Einleitung

Wir alle erinnern uns noch sehr gut an den März 2020: Die Welt verabschiedete sich in den Lockdown, als sich die COVID-19-Pandemie in der Welt auszubreiten begann. Eigentlich hatte der Zentralausschuss damals im März 2020 in Genf tagen sollen. Aber erst jetzt ist eine solche Präsenz-Tagung wieder möglich.

In den letzten zwei Jahren haben wir alle Dinge erlebt, die wir nicht für möglich gehalten haben. Unser Exekutivausschuss tagt normalerweise zwei Mal im Jahr. Seit März 2020 jedoch hat er ganze elf Mal getagt – neun Mal online und zwei Mal in Präsenz. Der Zentralausschuss, der eigentlich alle zwei Jahre tagt, hat in zwölf Monate zwei Mal online und einmal in Präsenz getagt. Sie haben meine Rechenschaftsberichte erhalten, die darlegen, wie unsere Programmarbeit angepasst und auch in der Pandemie erfolgreich durchgeführt wurde.

Der ÖRK ist auch heute eine lebendige Gemeinschaft von Kirchen, die mit Kirchenräten, anderen Kirchengemeinschaften, kirchlichen Diensten und Werken und Schwesterorganisationen zusammenarbeitet, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Ich möchte dem Vorsitz des Zentralausschusses, den Mitgliedern des Exekutivausschusses, Ihnen, den Mitgliedern des Zentralausschusses, unseren ökumenischen Partnern und allen Mitarbeitenden für das immense Engagement und den enormen Einsatz für den Ökumenischen Rat der Kirchen von Herzen danken. Ohne Sie alle wären wir heute nicht hier, um die Geschäfte abschließend zu bearbeiten, die dem bei der Vollversammlung 2013 in Busan gewählten Zentralausschuss anvertraut wurden.

In meinem vorliegenden Bericht möchte ich beispielhaft von den Schmerzen, der Freude und von einigen Zeichen der Hoffnung berichten, die ich auf unserem gemeinsamen Weg hin zu 11. Vollversammlung erkenne, auf dem wir uns von der Liebe Christi für eine Welt inspirieren lassen, die Versöhnung und Einheit dringend nötig hat.

Sich mit den Wunden beschäftigen

Seit der letzten Vollversammlung ist die Kirchengemeinschaft gemeinsam auf einem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens unterwegs. Auf diesem Pilgerweg haben wir uns vielerorts mit vielen Wunden beschäftigt. Wir haben das Leid und den Schmerz der Menschen und der Schöpfung gesehen. In verschiedenen Regionen der Welt sind Kriege und Konflikte ausgebrochen, die viele Todesopfer gefordert und Zerstörung, Hunger, die Vertreibung von ganzen Bevölkerungsgruppen und viele Flüchtlinge zur Folge hatten. Und all das waren wichtige Anliegen für die ÖRK-Gemeinschaft und wir haben unser Bestes getan, um darauf zu reagieren und unsere Solidarität mit den notleidenden Menschen und unseren Mitgliedskirchen zu bekräftigen. 

a) Der Krieg in der Ukraine: Als der Zentralausschuss im Februar zu einer Online-Tagung zusammengetreten ist, war der Konflikt in der Ukraine noch nicht ausgebrochen. Weil dieser Krieg mitten in Europa geführt wird, wo unsere anstehende Vollversammlung in diesem Jahr stattfinden soll, und weil er durch die nukleare Bedrohung und die Nahrungsmittelkrise, von denen die Menschen in vielen Teilen der Welt direkt betroffen sind, weltweit Auswirkungen hat, möchte ich etwas ausführlicher darauf eingehen.

Der ÖRK hat den Krieg von Anfang verurteilt, hat von Anfang an zu einem sofortigen Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen und der Achtung des Völkerrechts und der Souveränität der Ukraine aufgerufen und hat von Anfang an ein Ende der willkürlichen Angriffe mit zunehmenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung angemahnt. Vom ersten Tag des Krieges an stand der ÖRK im Scheinwerferlicht der Medien und bis heute haben mehr als 5.000 Artikel die Rolle des ÖRK erwähnt.

