25. November 2019

Ökumenischer Rat der Kirchen

EXEKUTIVAUSSCHUSS

Bossey, Schweiz

20.-26. November 2019

Dok. Nr. 04.2 rev

Erklärung zu den Menschenrechten von Staatenlosen

Auf dich, Herr, mein Gott, traue ich!
Hilf mir von allen meinen Verfolgern und errette mich,

dass sie nicht wie Löwen mich packen
und zerreißen, weil kein Retter da ist.

Psalms 7,2-3

Staatsangehörigkeit bedeutet rechtlich gesehen die „Mitgliedschaft“ in einem Staat, die Essenz der würdigen Zugehörigkeit. Das Recht auf eine Staatsangehörigkeit ist ein grundlegendes Menschenrecht, das in Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verankert ist.

Staatenlose Menschen leben in einem Rechtsvakuum. Da die Staatsangehörigkeit Voraussetzung für eine ganze Reihe von Menschenrechten, Freiheiten und Pflichten ist, sind staatenlose Menschen – wie zum Beispiel Personen, die keine anerkannte Staatsangehörigkeit besitzen – weltweit mit erheblichen und oftmals unüberwindbaren Hürden in Bezug auf den Zugang zu einem Arbeitsplatz, zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Grundbesitz, Freizügigkeit und politischer Teilhabe konfrontiert.

Staatenlose Menschen sind einem höheren Risiko ausgesetzt, Opfer von Menschenhandel und anderen Formen von Ausbeutung zu werden, und leben in ständiger Unsicherheit und Angst vor Festnahme, Inhaftierung und sogar Abschiebung, weil sie keine amtlichen Dokumente vorweisen können. Mehr als ein Drittel der staatenlosen Menschen in der Welt sind Kinder, und in den 20 Ländern mit dem höchsten Bevölkerungsanteil an staatenlosen Menschen, werden jedes Jahr rund 70.000 Kinder geboren.

Die Gründe für Staatenlosigkeit sind vielfältig, darunter zum Beispiel Staatennachfolge, Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht und/oder einer Rasse in der nationalen Gesetzgebung, administrative Hürden oder Versäumnisse, die Nicht-Registrierung von Neugeborenen oder das Fehlen eines nationalen Identitätsnachweises. Im Kontext von Zwangsvertreibung und Migration steigt das Risiko für Staatenlosigkeit zudem oftmals noch.

Seit einigen Jahren sind weltweit darüber hinaus zunehmend ethno-nationalistische, rassistische und fremdenfeindliche Narrative und eine ebensolche Politik zu verzeichnen. Es gibt Politikerinnen und Politiker und gesellschaftliche Gruppen, die populistische Stimmungslagen in der Gesellschaft anheizen und Sorgen um die nationale Sicherheit und den wirtschaftlichen Erfolg zur Stimmungsmache gegen Minderheiten ganz allgemein ausnutzen und in einigen Kontexten Ideologien der Überlegenheit einer bestimmte Rasse fördern. Derartige Entwicklungen haben für einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen diskriminierende Auswirkungen in Bezug auf ihren Zugang zur Staatsbürgerschaft.

Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge gehören mehr als 75 % der staatenlosen Menschen weltweit Minderheiten an. In der Vergangenheit war wiederholt zu beobachten, dass verschiedene Staaten den Zugang zur Staatsbürgerschaft bzw. den Entzug dieser zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten als Instrument der Diskriminierung genutzt haben, um ganze Gesellschaftsgruppen aufgrund ihrer Abstammung, ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Religion zu unterdrücken.

Zur Halbzeit der Kampagne der internationalen Staatengemeinschaft zur Beendigung von Staatenlosigkeit, die seit 2014 und noch bis 2024 läuft, wurde bisher nicht genug getan, um diese Bedrohung für die Menschenrechte und die Menschenwürde zu beseitigen. Ein enormer Rückschlag für die Bemühungen um ein Ende von Staatenlosigkeit war jüngst die Veröffentlichung eines nationalen Bürgerregisters im indischen Bundesstaat Assam zu Beginn dieses Jahres. Durch dieses Register wurden bis zu 1,9 Millionen Menschen faktisch von der indischen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen und alle, die keine andere Staatsangehörigkeit haben, sind nun einem erheblich erhöhten Risiko ausgesetzt, staatenlos zu werden.

Der Exekutivausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen, der vom 20. bis 26. November 2019 in Bossey, Schweiz, tagt,

bekundet, dass Staatenlosigkeit und das Unvermögen, sicherzustellen, dass jeder Mensch sein Recht auf Staatsangehörigkeit auch wahrnehmen kann, dazu führt, dass Millionen Menschen in der Welt ihr Menschenrecht verweigert und ihre Würde abgesprochen wird.

bekräftigt die Rolle der Kirchen dabei, den staatenlosen Menschen weltweit eine Stimme zu geben und jenen Menschen zu Sichtbarkeit zu verhelfen, die durch ihre Staatenlosigkeit unsichtbar geworden sind.

ermutigt die ÖRK-Mitgliedskirchen, ihr prophetisches Zeugnis zu nutzen, um Bewusstsein für die Lebenssituation von Staatenlosen zu schaffen, die in ihrem jeweiligen Land, aber auch anderswo in der Welt leben, und für das Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit und ein Ende der Staatenlosigkeit einzutreten.

ruft die ÖRK-Mitgliedskirchen und ökumenischen Partner auf, das Gespräch mit den Staaten zu suchen, um darauf hinzuwirken, dass diese politische Grundsätze verabschieden und Maßnahmen ergreifen, die den staatenlosen Menschen eine Staatsangehörigkeit verleihen und sie mit den entsprechenden amtlichen Unterlagen ausstatten.

ruft die Kirchen, die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsorganisationen und die Organisationen der Vereinten Nationen und regionale Organisationen dringend auf, zusammenzuarbeiten, um Staatenlosigkeit effektiv zu reduzieren und zu beenden.

fordert den ÖRK-Generalsekretär auf, die Advocacyarbeit für die Menschenrechte von Staatenlosen als einen der Programmschwerpunkte des ÖRK fortzuführen.