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Foto: Katja Buck

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Von Katja Buck*

Was bedeutet das bevorstehende 500. Jubiläum der Reformation außerhalb Europas?

Im Nahen Osten wird die Reformation als bedeutendes Vermächtnis angesehen, steht aber auch für die ungewisse Zukunft einer kleinen und zersplitterten Minderheit. Die Kirchen der Reformation haben nach wie vor einen hohen Stellenwert innerhalb der Konstellation christlicher Gruppierungen, sagen nicht-evangelische christliche Gläubige, die diese Kirchen zu einer Führungsrolle bei der Aufnahme ökumenischer Kontakte zu charismatischen und pfingstlichen Bewegungen auffordern.

Der Protestantismus im Nahen Osten hat eine kurze Geschichte. In der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen protestantische Missionare aus Nordamerika und Europa und brachten eine Idee der Reformation mit sich, die für Gewissensfreiheit und ein bibeltreues Leben stand. Sie gründeten Schulen und Universitäten, bauten Krankenhäuser und legten den Grundstein für eine umfassende Sozialarbeit. Diese Arbeit enthielt zwar auch Elemente westlichen Kulturimperialismus, setzte aber gesellschaftliche Veränderungen in Gang, die noch heute nachwirken.

Einflussreiche Vergangenheit, ungewisse Zukunft

„Die Reformation ist für uns Protestanten ein großartiges Vermächtnis besonders in den Bereichen Bildung, soziale Dienste und Wissenschaft", sagte Dr. George Sabra, Präsident der kirchlichen Hochschule Near East School of Theology (NEST) auf einer internationalen Konferenz zum Thema „Die protestantische Reformation 500 Jahre später in Deutschland und im Libanon", die vom 24. bis zum 27. Juni in Beirut stattfand und von der Evangelischen Kirche in Deutschland finanziell unterstützt wurde.  Aber angesichts der politischen und sozialen Probleme in der Region stellte Sabra auch die Frage „nach unserem Beitrag für die Zukunft."

Die Frage nach der Zukunft des Protestantismus im Nahen Osten ist aktueller denn je. In allen Ländern der Region stellen die christlichen Gläubigen nur eine verschwindend kleine Minderheit dar, und die protestantische Gruppe ist zudem besonders klein und dazu noch zersplittert. Protestantische Kirchen machen sich Sorgen um die Emigration, denn die protestantische Jugend wandert in großen Zahlen aus. „Wir sind historisch, theologisch und liturgisch im Westen und nicht im Osten verwurzelt wie die anderen Kirchen hier in der Region", sagte Sabra. „Für uns sind die Beziehungen zum Westen natürlich ein Segen.“ Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, wer wir sind - dem Westen zugehörig? Oder sogar Fremde? Sollten wir unserer Identität eine östliche Prägung geben? Manche vermitteln uns das Gefühl, ein westlicher Irrläufer der nahöstlichen Kirchengeschichte zu sein", sagte Sabra.

Die Konfrontation zwischen protestantischen Missionaren und katholischen, orthodoxen oder morgenländischen Menschen christlichen Glaubens im 19. Jahrhundert nahm auch aggressive Formen an. „Die westlichen Missionare betrachteten die örtlichen Kirchen als Gegenstand ihres missionarischen Eifers und wollten sie bekehren", sagte Serj Boghos Tinkjian, Vize-Dekan der Armenisch-Orthodoxen Seminars in Bikfaya, Libanon. „Sie haben Zwietracht und Hass in der Gesellschaft und sogar in den Familien gesät. Es wäre vermutlich besser gewesen, wenn der evangelistische Eifer sich darauf konzentriert hätte, die lokalen Kirchen zu reformieren  und nicht neue zu gründen.“

Tinkjian legte aber auch Wert auf die Feststellung, dass die neue Präsenz des Protestantismus im 19. Jahrhundert die theologische Debatte bereichert habe, zumindestens in der Armenisch-Orthodoxen Kirche. „Hier haben sich für die Theologie neue Türen geöffnet. Die Diskussion über die Reformation hat unsere Kirche gestärkt", sagte Tinkjian.

Am Anfang wurde die Reformation von den örtlichen Kirchen als rein westliches Phänomen betrachtet. „Die Missionare haben keine orientalischen neuen Kirchen gegründet, sie haben neue westliche Kirchen importiert, haben westliche Sprachen in ihre Liturgie übernommen“, sagte der maronitische Priester Gaby Hachem, der an der Université du Saint Esprit in Kaslik (Libanon) Theologie lehrt. Er wies aber auch auf die positiven Effekte der Reformation auf die Gesellschaften im Nahen Osten hin.

„Evangelische Schulen und Universitäten hatten erhebliche Auswirkungen auf die Studierenden, die einen ganz unterschiedlichen Hintergrund hatten. Auf diese Weise entstand eine Art Wettbewerb zwischen evangelischen und katholischen Schulen. Viele Muslims bestehen noch heute darauf, ihre Kinder auf christliche Schulen zu schicken." Hachem erwähnte ebenfalls, dass aufgrund der protestantischen Präsenz viele katholische Gläubige wieder mit dem Lesen der Bibel begonnen hätten.

Kampf um das Verständnis der Ökumene

Die Missionare des 19. Jahrhunderts traten den Kirchen des Nahen Ostens gegenüber nicht vorurteilsfrei auf, wie Rami Wannous, ein griechisch-orthodoxer Priester aus Broummana, Libanon, erklärte.

„Man machte sich lustig darüber, dass wir Ikonen küssen und Weihrauch abbrennen.   Sie beschuldigten uns der Bilderanbetung und verurteilten den Marienkult. Für sie waren wir Orthodoxe der Grund, warum Muslims noch nicht zum Christentum gefunden hatten“, sagte Wannous. Als eines der größten Probleme des Protestantismus heute bezeichnete er die Aufsplitterung der Reformationskirchen in unterschiedliche Bewegungen und ihre Abtrennung von neueren evangelischen Gruppen, die kein Interesse an ökumenischen Beziehungen haben.

„Für uns ist jeder, der nicht orthodox oder katholisch ist, protestantisch. Aber wenn wir zusammenkommen, müssen wir jedes Mal fragen, mit welcher Form des Protestantismus wir es zu tun haben. In dieser Vielfalt können wir keine Einheit mehr erkennen", betonte Wannous.

Die nicht-protestantischen Konferenzdelegierten gaben deshalb den Reformationskirchen den Rat, eine führende Rolle gegenüber den neueren evangelikalen und nicht-ökumenisch orientierten Bewegungen zu spielen.   „Heute müssen die Protestanten sich über die Bedeutung ihrer Präsenz und ihres Dienstes bewusst sein", sagte der maronitische Vertreter Gaby Hachem. „Meine Bitte lautet, die neuen evangelikalen Bewegungen in die nahöstliche Ökumene zu führen. Wir alle wissen, dass dies gehörigen Mut erfordert."

Erfahren Sie mehr über die geplanten Jubiläumsfeiern zur Reformation in 67 europäischen Städten

Siehe Pieter Pikkerts Dissertation über protestantische Missionare im Nahen Osten und ihre Auswirkungen auf die dortige muslimische Kultur (nur auf Englisch)

Siehe auch den Jubiläumsband Reformation:
Legacy and Futurevon WCC Publications (nur auf Englisch)

*Katja Dorothea Buck ist eine deutsche Journalistin, einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist das Christentum im Nahen Osten.