Von Juan Michel (*)

"Kirchliche Einheit ist wie Fahrradfahren. Wir stürzen ab, wenn wir nicht vorwärts kommen." So lautete die These und Herausforderung, die der koreanische Missionstheologe Wonsuk Ma an die Teilnehmenden des Globalen Christlichen Forums richtete, das vom 6.-9. November in Limuru in der Nähe von Nairobi, Kenia, tagt.

In seinem Hauptreferat am zweiten Tag des Forums analysierte Ma die Entwicklungen, die die Kirche im letzten Jahrhundert in den Bereichen kirchlicher Einheit und Mission durchlaufen hat. Er betonte, dass die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der christlichen Mission - "Leben vor dem Tod" oder "Leben nach dem Tod" -, die die etablierten und die evangelikalen Kirchen seit Jahrzehnten getrennt hätten und auf den ersten Blick unvereinbar schienen, sich in Wirklichkeit ergänzten und zusammengehörten.

Mas Thesen seien provozierend und stimulierend, betonten zahlreiche Teilnehmer/innen des Globalen Christlichen Forums, zu dem sich rund 240 leitende Vertreter/innen evangelischer, orthodoxer, katholischer, anglikanischer, evangelikaler, pfingstlicher und anderer Kirchen und zwischenkirchlicher Organisationen aus aller Welt versammelt haben. Die Veranstaltung wird als eine der bislang repräsentativsten christlichen Versammlungen beschrieben, die das Ziel verfolge, die christliche Einheit zu stärken und gemeinsame Herausforderungen zu sondieren.

Ma, ein pfingstkirchlicher Theologe aus Korea und Leiter des Oxford Centre for Mission Studies in Großbritannien, ging in seiner Reflexion von seinem persönlichen Glaubensweg aus. Er beschrieb sich selbst als Christ der zweiten Generation, der in einem dem christlichen Glauben feindlich gesonnenen Umfeld aufgewachsen sei.

Während das "Lager der Verfechter des Lebens vor dem Tod" die "Schaffung einer gerechten Gesellschaft" in den Vordergrund stelle, so Ma, widme sich das "Lager der Verfechter des Lebens nach dem Tod" primär dem "Geschäft der Seelenrettung". Für Erstere stellten alle Zustände, die dem Ziel der Gerechtigkeit im Wege stünden, Missionsthemen dar und das Mitgefühl mit den Opfern der Gesellschaft treibe sie in ihrem Engagement an. Letztere hingegen betrachteten Evangelisation und Gemeindepflanzung als Schlüsselthemen.

Ma betonte jedoch, diese beiden Ansätze ergänzten sich gegenseitig, da die Verkündigung des Evangeliums "das irdische wie auch das himmlische Leben einschließen muss". In dem Maße wie "jede Seite einen Teil der Wahrheit für sich beanspruchen kann", sei auch "keines der beiden 'Lager' im Besitz der vollen Wahrheit", und "die einen sind immer unvollständig ohne die anderen".

"Obwohl dies leicht karikatural anmutet, hat es diese Tendenzen natürlich immer gegeben", erklärte Clifton Kirkpatrick, der Geschäftsführende Pfarrer der Presbyterianischen Kirche (USA) und Präsident des Reformierten Weltbundes in seiner Antwort auf Mas Thesen. "Aber in beiden 'Lagern' entdecken wir gegenwärtig die Ganzheit des Evangeliums - und, ja, wir brauchen einander."

Geoff Tunnicliffe, der Internationale Direktor der Weltweiten Evangelischen Allianz, sagte, er könne sich Mas Aussagen "im Allgemeinen, so weit er von Schwerpunktsetzungen spricht," anschließen. Diese Beschreibung scheine ihm für die Evangelikalen allerdings nur für den Beginn des 20. Jahrhunderts zutreffend zu sein.

Zuvor, so Tunnicliffe, hätten sich die Evangelikalen für gesellschaftliche Anliegen, wie die Beendigung des Sklavenhandels, eingesetzt. Und in jüngerer Zeit, besonders seit dem Lausanner Kongress für Weltevangelisation 1974, hätten die Evangelikalen das Gefühl, sie dürften "sich in Bereichen engagieren, die mit dem ‚Leben vor dem Tod' zu tun haben".

