Kirchenfamilien
Klicken Sie auf eine Kirchenfamilie, um mehr zu erfahren
"Weltweite christliche Gemeinschaften" (Christian World Communions, CWCs) ist die übliche Bezeichnung der weltweit organisierten Kirchen oder Gruppierungen (Familien) von Kirchen mit gemeinsamen theologischen und geschichtlichen Wurzeln, Bekenntnissen oder Strukturen. Allein diese Definition deutet bereits darauf hin, dass es verschiedene Arten von weltweiten Christlichen Gemeinschaften gibt. Die Bezeichnung hat sich erst ab 1979 durchgesetzt. Andere, in der Vergangenheit benutzte Bezeichnungen haben solche Familien von kirchlichen Gruppierungen noch unzureichender beschrieben, wie z.B. "weltweite konfessionelle Kirchengruppen", "weltweite Konfessionsgruppen", "konfessionelle Weltbünde " und "weltweite Konfessionsfamilien".
Jede weltweite christliche Gemeinschaft besteht aus Kirchen, die derselben Tradition angehören und die ein gemeinsames Erbe verbindet; sie sind sich bewusst, in derselben universalen Gemeinschaft zu leben, und geben diesem Bewusstsein ein bestimmtes Maß an sichtbarem strukturellen Ausdruck. Sie können an bestimmte Glaubensbekenntnisse gebunden sein oder nicht. Die Formen "sichtbaren strukturellen Ausdrucks" konfessioneller Organisationen sind äußerst verschieden. Die eine weltweite christliche Gemeinschaft beschäftigt zahlreiche Mitarbeiter/innen und verfügt über einen großen Jahreshaushalt, während andere kleine Mitarbeiterstäbe und bescheidene Haushalte haben. Einige haben bereits Jahrzehnte vor der modernen ökumenischen Bewegung bestanden, während andere nach der offiziellen Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 gebildet wurden oder ihren gegenwärtigen Aktivitätsradius erreicht haben. Ihre Interessensgebiete können recht unterschiedlich sein, doch stellen sie Verbindungen her, die das gemeinsame Zeugnis in ihren Kirchen in Bereichen wie Mission und Evangelisation, Gerechtigkeit und Dienst sowie Förderung der christlichen Einheit stärken.
Seit 1957 ist die Konferenz der Sekretäre und Sekretärinnen der weltweiten christlichen Gemeinschaften mit wenigen Ausnahmen (1960, 1961 und 1975) jährlich zusammengetreten. In der Regel versammeln sich die Generalsekretäre/innen dieser Gremien zur Pflege der Gemeinschaft und zum Informations- und Erfahrungsaustausch. In manchen Jahren konnten sie auch über verschiedene gemeinsame Anliegen diskutieren, darunter bilaterale Dialoge, die Beziehung zwischen den Bibelgesellschaften und den CWCs, Religionsfreiheit und Menschenrechte sowie das Engagement der CWCs in der künftigen ökumenischen Bewegung.
An den Jahrestagungen nehmen in der Regel Vertreter/innen folgender Körperschaften teil: Anglikanische Kirchengemeinschaft, Baptistischer Weltbund, Ökumenischer Konsultativrat der Jünger Christi (Disciples Ecumenical Consultative Council), Ökumenisches Patriarchat (östlich-orthodox), Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventisten, Internationale altkatholische Bischofskonferenz, Lutherischer Weltbund, Mennonitische Weltkonferenz, Einheitsausschuss der weltweiten Brüder-Unität (Moravian Church Worldwide Unity Board), Moskauer Patriarchat (östlich-orthodox), Pfingstgemeinschaften, Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen (römisch-katholische Kirche), Reformierter Ökumenischer Rat, Heilsarmee, Weltkomitee der Quäker für gegenseitige Beratung(Friends World Committee for Consultation), Reformierter Weltbund, Weltkonvent der Kirchen Christi (World Convention of Churches of Christ), Internationale Evangelische Allianz und Methodistischer Weltrat. Der Ökumenische Rat der Kirche ist in der Regel auf den Tagungen vertreten.
Auch als Ganzes genommen repräsentieren die weltweiten christlichen Gemeinschaften nicht alle Zweige des Christentums. Insbesondere gibt es zumindest drei Gruppen von Kirchen, die sich keinen internationalen Rahmen ähnlich dem der weltweiten christlichen Gemeinschaften gegeben haben: die orientalisch-orthodoxen Kirchen, die unabhängigen oder indigenen Kirchen, speziell in Afrika, sowie die sich vereinigenden und vereinigten Kirchen, die ab 1920 entstanden.
Ihre Vielfalt in Struktur und Zielsetzung macht die weltweiten christlichen Gemeinschaften zu äußerst lebendigen Einrichtungen, die in ihrer Beziehung zur ökumenischen Bewegung gesehen werden müssen. Tatsächlich waren sie in ihren Anfangsjahren die wichtigsten existierenden Ausdrucksformen der ökumenischen Bewegung. Durch das Verständnis der weltweiten Dimension ihrer Gemeinschaften vermittelten sie den Mitgliedern ihrer Kirchen ein neues Bewusstsein von Universalität. Viele ihrer Wortführer hatten an der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahr 1948 teil und üben dort bis heute leitende Funktionen aus.
