„Und [wenn] mein Volk, über das mein Name ausgerufen ist, sich demütigt und betet, mich sucht und von seinen schlechten Wegen umkehrt, dann höre ich es im Himmel. Ich verzeihe seine Sünde und bringe seinem Land Heilung.” – 2. Chron 7,14.

“Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ – 2. Kor 5,17-18

Präambel

Vom 16. bis 19. Juni 2019 trafen sich 52 Teilnehmende aus 22 Ländern aus verschiedenen Konfessions- und Glaubenstraditionen in Wuppertal für eine Konferenz mit dem Titel: „Together towards eco-theologies, ethics of sustainability and eco-friendly churches”.[1]In Wuppertal haben wir des mutigen Bekenntnisses gedacht, das in der Barmer Theologischen Erklärung (1934) gegen die totalitäre, unmenschliche und rassistische Ideologie der damaligen Zeit formuliert wurde. Barmen ermutigt uns auch heute zu einer “frohe[n] Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.” (Barmen 2).

Wir haben Geschichten aus Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika, Nordamerika und Ozeanien miteinander geteilt. In ihnen hören wir die Schreie der Erde und die Schreie der Menschen, die von den Folgen des Klimawandels am schmerzlichsten getroffen werden. Dies sind besonders Kinder und ältere Menschen. Wir haben auch die Schreie von jungen Menschen gehört, die intergenerationelle Gerechtigkeit fordern und wir haben die Sorgen von Klimaexperten über aktuelle Klimatrends vernommen.

Wir erkennen die Dringlichkeit der vor uns liegenden Jahre und wollen trotzdem in dieser Situation Mut zur Hoffnung haben. Wir wissen uns verpflichtet, die globale ökumenische Bewegung zu einer umfassenden ökologischen Transformation der Gesellschaften aufzurufen.

Kairos: eine entscheidende Wende auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Frieden

Die ökumenische Bewegung hat sich schon lange zu einem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens und zur Integrität der Schöpfung bekannt. Diese Ziele erfordern dringend neue Schritte auf dem vor uns liegenden Weg der ökologischen Gerechtigkeit. Die Dringlichkeit der Krise verlangt von uns, die Zeichen der Zeit zu lesen, Gottes Ruf zu hören, dem Weg Christi zu folgen, die Bewegung des Heiligen Geistes zu erkennen und die positiven Initiativen der Kirchen weltweit wahrzunehmen, die darauf schon entschieden antworten.

Die Symptome der Krise berühren alle Bereiche und Bausteine des Lebens und sind deutlich für alle erkennbar:

  • Das Trinkwasser ist verseucht; Gletscher schmelzen; Ozeane sind mit Plastik verschmutzt und Korallenbleiche und Versauerung bedrohen die Meere (das Element Wasser).
  • Das Land wird durch nicht nachhaltige Landwirtschaft und ungesunde Ernährungsgewohnheiten zerstört, ein globales Wirtschaftssystem, dass  Raubbau an Bodenschätzen und Land betreibt, Entwaldung, Desertifikation und Bodenerosion bedrohen die Erde; Tiere ächzen und Kreaturen werden genetisch verändert; Fischpopulationen werden ausgerottet, und der Verlust von natürlichen Habitaten führt zu einem nie dagewesenen Verlust an Biodiversität (das Element Erde). Das Land und die Gesundheit der Menschen werden durch industrielle, landwirtschaftliche, städtische und nukleare Abfälle und durch Pestizide und Chemikalien gefährdet. Immer mehr Menschen werden durch diese Landzerstörungen dazu gezwungen, zu migrieren und werden zu Klimaflüchtlingen.
  • Die globalen Kohleemissionen steigen weiter an, Treibhausgase sammeln sich in der Atmosphäre und das Klima wird gestört (das Element Luft).
  • Die Nutzung von Energie aus fossilen Brennstoffen treibt diese Veränderungen an (das Element Feuer).

