EINLEITENDE BEMERKUNGEN

1. Das vorliegende Dokument wurde von einer multikulturellen und interdenominationellen Gruppe von Missionswissenschaftlern/innen, Ärzten/Ärztinnen und medizinischen Fachkräften erarbeitet. Es baut auf der Tradition der Christlichen Gesundheitskommission des ÖRK (CMC) und deren höchst fruchtbarem Beitrag zum Verständnis des heilenden Dienstes der Kirche auf. Dieses Dokument wiederholt nicht, was in früheren Texten des Ökumenischen Rates der Kirchen gut formuliert erhalten bleibt, wie in dem 1990 vom Zentralausschuss angenommenen Dokument "Healing and Wholeness. The Churches' Role in Health" (Heilung und Ganzheit. Die Rolle der Kirchen in der Gesundheitsarbeit). Jener Text stellt den Dienst der Heilung in den Kontext der Bemühungen um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hinein und bleibt weiterhin ein wesentlicher Beitrag, der sich in einer inzwischen globalisierten Welt als immer dringlicher erwiesen hat. Das vorliegende Studiendokument konzentriert sich hauptsächlich auf einige medizinische und theologisch-spirituelle Aspekte des heilenden Dienstes und deren Verbindung mit einem neueren ökumenischen Missionsverständnis. Es wird 2005 in Athen der Konferenz über Weltmission und Evangelisation (CWME) vorgelegt als Hintergrundpapier und als wichtiger Beitrag zu einem Dialog über die Relevanz des Konferenzthemas "Komm, Heiliger Geist, heile und versöhne! In Christus berufen, versöhnende und heilende Gemeinschaften zu sein".

Es sollte gemeinsam mit dem von der CWME-Kommission empfohlenen

Studiendokument über "Mission als Dienst der Versöhnung" 1 gelesen werden.

Das vorliegende Dokument erhebt nicht den Anspruch, letztgültige Aussagen über Heilung oder Mission zu machen, sondern hofft, die Debatte zu bereichern und Christen/Christinnen und Kirchen dazu zu befähigen, ihrer Berufung besser nachzukommen.

1. DER KONTEXT

Der globale Kontext von Gesundheit und Krankheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts

2. Weltweite Statistiken über das Vorkommen und die Verbreitung von Krankheiten, über deren Belastung für Gemeinschaften und Gesellschaften und über Sterblichkeitsraten basieren auf einem wissenschaftlichen Verständnis von Krankheit und auf epidemiologischen Methoden zur Bemessung von Krankheiten und deren Auswirkungen2. In der medizinischen Wissenschaft bezieht sich Krankheit auf eine feststellbare Fehlfunktion der menschlichen Physiologie. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass dieses Verständnis sich wesensmäßig von einer stärker ganzheitlichen Interpretation von Gesundheit und Krankheiten unterscheidet, wie sie in ÖRK-Kreisen üblich ist3, und die nach den gängigen Methoden nicht quantifizierbar und daher für statistische Analysen nicht leicht verwendbar ist.

3. Die Beschreibung eines globalen Kontextes kann sowieso irreführend sein, da die Situation äußerst komplex ist und zwischen den Kontinenten und den Gesellschaften und in zunehmendem Maße auch innerhalb von Gesellschaften und sogar innerhalb von örtlichen Gemeinschaften enorm variiert, je nach den wirtschaftlichen Ressourcen, die die Lebensbedingungen, den Lebensstil und den Zugang zu medizinischer Versorgung beeinflussen. Jeder allgemeine Überblick wird äußerst irreführend sein, wenn er als genaue Beschreibung örtlicher oder regionaler Verhältnisse gewertet wird.

4. Dennoch lassen sich einige Trends feststellen.

Man kann von einer weltweiten Verbesserung der Gesundheit sprechen, wenn sie gemäß vorzeitiger Sterblichkeit und durch Behinderung beeinträchtigter Lebensdauer bemessen wird, abgesehen von jenen Regionen, die stark von HIV/AIDS betroffen sind. Die Säuglingssterblichkeit, ein sensibler Indikator für allgemeine Lebensbedingungen und Zugang zur medizinischen Grundversorgung, hat in Europa und Nordamerika einen sehr niedrigen Stand erreicht und nimmt besonders in Ost- und Südostasien sowie auch in Lateinamerika und in der Karibik allmählich ab. Sie ist immer noch sehr hoch oder sogar ansteigend in einer Reihe von Ländern in der afrikanischen Sub-Sahara.

5. Zu weiteren wichtigen Trends gehört die weltweite Zunahme von chronischer Erkrankung, insbesondere Geisteskrankheiten und alte Menschen betreffende Krankheiten. Selbst in Ländern mit niedrigem Einkommen gibt es eine steigende Anzahl von Erwachsenen, die z.B. an Erkrankung der Herzkranzgefässe, an Krebs oder Diabetes leiden, den verbreitetsten Ursachen für Kränklichkeit und Sterblichkeit in industrialisierten Ländern4. Am beunruhigsten ist der allgemeine Trend, dass sowohl in Ländern des Nordens als auch des Südens langfristig immer mehr Menschen an psychischen Krankheiten, insbesondere Depression leiden. An Häufigkeit zunehmende und verstärkte Erfahrungen von Krisen und Bedrohungen im Zuge rascher Globalisierungsprozesse scheinen die menschliche Psyche unter übermäßigen Druck zu setzen.

