana (Asien), Pfr. Garnet Parris (Europa), Dr. Daniel Scott (Nordamerika) und Gamal Zekrie (Naher Osten). Die "Zuhörer-Gruppe" hatte die Aufgabe

  • auf die in den Veranstaltungen der Konferenz aufgeworfenen Probleme und Anliegen zu hören und sie zur Kenntnis zu nehmen
  • den Inhalt der Diskussion zusammenzufassen und zu reflektieren und zu den nächsten Schritten des Prozesses hinzuführen und
  • bei der Sammlung der Erkenntnisse und Ergebnisse aus den Diskussionen behilflich zu sein.

Dieser Bericht ist eine Zusammenfassung der Grundgedanken der Accra-Konferenz. Er ist aus dem gemeinsamen Bericht der Zuhörer-Gruppe sowie einigen in den Berichten über die regionalen Prozesse erkennbaren gemeinsamen Tendenzen zusammengestellt und ausgearbeitet worden.

Der Konferenz gingen zwei Tage voraus, an denen die Teilnehmenden die Umgebung des Konferenzortes kennen lernen konnten. Am ersten Tag fuhren sie zu dem alten Sklavenschloss Cape Coast, wo sie sich mit diesem Teil der Geschichte und des Erbes der Region und der Kirche vertraut machen konnten. Den zweiten Tag verbrachten sie in zwei ausgewählten Dörfern, in denen ein spezielles Pilotprogramm des URM-Afrika durchgeführt wird.

Am ersten Tag fand die offizielle Eröffnungsfeier mit einem Gottesdienst und zwei Reflexionsveranstaltungen statt; dem schloss sich eine Debatte im Plenum an. Die Predigt im Eröffnungsgottesdienst hielt der ehemalige Erzbischof der Kirche der Anglikanischen Gemeinschaft in der Provinz Westafrika, Robert Okine. Die Eröffnungsveranstaltung leitete der Generalsekretär des Christenrates von Ghana, Dr. Fred Deegbe. Eine der stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralausschusses des ÖRK und Richterin am Appellationsgerichtshof von Ghana, Sophia Adenyira, begrüßte die Teilnehmenden im Namen ihres Landes und des ÖRK und hielt die Eröffnungsansprache. Von den Kirchen in Ghana und von der Gemeinschaft der Christenräte und Kirchen in Westafrika (FECCIWA) wurden Grußbotschaften verlesen. Danach gab es zwei einleitende Reflexionsrunden. Die Direktorin der Wohlfahrtsstiftung in Solo, Indonesien (Social Welfare Guidance Foundation - YBKS), hielt einen Vortrag über "Missionsarbeit mit Menschen im Kampf inmitten der Globalisierung". Dr. Guillermo Kerber Mas vom ÖRK-Team für Internationale Beziehungen sprach über die "Auseinandersetzung mit den globalen Herausforderungen und Bedrohungen am Beginn eines neuen Jahrhunderts".

Der zweite Tag war den "Erzählrunden" in der Tradition der Gemeinschaften der Urvölker in Nordamerika gewidmet. Bibiana Nalwiindi Seaborn und Dr. Daniel Scott gaben eine Einführung; sieben gleichzeitig stattfindende "Erzählrunden" mit Helfern und theologischen Animatoren für den Reflexionsprozess schlossen sich an. Ron Tremblay schloss die "Erzählrunden" mit einer traditionellen Zeremonie im Stile der Urvölker. Darauf folgten vier Workshops: Kommunikation für das Volk - unter Leitung von Amparo Beltrán Acosta, Heilung und seelisches Gleichgewicht - unter Leitung von Ron Tremblay, die Situation im Nahen und Mittleren Osten - unter Leitung von Mitgliedern der Delegation aus dem Nahen Osten, und Frauenhandel - unter Leitung von Virginia Wangare Greiner. Außerdem fand eine Diskussion von URM-Asien und URM-Afrika über Solidarität mit Asien und Afrika statt.

Der dritte und vierte Arbeitstag begannen jeweils mit einem Gottesdienst und mit Bibelarbeiten in Kleingruppen in der Form der Lectio Divina. Anschließend legte die Zuhörer-Gruppe in einer Plenarsitzung eine kommentierte Zusammenfassung der Arbeit an den vorangegangenen Tagen vor und benannte Themen, die in der Konferenz noch weiter beraten werden sollten. Dieses Verfahren erlaubte es der Konferenz, ihre Gedanken auf vier Bereiche zu konzentrieren, für die jeweils Fragen formuliert worden waren.

Grundgedanken

    a. URM, die Kirche und die Mission

    Ein herausragendes Element bei der weiteren Entwicklung des URM-Programms des ÖRK ist die Schaffung eines Netzwerks, das mit diesem Programm selbst eng verbunden ist. Im Laufe der Jahre ist das Netzwerk nach seinem Selbstverständnis zu einer globalen Bewegung von Menschen geworden, die im christlichen Glauben verwurzelt sindund gemeinsam mit anderen auf besondere Weise zur Mission Gottes berufen sind. Das Netzwerk fühlt sich berufen, sich an den Kämpfen der Ausgebeuteten, Marginalisierten und Unterdrückten für die Schaffung einer neuen Gemeinschaft zu beteiligen, die sich in der Erwartung der Herrschaft Gottes auf Gerechtigkeit gründet und alle Menschen einschließt.

    Vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses sieht sich URM in seiner Erfahrung mit der "Kirche" als Institution und mit seinem Verhältnis zu dieser Institution mit komplexen und schwierigen Fragen und Tatsachen konfrontiert. URM ist sich bewusst, dass dieses Verhältnis häufig von einem gewissen "Unbehagen" gekennzeichnet ist, das offenkundig zu einem, wenn auch nicht durchweg ungesunden, Dauerzustand geworden ist.

