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Photo: WCC

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Von Martin Robra*

Abschlussgottesdienst am Abend des 13. März 1990: Teilnehmende aus allen Kontinenten und ihre Gastgeber von den Kirchen in der Republik Korea feiern die Ergebnisse der Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die nach einer Woche in Seoul zu Ende ging. Die Delegierten versammeln sich um ein Kreuz und einen großen Globus als Symbol unseres Planeten Erde, der zerbrechlichen Heimat der Menschheit. Sie tragen den Globus auf ihren Händen als Zeichen der Versöhnung, der Heilung und der Segnung und halten ihn in einer fragilen Balance.

In den Tagen zuvor wurde intensiv und in einem umfassend partizipativen Prozess am Text einer Abschlussbotschaft mit vier Verpflichtungen und zehn Grundüberzeugungen gearbeitet. Trotz aller Differenzen und Spannungen, in denen die Ungerechtigkeiten, die Gewalt und die Zerbrochenheit der Welt erkennbar werden, konnten sich die Delegierten auf einen gemeinsamen Text einigen und sich bei der Abschlussandacht auf eine Reihe von  Verpflichtungen und Grundüberzeugungen einigen.

Die Weltversammlung war der Höhepunkt einer Veranstaltungsreihe im Rahmen des „konziliaren Prozesses für eine gegenseitige Verpflichtung auf Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung (JPIC)“, der auf der 6. Vollversammlung des ÖRK 1983 in Vancouver, Kanada auf den Weg gebracht worden war. Indem er Gerechtigkeit, Frieden und die Schöpfung als miteinander verbundene Anliegen begreift, begann mit dem JPIC-Prozess eine Analyse der Auswirkungen struktureller Gewalt und der Folgen der Konzentration wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht auf die Menschen und auf unseren Planeten. Die Kirchen haben eine Antwort auf die großen Bedrohungen unseres Lebens, die eine Folgeerscheinung unserer modernen Welt sind und die durch den Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung weiter verschärft werden, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm.

Da der JPIC-Prozess diejenigen Kirchen ins Boot holte, die für soziale Gerechtigkeit, Frieden, ökonomische Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte kämpfen, fand er besonderen Anklang bei ökumenischen Gruppen und Kirchen weltweit. Die Erste Europäische Ökumenische Versammlung 1989 in Basel war ein Wendepunkt in der Geschichte Europas. Der konziliare Prozess war entscheidend für die ökumenische Zusammenarbeit auch über den „Eisernen Vorhang“ hinweg, der die Welt während des Kalten Krieges in zwei Blöcke aufteilte. Er leistete ebenfalls einen Beitrag zu den Veränderungen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die schließlich zum Fall der Berliner Mauer noch im selben Jahr führten.

Die erfolgreiche Veranstaltung in Basel beflügelte allerdings die Erwartungen, dass die Delegierten der Kirchen in Seoul einen konsequenten und einstimmigen Friedensappell vorlegen würden. Die Vision eines ökumenischen Friedenskonzils geht zurück auf die berühmte Rede des deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer, die er 1934 in Fanö, Dänemark gehalten hat. Der weltweite Kontext stellte sich allerdings deutlich vielfältiger dar, als dies auf der Versammlung in Basel der Fall war. In Seoul haben viele Teilnehmende auf das gemeinsame Zeugnis der Kirchen für Gerechtigkeit bestanden. Die Weltversammlung musste diese Situation berücksichtigen und darauf reagieren. Die in Seoul eingegangenen Verpflichtungen hatten deshalb das Leben und das Überleben der Menschen auf unserer Erde zum Ziel, das anhand von vier sehr konkreten Kriterien auf den Prüfstand gestellt wurde:

-       eine gerechte Wirtschaftsordnung und die Schuldenkrise,

-       der Klimawandel,

-       Rassismus, und

-       Friede und Sicherheit

Es war prophetisch, dass sich der ÖRK bereits 1990 mit den Klimawandel auseinandergesetzt hat, wenn auch vor dem Hintergrund kritischer Prämissen: Der Kampf gegen den Klimawandel sollte auf keinen Fall den Einsatz im Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit beeinträchtigen. Die Weltversammlung funktionierte als eine gemeinsame Plattform für unterschiedliche soziale Bewegungen und den Kampf für unsere Lebensgrundlagen. Das Weltsozialforum, das sich 2001 zum ersten Mal in Porto Alegre, Brasilien getroffen hat, steht im größeren Maßstab für einen ganz ähnlichen Handlungsansatz. Die zehn Grundüberzeugungen lauten (I) verantwortliche Ausübung von Macht und Autorität, (II) soziale Gerechtigkeit für die Armen, (III) Gleichwertigkeit aller Ethnien und Völker, (IV) Geschlechtergerechtigkeit, (V) Wahrheit und Freiheit, (VI) Frieden, (VII) Öko-Gerechtigkeit, (VIII) indigene Völker, (IX) die junge Generation und schließlich (X) die Menschenrechte. Einige sahen darin einen sozialen Katechismus für das neue Jahrtausend.

Ökumenische Überlegungen zu sozialen Themen und konkrete Maßnahmen wurden durch den sich ändernden geopolitischen Kontext der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts grundlegend in Frage gestellt. Nach der Vollversammlung 1991 in Canberra wurde die ÖRK-Einheit III Gerechtigkeit, Frieden, Schöpfung mit der Weiterverfolgung des JPIC-Prozesses beauftragt. Sie beschäftigte sich intensiv mit den Grundüberzeugungen und Vereinbarungen von Seoul und setzte damit den Rahmen für die laufenden Arbeiten an 22 Fallstudien des Studienprozesses „Theologie des Lebens“. Der Impuls, den die Weltversammlung 1990 entstehen ließ, hat auch die Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001 – 2011) und den Aufruf zu einem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens auf der 10. Vollversammlung des ÖRK 2013 in Busan (wieder in der Republik Korea) inspiriert. Bis heute dient der JPIC-Prozess als eine Leitidee für gemeinsame Aktionen all derjenigen Menschen, die sich Sorgen über die Zukunft des Menschen und der Erde machen.

Arbeit des ÖRK für die Bewahrung der Schöpfung und Klimagerechtigkeit

* Pastor Dr. Martin Robra, früherer Chefberater des ÖRK-Generalsekretärs