6. Zur Zeit ist die internationale Staatengemeinschaft dabei, im Rahmen des Prozesses zur Beurteilung des Fortschritts auf dem Weg zur Erreichung der Millenium-Entwicklungsziele (MDG) eine umfassende Überprüfung des weltweiten Gesundheitsstandes durchzuführen. Drei der acht MDGs beziehen sich direkt auf Gesundheit5.

7. Die Auswirkung des von Menschen verursachten Klimawandels und der Verschlechterung der natürlichen Umwelt auf die weltweite Gesundheitssituation lässt sich noch nicht ausreichend erfassen und bemessen, gibt aber zu ernsten Bedenken Anlass hinsichtlich seiner möglichen verheerenden Auswirkungen, nicht nur auf örtlicher, sondern auch auf weltweiter Ebene. So trägt z.B. die Abholzung von Wäldern zur Verstärkung der Treibhausgase in der Atmosphäre bei, die wieder den Abbau des stratosphärischen Ozons und die Verstärkung der Ultraviolettstrahlung nach sich zieht. Dies führt zur Schwächung der Immunsysteme und ermöglicht das Auftreten von Krebsformen und bestimmten Infektionskrankheiten, die von durch Zellen vermittelten Immunreaktionen abhängig sind. Das durch globale Erwärmung verursachte Ansteigen des Meereswasserspiegels führt zur Überflutung von Siedlungsgebieten, wodurch es wiederum zu mehr von Wasser übertragenen Krankheiten kommt. Die globale Erwärmung führt auch zu einem Wiederaufkommen von Malaria und anderen Infektionskrankheiten in Ländern mit gemäßigtem Klima und verstärkt die Gefahr von Herz- und Gefäßkrankheiten.

8. Trotz fortgeschrittener Technologie ist der weltweite Gesundheitszustand immer noch besorgniserregend, wie es aus dem 2004-Bericht der Weltgesundheitsorganisation hervorgeht6.

Es ist daher darauf hingewiesen worden, dass Gesundheit und Heilung nicht allein medizinische Angelegenheiten sind. Sie umfassen politische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und spirituelle Aspekte. Wie es in dem ÖRK-Dokument "Healing and Wholeness. The Churches' Role in Health" (Heilung und Ganzheit. Die Rolle der Kirchen in der Gesundheitsarbeit) heißt: " Es trifft zwar zu, dass die sogenannte ‚Gesundheitsindustrie‘ in wachsendem Maße eine hochspezialisierte Technologie hervorbringt und einsetzt; dennoch zeigt die heutige Wirklichkeit, dass die meisten Gesundheitsprobleme in der Welt nicht auf diesem Wege zu lösen sind … Es ist eine offenkundige Tatsache, dass Armut als Endergebnis von Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg unter den Krankheitsursachen in der ganzen Welt an oberster Stelle rangiert. Weder Impfmaßnahmen noch Medikamente, ja nicht einmal Gesundheitserziehung nach allgemein anerkannten Standards werden die Häufigkeit armutbedingter Krankheiten spürbar zurückdrängen können …".7

Ungleicher Zugang zu Gesundheitsdiensten - Gesundheit und Gerechtigkeit als ethische Herausforderungen

9. Es bleibt eine Tatsache, dass in vielen Teilen der Welt Menschen keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben. Die Frage eines erschwinglichen Zugangs zu medizinischer Versorgung und die Kommerzialisierung der Gesundheit sind noch weitere sehr komplexe und sensible Probleme. Auf der einen Seite wird die wissenschaftlich gegründete medizinische Versorgung immer teurer mit der immer höheren Entwicklung im diagnostischen und therapeutischen Bereich, wodurch die Kluft zwischen denen, die sich dies leisten können und denen, die es nicht können, größer wird. Dies wirkt sich am deutlichsten in Ländern mit Niedrigeinkommen aus, zeigt sich aber auch immer stärker in Ländern mit hohem Einkommen und eingeschränkten öffentlichen Ausgaben im Gesundheitswesen. Die Christen müssen ständig daran erinnert werden, dass Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ein wesentliches Menschenrecht ist und keine Ware, die nur für diejenigen zur Verfügung steht, die über genügend finanzielle Mittel verfügen.

10. Auf der anderen Seite besteht ein zunehmendes Interesse, sich mit durch Armut verursachten Krankheiten zu befassen, insbesondere mit den schweren Infektionskrankheiten HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria. Hier spielt der von den Vereinten Nationen geschaffene "Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis & Malaria" eine besondere Rolle. Christen und Christinnen haben sich stark dafür eingesetzt, dass den durch Armut verursachten Krankheiten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und finanzielle Mittel zugewiesen werden, um eine gerechtere Verteilung der Ressourcen zu erreichen. Dieses Anliegen wird von mehreren weltweiten Kampagnen oder Initiativen bezeugt, wie z.B. dem "Ökumenischen Aktionsbündnis" und der "Ökumenischen HIV/AIDS-Initiative in Afrika". Bei solchen weltweiten Gesundheitsfragen gibt es auch zunehmend mehr Bemühungen um Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Glaubensgemeinschaften.