    In den Kämpfen sind unterschiedliche Erfahrungen mit der institutionellen Erscheinungsform der "Kirche" gewonnen worden. Es gibt positive Erfahrungen aus der Geschichte, dass "die Kirche" an der Seite der Unterdrückten und Ausgegrenzten stand. Die vorherrschende Erfahrung ist jedoch die einer Kirche, die entweder über die Ausgrenzung der Verwundeten und Marginalisierten hinweggesehen oder sogar daran mitgewirkt hat.

    URM ist der Auffassung, dass die Kirche als "Leib Christi" berufen ist, "in der Mitte" zu stehen - als lebendige Gegenwart Gottes inmitten des gesamten Volkes Gottes. Das bedeutet häufig, dass die Kirche in der komplexen Realität einer multikulturellen und multireligiösen Welt leben und Zeugnis ablegen muss und es häufig mit einer großen Vielfalt von Wahlmöglichkeiten zu tun hat, wie der Glaube an Christus bewahrt werden kann. Aus der Sicht der Marginalisierten jedoch ist die Kirche vor allem dazu berufen, Leben spendend und Leben verwandelnd unter Menschen im Kampf und in Not und an ihrer Seite präsent zu sein. Sie ist berufen zur Mitwirkung an ihrem Kampf zur Überwindung von Strukturen und Systemen, die die menschliche Gemeinschaft spalten, Unterdrücker hervorbringen und Unterdrückung aufrechterhalten.

    So versteht URM seinen Auftrag und gerät dadurch häufig in Opposition und zu einer kritischen Haltung gegenüber den Kirchen, wenn diese nicht eindeutig an der Seite der Schwachen stehen. Damit nimmt URM eine "Zwischenstellung" zwischen den Kirchen und den Armen ein und arbeitet in den Kirchen und im Namen der Kirchen und der Armen - als prohetische Stimme der einen für die anderen. Die Beziehung wird auf diese Weise komplementär und widersprüchlich zugleich, sie ist charakterisiert durch Solidarität und Kritik. URM versteht seinen Auftrag nicht losgelöst von der Kirche, auch wenn er gelegentlich außerhalb der kirchlichen Strukturen tätig sein muss. Er muss aber die Kirchen immer wieder ermahnen, sich an die Seite der Menschen im Kampf zu stellen und die Menschen, die Pressionen, politischen Machenschaften und anderen gegen das Leben gerichteten Kräften ausgesetzt sind, nicht im Stich zu lassen.

    Uns ist bewusst, dass wir, wenn wir uns diesen Fragen stellen, erst einmal klären müssen, was wir meinen, wenn wir "Kirche" sagen, und dass wir davon ausgehen müssen, dass örtliche und regionale Bedingungen und Erfahrungen unser Verständnis und unsere Beziehungen prägen. Schließlich ist uns klar geworden, dass dieser Dialog in manchen Regionen ebenso sehr interreligiös wie ökumenisch geführt werden muss.

    Die Konferenz befasste sich mit dem Verhältnis von URM als Bewegung, die versucht, Mission einerseits aus der Sicht von Menschen im Kampf, und andererseits aus der Sicht der Kirche als "Institution" in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zu praktizieren. Sie bekräftigte die Notwendigkeit, darüber in einem kontinuierlichen Prozess innerhalb des URM und zusammen mit den Kirchen nachzudenken. Hier nimmt URM eine erzieherische Funktion für sich in Anspruch. Es geht hier um einen Prozess, in dem die Kirchen laufend über die Anliegen und Sichtweisen der Armen und Marginalisierten und ihren Kampf für ein Leben in Würde, aber auch über diejenigen Probleme informiert und auf solche Phänomene aufmerksam gemacht werden, die Völker und Gemeinschaften destabilisieren. In dem Bemühen, die Sichtweisen der Ausgeschlossenen zur Sprache zu bringen, hat der URM häufig Kritik an hierarchischen Strukturen der Kirche geübt und die Kirchen aufgefordert, ihr Verständnis von Mission und ihre missionarische Praxis in einer größeren Perspektive zu sehen. URM sieht jedoch seine eigentliche Aufgabe darin, die Kirchen konstruktiv dabei zu unterstützen und zu ermutigen, der missiologischen und evangelischen Dimension der Gerechtigkeit, der Armut und der Menschenwürde besondere Beachtung zu schenken. Sie hat das Ziel, die Kirchen zu einem Verständnis von Mission hinzuführen, das die Solidarität mit den Armen und die Bereitschaft, sich in ihren Kampf zu begeben, einschließt.

    Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Evangelisation und Spiritualität in vielen Traditionen ihrer wesentlichen prophetischen Substanz und Dimension beraubt worden sind, weil sie häufig im Gegensatz zu den Kämpfen der Menschen für Gerechtigkeit und ein Leben in Würde stehen. Die Trennung des kirchlichen Engagements für Gerechtigkeit von der Verkündigung des Evangeliums schafft eine gewisse Wertehierarchie, die in sich schon Ursache für Spaltungen in Kirchen und Gemeinden ist. Aus der Sicht von Menschen im Kampf fördert diese Aufspaltung kirchlicher Arbeit eine falsche Spiritualität, die es zulässt, dass die Evangelisation den Interessen der Macht und der Erhaltung des status quo dienstbar gemacht wird. Für diese Menschen aber geht es um die Ganzheitlichkeit des Evangeliums als "gute Nachricht für die Armen". Wahre Evangelisation ist die Verkündigung einer Botschaft, bei der sich die Kirche mit den Armen und Geschundenen identifiziert, einer Botschaft, die die Schranken niederreißt, die die Menschheit spalten und von Gott, voneinander und von der übrigen Schöpfung trennen. Deshalb muss Evangelisation wieder die versöhnende Mission Gottes in den Mittelpunkt stellen, die alles, was trennt, ausgrenzt und unterdrückt, verwirft, wie Christus es in seinem Leben und in seiner Lehre beispielhaft vorgeführt hat. Das bedeutet, das Wirken der Kirche für soziale Gerechtigkeit wieder in die Verkündigung dieser versöhnenden Mission Gottes zu integrieren.

