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Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

2022 – in zwei Jahren – soll die elfte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe stattfinden. Die Kirchen in Deutschland werden gemeinsam mit Kirchen der Nachbarländer Frankreich und Schweiz die Gastgeber für die Delegierten der Mitgliedskirchen des ÖRK aus aller Welt sein. Wir freuen uns darauf. Die Vorbereitungen sind in vollem Gang.

Dass einmal eine Vollversammlung des ÖRK in Deutschland stattfinden würde, daran war im Oktober 1945 nicht zu denken. Millionen hatten ihr Leben im Krieg verloren und in den Gaskammern der Konzentrationslager. Von Schuld und Strafe war allerorten die Rede, nicht von Frieden und Versöhnung.

Der Ökumenische Rat der Kirchen in der Gründung und sein Generalsekretär Willem Visser ’t Hooft aber waren vorbereitet auf diese Situation. Sie hatten schon früh vor dem Ausbruch des Krieges gewarnt. Als das Morden dann 1939 begann, arbeiteten sie an Plänen für einen gerechten und nachhaltigen Frieden in Europa nach der Niederlage Deutschlands, die kommen musste. Visser ´t Hooft verfasste ein Memorandum für eine Friedensordnung gemeinsam mit den Deutschen Dietrich Bonhoeffer und Adam von Trott. Noch mitten im Krieg versammelte Visser ´t Hooft Vertreterinnen und Vertreter der Widerstandsgruppen aus den von der deutschen Armee besetzten Ländern gemeinsam mit deutschen Gegnern des Hitlerregimes. Sie waren sich einig, dass Frieden in Europa ohne die gleichberechtigte Mitwirkung Deutschlands in einer europäischen Föderation nicht möglich sein würde. Mit ihren Gedanken nahmen sie die Gründung der Europäischen Union vorweg.

Schon 1940 hatte Dietrich Bonhoeffer in seiner Ethik im Blick auf den Holocaust geschrieben: „Die Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Haß und Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi."[1] Im Dezember 1942 wandte sich auch der deutsche Theologe Hans Asmussen mit einem Brief an Visser’t Hooft, mit dem nach dem Kirchenhistoriker Armin Boyens die Diskussion um ein Schuldbekenntnis der Bekennenden Kirche begann. Das Treffen im Oktober 1945 hier in Stuttgart war tatsächlich sehr gut vorbereitet.

Mich hat immer wieder die Weitsicht unserer Vorgängerinnen und Vorgänger in der Leitung des ÖRK beeindruckt. Mitten im Krieg bauten sie Brücken zwischen Menschen verfeindeter Gemeinschaften und Völker und arbeiteten für Frieden und Wiederaufbau nach dem Krieg. Sie waren sicherlich politisch klug und diplomatisch geschickt, entscheidend aber war ihr gemeinsamer Glaube an den dreieinigen Gott der Bibel und seine Verheissung für die Zukunft der ganzen Menschheit und der ganzen Schöpfung. Sie wussten: Gottes Ziel für die Menschheit sind Versöhnung und Einheit in Gerechtigkeit und Frieden. Unsere Antwort auf diese Verheissung verlangt Anerkennung der Mitverantwortung für Verbrechen des Krieges, Umkehr und die Bereitschaft, aktiv zur Versöhnung beizutragen und die Einheit der Kirchen in Christus zu stärken. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis öffnete tatsächlich die Tür zur Überwindung der Feindschaft und der gemeinsamen Suche nach Frieden und Versöhnung unter den Mitgliedskirchen des ÖRK und so auch der Völker, zu denen sie gehören.

„Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ ist das Thema der elften Vollversammlung des ÖRK 2022 in Karlsruhe. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis hilft uns dabei, das Thema der Vollversammlung auch in unserem Kontext zu verstehen. Was damals hier in Stuttgart geschah, hat mit dazu beigetragen, dass heute zwischen Karlsruhe und Strassburg eine Brücke des Friedens Deutschland und Frankreich über den Rhein hinweg verbindet.  Wir sind dankbar, dass in der Mitte Europas Frieden herrscht. Wir arbeiten, wie unsere Vorgänger damals, für Versöhnung und Einheit, wo immer Menschen heute unter Ungerechtigkeit, Gewalt und Krieg leiden gemeinsam mit allen Menschen guten Willens, denn wir glauben an die Liebe Gottes, die in Christus Gestalt gewann. In seiner Nachfolge sind wir Botschafter seiner Liebe, die die Welt bewegt, versöhnt und eint.


[1] Dietrich Bonhoeffer, Ethik, (Paperbackausgabe der 9. Auflage), Christian Kaiser Verlag: München, 1981, S 121f.