von Hugh McCullum (*)

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Glaubensheilung und geistliche Heilmittel gehören seit jeher zum Dienst der Kirchen. Für viele haben sie jedoch einen Beigeschmack von Magie, von mystischen Versprechen "unmöglicher Genesung", die dem westlichen Zugang zur Religion völlig fremd sind. Umgekehrt werden diese Zugänge häufig als die vertrockneten Früchte einer alternden Kirche gesehen, die den Kontakt mit der lebendigen Quelle der Heilkraft verloren haben. In diesem Spannungsverhältnis ist die weltweit grösste Pandemie der Neuzeit – HIV/AIDS – dabei, die Vorstellungen davon zu verändern, was der heilende Dienst der Kirche bedeuten kann. Die bevorstehende Konferenz für Weltmission und Evangelisation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die vom 9.-16. Mai 2005 in Athen stattfindet, wird Menschen aus verschiedenen Bereichen dieses vielschichtigen Dienstes zusammenbringen und seine reiche Vielfalt in den Mittelpunkt stellen.

Eine Vorstadt von Boston, eine der ältesten und wohlhabendsten Städte der Vereinigten Staaten. Die Kirche ist eine durchschnittliche anglikanische Kirche. Hier wird der sonntägliche Abendmahlsgottesdienst gefeiert und der Priester ist eine "Aushilfe" für den regulären Amtsinhaber. Der Aushilfspriester ist allerdings charismatisch. Es ist Kanonikus Mark Pearson, ein Geistlicher, der das New Creation Healing Centre (Heilungszentrum Neue Schöpfung) in nahen New Hampshire mitbegründet hat.

Die Liturgie folgt dem traditionellen Book of Common Prayer. Pearson ist nicht nur charismatisch, er ist auch konservativ - oder "orthodox", wie es bei den Anglikanern heisst.

"Als wir zur Predigt kamen, wies ich darauf hin, dass das Gebetsbuch, das den Anglikanern so lieb und teuer ist, einen Heilungsgottesdienst enthält. Davon hatte der Grossteil der Gemeinde noch nie gehört. Ich stelle fest, dass vielen Anglikanern die anglikalen Dinge wichtiger sind als die biblischen. Ich versuchte also, ihnen das Heilen 'schmackhaft' zu machen."

Pearson verzichtete auf alles Exotische. "Ich bat die Leute nachzudenken, wann etwas Aussergewöhnliches passiert war, häufig im Rahmen des Gottesdienstes oder beim persönlichen Gebet. Ich nenne das 'Gottes Zufälle'. Ich erinnerte sie daran, dass Erzbischof William Temple, der verstorbene Ökumeniker und Erzbischof von Canterbury, zu sagen pflegte: 'Je öfter ich bete, desto öfter passieren diese Zufälle'."

Während der Fürbitte bot Pearson an, allen, die für einen Heilungsgottesdienst nach dem Book of Common Prayer nach vorne kommen wollten, mit Öl zu salben und ihnen die Hände aufzulegen. "Ein Mann erzählte mir, man habe Krebs bei ihm diagnostiziert. Ich betete für ihn, seinen Arzt und für die Medikamente, die er einnehmen musste."

"Als ich gerade für eine ältere Frau betete, hatte ich das Gefühl, dass etwas mit ihrer Bauchspeicheldrüse nicht stimmte. Sie hatte das noch nicht untersuchen lassen, wollte aber den Arzt bei ihrem nächsten Besuch darum bitten."

Nach dem Gottesdienst sagten mehrere Teilnehmer zu Pearson, dass die Heilungsgottesdienste, die sie bisher kennen gelernt hatten, eher "von der wilden Sorte", wie eine "heilige Dampfwalze" gewesen seien und dass gegen das gerade Erlebte nichts einzuwenden sei. Pearson fragt sich: "Rechnen sie eher damit, dass etwas 'Merkwürdiges' passiert, als dass etwas 'Heilsames' geschehen könnte?"

Dem an Krebs erkrankten Mann wurde wenig später von seinem Arzt eröffnet, dass eine "plötzliche und unerklärliche" Besserung eingetreten sei, und der Arzt der Frau war erleichtert, dass sie ihn um eine Untersuchung der Bauchspeicheldrüse gebeten hatte, denn es gab ein Problem, jedoch im Frühstadium.

