Dr. Sarojini Nadar ist eine Theologin und Wissenschaftlerin aus Südafrika, die sich seit vielen Jahren mit den Themen Geschlechter, Religion und Gesundheit beschäftigt. Derzeit arbeitet sie als Dozentin und Direktorin des Programms Gender and Religion (Geschlecht und Religion) der School of Religion and Theology an der Universität von KwaZulu-Natal. Nadar hat sich sehr stark bei den Kirchen dafür eingesetzt, das Bewusstsein für die Gesundheit von Frauen in den Gemeinwesen zu stärken, patriarchalische Werte zu hinterfragen und für Geschlechtergerechtigkeit zu arbeiten.

Als Teil des Monat der Gesundheit und des Heilens im November, während dessen der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) Gemeinden und individuelle Christen zu biblische Meditationen zu den Themen Geschlechter, reproduktive und sexuelle Gesundheit einlädt, wurde Nadar von der ÖRK-Kommunikationsabteilung zum Thema „Geschlechter-Ungleichheit und gesundheitliche Auswirkungen: Zum Bilde Gottes geschaffen“ interviewt.

Welches sind die Hauptprobleme für Frauen mit Blick auf ihre Gesundheit, ihr Wohlergehen und die Auswirkungen der Geschlechter-Ungleichheit darauf?

Es ist wichtig, zu beachten, dass Gesundheit nicht notwendigerweise nur die Abwesenheit von Krankheit ist, sondern vielmehr der Zustand ganzheitlichen Wohlergehens in allen Aspekten des Lebens – physisch, emotional, psychisch, sozial und natürlich spirituell. Geschlechter-Ungleichheit hat leider Auswirkungen auf alle diese Aspekte des Wohlergehens und verursacht nicht nur ein Ungleichgewicht in der Gesellschaft, sondern kann auch zum körperlichen Tod führen.

Das schmerzlichste Beispiel ist die HIV und AIDS-Pandemie in Südafrika. Die Geschlechter-Ungleichheit ist ein bedeutender Faktor bei der sexuellen Übertragung von HIV und beeinflusst gleichzeitig auch die Behandlung, die Betreuung und die Unterstützung von Betroffenen. HIV ist aufgrund des gesellschaftspolitischen Kontexts unserer Gesellschaften zu einer geschlechtsspezifische Pandemie geworden.

Welche Lösungen können Kirchen anbieten, um die Gesundheit von Frauen in Gemeinwesen sicherzustellen?

Es gibt bereits verschiedene Foren und es können weitere aufgebaut werden, damit Frauen gesündere Alternativen wählen können, die zu ihrem Wohlergehen beitragen. Wir können hier nicht alle Möglichkeiten diskutieren, aber ich denke, dass kirchliche Frauenorganisationen eines der stärksten Foren sind.

Diese Organisationen können Frauen einen Raum bieten, um Motoren des Wandels zu sein und den patriarchalischen Status Quo zu hinterfragen. Leider sind diese Organisationen „partriarchalische Sprachrohre“ geworden anstatt Foren für Veränderung zu sein. Der einzige Weg, wie diese Räume zurückgewonnen werden können ist, dass Frauen selbst ein starkes Gefühl für Geschlechtergerechtigkeit und für die Gleichberechtigung der Geschlechter haben.

Des Weiteren heizen auch gesundheitsschädliche kulturelle Praktiken wie zum Beispiel die „rituelle Reinigung von Witwen“ (eine traditionelle Praxis, die von Witwen verlangt, meist mit einem Verwandten des verstorbenen Ehemanns eine sexuelle Beziehung zu führen, um den Besitz in der Familie zu halten), weibliche Genitalverstümmelung oder die Vorbereitung von Frauen auf ungleiche Beziehungen in ihrer Ehe, zu der Ausbreitung der HIV-Pandemie bei. Und oft sind es die Frauen, die diese Praktiken aufrechterhalten.

Wie sollten die Kirchen Ihrer Meinung nach Frauen in ihrem Streben nach Gerechtigkeit und Gesundheit unterstützen?

Verschiedene Studien zu Geschlechter-Ungleichheit und Gewalt zeigen, dass die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen und geschlechtsspezifische Gewalt trotz der beeindruckenden nationalen Mechanismen weiterhin unannehmbar weit verbreitet sind. Daher ist die Rolle der Kirche wichtiger als je zuvor.

Eine Art, wie man die Menschen erreichen kann, ist durch die heilige Schrift, die Bibel. In der Bibel gibt es zahlreiche Ressourcen für den Kampf gegen die Ungleichbehandlung und es wird aufgezeigt, wie die Geschlechter-Ungleichheit zu Krankheit und Tod führen kann. Es gibt hierzu zu viele biblische Texte, als dass ich sie hier alle einzeln aufzählen könnte. Aber im Kern geht es hierbei doch um die Menschenwürde – darum, was es bedeutet, zum Bilde Gottes geschaffen zu sein.

Wie verstehen Sie den Satz aus der Bibel „zum Bilde Gottes geschaffen“?

Der nahöstliche Mythos über die Ursprünge der Schöpfung, die wir in der hebräischen Bibel finden, hat sich nicht nur in Kulturen rund um den Globus festgesetzt, sondern er hat auch dazu gedient, allein aufgrund des Verständnisses, dass die Frau aus der Rippe eines Mannes geschaffen wurde, in der Gesellschaft eine Hierarchie in dem Verhältnis der Geschlechter zu schaffen und zu legitimieren.

Phyllis Trible sagte es mit folgenden Worten: „Im Laufe der Zeit haben Menschen diesen Text benutzt, um das Patriarchat als Wille Gottes darzustellen. Sie behaupteten, dass der Text Frauen den Männern unterordnet, die Frau als Verführerin des Mannes beschreibt, sie verflucht und den Mann berechtigt, über sie zu herrschen.“ Eine Bibelarbeit, die anzweifelt, dass die Frau aus der Rippe eines Mannes geschaffen wurde und vielmehr betont, dass sie aus einer Hälfte des ersten Erdlings adama geschaffen wurde, kann viel dazu beitragen, das Verständnis zu verankern, dass auch Frauen voll und ganz nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen wurden und dass Gewalt, die gegen Frauen gerichtet ist, somit „Gewalt gegen Gott“ bedeutet.

November 2011: ÖRK-Monat der Gesundheit und der Heilung

Biblische Reflexion: Geschlechter-Ungleichheit und gesundheitliche Auswirkungen: Zum Bilde Gottes geschaffen

Weitere Informationen über die Arbeit des ÖRK zu Gesundheit und Heilen