Die Reaktionen des ÖRK waren konsequent und gleichbleibend:

  • Er verurteilt Gewalt als Mittel zur Lösung eines Konflikts
  • Er ruft zum Schutz unschuldiger und vulnerabler Menschen auf
  • Er hält den Kontakt und den Dialog mit den Kirchen in Russland und in der Ukraine aufrecht
  • Er bindet die Kirchen aus Nachbarländern in die Gespräche am Runden Tisch ein
  • Er setzt sich für humanitäre Hilfe und sichtbare Ausdrucksformen von Unterstützung in der Ukraine, in Ungarn, Rumänien und Russland ein

In jedem Moment habe ich dafür gebetet, dass der ÖRK ein Ort für Dialog, für gegenseitiges Zuhören und gegenseitigen Beistand und für Frieden und Versöhnung sein möge. Wir sind und sollten auch weiterhin eine Alternative zu den geopolitischen Lösungsversuchen sein, die Spaltungen derzeit nur anheizen wollen.

Wir haben in den letzten Monaten mehrfach Briefe und Nachrichten von Einzelpersonen erhalten, die uns aufgefordert haben, die Russische Orthodoxe Kirche aus der Gemeinschaft des ÖRK „hinauszuwerfen“. In Absprache mit den Vorsitzenden des Zentralausschusses habe ich auf derartige Gesuche reagiert, wie auch in der Vergangenheit auf solche Gesuche reagiert wurde, als der ÖRK mit ähnlichen Situationen und Fällen konfrontiert war. Das Ergebnis war in allen Fällen immer eindeutig: Der ÖRK wurde als eine offene Plattform für Dialog und Begegnung geschaffen, er sollte auf dem Weg zur Einheit Möglichkeiten für einen Austausch und das sich gegenseitige Hinterfragen bieten. Außer bei Nichtbeachtung der in der Verfassung formulierten theologischen Basis, hat der ÖRK noch nie eine Kirche ausgeschlossen, es sei denn die Kirche ist selbst ausgetreten. So hat es der ÖRK sogar bei der Niederländisch-reformierten Kirche im südlichen Afrika gehalten, die die Apartheid unterstützte und theologisch rechtfertigte. Das hatte zu heftigen Debatten und Verurteilungen durch andere ÖRK-Mitgliedskirchen geführt. Letztendlich hat sich die Kirche aus eigenen Stücken aus dem ÖRK „ausgeschlossen“, weil sie das Gefühl hatte, dort nicht mehr dazuzugehören. Aber es war keine Entscheidung des ÖRK, die Mitgliedschaft der Niederländisch-reformierten Kirche auszusetzen oder sie gar auszuschließen.

Wie viele andere verspüre ich großen Schmerz, insbesondere als geschäftsführender Generalsekretär des ÖRK. Aber auch als orthodoxer Priester, denn ich weiß, dass die orthodoxen Kirchen in Russland und in der Ukraine viele treue gläubige Mitglieder haben. Wir alle empfinden Hoffnungslosigkeit, sind verärgert, frustriert, enttäuscht – und tendieren als emotionale Menschen dazu, unmittelbare radikale Entscheidungen zu fordern. 

Als Jüngerinnen und Jünger Christi aber wurden wir mit dem Versöhnungsdienst beauftragt und das Thema der 11. ÖRK-Vollversammlung erinnert uns alle daran, dass die Liebe Christi die Welt bewegt, versöhnt und eint. Es wäre ganz einfach, die Sprache der Politik zu verwenden, aber wir sind aufgerufen, die Sprache des Glaubens zu verwenden, die Sprache unseres Glaubens. Es wäre ganz einfach, auszugrenzen, aus der Gemeinschaft aufzuschließen und zu verteufeln, aber wir sind als ÖRK aufgerufen, eine freie und sichere Plattform der Begegnung und des Dialogs zu nutzen, einander zu begegnen und einander zuzuhören, auch wenn wir einmal nicht einer Meinung sind. So hat es der ÖRK schon immer gehandhabt. Ich glaube an die Kraft des Dialogs in dem Prozess hin zu Versöhnung. Aufgezwungener Frieden ist kein Frieden; dauerhafter Frieden muss ein gerechter Frieden sein. Krieg kann niemals gerecht oder heilig sein; töten ist töten und muss durch Dialog und Verhandlungen vermieden werden.