In bestimmten Kreisen wurden die weltweiten christlichen Gemeinschaften als Antithese zu einem ökumenischen Engagement angesehen. Häufig geschah das dadurch, dass man ihnen vorwarf, sie würden anstatt der christlichen Einheit Konfessionalismus oder Denominationalismus fördern. Das aber ist eine eher kurzsichtige Beurteilung. In Wirklichkeit sind viele der weltweiten christlichen Gemeinschaften ökumenische Schlüsselorgane und haben den Ökumenischen Rat der Kirchen in seiner Rolle als bevorzugtes Instrument der Ökumene unterstützt. Das wurde bereits auf der Zweiten Vollversammlung des ÖRK 1954 in Evanston, Illinois, USA, anerkannt, wo der damalige Zentralausschuss festhielt: "Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, dass nahezu alle konfessionellen Weltbünde den Wunsch zu Protokoll gegeben haben, die ökumenische Bewegung zu unterstützen, und wir regen an, dass der Generalsekretär von Zeit zu Zeit für informelle Besprechungen mit drei oder vier Vertretern jedes Bundes Sorge trägt, um mit ihnen zu erörtern, wie sich dieser Wunsch erfüllen und andere gemeinsame Probleme behandeln lassen." 1
Fast dreißig Jahre später erkannte die Sechste ÖRK-Vollversammlung (Vancouver, 1983) die Bedeutung der CWCs und der Konferenz ihrer Sekretäre/innen als Partner im Streben nach der vollen und sichtbaren Einheit der Kirche an und ermutigte die Entwicklung einer engeren Zusammenarbeit zwischen dem ÖRK und den CWCs. Sie empfahl, beide sollten sich um eine Klärung des Ziels der Einheit bemühen, nach der die Christen in der einen ökumenischen Bewegung streben, und Schritte und Möglichkeiten identifizieren, um dieses Ziel zu erreichen. Sie brachte auch die Hoffnung zum Ausdruck, dass eine neue Runde von Ad-hoc-Tagungen des Forums für bilaterale Gespräche durchgeführt werden würde, und ersuchte insbesondere darum, der Rezeption des Lima-Papiers Taufe, Eucharistie und Amtund seiner Beziehung zu den bilateralen Dialogen unter den CWCs erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Die Frage nach dem Verhältnis der drei Konzepte der Einheit - "organische Einheit", "konziliare Gemeinschaft" und "versöhnte Verschiedenheit" - zueinander ist nach wie vor von zentraler Bedeutung.
Diese Erklärungen von 1983 stützten sich auf frühere Auseinandersetzungen mit einer Reihe von Fragen im Zusammenhang mit den Beziehungen zwischen dem ÖRK und den CWCs sowie mit der Frage, wie jüngere Kirchen in Asien, Afrika, Lateinamerika, der Karibik und dem Pazifik den Denominationalismus hinter sich lassen und zu einem ökumenischen Engagement finden könnten. Die ÖRK-Vollversammlung in Nairobi (1975) formulierte z.B. eine Reihe von Vorschlägen dazu, wie "beide Seiten konstruktiv und sich gegenseitig ergänzend zur Förderung der ökumenischen Bewegung beitragen können". 2
Ein wichtiger Beitrag der weltweiten christlichen Gemeinschaften zur Einheit der Christen sind die theologischen bilateralen Gespräche. Mehrere CWCs sind zu bedeutenden gemeinsamen Erklärungen gelangt, die eine Reihe von historischen Vorbehalten und Verurteilungen aus dem Weg geräumt haben. So hat zum Beispiel der Reformierte Weltbund enge Beziehungen zu den Lutheranern und zu den Jüngern Christi aufgebaut und ist infolge dieser Dialoge zu signifikanten gemeinsamen Positionen mit römischen Katholiken und Anabaptisten gelangt. Die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die die Lutheraner und die römischen Katholiken unterzeichnet haben, ist eines der Hauptergebnisse solcher bilateralen Dialoge.
1974 begrüßte die Konferenz der Sekretäre und Sekretärinnen der weltweiten christlichen Gemeinschaften eine Initiative der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, in Foren über die Dialoge zu reflektieren. Die ÖRK-Vollversammlung 1975 bestätigte diese Initiative. Zwischen 1978 und 2001 haben unter Beteiligung von Vertretern/innen der weltweiten christlichen Gemeinschaften acht solcher Foren stattgefunden. Sie haben die Möglichkeit geboten, über die Ergebnisse und die Rezeption der Dialoge auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene nachzudenken und geholfen, ihren Beitrag zum Streben nach christlicher Einheit zu beurteilen.
Die weltweiten christlichen Gemeinschaften unterstützen die ökumenische Familie in verschiedenen Prozessen dabei, neue Modelle des ökumenischen Engagements und der zwischenkirchlichen Zusammenarbeit zu entwickeln. Seit 1997 sind sie aktiv im Globalen christlichen Forum engagiert und haben in den vergangenen Jahren untereinander über Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Ruf nach einer Neugestaltung der ökumenischen Bewegung diskutiert und sich daran beteiligt.
---------------------
1 Evanston 1954, Arbeitsbuch der Versammlung, ÖRK, Genf, S. 18.
2 Bericht aus Nairobi 1975, Verlag O. Lembeck, Frankfurt a.M., S. 208.