"Sie sehen nicht wie ein Charismatiker aus, und Sie benehmen sich auch nicht so. Sie haben nie die Gaben des Geistes erwähnt, von denen im Korintherbrief die Rede ist", sagte ein Gemeindemitglied zu Pearson. "Wenn ich 'verpackt' wie ein Charismatiker hierher gekommen wäre, was hätte die Gemeinde wohl gemacht? Sie hätte sich gleich abgewendet. Die Verpackung ist unwichtig. Die Botschaft zählt. Ich versuche, mich den Gebräuchen anzupassen, und das haben sie auch verstanden.

Pearson wird als Berater an der ÖRK-Konferenz für Weltmission und Evangelisation teilnehmen, die vom 9.-16. Mai in Athen stattfindet. Glaubensheilung und charismatische Heilung stehen dort auf der Tagesordnung. Für das Konferenzthema "Komm, Heiliger Geist – heile und versöhne" werden sich daraus grundlegende und kontroverse Fragen ergeben. Pearson wird einen Workshop auf der Konferenz leiten.

<span style="font-weight: bold; "» Heilungszentren im Kongo

Von den gepflegten Bostoner Mittelklasse-Vororten ist es ein gewaltiger Sprung zur Kultur, Religion und Heilung in der Demokratischen Republik Kongo im Herzen Afrikas. Seit rund zehn Jahren leidet dieses Land unter einem Krieg, der ihm drei Millionen Tote, Hunger, Krankheiten, Mangelernährung und eine schwache Regierung beschert hat.

In einigen Vierteln von Kinshasa, der riesigen, vielsprachigen Hauptstadt, sind unabhängige charismatische Heilungskirchen zur letzten Hoffnung der Menschen geworden. Sie bieten die Heilung von Körper, Geist und Seele an – eine Art Gegenbewegung zu Kriegsherren, Gewalt und korrupten Staatsbeamten.

Es gibt mehrere Tausend kleine Heilungsgemeinden in der 5-Millionen-Stadt. Sie haben jeweils rund 100 Mitglieder, in der Mehrzahl Frauen und Mütter. Sie kommen fast jeden Abend zu Heilung, Läuterung und Gebet zusammen. Diese Versammlungen sind äusserst emotional, es wird aber auch viel gelacht, wenn die Gemeindemitglieder mit Humor ihre extreme Armut parodieren oder sich über die offiziellen "Bosse" lustig machen, die ihr Elend "unter Kontrolle haben".

Der Sonntagsgottesdienst dauert den ganzen Tag lang. Die Leute kommen in kleinen Kirchen oder einfach im Freien unter Bäumen zusammen. Sie bringen Essen mit und teilen es miteinander. Die Ältesten predigen und legen die Schrift aus, wobei sie besonders auf die Gaben des Geistes eingehen (1. Korinther 12).

Nach einer gemeinsamen Mahlzeit beginnen die Versammelten zu beten und zu singen, wobei sie keiner bestimmten Ordnung folgen. Diese Spontanität hat mit dem Book of Common Prayer natürlich nichts gemein. Die Frauen tanzen und wiegen sich in den Hüften und fangen an, zu beten und in Zungen zu sprechen, erfüllt vom Heiligen Geist. Einige fallen in Trance, was als ein "Fluss" bezeichnet wird, der sie mit ihren Vorfahren verbindet. "Flussaufwärts wohnt der Prophet der Gemeinschaft und flussabwärts ist die Welt der Vorfahren."

Sie sind auf heiligem Grund. Manche springen auf und ab, andere liegen ruhig da. Sie glauben, dass sie während ihres Trancezustands in diesem "Korridor" oder "Fluss" von allen Unreinheiten und Krankheiten, die sie als ein und dasselbe ansehen, gereinigt werden.

Für Menschen, deren Alltag hoffnungslos erscheint, komme diese Erfahrungen einer geistlichen Erneuerung gleich, erklären die einheimischen Pastoren und Gemeindeleitenden, auch wenn sie nur ein paar Stunden dauere. Sie bräuchten das, um in ihrem unbarmherzigen Umfeld überleben zu können.