Ich bewundere inzwischen immer mehr die Weisheit und Weitsicht unserer Amtsvorgängerinnen und Amtsvorgänger. Visser ’t Hooft hat immense Anstrengungen unternommen, um die Kirchen aus dem Sowjet-Block in den ÖRK zu holen, obwohl sie die scheußliche kommunistische Ideologie und die totalitären Regime „unterstützten“. Sie wurden aufgefordert, der internationalen ÖRK-Gemeinschaft als Kirchen beizutreten. Und die Kirchen, die unter dieser Unterdrückung leben mussten, haben sehr viel gewonnen.

Zum Abschluss meiner persönlichen Gedanken zu diesem Thema möchte ich noch eines hinzufügen: In der aktuellen Zeit und so lange ich noch als geschäftsführender Generalsekretär in dem Amt bin, das Sie mir anvertraut haben, werde ich nicht aufhören, gegen jegliche Form von Angriff, Invasion oder Krieg die Stimme zu erheben, werde ich weiterhin eine prophetische Stimme sein, aber ich werde auch alles in meiner Macht Stehende tun, um den ÖRK als das zu bewahren, wozu er gegründet wurde, und den Gesprächsfaden nicht abreißen, den Verhandlungstisch offen zu halten. Denn mit wem wollen wir reden, wie können wir uns für Versöhnung und einen dauerhaften gerechten Frieden einsetzen, wenn wir diejenigen ausschließen, die wir nicht mögen oder mit denen wir nicht einer Meinung sind?

b) Besuch bei unseren Mitgliedskirchen in Syrien: Als der Zentralausschuss im Februar zusammengetreten ist, habe ich angekündigt, dass wir einen Besuch bei unseren Mitgliedskirchen in Syrien planen. Der Besuch steht aktuell noch aus, aber es hat nach wie vor hohe Priorität für uns, die Kirchen noch vor der Vollversammlung in Karlsruhe zu besuchen.

Zusammen mit der Vorsitzenden des Zentralausschusses konnte ich mich immerhin mit den Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen in Syrien treffen, die im April für eine Konsultation ins Ökumenische Institut in Bossey gekommen waren. Wir sind übereingekommen, dass das Syrien-Programm des ÖRK unter voller Teilhabe der Kirchen in Syrien fortgesetzt wird, dass wir uns ihre Sorgen und Erwartungen anhören und gemeinsam planen und zusammenarbeiten wollen.

3) Besuch im Heiligen Land: Auch dieser Besuch soll noch vor der Vollversammlung stattfinden. Unser umstrukturiertes Büro in Jerusalem funktioniert reibungslos und wir sehen in den Arbeitsergebnissen und durch die Präsenz der Mitarbeitenden dort immer mehr Zeichen der Hoffnung. Trotzdem gibt es auch noch viele Probleme und Schwierigkeiten; aber wir bemühen uns intensiv um deren Lösung und bauen unsere Advocacy-Anstrengungen aus. Gleichzeitig haben wir versucht, einen ausgewogenen Ansatz zu verfolgen, gleichberechtigt mit allen zu sprechen und jede Verletzung von Menschenrechten oder der Menschenwürde anzuprangern, egal ob die Rechte oder die Würde von palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern oder von israelischen Bürgerinnen und Bürgern verletzt wurden. Unser Verhältnis zum Internationalen Jüdischen Komitee für interreligiöse Konsultationen (IJCIC) und dem Jüdischen Weltkongress hat sich deutlich verbessert. Auch wenn wir in Bezug auf konkrete Situationen oder Ereignisse oftmals unterschiedlicher Meinung sind, führen wir unseren aufrichtigen, freundlichen und offenen Dialog fort.

 

In unseren Vorbereitungen auf die Vollversammlung sind wir nun allerdings mit neuen zunehmenden Herausforderungen konfrontiert. Wie schon in der Vergangenheit haben bestimmte bekannte Gruppierungen insbesondere in Deutschland wieder begonnen, Stimmung gegen uns zu machen und den ÖRK als antisemitische Organisation darzustellen. Gleichzeitig hat die palästinensische Seite uns vorgeworfen, in der Anprangerung und Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen zu weich und nicht mutig genug zu sein. Auf den jüngsten Bericht von Amnesty International hin haben wir aus einigen unserer Mitgliedskirchen im Westen darüber hinaus Briefe, Gesuche und Vorschläge bekommen, die Grundeinstellung und Grundsätze des ÖRK im Rahmen der Vollversammlung in Karlsruhe zu ändern und Israel aufgrund der Art und Weise, wie er die palästinensische Bevölkerung behandelt, als Apartheidstaat anzuprangern. Alle diese Entwicklungen sind sehr komplex und heikel und haben schwerwiegende Auswirkungen.