    Als Menschen, die in dieser Mission tätig sind, möchten wir mit den Kirchen in einer Partnerschaft zusammenarbeiten, in der auf beiden Seiten die Notwendigkeit besteht, zuzulassen, dass das Evangelium seinen Ausdruck in vielerlei Formen finden kann. Wir verstehen die Rolle des URM als Rufer, der die Kirche zu prophetischer Evangelisation und zu einer Spiritualität des Widerstandes gegen die Zerstörung der Menschenwürde mahnt. Das bedeutet, wachsam und bereit zu sein, sich allem entgegenzustellen, was die am stärksten an den Rand der Gesellschaft Gedrängten bedrückt: die Migranten und Flüchtlinge, die Opfer aller Formen von Diskriminierung, Unterdrückung, Konflikten und anderen Formen von Gewalt, und alle, deren Rechte und Freiheiten bedroht sind oder verletzt werden, aber auch uns für alles einzusetzen, was die ganze Erde und alle ihre Geschöpfe und Ressourcen betrifft und der Sorge um sie dient. Wir verstehen URM als ein prophetisches Werkzeug der Kirche, das die Kirche dazu bringt, die Menschen im Kampf nicht aus den Augen zu verlieren, sie zu verstehen und sich an ihre Seite zu stellen. Die Kirchen müssen beständig ermahnt werden, diesem Ruf zu folgen; wir brauchen die Unterstützung der Kirchen, um auch weiterhin in der Welt und inmitten des Kampfes der Menschen wirken zu können. URM dient dazu, Kirche bei den Menschen im Kampf, aber auch ein Medium zu sein, das den Stimmen der Armen in der Kirche Gehör und Beachtung verschafft. Unsere Tradition des Geschichtenerzählens ist Teil unserer Bemühungen, die Existenz von Armut und Marginalisierung bekannt zu machen. Sie gehört auch zu unseren Methoden, inklusive Gemeinschaften zu bilden und weiterzuentwickeln. Wir hoffen, dass die Stimmen der Armen gehört werden und dass die praktische und gedankliche Arbeit der Mission an ihren Erfahrungen ausgerichtet wird.

    Wir nehmen wahr, dass die Globalisierung heute mehr Menschen in Armut und Marginalisierung treibt als je zuvor. Die Kluft zwischen Reichen und Armen wächst, und wir sehen die Notwendigkeit, dass die Kirchen dringend mehr von ihren Ressourcen für die Mission dafür einsetzen, die Armen in ihrem Kampf zu begleiten und zu unterstützen. Für Ausbildung und für die Mobilisierung der Gemeinschaft, für den Aufbau von Gemeinwesen und ihre Weiterentwicklung sind Ressourcen erforderlich. Über ökumenische und interreligiöse Grenzen hinweg müssen neue Bündnisse geschlossen werden. Wir müssen uns bewusst sein, dass diese Arbeit je nach den örtlichen Bedingungen und Verhältnissen in vielfältigen Formen geleistet werden muss und dass sie nur dann effektiv sein kann, wenn sie in der jeweiligen Situation vor Ort verankert ist, sich der Probleme vor Ort annimmt und dem Ruf des Propheten Jesaja, Kapitel 58, folgt.

    Es wird empfohlen, die Strategie des URM im Umgang mit den Gemeinschaften und den Problemen, mit denen sie konfrontiert sind, ständig zu reformieren und den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Dazu gehören unter anderem größeres Fingerspitzengefühl bei Erkundungsbesuchen sowie Gewährung von Raum für Maßnahmen, die sich aus solchen Besuchen ergeben, anstatt reine Konzentration auf die Diagnose der festgestellten Probleme. Wir müssen beständig Ausschau nach Möglichkeiten halten, wie wir der Basis mehr Raum zur Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen und an dem Umgang mit Problemen verschaffen können, beispielsweise durch die Mitwirkung an Tagungen und Aktivitäten von URM und den größeren kirchlichen Gemeinschaften.

    b. Gewalt und Verletzung der Menschenrechte und die Reaktion von URM

    Es stand von vornherein fest, dass "Mission aus der Sicht von Menschen im Kampf" eine Antwort auf die vielfältigen Formen von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erfordern würde, die Teil der Erfahrungen von Menschen im Kampf sind. So wie wir als URM Mission verstehen, nämlich als Begleitung von Menschen, erfordert Mission eine wohl durchdachte Reaktion auf die globalisierte Gewalt, die die Menschen in die Hoffnungslosigkeit treibt. Diese Reaktion muss vor allem auf die Mission zugunsten der Opfer von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gerichtet sein und mit dem Evangelium Christi in Einklang stehen, das allen Menschen Leben in seiner ganzen Fülle verheißt. Unter anderem geht es dabei um folgende Bereiche:

    • In den Diskussionen über Kirche "zwischen den Fronten" geht es auch um Mission für Gewalttäter und unsere Rolle im Ringen um Gerechtigkeit, aber auch um Heilung und Versöhnung. Wie kann Mission in dieser Hinsicht gestaltet werden?
    • Die Bekämpfung von Gewalt in ihren vielfältigen Formen und Hilfe bei der Konzipierung von "Strategien des Widerstandes" erfordern eine sorgfältige und kritische Analyse des jeweiligen Umfeldes und der Bedingungen. Ferner ist spirituelle Erkenntnis und das Vertrauen auf das Geleit des Heiligen Geistes notwendig, damit die Begleitung nicht falsch platziert oder fehlgeleitet wird, wie etwa bei falschen Tröstern.
    • Schließlich haben wir uns damit befasst, Menschenrechtsverletzungen als eine der vielen Formen zu behandeln, in denen Gewalt auftreten kann, die im Leben der Marginalisierten fortwirkt. Auch das macht es notwendig, an der Seite derer zu stehen, die kämpfen und die an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind.