Die Heilung aller Lebensbereiche ist besonders wichtig. So gehört heute z.B. Geld zum Leben der Dorfgemeinschaft, die traditionell vom Tauschhandel lebte. Deshalb wird das Geld in diesen Heilungsgemeinschaften vom Einfluss Satans gereinigt, damit es ein Werkzeug des Heilige Geistes wird.

Der Versammlungsort ist wie eine Mutter, eine Zuflucht aus der überfüllten, bitterarmen Stadt, ein "moralisches Zentrum" - die Rolle, die in den traditionellen Gesellschaften die Mütter übernehmen. Hier sind alle Brüder und Schwestern. Hier schöpfen sie Mut zum Weiterleben. Die Bibel wird immer noch ausgelegt, sie wird aber auch schon mal dazu benutzt, um einem Mitglied damit auf den Kopf zu klopfen und so das Böse auszutreiben, das nach wie vor mit Krankheit verbunden wird.

Dienste der Heilung und Versöhnung können vielerlei Gestalt annehmen. Die Weltmissionskonferenz in Athen wird sich mit ihnen befassen und zu diesem Zweck verschiedene Aspekte ganzheitlicher Heilung betrachten, die sich in verschiedenen kulturellen Kontexten wissenschaftlicher, spiritueller oder psychologischer Ansätze bedienen. Mehrere kirchliche Delegierte aus dem Kongo nehmen an der Konferenz teil und werden darüber berichten, wie die Kirchen in ihrem Land ihren heilenden Dienst wahrnehmen.

<span style="font-weight: bold; "» Die weltweit grösste Pandemie der Neuzeit

Die Meinungen der Experten über die Zahl der Inder und Inderinnen, die HIV-infiziert sind, gehen auseinander. Laut UNAIDS aber liegt die "niedrige Schätzung" bei 2,5 Millionen – bereits an zweiter Stelle nach der „niedrigen Schätzung“ von 4,5 Millionen für Südafrika. Die UNAIDS-„Höchstschätzung“ für Indien liegt bei 8,5 Millionen, die für Südafrika bei 6,2 Millionen.

Internationale Hilfswerke prophezeien, dass Neu-Delhi zur Aids-Hauptstadt der Welt wird, und die indischen Kirchen mobilisieren mit ihren Partnern alle Ressourcen, um die Pandemie zu bekämpfen. Der Schlüssel zur Heilung ist der Glaube, sagt die Aids-Fachgruppe des Nationalen Kirchenrates von Indien, dem 29 orthodoxe und protestantische Kirchen angehören.

Obwohl nur 2,3 Prozent der rund eine Milliarde Einwohner des Landes Christen sind, finanzieren die indischen Kirchen Krankenhäuser, Aufklärungsprogramme für die 14 bis 18-Jährige, Strassensozialarbeit mit Prostituierten und ganz besonders die Bekämpfung von Stigmatisierung, Diskriminierung und allgemeiner Mitleidlosigkeit, denen sich HIV/Aids-Kranke gegenüber sehen.

"Die Kirchen in Indien sind traditionell stark in der Gesundheitsarbeit engagiert", sagt Dr. Jesudas Athyal von der Syrischen Mar-Thoma-Kirche von Malabar, "aber sie sind sich noch nicht der Tragweite des HIV/Aids-Problems bewusst, obwohl sich die Pandemie ganz offensichtlich rapide über das ganze Land ausbreitet. Das Problem als solches anzuerkennen, bedeutet den ersten Schritt zu seiner Lösung."

"Weil der Anteil der HIV/Aids-infizierten Christen noch immer relativ gering ist, sehen die Kirchen die Situation noch nicht als ein Problem an", erklärt Dr. Sara Bhattacharji, die der Kirche von Südindien angehört. "Die Führungsspitze macht sich allerdings Sorgen und überlegt, was sie tun kann, um selbst besser informiert zu sein und die Gemeinden aufklären zu können."

Laut Bhattacharji sind die christlichen Gesundheitsnetze bei der HIV/Aids-Bekämpfung an vorderster Stelle anzutreffen. Sie bieten Pflege an und stellen eine tolerante und liebevolle Behandlung sicher. Sie sorgen für die Aufklärung der Öffentlichkeit und des Gesundheitspersonals sowie für Verhütungs- und Forschungsprogramme und für die Vernetzung mit anderen Einrichtungen."