11. Auch wenn gute Gesundheitsdienste in einigen Fällen zur Linderung von Armut beitragen, können Gesundheit und Heilung nicht von der strukturellen Organisation unserer Gesellschaft, der Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Lebensstil getrennt werden.

Sich immer stärker verbreitende ungesunde Formen des Lebensstils8 sind Folgen von Standards und Interessen der Nahrungsmittelindustrie und der sich verändernden kulturellen Verhaltensweisen, die unter anderem von den Medien und von der Werbeindustrie gefördert werden.

12. Der gegenwärtige Zustand könnte folgendermaßen zusammengefasst werden:

In unserer heutigen globalisierten und in hohem Maße kommerzialisierten Welt sind die Menschen bei weitem nicht alle gesund, weder als einzelne Menschen noch als Gemeinschaften, und dies trotz der vielen Fortschritte in der Präventivmedizin und in therapeutischen Fertigkeiten.

  • Viele Menschen haben keinen Zugang zu einer gesundheitlichen Versorgung, die sie sich leisten können.

  • Während vermeidbare Krankheiten in vielen Teilen der Welt immer noch ein großes

Problem sind, nehmen chronische Krankheiten, die häufig mit dem Lebensstil und

dem Verhalten verbunden sind, ständig zu und verursachen überall in der Welt viel

Leiden.

  • Wir stellen heute eine wachsende Zahl von Menschen mit Geisteskrankheiten fest.

  • Die Kosten für die medizinische Versorgung sind beunruhigend gestiegen. Sie machen die moderne Technologie für viele unzugänglich und führen dazu, dass medizinische Systeme nicht mehr nachhaltig tragbar sind.

  • Hochentwickelte Technologie hat ein unmenschliches Gesicht und führt dazu, dass Menschen sich isoliert und zerspalten fühlen.

  • Der Tod wird in der modernen Medizin als Scheitern angesehen und in einem Maße aggressiv bekämpft, dass Menschen nicht in Würde sterben können.

13. Menschen, die vom etablierten Gesundheitssystem enttäuscht sind, streben nach mehr als der Behandlung einer kranken Leber oder eines kranken Herzens. Sie wollen als Personen angesehen und behandelt werden. Ihre Krankheiten führen sie häufig dazu, spirituelle Fragen zu stellen, und es wird immer mehr nach der spirituellen Dimension des Heilens gesucht.

In den wohlhabenden Ländern wird von vielen die wichtige Rolle der Gemeinschaft bei der Herstellung und Erhaltung von Gesundheit wieder entdeckt.

14. WissenschaftlerInnen haben angefangen, die sogenannten "religiösen Gesundheitswerte" festzustellen, um grundlegende Daten zusammenzustellen über potentielle materielle Infrastruktur und spirituelle Beiträge von religiösen Gemeinschaften zur nationalen und internationalen Gesundheitspolitik.

Eine Reihe von epidemiologischen Studien, die von medizinischen Fachleuten, vorwiegend in den USA, durchgeführt wurden und die die positive Wirkung von Religion und Spiritualität auf die Gesundheit unterstreichen, ermöglichen einen neuen Dialog zwischen den medizinischen und den theologischen Disziplinen9. Die wissenschaftliche Medizin als solche interessiert sich inzwischen in zunehmendem Maße für die spirituelle Dimension des Menschen.

Heilung und Kultur - unterschiedliche Weltsichten und kulturelle Kontexte und deren Auswirkung auf das Verständnis von Gesundheit und Heilung

15. Wie Gesundheit und Heilung definiert und Krankheit und Leiden erklärt werden, hängt weitgehend vom kulturellen Umfeld und von den Sitten ab. In ökumenischen Missionskreisen wird Kultur gewöhnlich in einem weiteren Sinne verstanden, der nicht nur Literatur, Musik und Kunst umfasst, sondern auch Wertvorstellungen, Strukturen, Weltsicht, Ethik wie auch Religion10.

16. Die Verbindung von Religion, Weltsicht und Wertvorstellungen wirkt sich insbesondere auf das jeweilige Verständnis und den Umgang mit Heilen aus. Da die Kultur sich von einem Kontinent zum anderen, von einem Land zum anderen und sogar innerhalb von Ländern und Menschengruppen unterscheidet, gibt es kein unmittelbar allgemeingültiges gemeinsames Verständnis der Hauptursachen von Krankheit und Leiden oder irgendeinem die Menschen befallenden Übel.

17. Es gibt Kulturen, in denen übernatürliche Wesen als die eigentlichen Verursacher von Krankheit, insbesondere von geistigen Störungen, gesehen werden. Bei solchen Vorstellungen gehen die Menschen zu traditionellen Heilern und religiösen Spezialisten für einen Exorzismus und eine Befreiung von bösen Geistern und Dämonen. Erst dann können sie Gewissheit haben, dass die eigentliche Ursache ihres Leidens behandelt wurde. Das würde nicht die gleichzeitige Behandlung der Symptome mit Kräutern und traditionell oder industriell hergestellten Arzneien ausschließen.