Weil wir in erster Linie eine Gemeinschaft von Kirchen sind, wollen wir unsere Mitgliedskirchen und Geschwister im christlichen Glauben im Heiligen Land zunächst selbst besuchen, uns mit ihnen zusammensetzen und ihre Sichtweisen und Meinungen hören. Selbst das ÖRK-Programm dort vor Ort, das heute noch aktiv ist, wurde auf Bitten unserer Mitgliedskirchen aus der Taufe gehoben. Die Sichtweisen und Meinungen der Menschen vor Ort sind von fundamentaler Bedeutung, denn sie wissen am besten, was für sie und ihr Überleben und ihre Arbeit in ihrem konkreten Kontext am besten und zweckmäßig ist. Ich werde ihre Ansichten und ihre Stimme in die Vollversammlung tragen.

Gaben feiern

Auf unserem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens haben wir auch die Gaben gefeiert, die wir durch unsere Solidarität und unseren Austausch entdeckt haben – die Geschenke des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, das Geschenk der Anteilnahme und des Zusammengehörigkeitsgefühls, das Geschenk des gemeinsamen Zeugnisablegens für die Herausforderungen in der Welt als Jüngerinnen und Jünger Christi.

Nun steht die Vollversammlung vor der Tür und fast 90 Prozent aller Mitgliedskirchen werden dort vertreten sein. Es wird ein großartiges Fest des Glaubens, des Wiedersehens unter den Kirchen und ein aussagekräftiges Zeichen für die Welt.

Auf unserem Weg nach Karlsruhe standen wir vor so einigen Herausforderungen und zweifelsohne werden wir auch noch mit der ein oder anderen neuen Herausforderung konfrontiert. Die vor uns liegende Vollversammlung aber ist eine Vollversammlung der Resilienz. Wir planen und überarbeiten unsere Pläne immer wieder je nachdem, was in der Welt und im Leben der Kirchen so passiert. Zwei Jahre lang haben wir jetzt die Auswirkungen der Pandemie beobachtet. Unser Treffen hier in Genf heute ist ein konkretes Zeichen, dass die Pandemie uns nun nicht mehr im Weg steht, auch wenn Vorsichtsmaßnahmen immer noch notwendig sind.

Zwar hat die Pandemie dazu geführt, dass viele Dinge verschoben werden mussten, aber sie hat auch viel Neues möglich gemacht, wie zum Beispiel die Vorbereitung der Vollversammlung im virtuellen Raum. Gemeinsam mit vielen von Ihnen haben wir eine ganze Reihe regionaler, sub-regionaler und nationaler Online-Veranstaltungen zur Vorbereitung der Vollversammlungsdelegierten und anderen Teilnehmenden organisiert. Und es wird noch mehr geben.

 

Die vorbereitende Tagung der kirchlichen Dienste und Werke im März hat mit Nachdruck bekräftigt, dass das „Bekenntnis zu Einheit und dem Miteinanderteilen nicht auf das Leben der Kirchen und deren Wohl beschränkt werden [darf]. Es ist der Aufruf, in der Welt zu dienen, an Gottes Mission der Heilung und Versöhnung teilzuhaben und Zeichen der Hoffnung zu setzen und aufzuzeigen und durch Wort und Tat Gottes Herrschaft, seine Gerechtigkeit und seinen Frieden zu verkündigen.“

Vergangenen Monat erst hat die Interorthodoxe vorbereitende Tagung in Zypern stattgefunden. Es war ein historisches Treffen mit mehr als 50 Teilnehmenden aus den östlich-orthodoxen und den orientalisch-orthodoxen Kirchenfamilien. Trotz der Spaltungen und Spannungen innerhalb der beiden Kirchenfamilien haben alle in einem Geist des Dialogs, der Liebe und der Gemeinschaft an dem Treffen teilgenommen. Alle haben gemeinsam gebetet, sich aktiv an den Diskussionen beteiligt und gemeinsam einen Abschlussbericht und ein Kommuniqué formuliert. Auf unserem Weg zur Vollversammlung ist dieser theologische Input für uns alle sehr wichtig.

