von Friedrich Degenhardt (*)

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Sie gehören zur nächsten Generation der ökumenischen Bewegung. Neun "Junge Theologen" aus Amerika, Europa, Afrika und Asien, die von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) nach Kuala Lumpur eingeladen wurden, um neben den knapp 100 anwesenden Kommissionsmitgliedern an der Plenarsitzung teilzunehmen. Welchen Eindruck haben sie von der Arbeit der versammelten ökumenischen Familie?

"Es ist ein großes Privileg, dass wir hier teilnehmen können", sagt Hrangthan Chhungi (37) aus Bangalore (Indien). Die Mutter von drei Kindern gehört zur Indischen Evangelisch- Lutherischen Kirche und arbeitet derzeit an ihrer Doktorarbeit zur Rolle der Frauen im alttestamentlichen Buch der Sprüche.

Da sie als Frau in ihrer Kirche nicht ordiniert werden kann, plant sie, in Zukunft als College-Dozentin zu arbeiten. Hrangthan Chhungi ist auf Einladung des Frauen-Referats der Asiatischen Christlichen Konferenz (CCA) in Kuala Lumpur: "Ich fühle mich sehr geehrt, hier so eine so große Gruppe vertreten zu dürfen, die von Pakistan bis Japan und Neuseeland reicht." In der CCA ist sie vor allem an der Friedensarbeit des "Kirchlichen Dienstes im städtischen und ländlichen Bereich" (URM) beteiligt.

An einer Konferenz der Kommission für Glauben und Kirchenordung nimmt sie zum ersten Mal teil. "Es ist gut, nach den Texten nun auch die wirkliche Arbeit der Kommission kennen zu lernen." Hrangthan freut sich besonders, dass in den Plenarsitzungen Raum ist für die Diskussion von aktuellen Themen wie Fragen der Geschlechterrollen und der menschlichen Sexualität. "Ich lese biblische Texte aus der Sicht von Frauen und der Emanzipation", erklärt sie ihren eigenen Ansatz.

Eigentlich sind die Jungen Theologen nur als Beobachter dabei, aber Hrangthan ergriff im Plenum gleich dreimal das Wort. "Es gibt hier Themen, zu denen ich mich einfach zu Wort melden muss", sagt Hrangthan und meint vor allem die besonders harsche Äußerung eines orthodoxen Vertreters zur Homosexualität. Sie reagierte mit einem Plädoyer für einen sanfteren Umgang.

Homosexualität sei ein Trauma für die Familien, berichtet Hrangthan aus ihrem indischen Kontext und erinnert sich an ein Gespräch mit Homosexuellen in ihrem College: "Sie sind Ausgestoßene. Einer von ihnen hat kurz danach Selbstmord begangen." In der Pause nach ihrer Wortmeldung im Plenum kann ein deutscher Delegierter zu ihr und sagte: "Es ist gut, dass du gesprochen hast. Ich hätte nicht so gute und diplomatische Worte gefunden."

Was nimmt sie von der Konferenz mit nach Hause? - "Die Arbeit der Kommission ist sehr wichtig für die Menschen in meiner Heimat", sagt Hrangthan. "In unserer Kirche trauen wir uns bisher kaum, über Themen wie die Rolle der Frauen zu sprechen. Aber wenn ich sagen kann: 'Dies sind die Aussagen, die von der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung gemacht wurden', dann hören mir als Frau die männlichen Kirchenvertreter vielleicht zu."

Da Hrangthan in ihrer Kirche nicht als Pastorin arbeiten kann, ist das geschriebene Wort ihre beste Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. So hat die CCA sie z.B. um einen Publikationsbeitrag gebeten zum Thema: Gibt es innerhalb einer hierarchischen Struktur wirklich einen Raum für Gespräche über Versöhnung?

Sie freut sich, dass für die jungen theologischen Beobachter/innen ein Ort auf dem Plenumstreffen von Glauben und Kirchenverfassung geschaffen wurde. "Sonst wäre ich nicht hier", ergänzt sie lachend. "Es ist schön, jüngere Mit-Theologen zu treffen. Wir sitzen alle in einem Boot. Hier kann ich offen sprechen. Wir haben einen regen Austausch, und ich spüre keine Vorbehalte in unserer Gruppe."

Chris Huebner (35) hätte die Email mit der Einladung nach Kuala Lumpur beinahe gelöscht. Der Junior-Professor für Theologie und Ethik an der kanadischen Universität der Mennoniten in Winnipeg (Kanada) erhielt sie vom Direktor der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Als Mitglied einer der "historischen Friedenskirchen", der Mennoniten, hat Chris 2001 in der Schweiz an einer Konferenz im Rahmen der Dekade zur Überwindung von Gewalt teilgenommen, und so wurde man in Genf auf ihn aufmerksam. Durch seine Erfahrung mit akademischen Konferenzen hatte er in Kuala Lumpur eigentlich Gleichgesinnte erwartet, die wie er dabei sind, sich durch ihre Publikationen einen Platz im wissenschaftlichen Diskurs zu erarbeiten.