18. Sehr viele Menschen verbinden volkstümliche religiöse Vorstellungen und Kultur mit ihrem Verständnis von Gesundheit und Heilung. Dies könnten wir als Volkreligiosität und Gesundheitsglauben bezeichnen. Zu diesem Glauben können auch die Verehrung von Heiligen, Pilgerreisen zu Schreinen und Verwendung von religiösen Symbolen wie Öl und Amulette gehören, um Menschen vor bösen Geistern oder bösen Absichten zu schützen, die den Menschen schaden.

19. Andere, insbesondere asiatische Kulturen verweisen auf die Bedeutung der Harmonie innerhalb des menschlichen Körpers als notwendige Voraussetzung für Gesundheit, Wohlergehen und Heilung des Menschen. Shibashi z.B., eine alte chinesische Praxis naturverbundener Bewegungen stimmt den Körper auf den Rhythmus der Natur ein und schafft damit eine Energie spendende Wirkung. Die traditionelle Vorstellung ist, dass Heilung und Gesundheit konkrete Auswirkungen des Gleichgewichts im Energiefluss sind, die von innerhalb und von außerhalb des Körpers hervorgerufen werden. Die Blockierung von Energiezentren (chakras) oder die Behinderung des Energieflusses verursacht Krankheit. Akupunktur oder Fingerdruck sind andere Mittel, mit denen der Energiefluss ausgeglichen werden kann.

20. Aus verschiedenen Weltsichten entwickelten sich in einigen der großen Weltzivilisationen kulturspezifische medizinische Wissenschaften und Systeme. Besonders seit der Aufklärung wurden diese vom westlichen medizinischen Establishment missachtet, doch jetzt werden sie zunehmend wieder als wertvolle Alternativen für die Behandlung bestimmter Krankheiten angesehen.

21. Infolge der Fortschritte der medizinischen Wissenschaft und des interkulturellen Austauschs entwickeln einige Menschen, insbesondere im westlichen Kontext, neue Formen des Lebensstils, die Laufen, Jogging, Aerobik-Übungen, gesunde Ernährung, Yoga und andere Formen der Meditation, Massage, Sauna und Heilbäder besonders hervorheben, um damit Wohlbefinden, Gesundheit und Heilung zu erreichen. Diese Mittel können durchaus Erleichterung bringen von Stress-Situationen und chronischen Krankheiten wie Herz- und Gefäßkrankheiten und Diabetes mellitus.

22. Bestimmte Formen naturbezogener Religiosität und indigene und neu aufkommende säkulare Kulturen verweisen auch auf die Beziehung zwischen Kosmologie oder Ökologie und Gesundheit und Heilung. Es gibt ein wachsendes, jedoch immer noch unzureichendes Bewusstsein von der Bedeutung der Verbindung zwischen Ökologie und Gesundheit. Die entscheidenden Faktoren für Gesundheit sind sauberes Wasser und saubere Luft und ein sicherer Lebensraum für alle Lebewesen. Die Abholzung von Wäldern hat die Wasserversorgung zutiefst geschädigt, die Luft verunreinigt und die Lebensräume vieler Lebewesen zerstört und diese verpestet und unter Menschen und in anderen Bereichen der Schöpfung Krankheiten ausgelöst. Sehr enge Verbindungen von Tieren und Menschen sind jetzt die Ursache neuer Formen von Epidemien, wie z.B. das Auftreten der Vogelgrippe, einer ernsten und potentiell tödlichen Virusinfektion, die von Enten und Hühnern auf Menschen übertragen wird. Die Tsunami-Katastrophe und deren Folgen zeigen eindrücklich, wie wichtig es ist, nicht nur die Menschen, sondern die ganze Schöpfung zu bewahren und sich dem Rhythmus der Natur anzupassen.

2. GESUNDHEIT UND HEILUNG UND DIE ÖKUMENISCHE BEWEGUNG

23. In alten Zeiten war die Kunst der Heilung den Priestern vorbehalten. Bei Krankheitsfällen wurden sie um Rat gefragt und oft als Heilungsvermittler betrachtet. Die Einheit von Leib, Geist und Seele wurde verstanden und bejaht.

Die zentrale Rolle des Heilens und die Mission der alten Kirche

24. Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass das Wachstum der frühen Kirche im 2. und 3. Jahrhundert unter anderem auf die Tatsache zurückzuführen war, dass das Christentum sich gegenüber den Gesellschaften im Mittelmeerraum als eine heilende Bewegung darstellte. Die Bedeutung der verschiedenen heilenden Dienste innerhalb der Kirche kommt in den frühen Missionsberichten im Neuen Testament zum Ausdruck. Viele Schriften der frühen Kirchenväter bekräftigen ebenfalls die zentrale Rolle der Kirche als einer heilenden Gemeinschaft und verkündigen Christus gegenüber der hellenistischen Religiosität als den Heiler der Welt