Das empfindliche System der Schöpfung wurde im Anthropozän in einem nie dagewesenen Ausmaß gestört. Wir haben die planetaren Grenzen überschritten. Die Erde scheint nicht länger in der Lage dazu zu sein, sich selbst zu heilen. Die gesamte Schöpfung seufzt. (Röm 8,22). Wir haben es nicht vermocht, unsere ökumenischen Grundanliegen im Auge zu behalten: das Anliegen der Gerechtigkeit angesichts von Armut, von Arbeitslosigkeit und Ungleichheit, das Anliegen einer partizipativen Gesellschaft angesichts von gewalttätigen Konflikten und das Anliegen von Nachhaltigkeit angesichts von ökologischer Zerstörung.

Obwohl Menschen nicht überall auf der Welt in gleichem Maße zu den Ursachen der Klimakrise beigetragen haben, kommen wir als Christ*innen gemeinsam zusammen und bekennen unsere Mitschuld und unsere Gefangenheit in der Sünde:

  • Wir waren arrogant darin anzunehmen, dass die ganze Erde sich um uns Menschen und unsere Bedürfnisse dreht (die Sünde des Hochmuts).
  • Wir haben uns von unserem katastrophalen Wunsch nach unbegrenztem materiellem Wachstum einfangen lassen und wurden von einer allgegenwärtigen Konsumkultur angetrieben (die Sünde der Gier).
  • Wir haben Gottes Geschenke missbraucht, wir haben uns  in Gewalt gegen Gottes Kreaturen verstricken lassen und die Menschenwürde verletzt (die Sünde der Gewalt).
  • Wir haben uns von dem Land unserer Vorfahren und von indigenen Wissenstraditionen entfernt und die Verbindung zu Tieren als Mitgeschöpfen und zur Erde als unserer gott- gegebenen Heimat verloren (die Sünde der Selbstsucht).
  • Wir wurden von Torheit, Ungerechtigkeit, Verleugnung und Gier überwältigt (die Sünde der Lasterhaftigkeit).
  • Wir waren zu langsam darin, unsere Verantwortung anzuerkennen, die entscheidende Krise unserer Zeit zu thematisieren (die Sünde der Trägheit).

Die Authentizität des ökumenischen Zeugnisses wird durch Verzerrungen des Evangeliums, von gefährlichen Narrativen und Theologien unterminiert, die eine totalitäre Logik von Tod und Zerstörung legitimieren. Dies sind Theologien, die Herrschaft, und insbesondere das Patriarchat, unter Vorwänden von “Rasse”, Geschlecht, Klasse oder Spezies stützen. In diesen falschen Perspektiven werden Himmel und Erde, Seele und Körper, Geist und Materie dualistisch und reduktionistisch aufeinander bezogen. Solche Narrative oder Theologien verleugnen anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse oder machen diese lächerlich, mit dem Interesse, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie wiederholen den Mythos vom unendlichen Wachstum oder vertrauen allein auf technische Lösungen für ökologische Probleme, statt auf umfassendere kulturelle, moralische und spirituelle Lösungen zu setzen. Solche Narrative und Theologien zeigen sich in Formen eines Pseudo-Evangeliums, in denen die reine Akkumulation von Reichtum als Letztwert erscheint. Sie zeigen sich auch in den Versuchen, sich selbst durch permanente Verschiebung der Verantwortung auf andere zu entlasten oder in Ideologien, die sich mit religiösen Vertröstungen aus der Verantwortung ziehen wollen.

Hoffnung: Mut in Zeiten der Angst und Hoffnungslosigkeit

Inmitten einer Hoffnungslosigkeit, die sich angesichts der Klimakrise verbreitet, verkünden wir - inmitten einer seufzenden Schöpfung - die Hoffnung auf den dreieinigen Gott, „denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet.“ (Röm 8,24). Gott hat die Erde nicht aufgegeben! Wir halten an Gottes Versprechen im Noah-Bund mit der ganzen Schöpfung fest, den er mit „den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen“ (Gen 9,12) geschlossen hat. Wir glauben an Gottes Nähe, wie er sie uns in Jesus Christus inmitten der von den Menschen verursachten Misere offenbart hat. Wir werden von der Kraft des Heiligen Geistes getröstet, der „das Angesicht der Erde erneuert.“ (Ps 104,30).