Ein besonderes Augenmerk hat die vorbereitende Tagung auf die Erörterung heikler Themen gelegt, die möglicherweise eine klare und deutliche Positionierung der orthodoxen Kirchen auf der Vollversammlung erfordern werden, wie zum Beispiel die Themen Israel und Palästina, die menschliche Sexualität und der Krieg in der Ukraine. Im Rahmen des Programms wurde auch eine spezielle Anhörung der Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche organisiert, die auch eine aufrichtige, ehrliche und offene Diskussion umfasste. Das Abschlusskommuniqué, das Krieg und Gewalt nachdrücklich verurteilt und zu Frieden und Versöhnung aufruft, wurde im Konsens beschlossen.

Unsere Arbeit zur Vorbereitung der Vollversammlung geht nun mit weiteren Online-Tagungen weiter. Aber wir können uns auch auf einige vorbereitende Präsenz-Tagungen in Karlsruhe selbst freuen. Das ökumenische Treffen junger Menschen wird das Engagement junger Menschen in der ökumenischen Bewegung fördern. Weitere vorbereitende Tagungen werden unser Engagement für gerechte Gemeinschaften von Frauen und Männern stärken, unsere Advocacyarbeit und unser Engagement für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ausbauen sowie unsere Solidarität mit indigenen Völkern voranbringen und uns helfen, von ihnen zu lernen. 

Der Fokus der Vollversammlung auf die Themen Liebe, Mitgefühl, Versöhnung, Heilung und Einheit vor dem Hintergrund der weltweiten Pandemie und des Kriegs werden in der Geschichte des ÖRK prägend sein für diese Vollversammlung, die Vollversammlung in Karlsruhe. 

 

Ungerechtigkeit verwandeln

Unser Pilgerweg ist fest verwurzelt in der Vision vom Gottesreich, in dem die Gerechtigkeit und der Frieden Gottes herrschen, einer Vision von Metanoia, die Schwerter in Pflugscharen verwandelt, einer Vision von einem Leben in voller Genüge für alle Menschen, bei dem niemand zurückgelassen wird, einer Vision, dass Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung und Einheit verwandelt wird.

Wir sind noch nicht am Ende unseres Pilgerwegs. Unsere Arbeit ist noch nicht erledigt. Der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens ist zu einer greifbaren und dynamischen Ausdrucksform einer Gemeinschaft geworden, die sich dazu bekennt und verpflichtet hat, gemeinsam einen Weg des Glaubens zu beschreiten. Die Besuche von Pilgerteams sind eine Form für gegenseitiges Kennenlernen und gegenseitige Ermutigung geworden, durch die die Anliegen und Erfahrungen der verschiedenen Kirchen sichtbarer werden.

Der Exekutivausschuss hat eine Evaluierung des Programms im Vorfeld der Vollversammlung beauftragt, damit die Vollversammlung besser verstehen kann, wie der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens die Kirchengemeinschaft in den letzten neun Jahren gestärkt hat. Dem Evaluierungsteam gehörten verschiedene Mitglieder und Beraterinnen und Berater des Zentralausschusses an. Ihr Bericht wurde letzte Woche fertiggestellt und wird der Vollversammlung vorgelegt werden. Viele von Ihnen haben selbst an der Umfrage teilgenommen, die das Evaluierungsteam durchgeführt hat, und haben sehr aufschlussreiche Rückmeldungen und Empfehlungen eingereicht.

Aufgrund zahlreicher Anhaltspunkte und Belege empfiehlt der Evaluierungsbericht „eine Fortsetzung des Pilgerwegs als Ausdruck unseres Engagements für die sichtbare Einheit von Christinnen und Christen, die in den Werten des Evangeliums verankert ist und das gemeinschaftliche Zeugnis der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung und Einheit fördert“. Die Evaluierung bestätigt, dass der Strategieplan des ÖRK, den der Zentralausschuss 2014 verabschiedet und 2018 erneuert hat, geholfen hat, einen ganzheitlichen Ansatz für unsere Arbeit zu fördern, und dass die Arbeit des ÖRK mit der Zeit zu transformierendem Wandel beiträgt.

