Im Geiste von Weihnachten bitten wir Sie, für eine gastfreundliche und inklusive Gemeinschaft in Europa zu arbeiten und zu beten.
Während sich die Christen vorbereiten, die Geburt Christi zu feiern, warten sie in Hoffnung und Vorfreude, in Erinnerung an die Prophezeiung Jesajas: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“. (Jesaja 9,1) Wir rufen die Nationen und die Menschen Europas, die politischen Führungspersönlichkeiten und unsere Kirchen auf: Lasst es nicht zu, dass wir für das Leiden anderer gleichgültig werden. Mögen wir vielmehr die Würde der Menschen, die unsere Hilfe brauchen, wertschätzen, und anerkennen, dass die Aufnahme eines fremden Menschen zu unserem christlichen und europäischen Erbe gehört. Seien wir mutig und zuversichtlich im Sohn Gottes, dem Licht der Welt, dessen Geburt wir feiern. Christus wird uns den Weg weisen für ein zukünftiges gemeinsames Leben.
Die heutige Welt geht weiterhin durch die Dunkelheit von Verfolgung, Konflikt und Krieg. Laut Vereinten Nationen sind fast 70 Millionen Menschen von ihrem Zuhause vertrieben worden und auf der Suche nach einer sicheren Zuflucht und einem Lebensunterhalt. Über die Hälfte davon sind Kinder.
Das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen lässt verlauten: „Niemand wird freiwillig zum Flüchtling, aber wir haben die Wahl, wie wir den Betroffenen helfen.“ Als Christen werden wir von der biblischen Lehre und unserer Nachfolge Christi geleitet. In dieser Zeit der Weihnachtsvorbereitungen werden wir nebst Gottes Verheißung von Licht und Leben für diese Welt auch an unsere Verantwortung erinnert.
Jesus wurde Mensch: Weihnachten ist die Feier des fleischgewordenen Jesus. Für Christen ist die Fleischwerdung ein Ausdruck von Gottes uneingeschränkter Liebe für die Menschen. Das neugeborene Kind in einer Krippe ist eine gute Nachricht und große Freude, die allem Volk widerfahren wird (Lukas 2,10). Gleich wie jede Person nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde (Genesis 1,27), bekräftigt auch der menschgewordene Jesus die Würde aller Menschen. Keine Person und keine Gruppe von Personen ist ein „Problem“, mit dem man umgehen muss, denn als von Gott geliebte Menschen verdienen sie alle die Achtung ihrer Würde. Wir sind alle Teil der gleichen Menschheit, frei von Unterschieden zwischen Fremden und Einwohnerinnen und Einwohnern.
Jesus der Flüchtling: Als Kind fand er in Ägypten Zuflucht, als Maria und Josef flohen, weil Herodes drohte, Jesus zu töten. Jesus machte auch die Erfahrung, unter römischer Besatzung zu leben, kannte also die Maßnahmen, die die Menschen ihrer Freiheit beraubten und ihre Würde mit Füßen traten. Jesus wird ohne Zuhause geboren und er erlebt Gewaltherrschaft und Leiden. Er identifiziert sich mit den Flüchtlingen und den Unterdrückten und ruft uns auf, uns in ähnlicher Weise mitfühlend mit den Schutzbedürftigen zu identifizieren.
Jesus der Fremde: Jesus sagt uns, dass unser Verhalten einer fremden Person gegenüber dem Verhalten Jesu selber gegenüber entspreche (Matthäus 25,40). Wenn wir Christus erkennen in der Gestalt des Fremden, beginnen wir, dem Göttlichen im anderen zu begegnen. Dann bewegen wir uns nicht nur von einer Situation des „uns“ und „sie“ in eine neue Beziehung des „wir“, sondern wir werden durch die Begegnung auch gesegnet und werden gemeinsam menschlich.
Äußerst besorgt beobachten wir die gegenwärtigen Entwicklungen in der Antwort Europas auf die neu ankommenden Flüchtlinge. Gestützt auf die biblische Botschaft und die theologische Reflexion und unter Berücksichtigung der vor fast 20 Jahren auf dem EU-Gipfeltreffen in Tampere 1999 geäußerten Schlussfolgerungen, erklären wir:
- Es ist unannehmbar, dass die Politik der „Migrationssteuerung“ zu Situationen führt, in denen hohe Verluste von Menschenleben auf dem Weg nach Europa normal geworden sind und in denen Ausbeutung und Gewalt alltäglich sind. Wir brauchen sinnvolle sichere Wege (wie Wiederansiedlung, aus humanitären Gründen erteilte Visa, realistische Arbeitsmigrationspolitik) sowie Suche und Rettung auf dem Weg nach Europa.
- Wir bekräftigen die Aussagen des Tampere-Gipfels, insbesondere die „unbedingte Achtung des Rechts auf Asyl“ und „die uneingeschränkte und allumfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention“ als Leitlinien für die heutige Asylpolitik. Dies würde den effektiven Zugang zu einem Verfahren für Asylsuchende umfassen, ungeachtet wie oder durch welche Orte sie nach Europa gekommen sind.
- Der Schutz in der Herkunftsregion und die Verbesserung der Bedingungen in den Herkunftsländern bleiben wichtig, damit die Menschen nicht zur Flucht gezwungen werden. Doch solange es Gründe für eine Migration gibt, sollte Europa, als eine der reichsten und am weitesten entwickelten Regionen der Welt, seine Verpflichtungen in Bezug auf Gastfreundschaft und Schutz wahrnehmen, anstatt Drittländer unter Druck zu setzen, die Migration nach Europa zu stoppen.
- Bei der Steuerung der Migration und insbesondere bei der Aufnahme der Flüchtlinge sollte Solidarität ein ausschlaggebender Aspekt sein. Solidarität bedeutet, dass die stärkeren Schultern mehr Verantwortung tragen als die schwächeren, aber auch, dass alle ihr Möglichstes beitragen.
- Wir distanzieren uns vom Begriff, dass die Aufnahme von neu ankommenden Asylsuchenden zu Lasten derjenigen stattfindet, die bereits in Europa leben. Die Politik sollte sich mit den besonderen Bedürfnissen von neu ankommenden Menschen in Europa befassen und sie ermutigen, ihr Potenzial auszuschöpfen, um einen Beitrag zu leisten. Gleichzeitig müssen aber auch die Traditionen und Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner anerkannt werden.
- Diskussionen über Migration und Flüchtlinge sollten sich durch Würde, Respekt und, wenn möglich, durch Mitgefühl auszeichnen. Die Verbreitung von unrichtigen, undurchsichtigen und trennenden Erklärungen macht die Herausforderung des Zusammenlebens nur noch schwieriger.
- Wo Menschen aus unterschiedlichen ethnischen und religiösen Hintergründen zusammenleben, entstehen unausweichlich Konflikte, insbesondere unter sich rasch verändernden Bedingungen. Gemeinsam in Vielfalt leben kann sowohl bereichernd als auch herausfordernd sein. Wir fordern einen Geist der Toleranz und des guten Willens und eine Verpflichtung zu einem konstruktiven Engagement.
Wir verpflichten uns dazu, uns noch entschiedener zu äußern und uns einzusetzen, für unsere Vision einer inklusiven und partizipatorischen Gesellschaft – für neu ankommende Personen und für alle Einwohnerinnen und Einwohner.
Befürwortet von den folgenden Leitungspersonen aus verschiedenen Kirchen und Konfessionen und unterstützt von der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa in Zusammenarbeit mit der Konferenz Europäischer Kirchen.