    Im Blick auf diese Fragen und Herausforderungen möchten wir entschieden darauf bestehen, dass Mission "zwischen den Fronten" stattfinden muss und nicht in Neutralität oder Gleichgültigkeit abgleiten darf. Wir verstehen die Mission der Kirche als Ruf zur "Begleitung" und nicht zu "unparteiischer Beobachtung". Wir müssen sicherstellen, dass wir zuallererst und stets an der Seite der Opfer stehen müssen, aber wenn es möglich ist, müssen wir auch in der Lage sein, bei den Tätern zu sein, um Gerechtigkeit und Versöhnung zu stiften. Gewalt ist eine beständige Herausforderung für die Kirche und das Evangelium; sie darf nicht ignoriert, übersehen oder verharmlost werden.

    Wir sind uns bewusst, dass wir uns in unserem Dienst für soziale Gerechtigkeit von einem rein juristischen und politischen Verständnis von Gerechtigkeit und Versöhnung trennen müssen, das häufig mit den Kämpfen von Völkern in Verbindung gebracht worden ist. Wir glauben, dass der Dienst der Versöhnung für URM und für die Kirche nicht allein in der Heilung von Vergangenem bestehen kann. Er muss auch die erforderlichen Vorbeugungsmaßnahmen einschließen, um zu verhindern, dass künftig wieder dieselben Fehler begangen werden. Buße erfordert eine Richtungsänderung: Umkehr. Während unser vorrangiges Bemühen darauf gerichtet ist, die Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit zu begleiten, können aber auch Täter, die zur Umkehr bereit sind, zu Partnern im Dialog und auf der Suche nach Versöhnung werden. An dieser Hoffnung müssen wir festhalten. Wir beziehen klar Stellung und rufen die Kirchen auf, die Partei der Gerechtigkeit und der Schwachen zu ergreifen; dabei gehen wir davon aus und sind überzeugt, dass die sozialen und politischen Probleme, die angepackt werden müssen, zugleich zutiefst theologische, ethische und damit auch evangelische Dimensionen haben. Wir müssen uns davor hüten, uns in politische Spiele hineinziehen zu lassen, und an einer prophetischen Rolle festhalten, die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, aber auch religiöse Strukturen in Frage stellt, die der Fülle des Lebens im Sinne der "frohen Botschaft" Christi abträglich sind.

    Wir sind beständig der Versuchung ausgesetzt, im Namen der Opfer zu sprechen. URM muss sich aber bewusst sein, dass unsere Aufgabe vielmehr darin besteht, Spielräume und Möglichkeiten für die Opfer zu schaffen, ihre Sache selbst zu vertreten. Deshalb empfehlen wir nachdrücklich, dass der ÖRK solche Spielräume schafft und bei der Weltkonferenz für Mission und Evangelisation Menschen im Kampf, Opfern von Gewalt, Marginalisierten und den Mühseligen und Beladenen die Möglichkeit gibt, für sich selbst zu sprechen.

    URM hat von Anfang an auch Menschen anderer Glaubensrichtungen in die Bewegung aufgenommen, die unsere Vorstellungen von christlicher Identität, dort, wo sie weniger eindeutig war, in Frage gestellt haben. Wir sind davon überzeugt, dass wir dazu berufen sind, das Salz zu sein, das haltbar macht und Würze gibt, und dass wir unsere christliche Identität nicht verlieren, sondern erst unsere wahre Identität finden, wenn wir anderen zum Leben verhelfen. Wir halten fest an der spirituellen Kraft unserer Mission und an der Hoffnung, die am Werk ist, wenn wir Gemeinwesen aufbauen und Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenführen - insbesondere dort, wo der Dialog zwischen den Traditionen für Versöhnung, Gerechtigkeit und Friedenstiften von entscheidender Bedeutung ist. Hierin sehen wir eine Kraft, andere und uns selbst zu stärken, und ermutigen URM, in diesem Geiste weiterzuarbeiten.

    Wir halten es ferner für notwendig, dass URM seine Arbeitsweise und seine Erkundungsbesuche überdenkt und sich fragt, welchen Sinn es hat, eine Gemeinschaft bei einem solchen Besuch nur zu ‚besichtigen‘, aber nicht auch in das Engagement einzubeziehen. Es ist wichtig, dass jeder Besuch bei einer Gemeinschaft zugleich ein Akt der Solidarität ist und dass jeder Besuch auch ein konkretes Ziel hat. Wir ermutigen dazu, vom bloßen Informationsbesuch überzugehen in ein wirkliches Eintauchen in den Kontext, damit die Besuche verbindlich werden, Verständnis schaffen und den Austausch von Geschichten und Erfahrungen möglich machen.

    c) Wiederherstellende Gerechtigkeit, Heilung und Versöhnung

    Wahrhafte Versöhnung muss sich auf Gerechtigkeit und Wahrheit gründen und sich mit den Ursachen des jeweiligen Konfliktes, der Gewalt und der Verletzungen auseinandersetzen. Menschen im Kampf haben die ernste Sorge, dass im Diskurs über Heilung und Versöhnung die Sorge um Gerechtigkeit nicht ernst genug genommen werden könnte. Grund dafür ist, dass die Mächtigen und die Verursacher von Unrecht viel von Versöhnung, nicht aber über Gerechtigkeit sprechen. Für Menschen im Kampf ist "wiederherstellende Gerechtigkeit" eine der entscheidenden Aufgaben - das noch ungelöste Problem der Mission. Das wirft Fragen auf: Was macht die wiederherstellende Gerechtigkeit, nach der wir streben, aus und welche Schritte müssen unternommen werden, um zu wahrer Heilung und Versöhnung und auch darüber hinaus zu gelangen?