25.Indem das Christentum bekräftigte, dass Gott selbst im Leben seines Sohnes Erfahrungen der Schwachheit durchlebt hat und sogar den Tod selbst erfahren hat, verwandelte es das Gottesverständnis auf revolutionäre Weise und veränderte tiefgreifend die Grundeinstellung der Glaubensgemeinschaft zu den Kranken, den Alten und den Sterbenden. Es trug entscheidend dazu bei, die konventionellen Verfahrensweisen und Mechanismen der Ausgrenzung, der Diskriminierung und der religiösen Stigmatisierung der Kranken und Gebrechlichen zu durchbrechen. Es beendete die Assoziierung des Göttlichen mit Idealen einer vollkommenen, gesunden, schönen und leidenslosen Existenz. Die veränderte Einstellung zu den Kranken, den Witwen und den Armen erwies sich als eine entscheidende Quelle für den missionarischen Erfolg und die Lebenskraft der alten Kirche. Die Klöster blieben durch die Pflege der Kranken weiterhin Inseln der Hoffnung.

Medizinische Wissenschaft und ärztliche Missionsgesellschaften

26. Im Laufe der Jahrhunderte und besonders seit der Aufklärung hat die wissenschaftliche und technologische Entwicklung zu einem Wandel im Verständnis des Menschen und der Gesundheit geführt. Statt als untrennbare Einheit betrachtet zu werden, wurde der Mensch in Leib, Geist/Verstand und Seele zerspalten. Mediziner neigen dazu, eine Krankheit als Funktionsstörung einer wunderbaren und komplizierten Maschine zu verstehen, die mit Hilfe medizinischer Fertigkeiten repariert werden muss, wobei die Tatsache außer Acht gelassen wird, dass Menschen eine Seele und einen Geist haben. Durch das Aufkommen der Psychologie und Psychiatrie als Disziplinen, die die Behandlung des Geistes übernahmen, wurde diese Aufteilung noch verstärkt. Dies führte dazu, dass das Verständnis für das Konzept der Ganzheit sowie auch für die Rolle der Gemeinschaft und der Spiritualität in der Gesundheit verlorenging.

27. Etwas später, d.h. im 19. Jahrhundert, entstanden die ärztlichen Missionsgesellschaften, durch die in vielen Teilen der Welt, wo MissionarInnen tätig waren, kirchliche Zentren für medizinische Versorgung geschaffen wurden. Einige sahen in der Gesundheitsfürsorge einen wesentlichen Aspekt der Mission der aussendenden Kirche oder Missionsorganisation. Wenngleich diese Missionskrankenhäuser hochqualifizierte mitfühlende Pflege zu niedrigen Kosten leisteten, wurde doch häufig das westliche medizinische Modell der gesundheitlichen Betreuung den einheimischen ortseigenen Kulturen mit ihren eigenen Traditionen der Therapie und der Heilung übergestülpt.Es haben sich jedoch von Anfang an viele MissionarInnen im Rahmen der ärztlichen Mission für die Ausbildung einheimischer Kräfte in der Kunst der Heilung und Pflege eingesetzt.

Ein ganzheitliches und ausgewogenes Verständnis des christlichen Dienstes der Heilung

28. Ein sorgfältig geplanter und sehr umfassender Studienprozess, der in den 70er- und 80er-Jahren von der Christlichen Gesundheitskommission (CMC) im Ökumenischen Rat der Kirchen initiiert wurde, hat ergeben, dass viele Faktoren oder Einflüsse verantwortlich sind für bestimmte Formen von Krankheit und zerbrochene Beziehungen, für zunehmende Gefühle der Leere und mangelnde geistliche Orientierung im Leben der Menschen, für die Schwächung der natürlichen Abwehrkräfte des Körpers gegenüber Infektionen oder bio-chemische Störungen von Körperfunktionen oder andere Formen physischer, emotionaler oder geistiger Störungen, für die Verursachung einer Unausgewogenheit im Energiefluss, die zu Blockierungen und zu Zeichen von Un-Wohlsein führt oder zu Versklavung oder Abhängigkeit von bösen Begierden oder Einflüssen, die den Menschen daran hindern, auf Gottes erlösende Gnade zu antworten.

29. Nach einer in der biblisch-theologischen Tradition der Kirche verwurzelten Anthropologie wird der Mensch als eine "multidimensionale Einheit" verstanden11. Leib, Seele und Geist sind nicht voneinander getrennte Größen, sondern sind miteinander verbunden und voneinander abhängig. Daher hat die Gesundheit physische, psychologische und spirituelle Dimensionen. Der einzelne Mensch ist auch Teil der Gemeinschaft. Somit hat die Gesundheit auch eine soziale Dimension. Und wegen der Interaktion zwischen der natürlichen Umwelt (Biosphäre) und Menschen oder Gemeinschaften hat die Gesundheit sogar eine ökologische Dimension.

