Angenommen von der 10. ÖRK-Vollversammlung als Teil des Berichts des Ausschusses für öffentliche Angelegenheiten
Übersetzt aus dem Englischen vom Sprachendienst des ÖRK

Das Recht auf eine Staatsangehörigkeit ist ein grundlegendes Menschenrecht, das in Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist. Unsere Staatsangehörigkeit ist eine Grundlage für unsere Identität, unsere Menschenwürde und unsere Sicherheit. Sie ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir auch alle anderen Menschenrechte in Anspruch nehmen und ihren Schutz genießen können.

Gegenwärtig gibt es weltweit mehr als zehn Millionen Menschen, die ohne jede Staatsangehörigkeit leben: Sie sind staatenlos. Die meisten dieser staatenlosen Menschen haben ihr Heimatland nicht verlassen.

Zu Staatenlosigkeit kann es aus mehreren Gründen kommen. In einigen Fällen sind es Formalitäten der Rechtsvorschriften zur Staatsangehörigkeit oder die Verfahren zum Erwerb von Dokumenten, welche die Staatsangehörigkeit beweisen. Häufiger jedoch ist Diskriminierung die Ursache. Oft werden Minderheiten aufgrund ihrer Rasse, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion oder ihrer Sprache willkürlich diskriminiert und von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

Diese Art von Diskriminierung in den Gesetzen zur Staatsangehörigkeit hat mehr als 800.000 Rohingya – eine in Myanmars Rakhine State lebende, ethnische muslimische Minderheit – trotz ihrer jahrhundertealten Verbindungen mit Myanmar, staatenlos gemacht. Während der vergangenen 30 Jahre wurden die Rohingya weitreichenden Diskriminierungen unterworfen, wie der Verweigerung der Staatsbürgerschaft, der Verweigerung der Freizügigkeit und der Verweigerung des Rechts, eine Ehe zu schließen. Sie mussten Zwangsarbeit leisten und wurden inhaftiert. Aufgrund dieser diskriminierenden Bedingungen innerhalb des Landes flohen mehr als 200.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch, wo jedoch nicht einmal 30.000 von ihnen offiziell als Flüchtlinge anerkannt sind. Die meisten nicht registrierten Rohingya leben in inoffiziellen, notdürftigen Flüchtlingssiedlungen, in denen die Unterkünfte baufällig sind und Unterernährung weit verbreitet ist. Trotz dieser Bedingungen wurde Hilfsorganisationen mitunter die Genehmigung verwehrt, den nicht registrierten Flüchtlingen zu helfen. Ohne Niederlassungs- oder Arbeitserlaubnis leben die nicht registrierten Flüchtlinge in steter Angst vor Verhaftung und Zwangsrückführung nach Myanmar. Fehlende Dokumente machen die Frauen und Mädchen der Rohingya besonders anfällig für körperliche Übergriffe, sexuelle Gewalt und Menschenhandel. Angehörige der Rohingya sind auch in den Golfstaaten zu finden und viele wagten die gefährliche Seereise in andere Länder Asiens – oder kamen bei einem derartigen Versuch ums Leben.

Bhutanerinnen und Bhutaner in Nepal, die auch Lhotshampa genannt werden, sind ein weiteres Beispiel für ein staatenloses Volk. Sie sind Nachkommen nepalesischer Migranten, die sich in den späten 1890er Jahren in Südbhutan niederließen, da sie ursprünglich von der Regierung Bhutans angeworben wurden, um den Dschungel in den südlichen Landesteilen zu roden. 1958 verabschiedete die bhutanische Regierung ein Gesetz zur Staatsangehörigkeit, welches den Lhotshampa die bhutanische Staatsbürgerschaft gewährte. In den 1980er Jahren ergriffen die bhutanischen Behörden jedoch eine Reihe politischer Maßnahmen, bekannt als „Bhutanisierung“, die darauf abzielten, einen einheitlichen Staat mit Kultur, Religion und Sprache der buddhistischen Druk zu schaffen. Nach der Volkszählung von 1988 wurden die Lhotshampa als „illegale Einwanderer“ eingestuft und die Regierung führte neue Bedingungen für die Staatsbürgerschaft ein, die viele ethnische Nepalesinnen und Nepalesen ihrer Staatsangehörigkeit beraubte. Bis 1991 flohen Zehntausende nach Indien und die meisten weiter nach Nepal. Über die Hälfte der 110.000 bhutanischen Flüchtlinge in Nepal wurde nun in Drittländer umgesiedelt, während der Rest weiterhin in Lagern auf eine Lösung wartet.