    Der Ruf an die Kirchen, heilende und versöhnende Gemeinschaften zu werden, ist zugleich die Aufforderung an sie, auf die Gebrochenheit der Welt zu schauen, in der sie Zeugnis ablegen und ihren Dienst tun sollen. Es ist die Aufforderung, wahrzunehmen, dass die Welt zerbrochen ist und durch den beständigen Machtmissbrauch, durch Ausgrenzung und Unterdrückung der Schwachen und die Verletzung der Menschenwürde der anderen auch zerbrochen bleiben wird. Die Menschheitsgeschichte ist voll von Beispielen für Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Einige davon haben ganze Völker und Kulturen vernichtet. Die Verbrechen, die im vorigen und in diesem Jahrhundert begangen wurden, sind düstere Erinnerungen an diese Wirklichkeit. Straffreiheit und Terrorregime gehören zu unserer jüngsten Erinnerung. Noch immer erleben wir gewalttätige Bürgerkriege, ethnische und religiöse Konflikte. Gewaltsame Enteignungen, Zwangsumsiedlungen, Besetzungen, alte und neue Formen wirtschaftlicher und sozialer Marginalisierung und Übergriffe gegen Menschen sowie der gewaltsame Widerstand, der diesem Unrecht entgegengesetzt wird, haben die Welt in eine neue Ära der Polarisierung gestürzt, von der sich alle Beteiligten in ihrer Lebensweise bedroht fühlen. In der Auseinandersetzung mit dieser Bedrohung bestimmen die Belange der nationalen und internationalen Sicherheit die Politik und ihre Reaktionen darauf. Die Mächtigen haben diese Konstellation dazu genutzt, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Dabei werden offensichtlich auf beiden Seiten die Unterschiede zwischen Macht und Recht, zwischen Selbstverteidigung und Aggression, zwischen Widerstand und Terrorismus, zwischen Gerechtigkeit und dem Terror des "Antiterrors" verwischt.

    Das alles trägt auch weiterhin zum Auseinanderbrechen menschlicher Gemeinschaften bei und schafft eine zerrissene Welt voller Menschen mit einem erschütterten Selbstwertgefühl. Zu allermeist bedarf das Menschsein selbst der Heilung. Darin sind die eigentlichen Herausforderungen des Evangeliums als "frohe Botschaft" für alle Menschen zu sehen, und aus dieser Sicht werden "Buße", "Wiedergutmachung", "Vergebung" und "Heilung der Erinnerungen" zu den entscheidend wichtigen Aufgaben der Mission in ihrem Dienst für eine mit sich selbst und mit Gott versöhnte Menschheit und Schöpfung.

    Wir dürfen nicht über die Zerstörung der Menschenwürde durch das, was Menschen einander antun, hinwegsehen, aber wir müssen uns auch klar machen, dass die Zerstörung der Menschenwürde ein zweischneidiges Schwert ist, ein Geschehen in zwei Richtungen, in dem Opfer und Täter ihre Menschenwürde verlieren. Unser Dienst für wiederherstellende Gerechtigkeit ist damit zugleich Dienst an der Wiederherstellung der Menschenwürde. Wiedergutmachung im Sinne von Wiederherstellung des Urzustandes ist nicht möglich, aber Menschlichkeit kann dadurch wiederhergestellt werden, dass die Gegner einander ihr Menschsein zugestehen. Auch dazu bedarf es der Busse und veränderter Einstellungen.

    An dieser Stelle warnen wir vor einem rein anthropomorphen Verständnis von der Wiederherstellung der Menschlichkeit. Wir bekennen, dass die Ebenbildlichkeit Gottes das Menschsein jedes einzelnen Menschen ausmacht. Unser gegenseitiger Würdeverlust besteht darin, dass wir uns weigern, das Ebenbild Gottes in unserem Gegenüber zu erkennen. Wir unternehmen bewusst den Versuch, den anderen die Fähigkeit abzusprechen, Gottes Ebenbild in sich selbst zu erkennen und diese Fähigkeit überhaupt erlangen zu können. Unser Dienst an der Wiederherstellung der Menschlichkeit muss die spirituelle Dimension haben, die uns über eine anthropozentrische Menschlichkeit hinaus zu einer von Gott erfüllten Menschlichkeit führt - zur Theosis oder zur Deifikation. Dies ist ein endloser Prozess des Werdens und Wachsens in Gott und in Gott hinein.

    Wir betonen, dass diese Art der Wiederherstellung für wahre Heilung von wesentlicher Bedeutung ist, denn Heilung oder Versöhnung kann nicht gelingen, solange das Unrecht der Marginalisierung, der Diskriminierung, der Ausbeutung und des Machtmissbrauchs anhält. Gerechtigkeit und Versöhnung müssen als etwas Komplementäres in Gottes Mission verstanden werden. Gott heilt und versöhnt uns miteinander und mit Gott in Christus. In ihm werden wir durch die neu schöpfende Kraft des Heiligen Geistes mit Gott versöhnt. Wir werden daran erinnert, dass auch das ein endloser Prozess ist, der spiritueller Aufmerksamkeit bedarf. Die prophetische Stimme der Kirche muss ständig gegen Tendenzen erhoben werden, die die Menschenwürde verletzen und die Gebrochenheit des Menschen perpetuieren, wenn sie wahrhaft an der Mission Gottes teilhaben will.

    Die in jüngerer Zeit stärker juristisch ausgerichteten Ansätze für wiederherstellende Gerechtigkeit, die die materielle Wiedergutmachung in den Mittelpunkt stellen, müssen kritisch bewertet werden. Führt diese Form wiederherstellender Gerechtigkeit zu Heilung und Versöhnung? Das aber ist wichtig, denn wiederherstellende Gerechtigkeit kann nicht Selbstzweck sein. Sie muss zur Heilung führen, zur Heilung von Menschen und Gemeinschaften.