30. Dies hat den Ökumenischen Rat der Kirchen zu folgender Definition von Gesundheit geführt:

Gesundheit ist ein dynamischer Zustand des Wohlbefindens des einzelnen Menschen

und der Gesellschaft, des körperlichen, seelischen, geistigen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wohlbefindens -, des Lebens in Harmonie miteinander, mit der materiellen Umwelt und mit Gott.>12

Ein solches holistisches Verständnis geht davon aus, dass Gesundheit kein statischer Begriff ist, bei dem eine klare Unterscheidung gemacht wird zwischen denjenigen, die gesund sind und denjenigen, die es nicht sind. Jeder Mensch bewegt sich ständig zwischen unterschiedlichen Graden von Gesundbleiben und Kämpfen gegen Infektionen und Krankheiten. Ein solches Verständnis von Gesundheit kommt der Auffassung nahe, die sich in der neueren Debatte und Forschung über gesundheitsfördernde Faktoren abzeichnet.13

Ein solches holistisches Verständnis hat auch Konsequenzen für das Verständnis der Mission der Kirche: Zum christlichen Dienst des Heilens gehören sowohl die Praxis der Medizin (für körperliche und geistige Gesundheit) als auch Pflege- und Beratungsdisziplinen und spirituelle Praktiken. Buße, Gebet und/oder Handauflegung, göttliche Heilung, Rituale mit Berührung und Zärtlichkeit, Vergebung und das Teilhaben an der Eucharistie können im physischen wie auch im sozialen Bereich der Menschen wichtige und zuweilen außergewöhnliche Auswirkungen haben. Alle diese verschiedenartigen Mittel gehören zu Gottes Wirken in der Schöpfung und seiner Gegenwart in der Kirche. Die heutige wissenschaftliche Medizin wie auch andere medizinische Vorgehensweisen machen sich das zunutze, was in der von Gott geschaffenen Welt vorhanden ist. Heilung mit ‚medizinischen Mitteln' ist nicht als minderwertig (oder sogar unnötig) im Vergleich mit Heilung durch andere oder durch ‚spirituelle' Mittel zu verstehen.

31. Es gibt Kirchen und soziale Kontexte (insbesondere in modernen westlichen post-Aufklärung-Gesellschaften), in denen die Errungenschaften der zeitgenössischen wissenschaftlichen Medizin und die physischen Aspekte von Gesundheit und Heilung ein einseitiges Schwergewicht und besondere Aufmerksamkeit bekamen. Hier ist eine neue Offenheit und Aufmerksamkeit gegenüber den spirituellen Dimensionen in den christlichen Diensten der Heilung notwendig. Daneben gibt es andere Kontexte und Kirchen, in denen - auf Grund einer anderen Weltsicht und dem Fehlen moderner westlicher Gesundheitssysteme - die Bedeutung des spirituellen Heilens hochgeschätzt wird. Hier ist ebenfalls ein neuer Dialog zwischen spirituellen Heilungspraktiken und Heilungsansätzen in der modernen Medizin wesentlich.

Neuere Versuche, das Verständnis des Heilungsauftrags der Kirche zu vertiefen

32. Eine der gründlichsten neueren Studien wurde im Namen der Kirche von England von einer Arbeitsgruppe durchgeführt, die vom House of Bishops beauftragt wurde. Sie erstellte einen bemerkenswert umfassenden Bericht, in dem folgende Definition von Heilung entwickelt wurde: "…ein auf Gesundheit und Ganzheit ausgerichteter Prozess… Er umfasst, was Gott durch die Inkarnation Jesu Christi für die Menschen erreicht hat… Gottes Gaben der Heilung werden gelegentlich unmittelbar und rasch erfahren, doch in den meisten Fällen ist Heilung ein allmählicher Prozess, der Zeit braucht, um auf mehr als einer Ebene eine tiefgreifende Wiederherstellung zu bewirken."14

33. Es ist auch bemerkenswert, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehrere wichtige ökumenische kirchliche Versammlungen - wie die Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds (LWB) in Winnipeg/Kanada, die Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Trondheim/Norwegen und die Ratstagung des Reformierten Weltbunds (RWB) in Accra/Ghana ihre Aufmerksamkeit direkt oder indirekt auf den heilenden Dienst der Kirche in einer von Leiden und Gewalt zerrissenen Welt konzentriert haben. Folgender Auszug aus dem erst kürzlich veröffentlichten Missionsdokument des LWB spricht für viele dieser Bemühungen:

Nach der Heiligen Schrift ist Gott die Quelle aller Heilung. Im Alten Testament hängen Heilung und Erlösung zusammen und haben in vielen Fällen die gleiche Bedeutung: "Heile mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen" (Jeremia 17,14). Das Neue Testament setzt jedoch Heilung von einer Krankheit nicht mit der Erlösung gleich. Es unterscheidet zudem zwischen Genesung und Heilung. Einige mögen gesund, aber nicht geheilt werden (Lukas 17,15-19), während andere nicht gesund, aber geheilt werden (2. Korinther 12,7-9). "Genesung" bedeutet, dass die verlorengegangene Gesundheit wiederhergestellt wird und bezeichnet somit eine protologische Sicht. Heilung wiederum bezieht sich auf die eschatologische Wirklichkeit des Lebens in Fülle, das durch das Christusgeschehen hereinbricht, durch den verwundeten Heiler, der an allen Bereichen des menschlichen Leidens, Sterbens und Lebens teilhat und durch seine Auferstehung Verletzung, Leiden und Tod überwindet. In diesem Sinne verweisen Heilung und Erlösung auf dieselbe eschatologische Wirklichkeit.>15

