Kirchenlehrer und Glaubenszeugen der Alten Kirche: Raum für ökumenische Konvergenz

Von Archimandrit Dr. Cyril Hovorun

Ich spreche zu Ihnen im Namen und Auftrag von Erzbischof Hilarion (Alfeyev), einem der Ko-Vorsitzenden der Studie über Tradition und Traditionen: Quellen der Autorität der Kirche, die im Anschluss an die Plenartagung der Kommission von Glauben und Kirchenverfassung in Kuala Lumpur (2004) in die Wege geleitet wurde. Da Erzbischof Hilarion durch seinen neuen Auftrag als Leiter des Kirchlichen Außenamts des Moskauer Patriarchats sehr in Anspruch genommen ist, hat er mich gebeten, ihn auf dieser Plenartagung zu vertreten und über die erwähnte Studie und ihre erste Konsultation Kirchenlehrer und Glaubenszeugen der Alten Kirche: eine gemeinsame, aber unterschiedlich rezipierte Quelle der Autorität? zu sprechen. Er versichert Ihnen, dass er dieser Studie nach wie vor große Beachtung schenkt. Als Patristiker und Teilnehmer an vielen ökumenischen Tagungen halte ich es im Interesse einer breitere Akzeptanz der Dialoge für entscheidend wichtig, ökumenische Studien mit Einsichten aus den frühen Quellen der Autorität in der Kirche zu untermauern. Ich werde in meinen Ausführungen zu erklären versuchen, warum dies so ist.

Für jeden ökumenischen Dialog ist die Methodik von entscheidender Bedeutung. Bei dem Bemühen um richtige ökumenische Methoden geht es darum, Spielraum für wirksame ökumenische Konvergenzen zu finden. Seit der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Montreal (1963) und der Plenartagung von Glauben und Kirchenverfassung in Bristol (1967) ist das Erbe der Kirchenväter als ein solcher Raum herausgestellt worden. Seither scheint dieser Raum jedoch aufgegeben worden zu sein und wird in den ökumenischen Diskussionen praktisch nicht mehr genutzt. Als Reaktion of diese bedauerliche Situation machte Erzbischof Hilarion auf der Plenartagung von Glauben und Kirchenverfassung in Kuala Lumpur den Vorschlag, patristische Studien als gemeinsame Quelle der Autorität in der Alten Kirche wieder in den ökumenischen Diskurs aufzunehmen. Im September 2008 traf sich dann eine Gruppe aus Plenarmitgliedern von Glauben und Kirchenverfassung und eingeladenen Experten in Cambridge (Großbritannien), um – wie es in ihrem Bericht heißt – „die Möglichkeit zu untersuchen, einige besondere Quellen der Autorität zu entdecken, wiederzuentdecken oder ganz neu zu rezipieren, die uns auf unserem gemeinsamen Weg zur Einheit der Kirche voranbringen könnten.“

Bevor ich auf bestimmte Aspekte dieses Berichts eingehe, möchte ich auf eine interessante Diskussion hinweisen, die ich vor kurzem mit dem Rektor des Augustianums in Rom führte, einem der herausragendsten Zentren patristischer Studien in der Welt. Wir waren uns darin einig, dass im ökumenischen Dialog die Lehrer und Zeugen der Alten Kirche nicht als ein Mittel konfessioneller/denominationeller Propaganda benutzt werden dürfen. Wenn wir damit anfangen, sie für Propagandazwecke einzuspannen, verraten wir sie. Wir sollten sie nicht mit vorgefassten Erwartungen im Blick auf das, was sie uns zu sagen haben, studieren. Es ist unfair, den altkirchlichen Lehrern und Zeugen unsere eigenen Ideen aufzuzwingen. Wir müssen vielmehr sorgfältig hinhören, was sie uns sagen möchten, und nicht, was wir von ihnen hören möchten. Um diese Art der Verzerrung des patristischen Denkens zu vermeiden, sollte bei den Forschungen mit wissenschaftlicher Kritik vorgegangen werden. Gründliche und akkurate wissenschaftlich-akademische Studien der Kirchenväter helfen uns, stereotype Vorstellungen zu überdenken, Vorurteile und falsche Gedanken über uns selbst und die anderen hinter uns zu lassen und schließlich festzustellen, dass wir einander näher gekommen sind!