    Wenn wir über Heilung und Versöhnung nachdenken, wird uns erneut bewusst, dass wir aufgerufen sind, uns an die Seite der Opfer zu stellen, auch wenn wir für einen gemeinschaftsbezogenen Ansatz eintreten. Deshalb müssen wir sorgfältig darauf achten, dass unsere Bemühungen um Wiederherstellung und Heilung der Zerrissenheit und Aufspaltung der Gemeinschaft die Opfer nicht verletzen, sie noch weiter zu Opfern machen oder dass dadurch noch mehr Menschen zu Opfern werden.

    d) Globalisierung und die Kommodifizierung des Lebens

    Die Geschichten von Menschen im Kampf beleuchtet ihre Besorgnisse über die Globalisierung und deren ideologische Stärke und die sie begleitenden juristischen Praktiken, alle Dinge - Ressourcen, Wasser, Menschen - in eine Ware zu verwandeln, die man zum Nutzen und für den Profit von einigen Wenigen kaufen, verkaufen, sich aneignen oder gegen andere Waren eintauschen kann. Es ist unklar, ob die Kirchen die ganze Tragweite dieser Ideologie und die Herausforderungen erkennen, die ihre Anforderungen an das Evangelium stellen, das wir verkündigen sollen. URM ist darüber besorgt, dass der guten Arbeit sozialer Analysen noch keine entsprechende theologische Kritik an die Seite gestellt werden kann, die die Globalisierung als das darstellt, was sie ist, und die die Herausforderungen benennt, die sie für das Evangelium Christi bedeuten. URM muss die Kirchen dafür gewinnen, die Ideologie, die die Globalisierung antreibt und die alles zur Ware macht, zu reflektieren und eine theologische Antwort darauf zu geben. Die Kirchen müssen befähigt werden, ihre Reichen und ihre Armen dafür zu gewinnen, die Vergötterung dieser Ideologie zu durchschauen und in Frage zu stellen, ihrer Fähigkeit zu widerstehen, das Leben und damit alle Formen der menschlichen Gemeinschaft und der natürlichen Ordnung aufzuspalten und zu zerstören.

    URM fühlt sich verpflichtet, diesen Trend und seine Auswirkungen auf das Leben von Menschen und Gemeinschaften öffentlich zu verurteilen, aber auch die Entwicklung von Alternativen auf der konkreten Ebene der Gemeinwesenbildung anzuregen. Außerdem ist die Welt angesichts der abflauenden Ideologie-Debatte offensichtlich zwischen den neoliberalen Thesen, die einer globalen Monokultur zugrunde liegen, und einer wachsenden exklusivistischen, nationalistischen und ethnizistischen Vision gefangen. URM unterstreicht in dieser Hinsicht die Notwendigkeit einer Gegenideologie-Debatte sowie des Handelns bereits im Vorfeld.

    In den Schöpfungsberichten der Genesis und den Kosmologien anderer religiöser und kultureller Traditionen erfahren wir, dass der Geist am Werk ist, immer und überall Leben zu schaffen. Gottes Odem, Gottes Geist erschafft Leben aus Staub, und derselbe Geist schafft Ordnung aus dem Chaos. Die Wiederkunft Christi ist Gottes Antwort an die Menschheit, die die Schöpfung durch ihre tödlichen Akte des Ungehorsams und der Missachtung der Menschenwürde in die Zerbrochenheit, in das Chaos zurückwirft. Gott ruft uns in Christus aus dieser Zerbrochenheit heraus in die Ganzheit; durch Christi Tod und Auferstehung ruft uns Gott aus dem Tod ins Leben; er stellt uns durch die Kraft des Heiligen Geistes wieder her zu einem Menschsein, das seinen Mittelpunkt wieder in Gott findet. Deshalb verstehen wir unseren Auftrag darin, an dieser Mission Gottes als Einladung zum Fest des Lebens mitzuwirken, bei dem alle Menschen ihr Menschsein zurückgewinnen, bei dem die Ordnung wieder neu geschaffen und das Leben in seiner Fülle und Ganzheit wiederhergestellt wird. Wir sehen in der Tatsache, dass das Leben zur Ware gemacht wird, die Perpetuierung der Missachtung der Menschenwürde und der Zerbrochenheit der Schöpfung - eine Leugnung des rettenden Handelns und der Kraft Gottes in Christus. Deshalb rufen wir die Kirchen auf, dagegen Widerstand zu leisten.

    Wir sind der Überzeugung, dass vor allem die Armen einen leichten Zugang zu dem haben sollen, was lebenswichtig ist, zu Grund und Boden, Nahrungsmitteln und Wasser, sowie zu den Dienstleistungen, die dem Leben förderlich sind, zu Bildung und Gesundheitsfürsorge; dies sind grundlegende Menschenrechte; wir verurteilen, dass diese und andere menschliche Aktivitäten für das Leben, wie Kultur und Umwelt, zur Ware gemacht werden. Denn wir sind der Überzeugung, dass die sozialen Errungenschaften der Vergangenheit verteidigt werden müssen und dass der totalen Vernichtung der sozialen Sicherungssysteme, die von den Völkern erkämpft worden sind, Widerstand entgegensetzt werden muss.

    An Stelle des Überlebens der Stärksten bekennen wir uns als Antwort auf den Ruf des Evangeliums zu der Notwendigkeit einer Spiritualität der Verpflichtung für die Schwächsten, "die geringsten Glieder der Familie (Gottes)" (Mt 25, 40). An Stelle der Heiligkeit des Reichtums bekennen wir die Heiligkeit des von Gott geschenkten Lebens, dessen Kennzeichen Gnade, Zuwendung, Großzügigkeit und Gastfreundschaft sind. Wir fordern auf zum Widerstand gegen die Vergötterung des Geldes. Wir bekennen Gott als die einzige Quelle allen Lebens und Seins und bekräftigen das Ziel der Mission als Vergöttlichung (Theosis) der Menschheit, die vom Heiligen Geist befähigt wird, an Christus und an Christi Mission der Erlösung und Versöhnung mit Gott und miteinander teilzuhaben. Wir fordern die Teilung der materiellen Güter und spirituellen Gaben und Kraftquellen als wesentlichen Aspekt der Mission, wie in Matthäus 25 beschrieben. Wir sind der Überzeugung, dass die Wertvorstellungen, die auf dem Evangelium basieren, auf die staatliche Gesetzgebung einwirken müssen, um die Absolutheit des freien Marktes einzuschränken; dies ist ein wesentlicher Teil des prophetischen Auftrags der Kirche.