Mit Blick auf wirtschaftliche und politische Narrative, die unser Verständnis von gelingenden Beziehungen zwischen Menschen, Schöpfung und Schöpfer verzerren, mag diese Hoffnung kontrafaktisch und widersinnig erscheinen. Die Hoffnung, die wir verkünden, hat aber nicht allein eine kritische Funktion, indem unterdrückende und patriarchale Systeme herausfordert werden, sondern auch eine ermutigende Funktion, indem sie uns dazu inspiriert, an der Heilung der Erde aktiv Teil zu haben (2. Chron 7,14). Hoffnung ist nicht das gleiche wie blinder Optimismus, der allein auf die Fortschreibung aktueller Trends setzt. Christliche Hoffnung ist nicht billig; sie kostet, sie ist eine teure Hoffnung. Sie hat Bestand trotz überwältigender gegenteiliger evidenter Zeichen des fortschreitenden Klimawandels, weil sie ihren Grund in dem dreieinigen Gott hat und aus ihm selbst hervorgeht. Es ist eine solche Hoffnung, die uns ermutigt und uns zu einer umfassenden ökologischen Transformation unserer Gesellschaften nötigt.

Ein Aufruf an die weltweite ökumenische Bewegung

Im Herzen der ökologischen Transformation steht die Notwendigkeit einer ökologischen Umkehr/Konversion (metanoia), eine tiefe Veränderung in den Herzen, Köpfen, Einstellungen, Gewohnheiten und im Handeln (Röm 12,1-2). Diese Veränderung hat Auswirkungen auf alle Aspekte des christlichen Lebens: auf Liturgie und Anbetung, auf das Lesen der Bibel, auf die Verkündigung und auf die Sakramente, auf die Gemeinden und ihr Glaubensleben, auf Beten, Fasten, Spiritualität, Lehre, Ethos, Bildung, Kunst, Musik, Ämter und missionarische Projekte. In dieser ökologischen Reformation des gesamten Christentums wurden und werden wir von unseren Vätern und Müttern im christlichen Glauben, durch Beispiele von unseren Glaubensgeschwistern weltweit und von Kirchenleitenden aus der gesamten Ökumene ermutigt, wie beispielsweise vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus, von Papst Franziskus, vom ehemaligen Erzbischof Desmond Tutu und vielen weiteren.

Wir rufen die globale ökumenische Bewegung, christliche Weltbünde und alle anderen Kirchen dazu auf, gemeinsam eine 10jährige Dekade des ökologischen Lernens, Bekennens und Handelns angesichts des  Klimawandels zu planen, um die folgenden Punkte zu Prioritäten der Kirchen weltweit zu machen:

  1. Die ganze Breite der liturgischen und spirituellen Formen und altkirchlichen Traditionen mit Bezug zur Schöpfung im Licht des gegenwärtigen ökologischen Kairos bewusst zu machen und zu erneuern;
  2. Die biblischen Texte unter dem Aspekt der ökologischen Sensibilität neu zu lesen und zu interpretieren;
  3. Rahmenprogramme zu erstellen, welche das Klimabewusstsein in Kirchengemeinden stärken und ihnen das dafür benötigte Personal, das Knowhow und die finanziellen Ressourcen bieten und die schon existierenden Basisinitiativen unterstützen;
  4. Gendergerechtigkeit in Kirchen und Gesellschaften zu fördern, da sie auf vielen Ebenen mit dem Klimawandel verknüpft ist;
  5. Junge Menschen zu ermutigen, Führungsrollen in Kirchen und Gesellschaften zu übernehmen und dort für ihre Zukunft einzutreten;
  6. Schöpfungstheologische und nachhaltigkeitsbezogene Reflektionen in allen Ebenen der Bildung zu etablieren;
  7. Ökologische Werte zu kultivieren und nachhaltige Lebensstile in Haushalten und Gemeinschaften zu fördern;
  8. Laien für ihre Berufung so auszustatten, dass sie ökologische Verantwortung übernehmen können, wo auch immer sie leben, arbeiten und beten;
  9. Sich in multi-disziplinären Dialogen zu engagieren, die die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, der indigenen Traditionen und diverser Theologien zusammenbinden;
  10. Für interdisziplinäre Verbindungen, Netzwerke und Partnerschaften mit allen Bereichen der Regierung, mit Wirtschaft und Industrie, mit der Zivilgesellschaft, mit interreligiösen ökologischen Netzwerken, mit anderen Glaubensgemeinschaften und mit allen Menschen einzutreten, die die Verpflichtung mit uns teilen, nachhaltige Alternativen zu den aktuell dominanten Produktions- und Konsumformen zu finden.