Neuer Dialog zwischen verschiedenen Weltsichten im Blick auf die Wirklichkeit spiritueller Kräfte

34. Infolge des raschen Anwachsens pfingstlerisch-charismatischer Bewegungen und ihres Einflusses quer durch das ökumenische Spektrum sind in den letzten Jahren Begriffe wie "Machtbegegnung", "Dämon(ologie)" und "Fürstentümer/Mächte und Gewalten" als Themen für die heutige missiologische Diskussion und Forschung interessant geworden, wie auch insbesondere die Frage der göttlichen Heilung. Exorzismus, Austreibung böser Geister und "Hexendämonologie" sind ebenfalls Begriffe, die heute in bestimmten christlichen Kreisen häufiger benutzt werden.16

Das Reden über Dämonen und böse Geister ist natürlich weder in der christlichen Theologie noch im kirchlichen Leben ein neues Phänomen. Die christliche Kirche hat durch ihre Geschichte hindurch - insbesondere während der ersten Jahrhunderte und später, meistens unter schwärmerischen, charismatischen Erneuerungsbewegungen - entweder besonders begabte/gesegnete Personen für den Kampf gegen böse Mächte ernannt (Exorzisten) oder zumindest die Wirklichkeit geistiger Mächte anerkannt.

35. Die schnelle Verbreitung der christlichen Kirchen in den Kulturen außerhalb des Wesens hat ebenfalls dazu beigetragen, dass die Frage der Dämonologie stärker an Bedeutung gewann. Christen und Christinnen in Afrika, Asien, Lateinamerika und im pazifischen Raum neigen dazu, gegenüber dem Gedanken der Wirklichkeit solcher Mächte offener zu sein. In vielen dieser Kulturen ist auch außerhalb des christlichen Glaubens die Verbindung mit geistigen Mächten weit verbreitet.

Einer der Hauptgründe, warum die westlichen Kirchen - insbesondere die historischen protestantischen Kirchen - während mehrerer Jahrhunderte der ganzen Frage der geistigen Mächte ausgewichen sind, hat etwas mit dem besonderen Charakter ihrer Weltsicht zu tun, die auf den Einfluss der Aufklärung zurückgeht. Die christliche Theologie und die Ausbildung der Geistlichen ignorierten dieses Thema nicht nur, sondern trugen häufig auch dazu bei, selbst die biblische Redeweise über Dämonen und geistige Mächte zu "entmythologisieren". Frühere Texte des ÖRK über Heilung und Gesundheit haben sich mit dieser Frage ebenfalls nicht hinreichend befasst.17 Zur Zeit findet in der westlichen Kultur ein Paradigmenwechsel statt - häufig als Postmoderne bezeichnet -, der eine enge rationalistische Weltsicht und Theologie in Frage stellt.

3. GESUNDHEIT UND HEILUNG IN BIBLISCHER UND THEOLOGISCHER SICHT

Gottes Heilungsauftrag

36. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist führen die Schöpfung und die Menschheit zur vollen Verwirklichung des Gottesreiches, das die Propheten ankündigen und als versöhnte und geheilte Beziehung zwischen Schöpfung und Gott, Menschheit und Gott, Menschheit und Schöpfung, zwischen Menschen als Einzelpersonen und als Gruppen oder Gesellschaften erwarten (Heilung im vollsten Sinne als "schalom", Jesaja 65,17-25). Dies wird in der Missionswissenschaft als missio Dei bezeichnet. In einer trinitarischen Sicht sind die schöpfungsbezogenen, sozio-relationellen und geistig-energetischen Dimensionen der Heilung in wechselseitiger Abhängigkeit miteinander verwoben.

Während wir die dynamische Wirklichkeit der Mission Gottes in der Welt und der Schöpfung bekräftigen, bekennen wir auch deren tiefes Geheimnis, das über das Erfassen durch menschliche Erkenntnis hinausgeht (Hiob 38f.). Wir freuen uns, wenn immer Gottes Gegenwart in wunderbarer und befreiender Heilung, in Veränderungen im Leben und in der Geschichte der Menschen und als Befähigung zu einem Leben in Würde zum Ausdruck kommt. Wir schließen uns auch dem Schrei des Psalmisten und Hiobs an, um den Schöpfer herauszufordern, wenn Böses und unerklärliches Leid uns empört und auf die Abwesenheit eines gnädigen und gerechten Gottes hinzuweisen scheint: "Warum, o Gott? Warum ich, Herr? Wie lange noch?" Inmitten einer zutiefst ambivalenten und paradoxen Welt bekräftigen wir unseren Glauben an und unsere Hoffnung auf einen Gott, der heilt und sorgt.