    Die Globalisierung darf indessen nicht nur nach ihren wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Armen und auf die menschliche Gesellschaft beurteilt werden. Es besteht die ernste Sorge, dass ganzen Bevölkerungsgruppen und Völkern neue Formen von Identität, Beziehungen und Verbundenheit im Bereich der Globalisierung aufgezwungen werden. Das geschieht sowohl im traditionellen Umfeld der Menschen durch systematische, wohl überlegte Prozesse des kulturellen Imperialismus als auch in neuen Kontexten, in denen Menschen durch eine Politik und durch Prozesse der Assimilation entwurzelt worden sind. Diese können dazu führen, den kulturellen Genozid zu perpetuieren und durchzusetzen, der die negativen Folgen der missionarischen Praxis in der Vergangenheit jetzt so deutlich ans Licht bringt. Der Trend zu einer aufgezwungenen globalen Monokultur und einer uniformen oder "Schmelztiegel"-Identität, die nur wenig Vielfalt zulässt, stellen ebenfalls eine ernste Bedrohung für die Ganzheitlichkeit der Schöpfung Gottes und eine Herausforderung für die Mission dar. Aber auch das ist kein neues Phänomen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte und vor allem im letzten halben Jahrtausend hat die Arroganz einiger Zivilisationen zu Völkermord und zu schwerwiegenden Verlusten für die Menschheit geführt. Wahre Versöhnung erfordert es, solchen Tendenzen in der Politik oder im Verhalten der Menschen entgegenzuwirken. Das Evangelium muss heute auf andere Weise verkündigt und gelebt werden, wenn es die Menschen dazu befähigen soll, in sich selbst und in ihrer Identität Werte wiederzuentdecken, um miteinander in Beziehung zu treten und sich weiter zu entwickeln.

    Daraus folgt:

    1. Wir bedürfen einer Theologie des Reichtums, die die spirituellen Disziplinen und Praktiken von Jesaja 58 respektiert, damit wir uns die Hoffnung auf ein Leben in Fülle bewahren können, aber zugleich fähig werden, eine Theologie des Wohlstands zu kritisieren. Wir empfehlen der Missionskonferenz und der künftigen missionarischen Arbeit in der ökumenischen Bewegung, sich dieser Aufgabe zu unterziehen.
    2. Unsere Arbeit in der Mission erfordert zugleich, die Reichen zur Buße und zum Bekenntnis ihrer Schuld zu rufen. Reiche sind alle die, die Verantwortung tragen, die die Ressourcen für eigene Zwecke benutzen oder missbrauchen und Macht über andere haben. Wir werden uns mit den Grenzen des Reichtums auseinandersetzen müssen.
    3. Wir müssen uns darum bemühen, Worte, Begriffe und Ideen zurückzuerobern, die für andere Zwecke als die Gerechtigkeit in Anspruch genommen worden sind. Die Grundlage der Gerechtigkeit erkennen wir im Wirken des Heiligen Geistes.
    4. In unserer weiteren Arbeit werden wir nach Alternativen suchen müssen, und zwar:
    • nach praktischen Alternativen für Gemeinwesenbildung und wirtschaftliche und soziale Praktiken, die die legitime Identität der Völker und die Mitwirkung und das Wohl aller Völker achten
    • in unserer begleitenden Arbeit Freiräume für den kooperativen Diskurs über die Ideologie eröffnen; dazu könnte auch die Schaffung eines künftigen "URM-Instituts für alternative Ideologien" gehören.

    e. Schlussbemerkung

    Jesaja 58, 1-11 ist für die URM-Bewegung eine unaufgebbare Position in unseren Bemühungen um die Wahrnehmung der "Mission aus der Sicht von Menschen im Kampf". Wir sehen darin zwei einander ergänzende Aspekte. Die Bewegung versteht ihre Praxis in der Mission als 'Mission von unten', 'die denen, die keine Stimme haben, Gehör verschafft und die Armen und Marginalisierten in ihrem Kampf begleitet.' URM hat aber auch einen prophetischen Auftrag in der Kirche und im Namen der Kirche wahrzunehmen; damit wird seine Position zugleich komplementär und widersprüchlich.

    URM fühlt sich einer missionarischen Praxis verpflichtet, die zu Heilung und Versöhnung führen wird, wenn sie sich von dem leiten lässt, was Jesaja 58, 1-11 fordert. Unsere Mission wird auch weiterhin der Versuchung widerstehen, Befriedigung und Bequemlichkeit für sich selbst zu suchen. Sie wird auch weiterhin der Unterdrückung der Machtlosen und der Armen Widerstand leisten und nicht zulassen, dass die Obdachlosen unversorgt bleiben und den marginalisierten Gemeinschaften Unrecht geschieht. Vor allem aber wird URM, wenn die Kirche schweigt oder sich weigert, sich an die Seite der Armen zu stellen und sich an ihrem Kampf um die Rückgewinnung der Menschlichkeit und eines Lebens in Würde zu beteiligen, dem Schweigen widerstehen.