Im Cambridge-Bericht sind die gleichen Gedanken zu finden. Dort heißt es insbesondere: „Zur Stärkung des consensus fidei unter gespaltenen Christen wird es heute nur dann kommen, wenn wir im lebendigen Konsens mit unseren gemeinsamen Vätern und Müttern im Glauben stehen, die in den ersten christlichen Jahrhunderten gelebt haben.“ Um zu diesem Konsens mit den frühen Lehrern und miteinander zu gelangen, müssen wir sorgfältig mit dem patristischen Erbe umgehen und ihm mit der angemessenen wissenschaftlicher Kritik begegnen. So heißt es in dem Bericht: „Es wurde betont, dass die historisch-kritische Methode und andere hermeneutische Hilfsmittel weiterhin eine unerlässliche Basis für unsere Reflexion über Tradition und Traditionen bilden. Universitäten und Forschungseinrichtungen stellen in unserer heutigen Zeit oft Zentren ökumenischer Annäherung dar und es herrschte Übereinstimmung darüber, dass theologische Forschung wichtig ist, weil sie manchmal recht naive konfessionelle Standpunkte, die im Prozess der Überlieferung von Traditionen entstanden sind, korrigiert.

Ein weiterer zu beachtender wichtiger Punkt im Blick auf die Kirchenväter ist, dass es undenkbar ist, sie zu studieren, ohne sich in die Heilige Schrift zu vertiefen. Im Cambridge-Bericht heißt es dazu: „Die Autorität der Mütter und Väter der Kirche erwächst aus ihrer innigen Beziehung zum Zeugnis der Schrift.“ Die moderne patristische Forschung ist zu einer Wiederentdeckung der wesentlichen inneren Verbindung von patristischer Denkweise und Sprache mit der Heiligen Schrift gelangt. Wir können die Kirchenväter von der Schrift losgelöst betrachten, doch die Kirchenväter selbst haben dies nicht zugelassen. Sie haben alle ihre Gedanken mit dem Wort Gottes in Wechselbeziehung gebracht. Eine sprachliche Analyse ihrer Texte zeigt, dass sie die Sprache der Bibel als Stoff benutzten, um daraus ihre eigenen Texte zu weben. Sie lebten und atmeten die Heilige Schrift.

Die ökumenische Gemeinschaft sollte diese Verbindung zwischen den frühen Lehrern und der Heiligen Schrift sowie auch ganz allgemein die potenziellen Möglichkeiten der patristischen Studien für den Erfolg des ökumenischen Dialogs würdigen. Wir sollten auch praktische Schritte erörtern, wie der theologische Raum, den die Kirchenväter bieten, für ökumenische Zwecke genutzt werden kann. Vielleicht wird die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung eines Tages wieder Studien über bestimmte Kirchenväter einführen, wie es von der in Cambridge tagenden Studiengruppe empfohlen wurde. Dies würde die Arbeit der Patristischen Studiengruppe fortführen, die in den 60er-Jahren arbeitete und Forschungsarbeit zur Abhandlung des Heiligen Basilius von Caesarea über den Heiligen Geist und zu den vier Briefen des Athanasius von Alexandria an Serapion von Thmuis über die Göttlichkeit des Heiligen Geistes leistete.

Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich zwei konkrete Vorschläge machen:

1. eine Studie auf den Weg zu bringen, die die enge geistliche und sprachliche Verbindung zwischen den frühen kirchlichen Lehrern und Glaubenzeugen und der Heiligen Schrift aufzeigt;

2. zu überlegen, ob die Praxis eingeführt werden kann, dass jedes wesentliche ökumenische Dokument in Verbindung mit relevanten patristischen Studien vorgelegt werden muss. Zu diesem Zweck sollten Gruppen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gebildet werden, die patristische Begleitstudien zu den jeweiligen Dokumenten erarbeiten. In diesen Begleitstudien sollten die im Mittelpunkt der Diskussion stehenden ökumenischen Fragen aus der Sicht der frühen Kirchenlehrer und Glaubenszeugen betrachtet werden.

Eine solche Praxis wird einerseits die Rezeption der ökumenischen Dokumente durch jene Kirchen erleichtern, die sich auf das Wort der Alten Kirche stützen. Auf der anderen Seite wird sie für jene Kirchen, die sich nicht ausdrücklich auf das gemeinsame Erbe konzentrieren, den Gesichtskreis im Blick auf verschiedene theologische Fragen erweitern. Ich glaube, dass die patristischen Einsichten für die gesamte ökumenische Familie ein umfassenderes Spektrum für die Verbindung zwischen dem Wort Gottes, der Vergangenheit, der Gegenwart und der eschatologischen Vollendung der Kirche eröffnen.