In Côte d‘Ivoire wurde Hunderttausenden Nachkommen der in Kolonialzeiten ins Land gebrachten Wanderarbeiter die Staatsangehörigkeit verweigert, weil sie als „Ausländer“ gelten und als solche von der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen sind. Diese diskriminierende Behandlung war eine der Hauptursachen für den anhaltenden Konflikt in dem Land. Die Regierung unternimmt jetzt Schritte, um die Situation vieler betroffener Menschen zu lösen.

Das Allgemeine Migrationsgesetz der dominikanischen Regierung von 2004 hat das Recht von Dominikanern haitianischer Abstammung, automatisch die dominikanische Staatsangehörigkeit zu bekommen, abgeschafft. Das Gesetz galt rückwirkend und machte damit alle Kinder haitianischer Eltern, die vor 50 oder 60 Jahren in die Dominikanische Republik eingewandert waren, staatenlos. Verfassungsänderungen von 2010 haben entsprechende neue Maßstäbe für die dominikanische Staatsangehörigkeit gesetzt. Am 23. September 2013 hat das Verfassungsgericht der Dominikanischen Republik erklärt, dass die Kinder von Einwanderern aus Haiti ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung – auch solche, die schon vor Jahrzehnten auf dominikanischem Boden geboren wurden – fortan nicht mehr das Recht auf die dominikanische Staatsangehörigkeit haben. Diese Entscheidung betrifft den Status von Zehntausenden Menschen in der Dominikanischen Republik, die niemals eine andere Staatsangehörigkeit hatten. Sie nimmt allen Menschen, die nach 1929 geboren sind und nicht mindestens einen Elternteil dominikanischer Abstammung haben, die dominikanische Staatsangehörigkeit.

Auch zahlreiche Roma, die über verschiedene europäische Länder zerstreut leben, werden nicht nur häufig stigmatisiert und diskriminiert, sondern sind außerdem staatenlos. Ihre fehlende Staatsbürgerschaft, und damit auch ihre fehlenden Ausweispapiere, letztlich das Fehlen ihrer administrativen Existenz, hindern sie daran, Zugang zu den grundlegenden Menschenrechten wie Bildung und Gesundheitsversorgung, Registrierungen von Geburt oder Heirat usw. zu bekommen, und verstärken die Gefahr, dass sie weiterhin marginalisiert werden.

Auch wenn es schon vor der Zeit der Sowjetunion eine russischsprachige Minderheit in Lettland gab, wurden mehr als eine halbe Millionen früherer Sowjetbürgerinnen und -bürger, die auf lettischem Staatsgebiet leben und der russischen Minderheit im Land angehören, durch das lettische Staatsbürgerschaftsgesetz von 2004 als „Nichtstaatsangehörige“ eingestuft und somit staatenlos.

Staatenlosigkeit kann auch entstehen, wenn Gesetze zur Staatsangehörigkeit Frauen und Männer nicht gleich behandeln. Mehr als 25 Länder in Afrika, Asien, Nord- und Südamerika sowie im Nahen Osten unterbinden weiterhin, dass Mütter wie die Väter ihre Staatsangehörigkeit an Kinder weitergeben können. Wenn Väter staatenlos, abwesend oder außerstande sind, ihre Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder zu übertragen, werden ihre Kinder ebenfalls staatenlos.

Des Weiteren ist auch die Staatennachfolge eine weit verbreitete Ursache von Staatenlosigkeit, wenn es Menschen nicht gelingt, ihre Staatsbürgerschaft im Nachfolgestaat zu behalten. Als zum Beispiel die ehemalige Sowjetunion, Jugoslawien und die Tschechoslowakei auseinanderbrachen, wurden viele Menschen in Mittel- und Osteuropa, Zentralasien und auf dem Balkan staatenlos. Migranten sowie ethnische und soziale Randgruppen waren davon am stärksten betroffen.