    Kommuniqué der Konferenz

    Wir sind aus allen Teilen der Welt hier in Accra, Ghana, zusammengekommen: aus Afrika, Asien und dem Nahen und Mittleren Osten, aus Europa und Nordamerika, aus Lateinamerika und aus der Karibik. Wir sind zusammengekommen, um als Netzwerke von URM unsere Mission unter den Menschen im Kampf zu erneuern, erneut zu bekräftigen und zu stärken. Das geschieht in einer Zeit, in der institutionelle Unterdrückung, systematische Gewalt, Besetzung und Militärisierung, Marginalisierung und sozio-ökonomische Entrechtung und Ausgrenzung die Menschheit vor neue Herausforderungen stellen. Mit tiefer Sorge beobachten wir Prozesse illegaler Besetzung und Unterdrückung souveräner Staaten und Völker unter der Maske des "Krieges gegen den Terror", wobei besonders die Lage im Nahen Osten zu nennen ist. Wir sind darüber besorgt, dass Hegemonialpolitik, Unilateralismus und Neukolonialismus mit den ihnen innewohnenden kapitalistischen Dimensionen der Wirtschaft in vielen Teilen der Welt Verwüstung und Spaltung anrichten.

    Als weltweite Bewegung arbeitet URM als Teil der Basisgemeinschaften, die sich verpflichtet haben, unter den Menschen im Kampf - zu denen wir gehören - für Solidarität und für spirituelle Befähigung zu wirken, indem wir ihnen sicheren Raum bieten, in dem ihre Geschichten aus dem Kampf gehört werden, um ihre Lebensqualität zu verbessern, indem wir alternative Strategien für sie entwickeln und aktiv den Mächten der Unterdrückung und der Missachtung der Menschenwürde entgegentreten.

    Wir waren in Cape Coast und haben der tiefen Wunden gedacht, die die Sklaverei in der Vergangenheit geschlagen hat; diese Wunden müssen in Afrika und überall in der Welt heilen. Auch Kirchen und örtliche Gemeinschaften haben wir aufgesucht und uns ihre Nöte angehört, Erfahrungen mit ihnen ausgetauscht, Freude und Hoffnungen mit ihnen geteilt; das kulturelle und spirituelle Erbe des Volkes von Ghana war für uns eine Bereicherung.

    Für uns bedeutet Mission die Verkündigung der Fülle des Lebens. Als Menschen aus den Kirchen, aus anderen Glaubensgemeinschaften und verschiedenen sozialen Bewegungen in aller Welt, als Einzelne und Gemeinschaften im Kampf sind wir berufen, einen Freiraum zu schaffen, in dem die Stimmen der Qual und des Leidens erhoben und in die Kirche und in die Gemeinschaft getragen werden können. In Erzählkreisen haben wir auf die Geschichten von Gemeinschaften im Kampf gehört und darüber nachgedacht, wie wir in unserem sozialen Engagement mit diesen Geschichten umgehen können. Indem wir diese Geschichten miteinander teilen, wollen wir eine solidarische Gemeinschaft schaffen.

    Die Mission von URM beginnt bei den Geschichten von Menschen, Geschichten der Befreiung aus Fesseln, Geschichten von Schmerzens-, Freuden- und Hoffnungsschreien einzelner Menschen und ganzer Gemeinschaften, von persönlicher Befreiung und der Emanzipation von Gemeinschaften. Unsere Erzählkreise wurden von den Schätzen religiöser und kultureller Traditionen bereichert - ein Reichtum, an dem die gesamte weltweite Familie von URM teil hat.

    Wir erneuern unsere Hoffnung auf Gemeinschaften, die mit 'Leben in seiner ganzen Fülle' gesegnet sind, und beginnen unsere Mission damit, dass wir als prophetische Stimme die kapitalistisch gelenkte globalisierte Welt und ihre neuen geopolitischen Realitäten anprangern und verurteilen, die wissentlich die menschliche Gemeinschaft zerstören. Wir haben uns vor allem mit den Auswirkungen der Gewalt und ihren Folgen für diejenigen befasst, die Gewalt erleiden; mit den Tendenzen, alles zur Ware zu machen, die als Katalysator der Globalisierung und des Unrechts dienen, und mit der Notwendigkeit wiederherstellender Gerechtigkeit und der Mission von URM als Spiritualität des Widerstandes gegen Unrecht und Unterdrückung. Wir bekräftigen den Ruf: 'eine andere Welt ist möglich'.

    Inmitten dieses Zustandes der Welt hören wir die Aufforderung, heilende und versöhnende Gemeinschaften zu werden, und sind der Überzeugung, dass zur Heilung die Wahrheit und die getreue Erinnerung an die Opfer gehören müssen und dass Versöhnung in den zerbrochenen Gemeinschaften auf allen Ebenen von Gerechtigkeit durchdrungen sein muss. Wir leben und arbeiten in Gemeinschaften, in denen Mord, Versklavung und Unterdrückung an der Tagesordnung sind, und wir sind der Auffassung, dass gewaltsam zum Schweigen gebrachte Schmerzensschreie nicht von einer besänftigenden Sprache erstickt werden dürfen. Gerechte, nachhaltige und dauerhafte Heilung zwischen Menschen und Gemeinschaften beruht auf einer Spiritualität der Versöhnung, die den Stimmen der Opfer Gehör verschafft. Wir haben uns von Jesaja 58 und Lukas 4 inspirieren lassen, die uns lehren, dass Mission zu Heilung und Versöhnung führen wird, wenn sie von einer Spiritualität bestimmt ist, die dem Egoismus und der Unterdrückung widersteht und das Joch der Ungerechtigkeit zerbricht.

    Unsere URM-Mission gründet sich auf spirituelle Befähigung, die Leben schenkt und erfüllt und die der Befreiung einzelner Menschen und Gemeinschaften aus den Fesseln wirtschaftlicher Knechtschaft, politischer Repression, kultureller Unterdrückung und sozialer Marginalisierung ihre antreibende Kraft verleiht.

    Heute erneuern wir, die wir aus allen Teilen der Welt hier versammelt sind, unsere Verpflichtung, mit den Ärmsten der Armen und den am stärksten Ausgegrenzten zusammenzuarbeiten. Wir bekräftigen unsere Verpflichtung, mit der Kirche und in den Basisbewegungen an jedem Ort zusammenzuarbeiten.

    Übersetzt aus dem Englischen
    Sprachendienst des ÖRK