Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.
Isaiah 40:1
(Jes 40,1)
Der Exekutivausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen erinnert auf seiner Online-Tagung vom 12.–16. Mai 2025 an die auf der Zyperntagung im November 2024 angenommene Erklärung und stellt fest, dass sich die Situation für die Menschen in Haiti seither deutlich verschlechtert hat und dass die internationale Gemeinschaft hier deutlich zu wenig Aufmerksamkeit und Engagement zeigt.
Die zunehmenden Gewaltausbrüche und die zahlreichen Todesfälle infolge der Taten krimineller Banden und Bürgerwehren und der Maßnahmen der Sicherheitskräfte sind weiter eskaliert. Allein im ersten Quartal 2025 wurden bei diesen Gewalttaten mindestens 1.617 Menschen getötet und 580 verletzt, und es wurden mindestens 161 Entführungen mit anschließender Lösegeldforderung verzeichnet. Die Vereinten Nationen zeigen sich alarmiert aufgrund der mindestens 802 Menschen, die bei Einsätzen der Sicherheitskräfte ihr Leben verloren haben, davon waren 20 % Zivilpersonen. Darüber hinaus wird über 65 standrechtliche Hinrichtungen berichtet, die von der Polizei und dem Regierungskommissar der Gemeinde Miragoâne zu verantworten sind. Weitere 60.000 Menschen wurden vor kurzem vertrieben, nachdem bereits Ende 2024 eine Million Haitianer und Haitianerinnen ihre Heimat verlassen mussten.
Wir weisen auf den aktuellen Bericht der UN-Sonderbeauftragten María Isabel Salvador an den UN-Sicherheitsrat hin, in dem es heißt, dass es „eine gezielte und koordinierte“ Kampagne von organisierten kriminellen Banden gibt, um ihre territoriale Kontrolle über Gebiete der Insel zu vergrößern und die Hauptstadt Port-au-Prince lahmzulegen, und dass das Ausmaß der Gewalt „Panik in der Bevölkerung ausgelöst hat.“
Mindestens 39 Gesundheitseinrichtungen und mehr als 900 Schulen wurden wegen der unsicheren Lage geschlossen. Die Cholera ist ausgebrochen und breitet sich immer weiter aus, und die sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt (SGBV) nimmt besonders in den Vertriebenencamps zu, in denen es einen eklatanten Mangel an Unterkünften, sanitären Einrichtungen und Schutz gibt.
In den fünf Monaten bis Februar 2025 hat es nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen 347 SGBV-Fälle gegeben. Kollektive Vergewaltigungen waren mit 61 % der Fälle die am weitesten verbreitete Straftat. Mindestens 35 Kinder wurden bei Angriffen von Gangs oder Aktionen der Polizei oder der Bürgerwehren getötet, 10 weitere verletzt. Viele Kinder wurden Opfer von Menschenhändlern oder als Kindersoldaten zwangsrekrutiert.
Wir bestätigen die Klage des Ständigen Vertreters Haitis bei den Vereinten Nationen, Ericq Pierre, dass „Haiti langsam stirbt.“
Die Krise wird zusätzlich dadurch verschärft, dass die benachbarte Dominikanische Republik haitianische Geflüchtete in immer größerer Zahl deportiert, allein im April waren davon 20.000 Menschen betroffen. Hier ist insbesondere ein starker Anstieg der Anzahl von extrem schutzbedürftigen Deportierten zu beobachten – in erster Linie Frauen, Kinder und Neugeborene. Vor kurzem hat die Dominikanische Republik im Rahmen ihres Programms gegen illegale Einwanderung Dutzende schwangere Frauen, Mütter mit Neugeborenen und Kinder zurück in das von Krisen zerrissene Haiti geschickt.
Wir fordern die [internationale Gemeinschaft][1] auf, sich mit den grundlegenden Ursachen dieser seit langem bestehenden und immer wieder ausbrechenden Krisen in Haiti zu befassen.
Wir verwiesen auf die in unserer Erklärung vom November 2024 vorgelegten Empfehlungen und wiederholen sie. Zusätzlich halten wir es für dringend erforderlich, mit der Regierung der Dominikanischen Republik über ihre Aktionen zu sprechen, die das Wohlergehen der Menschen aus Haiti und mit haitianscher Abstammung betreffen.
Wir fordern alle Mitglieder der [internationalen Gemeinschaft] auf, Haiti und das furchtbare Leid seiner Bevölkerung nicht zu vergessen. Wir appellieren an alle Staaten, ihre Unterstützung der multinationalen Mission zur Unterstützung der Sicherheit in Haiti (MSS) aufgrund der bestehenden existenziellen Notlage zu erhöhen.
Wir rufen alle ÖRK-Mitgliedskirchen auf, erneut christliche Solidarität mit dem haitianischen Volk zu zeigen und um Gottes Mitleid und eine Antwort auf die Schreie der Menschen in diesem geplagten Land zu beten.
[1] Einige Mitglieder haben ihre Vorbehalte hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „internationale Gemeinschaft“ angemeldet, denn ihrer Meinung nach und im Lichte der Erfahrungen des Konfliktes in Gaza existiert etwas, das als „internationale Gemeinschaft“ bezeichnet werden könnte, nicht mehr.