Staatenlose Menschen gibt es überall auf der Welt. Viele Migranten werden staatenlos, wenn sie ihr Land verlassen und plötzlich schuldlos irgendwo ohne Staatsbürgerschaft stranden. Mehrere tausend Menschen aus Myanmar, der ehemaligen Sowjetunion, dem ehemaligen Jugoslawien und von vielen anderen Orten leben staatenlos in den USA. Trotz der Tatsache, dass sie Staatenlose sind und somit weder reisen noch rechtmäßig in einem anderen Staat leben dürfen, gewährt ihnen das US-Einwanderungsgesetz keinen Schutz. Für Menschen ohne Staatsangehörigkeit ist es daher fast unmöglich, eine Aufenthaltsgenehmigung oder die Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika zu erlangen, solange sie nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Viele von ihnen werden unter Umständen für einen langen Zeitraum von der Einwanderungsbehörde inhaftiert, obwohl es keine Hoffnung gibt, dass sie in ein anderes Land ausreisen können.

Ähnlich schwere Lebensbedingungen aufgrund ihrer Staatenlosigkeit treffen verschiedene Bevölkerungsgruppen auf der ganzen Welt, wie zum Beispiel Kinder haitianischer Herkunft in der Karibik oder die als „Bidun“ bekannten Menschen, die zum Zeitpunkt der kuwaitischen Unabhängigkeit keine Staatsangehörigkeit erlangten. Allerdings kann man feststellen, dass manche Staaten, wie zum Beispiel Simbabwe, sich verstärkt bemühen, das Problem der Staatenlosigkeit durch Gesetzesreformen anzugehen.

Staatenlose Menschen leben in rechtlicher Ungewissheit. Ohne jeglichen Schutz irgendeines Staates werden Staatenlose häufig ausgebeutet und insbesondere Frauen und Kinder sind anfällig für Menschenschmuggel, Belästigung und Gewalt. Da Staatenlose keine anerkannten und registrierten Bürgerinnen und Bürger irgendeines Landes sind, werden ihnen auch die daraus resultierenden Rechte, wie das Recht auf legale Niederlassung, auf die Registrierung von Kindern bei der Geburt, auf Bildung und medizinische Versorgung, auf reguläre Arbeitsverhältnisse und auf Unterkunft verweigert. Oft wird staatenlosen Personen auch nicht gestattet, Grund und Boden zu besitzen, ein Bankkonto zu eröffnen oder legal zu heiraten. Staatenlose sind ständig Reisebeschränkungen und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Weil sie in keinem Land Staatsbürger sind, kämpfen unsere staatenlosen Schwestern und Brüder Tag für Tag mit unzähligen Schwierigkeiten und Entbehrungen, wie zum Beispiel der unnötigen Trennung von ihren Familien und der allgemeinen Unsicherheit darüber, was ihr Leben bringen könnte, oder ob sie ihre Hoffnungen und Ziele jemals werden verfolgen können.

Staatenlosen Menschen werden also nicht nur ihre Rechte verweigert und sie leben in rechtlicher Ungewissheit, ihre Lage wird von der Gesellschaft im Allgemeinen kaum wahrgenommen. Der Eindruck unsichtbar zu sein, führt zu einem lähmenden Gefühl der Verzweiflung. Ihre Zwangslage nötigt viele Staatenlose, internationale Grenzen zu überqueren und zu Flüchtlingen zu werden.

Weil Staaten das souveräne Recht haben, Verfahren und Bedingungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu bestimmen, können die Probleme der Staatenlosigkeit und der umstrittenen Staatsangehörigkeit letztlich nur von Regierungen gelöst werden. Staatliche Bestimmungen über Staatsangehörigkeit müssen jedoch den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts entsprechen, die im Übereinkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit von 1961 und in Menschenrechtsabkommen wie dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes verankert sind. Letzteres legt unter Anderem grundlegende Rechte wie das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung fest. Das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 formuliert Standards für den Schutz von Staatenlosen. Zusammen bilden diese Verträge den internationalen Rahmen für den Schutz staatenloser Menschen sowie für die Vermeidung und Reduzierung von Staatenlosigkeit.