"Dies ist anders", meint er nun, "aber eine tolle Chance, Christen aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen kennen zu lernen. Es ist sehr anregend. Man kommt zwar nicht immer in einen wirklichen Dialog, aber wir sind alle hier. Man kann sich nicht ausweichen." So entstehen neue unerwartete Freundschaften.

"Vielleicht wäre das ein Ansatz für eine ökumenische Hermeneutik", überlegt Chris, "eine Hermeneutik der Freundschaft, des Zusammentreffens zwischen dem eigenen Selbst und dem völlig Fremden. Freundschaften sind am bedeutsamsten, wenn die Menschen völlig unterschiedlich sind." Unerwartet auf neue Freunde zu stoßen sei "eine Gnade Gottes." In diesem Sinne sieht Chris diese ökumenische Konferenz fast wie ein Experiment im Reagenzglas, dass sich, wie er sagt, hoffentlich auf größere Kreise ausweiten werde.

Problematisch sei allerdings, dass alle auf einmal aufeinander stießen: "Dadurch ist es schwer, sich auf bestimmte Fragen zu konzentrieren." Dafür seien bilaterale Gespräche zwischen den Konfessionsfamilien notwendig.

Was nimmt er mit nach Hause? Was betrachtet er als seinen persönlichen Gewinn? - "Ich habe ein neues Verständnis vom ÖRK. Das ist ein völlig anderer Rahmen als der akademische. Man lernt hier sehr schnell, was nicht gesagt wird." Und Chris macht sich Gedanken über den Aufbau das Ziel des ÖRK, die Einheit der Kirchen. "Wir teilen uns selbst nach geographischen Kriterien auf, so wie in der UNO. Ich frage mich, ob wir unsere christliche Identität nicht anders als nach nationalen Grenzen definieren können." Und weiter fragt sich der Mennonit: "Vielleicht hat unsere Diaspora-Identität, unsere Zerstreuung in der Welt ja einen tieferen Sinn und Wert?"

Als Mennonit, der Thomas von Aquin liest, hätte Chris große Lust, sich am Dialog zwischen Katholiken und Mennoniten zu beteiligen. "Und für die Dekade zur Überwindung von Gewalt gibt es auch noch sehr viel zu tun," meint er. Die Tatsache, dass wir durch Jesu Vorbild unbedingt zum Frieden aufgerufen sind, kann seiner Ansicht nach nicht in Frage gestellt werden. "Aber wissen wir wirklich, wie Frieden und Gewalt aussehen? Die schlimmste Gewalt kommt oft in der Gestalt des Friedens daher. Wir müssen die Gewalt im Frieden aufdecken."

Die Gruppe der Jungen Theologen sieht Chris als eine gute Möglichkeit, neue Menschen in die ökumenische Diskussion hinein zu bringen. "Je mehr davon wissen, um so größer wird der Pool, aus dem wir schöpfen können."

Anastasia Vasileiadou (25) beendet gerade ihren Master in Ökumenischer Theologie an der Universität in Thessaloniki (Griechenland). Ihr Thema: Die Beteiligung der orthodoxen Kirche im ÖRK. Von 2001 bis 2002 war sie als Praktikantin bei der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in Genf. Dort hat sie unter anderem im Rahmen der Studie zur Taufe und der 'Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK' gearbeitet.

Diese Konferenz ist die erste Plenarsitzung an der Anastasia teilnimmt, und im Vergleich zur Ständigen Kommission, an der sie schon einmal teilgenommen hat, sind ihr Rolle und Aufgabe des Plenums noch nicht ganz klar. "Hier kriegt man einen Eindruck vom großen Ganzen", fasst Anastasia ihre Beobachtungen zusammen, "aber ich gebe zu, ich mag die kleinen Konsultationen lieber."

Entscheidungen würden im Plenum nicht getroffen, deshalb sei die Arbeit hier nach ihrem Eindruck weniger politisch. "Die Leute sind hier entspannter, beteiligen sich viel freier." Schwierig sei hingegen, dass es durch die größere Zahl der Repräsentanten nicht so leicht zu tiefergehenden theologischen Diskussion komme. Die Themen, die im Plenum angesprochen würden, müsse man in den "Lobby-Gesprächen" am Rande oder während der Mahlzeiten dann vertiefen.