Mit Blick auf die anstehende 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahre 2021 empfehlen wir dem ÖRK insbesondere, dass er eine Dekade des ökologischen Handelns für die Schöpfung (Decade for the Healing of Creation) mit den folgenden Zielen ausruft:

  • Die Mitgliedskirchen dafür zu mobilisieren, dass sie ihre Prioritäten auf die Verpflichtungen dieser Wuppertaler Erklärung ausrichten;
  • Die Agenda der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Vereinten Nationen durch verschiedene Allianzen, Netzwerke und Partnerschaften zu unterstützen und gleichzeitig über die SDG-Agenda hinauszugehen, um die Definitionen von Wachstum, Reichtum und Wohlbefinden, die in der SDG-Agenda noch nicht hinreichend geklärt sind, im Hinblick auf die planetaren Grenzen nachhaltig zu bestimmen.
  • Globale Entscheidungsträger*innen davon zu überzeugen, dass der Anstieg der globalen Treibhausgas-Emissionen so bald wie möglich gestoppt und drastisch reduziert werden muss, um Netto-Emissionsfreiheit und das Ziel von 1,5 Grad maximaler Temperatursteigerung doch noch zu erreichen.
  • Den Prozess der Vereinten Nationen zu unterstützen, einen Rahmen für eine rechtlich verbindliche “Universale Erdrechte-Charta” zu erschaffen (“Universal Charter of the Rights of Mother Earth” (Cochabamba 2010)), ein internationales Rechtssystem für die Umweltrechte („Earth Jurisprudence“) zu fixieren und die Möglichkeiten für einen „Rat für die Rechte der Natur“ („UN Council for the Rights of Nature“) und für eine Anerkennung von „Ökozid“ als Strafrechtstatbestand vor dem internationalen Strafgerichtshof auszuloten.

Diese Selbstverpflichtungen folgen aus dem Verständnis dieses Kairos in der Geschichte, in dem wir uns gerade wiederfinden. Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist immens und wird Jahrzehnte größten Engagements fordern. Die Dringlichkeit der Situation lässt eine verspätete Antwort auf diese umfassenden Herausforderungen nicht zu. Das nächste Jahrzehnt wird entscheidend sein, um der Erde eine Zeit der Erholung zu ermöglichen. Die biblischen Motive des Sabbats und des Jobeljahres bieten eine einzigartige Quelle der Hoffnung und Inspiration, auf eine Unterbrechung im Kreislauf von Ausbeutung und Gewalt hinzuarbeiten, ausgedrückt in der Vision, dass: „für das Land ein Jahr der Sabbatruhe sein“ soll (Lev 25,5).

Komm, Heiliger Geist, erneuere unsere Schöpfung!

Wuppertal, 19.6.2019



[1]Die Konferenz wurde vom  Evangelischen Missionswerk (EMW), der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Vereinten Evangelischen Mission (UEM), Brot für die Welt und dem Weltkirchenrat gemeinsam verantwortet und organisiert.