Das Engagement der Kirche für Menschenrechte hat eine lange theologische Tradition. Die zugrunde liegende theologische Prämisse der aktiven Sorge für die Leidenden ist der Glaube, dass alle Menschen von Gott geschaffen wurden und eine untrennbare Einheit bilden. Solidarität und Mitgefühl sind Tugenden, zu deren Ausübung alle Christinnen und Christen, unabhängig von ihrem Besitz, als Zeichen ihrer christlichen Nachfolge aufgerufen sind. Mitgefühl, gegenseitige Fürsorge und das Erkennen des Abbildes Gottes in allen Menschen gehören zum Kern unserer christlichen Identität und sind Ausdruck der christlichen Nachfolge. Humanitäres Verhalten ist ein wesentlicher Teil des Evangeliums. Micha 6,8 beauftragt uns, „Recht zu üben“ (Zürcher Bibel). Und das Gebot der Liebe, das höchste Gebot unseres Herrn Jesus Christus, besagt, dass wir Gott und unseren Nächsten lieben sollen.

Das Wort Gottes warnt das hebräische Volk: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ (2.Mose 22,20). In seiner Predigt in der Synagoge zu Nazareth in Lukas 4,18-19 bringt auch Jesus Gottes Herrschaft der Gerechtigkeit, der Befreiung und des Wohlergehens aller Menschen zum Ausdruck. Sein Gleichnis vom Hirten, der die Schafe von den Böcken scheidet, lenkt die Aufmerksamkeit klar darauf, solidarisch mit den Menschen zu sein, die diskriminiert werden, ausgegrenzt sind und leiden (das trifft auf Staatenlose und Minderheiten zu): „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“ (Mt 25,35-36).

Diese biblischen und theologischen Grundlagen motivieren uns als Kirchen und christliche Institutionen, unsere christliche Verpflichtung zum Ausdruck zu bringen und getreu unserem prophetischen Zeugnis für die Rechte derer unsere Stimme zu erheben, die keine Stimme haben und ausgegrenzt sind, wie zum Beispiel die staatenlosen Menschen. Die christliche Familie sollte sich daher des Elends der staatenlosen Menschen annehmen, da dieses Engagement unsere allgemeinen grundlegenden Prinzipien und Werte widerspiegelt: dass jeder Mensch das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit hat, das Recht auf Bildung, auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Freiheit von Sklaverei und Folter, das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions-, Meinungs- und Meinungsäußerungsfreiheit und das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Staatenlosen Menschen werden alle diese Rechte verweigert, sie werden von keinem Land anerkannt.

Die 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die vom 30. Oktober bis 8. November 2013 in Busan, Republik Korea, tagt, bringt ihre tiefe Besorgnis über das Elend staatenloser Menschen auf der ganzen Welt Ausdruck und

  1. A. bekräftigt daher, dass das Recht auf Leben, auf Sicherheit und auf grundlegende Menschenrechte allgemeingültige Grundprinzipien und Werte sind, auf die jeder Mensch einen Anspruch hat;
  2. B. erkennt an, dass die Verweigerung einer Staatsangehörigkeit ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte ist, der Menschen in allen Regionen betrifft;
  3. C. ermutigt die Kirchen, Bewusstsein zu schaffen für die Situation der staatenlosen Menschen im eigenen Land und auf der ganzen Welt, und für den Schutz der Menschenrechte einzutreten;
  4. D. appelliert an die Kirchen, in einen Dialog mit den Staaten zu treten, damit diese Maßnahmen verabschieden, die staatenlosen Menschen eine Staatsangehörigkeit geben und sie mit gültigen Ausweispapieren ausstatten;
  5. E. erkennt an, dass manche Regierungen ihr Staatsbürgerschaftsrecht positiv verändert haben, und ermutigt andere Staaten, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen;
  6. F. fordert die Kirchen, die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsorganisationen sowie die Institutionen der Vereinten Nationen und regionale Organisationen dringend zu Zusammenarbeit auf, damit Staatenlosigkeit angemessen und wirksam reduziert und ausgerottet werden kann;
  7. G. betet für staatenlose Menschen auf der ganzen Welt, damit ihre Stimmen gehört und ihr Elend verstanden wird; und
  8. H. ersucht den ÖRK, die Problematik der Staatenlosen als einen seiner programmatischen Arbeitsschwerpunkte bis zur kommenden 11. ÖRK-Vollversammlung aufzunehmen.

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