Den Austausch von Kritik und Bedenken empfinde sie als bereichernd, sagt Anastasia: "Das setzt die Texte in den jeweiligen Kontext und macht sie dadurch relevanter." Zugleich aber fragt sie: "Wie kann man die Studien so gestalten, so dass sie direkt zu den Menschen in den Kirchen sprechen?"

Anastasia beobachtet einen Unterschied von Kommissionsmitgliedern alten und neuen Stils: "Die neuen Leute sind interessierter an sozialen Fragen, an Fragen des Friedens und der Anthropologie." Mit dem christlichen Menschenbild beschäftigt sich eine der aktuellen Studien der Kommission.

Anastasia möchte in Zukunft ihre ökumenische Arbeit in ihrer eigenen Kirche fortsetzen, in der Lehre an einer Universität oder in der Gemeindearbeit mit Jugendlichen und interessierten Laien. "Es ist eine echte Herausforderung", meint sie. "Die ökumenische Arbeit verändert mich. Aber wie, das ist schwer in Worten zu vermitteln. Es sind die persönlichen Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen, die mich verändert haben."

Vater Josef (27), mit Geburtsnamen Leandro Oscar Bosch, kommt aus einer griechisch-orthodoxen Gemeinde in Córdoba, der zweitgrößten Stadt Argentiniens. 1997 ging er zum Studium nach Thessaloniki, mit einem Stipendium des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul, das innerhalb der orthodoxen Kirche als 'primus inter pares' auch für den Kontakt zum ÖRK zuständig ist.

Nach seinem Diplom wurde er 2000 zum Priester geweiht und hat danach zwei Jahre in Freiburg gearbeitet. 2002 erhielt er auf Anfrage seines Patriarchats ein Stipendium vom Vatikan, um in Rom die scholastische Theologie der katholischen Kirche zu studieren, die für die orthodoxe Theologie problematisch ist. "Sie wollen dafür Experten haben", erklärt Josef, "und in Rom erlebt man ganz direkt die Römisch-Katholische Kirche und erfährt, wie ihre ganze Maschinerie funktioniert."

"Um einen wirklichen Dialog beginnen zu können", sagt Josef, "muss man zuerst sich selbst kennen, um dann das Recht zu haben, sich für andere zu öffnen und von ihnen zu lernen." Sonst bestehe die Gefahr, dass man nur gegeneinander kämpft. So entstehe 'apologetische Theologie'.

"Hier in Kuala Lumpur beobachte ich genau das", beschreibt Josef seine ersten Eindrücke von der Plenarsitzung. "Wegen des Unverständnisses in Bezug auf die anderen, aber auch aus Angst und Unsicherheit im eigenen Glauben wird dann eher gegeneinander als miteinander diskutiert. Wenn dein Glauben sicher ist, hast du nichts zu fürchten." Und wegen dieser Unsicherheiten kommt nach Josefs Eindruck der Dialog nicht voran.

"Die Menschen brauchen aber die Ökumene. Sie müssen von dem hier hören." Viele Laien seien ökumenischer als die Theologen. "In der orthodoxen Tradition heißt es, dass Theologie nicht in den Büchern ist, nicht in der Theorie, sondern im Leben. Wenn du deinen Glauben lebst, bist du ein Theologe."

Ähnlich wie Anastasia beobachtet Josef auf der Plenarsitzung in Kuala Lumpur zwei Realitäten: die eine im Plenarsaal, wo das offizielle Geschehen des ÖRK stattfindet, und die andere, den wirklichen Dialog, im Tagesablauf rundherum, wo man miteinander redet. "In diesem Dialog besteht die Möglichkeit zu erklären, Dinge deutlicher zu machen. Da herrscht ein anderes Klima."

Für seine weitere ökumenische Arbeit wünscht Josef sich die Teilnahme an der Vollversammlung im nächsten Jahr in Porto Alegre (Brasilien). Er wird aber schon vorher wieder nach Südamerika fliegen: "Einmal im Jahr besuche ich meine Familie in Argentinien." Und da seine Heimatgemeinde z.Zt. keinen Priester hat, übernimmt er dann für ein bis zwei Monate diese Aufgabe. "Dazu gehört dann auch die ökumenische Zusammenarbeit mit anderen Kirchen", freut sich Josef.

(*) Friedrich Degenhardt ist Journalist und Vikar der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland.

Ein kostenloses Foto ist erhältlich unter

www.wcc-coe.org/wcc/what/faith/kuala-pix.html

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Features in Kuala Lumpur: Obwohl der vorliegende Artikel den üblichen journalistischen Standards der Genauigkeit und Ausgewogenheit genügt, sollte er - da er sich an eine breite Öffentlichkeit richtet - weder als formeller akademischer oder theologischer Text noch als offizielle Stellungnahme der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung verstanden werden.

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider. Dieses Material kann mit freundlicher Genehmigung des Autors nachgedruckt werden.