Vor allem aber macht die Evaluierung Vorschläge, wie die Gemeinschaft weiter gestärkt werden kann, und weist darauf hin, dass den Anliegen der Kirchen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Sie ruft uns auf, fester in unserem gemeinsamen Verständnis und unserer gemeinsamen Vision verwurzelt zu sein, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen und unter den Mitgliedskirchen zu stärken. Sie empfiehlt, dass wir unser Engagement in den Regionen in Zusammenarbeit mit den entsprechenden ökumenischen Partnern ausbauen. Sie bestätigt, dass es wichtig ist, die Bedeutung der Aktivitäten des ÖRK genauer darzulegen und zu erläutern, anstatt einfach nur dem ÖRK als Institution mehr Sichtbarkeit zu geben. Ausgehend von den Erfahrung während der Pandemie empfiehlt sie eine Umstellung auf digitale Formate, um die Kirchengemeinschaft näher zusammenzubringen, Programme umzusetzen und sich mit dem Thema Gerechtigkeit im Zusammenhang mit neuen Kommunikationstechnologien zu beschäftigen.

Während ich jetzt beginne, meinen Bericht an die Vollversammlung vorzubereiten, bin auch ich zunehmend überzeugt, dass wir unseren gemeinsamen ökumenischen Weg auch weiterhin als Pilgerweg betrachten sollten. Wir sind eine Bewegung und keine statische Institution; das Bild eines Pilgerwegs bringt unsere Identität am besten zum Ausdruck. Darüber hinaus baut das Konzept des Pilgerwegs auf einem soliden biblischen und patristischen Fundament auf. Schon die ersten Christinnen und Christen waren aufgerufen „Anhänger dieses Weges“ zu sein (Apostelgeschichte 9,2). Frühe christliche Quellen bezeichnen Christinnen und Christen oftmals als diejenigen, die zusammen unterwegs sind (syn-odoi), und Johannes Chrysostomos nannte die Kirche sogar ein syn-odos.Thema der Vollversammlung in Frage gestellt und sogar angefochten, als es ausgewählt wurde, aber heute zeigt sich, dass es ein Glücksgriff war. Was könnte aktuell ein passenderes Thema sein als das Streben nach Versöhnung und Einheit? Pilgerweg der Versöhnung und der Einheit könnte ein guter Leitfaden und Orientierungspunkt für die Zukunft sein. Weil Versöhnung und Einheit nicht erreicht werden können, ohne dass wir uns auch zu Gerechtigkeit und Frieden bekennen, könnte es als übergreifendes Thema für die Zeit nach der Vollversammlung in Karlsruhe dienen.

Schluss

Abschließend möchte ich Ihnen noch einmal für Ihr Engagement und Ihren Einsatz für die Kirchengemeinschaft danken. Und ich danke Ihnen auch für Ihre Gebete, Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen in mich als geschäftsführenden Generalsekretär. Es ist mir und allen Mitarbeitenden des ÖRK eine Ehre dazu beizutragen, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitgliedskirchen zu stärken, damit diese ihrer gemeinschaftlichen Berufung zur Ehre des einen Gottes, Vater, Sohn und Heiliger Geist, gerecht werden können.

Hinsichtlich aller Angelegenheiten, die zur Beschlussfassung auf der Tagesordnung für diese Tagung stehen, bete ich zu Gott um einen Geist des Zusammengehörigkeitsgefühls und der Gemeinschaft, in der alle Mitglieder offen und ehrlich das Wort ergreifen, zuhören, diskutieren und gemeinsam erkunden können, was Gottes Wille ist, und dabei darauf vertrauen können, dass Gott Einstellungen und Haltungen verändern kann und dass Gott die Kirchen auf den richtigen Weg hin zu einem gerechten Frieden, Versöhnung und Liebe leiten wird.

Wir stehen an einem Wendepunkt der Geschichte und in den Augen vieler ist die heutige Lage ähnlich wie die Lage 1946/48, als der ÖRK gegründet wurde. Wir müssen verbunden durch Liebe und Einsatzbereitschaft zusammenstehen und unser Erbe für die Zeit nach der Vollversammlung in Karlsruhe muss ein starker und zukunftsweisender ÖRK sein.