Das "evangelikale Lager", erklärte Ma, der nach eigenen Angaben einem radikalen Zweig dieser Strömung angehört, habe viel Energie darauf verwendet, "'jeden' zu unserer Form des Christentums zu bekehren, und zwar sowohl Christen als auch Ungläubige". Zusätzlich zu "aggressiver Evangelisationsarbeit", die bisweilen als "Schafe stehlen" charakterisiert werde, habe dieses Lager auch "viel Zeit und Energie investiert, um herauszufinden, wer dazu gehört und wer nicht".

Tunnicliffe erachtete diese Beobachtung als "zutreffend", jedenfalls sofern "der Großteil der missionarischen Mittel in christlichen Ländern ausgegeben wird, und nicht in Gebieten, in denen noch keine Gemeinden gepflanzt worden sind". Er ziehe es jedoch vor, den Begriff der Religionsfreiheit zu verwenden. "Die Menschen haben das Recht, sich frei zu entscheiden, und wenn sie in einer anderen Tradition etwas als authentisch empfinden, was sie so in ihrer eigenen Tradition nicht finden, dann sollte dies nicht als 'Schafe stehlen' bezeichnet werden".

Auf der anderen Seite, betonte Ma, habe das ökumenische Lager ironischerweise ein Umfeld geschaffen, das es einigen Kirchen "schlicht unmöglich gemacht hat, sich dem Netzwerk anzunähern". Somit habe dieses Lager ebenfalls Unterscheidungen getroffen zwischen denen, die "dazu gehören" und denen, die "außen vor sind".

"Die Art und Weise, wie die ökumenische Bewegung das Ziel der sichtbaren Einheit in Jesus Christus formuliert hat, hat es einigen Kirchen mit einer stärker evangelikal geprägten Theologie erschwert, sich ihr anzuschließen; ja, einige unserer Positionen haben sich de facto als Barrieren erwiesen", räumte Kirkpatrick ein.

"Daher müssen wir offen sein für die neuen Dinge, die Gott tut, ohne das zentrale ökumenische Bekenntnis zur sichtbaren Einheit, die Jesus Christus uns geschenkt hat, aus dem Blick zu verlieren", erklärte er.

In seiner Ansprache verglich Ma die Entwicklung der Beziehungen zwischen den zwei "Lagern" mit den Beziehungen zwischen zwei Geschwistern, die einander noch nie begegnet seien - bis sie nach einem langen Prozess "selbstkritischer Reflexion und wachsender gegenseitiger Wahrnehmung" zu "sehr viel mehr Nähe" gefunden hätten, "als vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre."

"Es ist zu einer Annäherung zwischen 'beiden Lagern' gekommen, denn sie haben den Ruf des Evangeliums zu persönlicher Erlösung bzw. zu sozialer Gerechtigkeit neu gehört", stimmte Kirkpatrick zu.

Tuncliffe äußerte sich jedoch skeptischer. "Ich bin nicht überzeugt, dass es sich dabei um ein globales Phänomen handelt", meinte er. "Auf bestimmten Ebenen finden hilfreiche Gespräche statt, aber auf Gemeindeebene bleibt noch viel zu tun, und in beiden Lagern dauern Klischeevorstellungen und erhebliche Spaltungen in zentralen Fragen an."

Für Ma werden diejenigen, die auf dem Weg der christlichen Einheit vorankommen wollen, in den kommenden Jahren mit großen Herausforderungen konfrontiert werden. "Auf der einen Seite werden die Gründe für eine weitere Verschärfung der Spaltungen zunehmen, auf der anderen Seite wird es immer dringender und vorrangiger werden, dass die Kirchen zusammenarbeiten."

Ma zeigte sich jedoch überzeugt, dass Veranstaltungen wie das Globale Christliche Forum über das Potenzial verfügen, eine "authentische Ökumenizität (zu fördern), indem sie offene koinonia, geisterfüllten Gottesdienst und die Bereitschaft miteinander verbinden, gewissenhaft unterscheiden zu lernen, wie der Herr in verschiedenen christlichen Gemeinschaften wirkt".

(*) Juan Michel, ÖRK-Medienbeauftragter, ist Mitglied der Evangelischen Kirche am La Plata in Buenos Aires, Argentinien.

Medienkontakt in Limuru: Juan Michel (+254) 7 35168676

Weitere Informationen über die Tagung des Globalen Christlichen Forums 

Website des Globalen Christlichen Forums [auf Englisch, Französisch und Spanisch]