Es gibt noch keine Heilung für Aids, nur die antiretrovirale Therapie, die das Leben verlängert. Medikamente dafür sind allerdings knapp und für die Armen dieser Welt praktisch unerschwinglich.

Die Aids-Zahlen sind so erschreckend hoch, dass sie die Vorstellungskraft übersteigen, doch steckt hinter jeder Zahl ein Mensch, eine Person, die nach dem Bild Gottes geschaffen ist, jemand, den Gott liebt.

Laut UNAIDS starben im vergangenen Jahr 3 Millionen Menschen an Aids; 39,4 Millionen sind HIV-infiziert. Von den täglich 14.000 neuen HIV-Infizierten 2003 lebten mehr als 95 Prozent in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Pro-Kopf-Einkommen, und fast 50 Prozent waren 15 bis 24 Jahre alt. In Afrika südlich der Sahara, wo nur gut 10 Prozent der Weltbevölkerung leben, gibt es schätzungsweise 25 Millionen Menschen mit HIV; oder fast zwei Drittel aller Infizierten weltweit.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Weltmissionskonferenz werden die schrecklichen alten und neuen Krankheiten, die dem Süden heute die Gesundheit und die Zukunft seiner Bevölkerung rauben, nicht ignorieren können. Die Konferenz wird sich speziell mit Krankheitsursachen wie Armut und Globalisierung befassen müssen.

Bhattacharji und Athyal gehören zu den Podiumsteilnehmenden in den Konferenzworkshops zum heilenden Dienst der Kirche und zu den Ressourcen indigener Völker für die Versöhnung zwischen den Gemeinschaften. [1699 Wörter]

(*) Der kanadische Autor und Journalist Hugh McCullum ist Mitglied der Vereinigten Kirche von Kanada. Er war Redakteur von zwei auflagenstarken kirchlichen Publikationen und Moderator einer landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung in Kanada und hat ausserdem für einige Zeit in Simbabwe und Kenia gelebt. McCullum arbeitet seit vielen Jahren mit dem ÖRK zusammen. Zu seinen bisher veröffentlichten Büchern gehören "The angels have left us: the churches and the Rwanda genocide" und "Radical Compassion: The life and times of Archbishop Ted Scott"

Kostenlose hochauflösende Fotos finden Sie unter:

www.wcc-coe.org/wcc/photo-galleries/other/cwme-healing/cwme-healing.html

[Zur Weltmissionskonferenz:]

Die Konferenz für Weltmission und Evangelisation (CWME), organisiert vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), ist ein herausragendes internationales Treffen von mehr als 500 Christen aus aller Welt und allen grossen Kirchen und Konfessionen. Auf Einladung der griechisch-orthodoxen Kirche findet es vom 9. - 16. Mai 2005 in Athen, Griechenland, statt.

Hauptziel der Weltmissionskonferenz ist es, Christen und Kirchen einen Raum zu bieten für den Austausch eigener Erfahrungen und die gemeinsame Arbeit an neuen Prioritäten in der Mission und für die Zukunft des christlichen Zeugnisses. Die Konferenz möchte Teilnehmer dazu befähigen, heilsame Gemeinschaften aufzubauen, durch gemeinsame Feier und christliches Zeugnis, durch Versöhnung und Vergebung.

Das Thema der Weltmissionskonferenz "Komm, Heilige Geist, heile und versöhne!" erinnert daran, dass Mission kein Selbstzweck ist, sondern eine Sendung Gottes, gegenwärtig und aktiv durch den Heiligen Geist in Kirche und Welt.

Die Teilnehmer - junge Menschen, Frauen und Männer aus dem Alltag missionarischer Dienste und Verkündigung, führende Persönlichkeiten aus Kirche und Mission, Theologinnen und Missionswissenschaftler - kommen aus ÖRK-Mitgliedskirchen und der römisch-katholischen Kirche ebenso wie aus Pfingstgemeinschaften und evangelikalen Kirchen und Organisationen.

Seit 1910 hat es insgesamt zwölf Weltmissionskonferenzen gegeben. Dieses ist die erste, die in einem vorrangig orthodox geprägten Land stattfindet.

Web site www.mission2005.org

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