37. Als Christen und Christinnen bekennen wir das vollkommene Bild Gottes, wie es sich in Jesus Christus offenbart, der kam, um durch sein Leben, seine Taten und Worte zu bezeugen, wie Gott sich um die Menschheit und die Schöpfung sorgt. Die Fleischwerdung Gottes in Christus bekräftigt, dass Gottes heilende Kraft uns nicht von dieser Welt oder vor allem auch von allen materiellen und körperlichen Problemen erlöst, sondern inmitten dieser Welt und all ihrer Schmerzen, Gebrochenheit und Zertrennung geschieht und dass Heilung die ganze menschliche Existenz umfasst.

Jesus Christus ist Kern und Mitte von Gottes Mission, die Personalisierung des Gottesreiches. In der Kraft des Heiligen Geistes war Jesus von Nazareth ein Heiler, Exorzist, Lehrer, Prophet, Wegführer und Anreger. Er brachte und schenkte Freiheit von Sünde, Bösem, Schmerz, Leiden, Krankheit, Gebrochenheit, Hass und Uneinigkeit (Lukas 4,16ff, Matthäus 11,2-6).Was das Heilen Jesu Christi besonders auszeichnete, war sein Gespür für die Nöte der Menschen, insbesondere der Verletzbaren, die Tatsache, dass er ‚berührt' wurde und mit Heilen antwortete (Lukas 8,42-48), seine Bereitschaft zuzuhören und für Veränderung offen zu sein (Markus 7,24-30), seine Weigerung, eine Verzögerung bei der Linderung von Leiden hinzunehmen (Lukas 13,10-13) und seine Autorität über Traditionen und böse Geister. Im Gegensatz zu dem, was wir gewöhnlich bei Heilungen erleben, führten Jesu Heilungen stets zu einer völligen Wiederherstellung von Leib und Seele.

38. Er eröffnete die neue Schöpfung, die "Endzeit" (eschaton) durch Zeichen und Wunder, die hinweisen auf die Fülle des Lebens, die Überwindung von Leiden und Tod, wie es von Gott verheißen und von den Propheten angekündet wurde. Doch diese Wundertaten waren nicht mehr als Zeichen oder Hinweise. Christus heilte diejenigen, die zu ihm kamen oder zu ihm gebracht wurden. Er heilte jedoch nicht alle Kranken seiner Zeit. Das bereits gegenwärtige Reich Gottes wird noch erwartet. "Heilung ist eine Wegstrecke hin zur Vollkommenheit der endgültigen Hoffnung, doch diese Vollkommenheit wird nicht immer in der Gegenwart vollständig verwirklicht (Römer 8,22)"18.

39. Jesu Wirken als Heiler und Exorzist weist insbesondere hin auf die Vollendung seines Dienstes am Kreuz: er kam, um Heil zu schenken und die Beziehung mit Gott zu heilen, was Paulus später als "Versöhnung" bezeichnete (2. Korinther 5). Dies tat er durch Dienst und Opfer, indem er den von Jesaja (52,13-53,12) prophezeiten Dienst des "verwundeten Heilers" erfüllte. Christi Tod am Kreuz ist somit sowohl Protest gegen alles Leiden (Markus 15,13 - 53,12) als auch Sieg über die Sünde und das Böse. Indem er Christus auferweckte, rechtfertigte Gott seinen Dienst und gab ihm bleibende Bedeutung. Das Kreuz und die Auferstehung Christi bekräftigt, dass Gottes heilende Kraft nicht von der Realität des Schmerzes, der Gebrochenheit und des Sterbens losgelöst ist oder darüber steht, sondern bis in die Tiefe des Leidens der Menschen und der Schöpfung hineinreicht und in die äußerste Tiefe der Finsternis und Verzweiflung Licht und Hoffnung bringt. Das Bild des auferstandenen Christus lässt sich finden unter leidenden Menschen (Matthäus 25,31-46) wie auch unter verletzbaren und verwundeten Heilern (Matthäus 28,20 und 10,16; 2. Korinther 12,9; Johannes 15,20).

40. In der ökumenischen Missiologie geht man davon aus, dass der Heilige Geist als Herr und Lebensspender in der Kirche und in der Welt wirksam ist. Das beständige Wirken des Heiligen Geistes in der ganzen Schöpfung, das Zeichen und einen Vorgeschmack der neuen Schöpfung mit sich bringt, (2. Korinther 5,17), bekräftigt, dass die heilende Kraft Gottes alle räumlichen und zeitlichen Grenzen überwindet und sowohl innerhalb als auch außerhalb der christlichen Kirche am Werk ist und die Menschheit und die Schöpfung in der Perspektive der zukünftigen Welt verwandelt. Gott, der Heilige Geist, ist der Lebensquell für das Leben des einzelnen Christen und der Gemeinschaft (Johannes 7,37-39). Der Heilige Geist befähigt die Kirche zur Mission und rüstet sie mit vielfältigen Charismen aus, wie z.B. der Gabe des Heilens durch Gebet und Handauflegung, der Gabe der Tröstung und der Seelsorge für diejenigen, deren Leiden endlos zu sein scheint, der Geistesgabe des Exorzismus zur Austreibung von Geistern, der Vollmacht zur Prophetie, um die strukturellen Sünden anzuprangern, die für Ungerechtigkeit und Tod verantwortlich sind, und der Gabe der Weisheit und Erkenntnis, die für wissenschaftliche Forschung und Ausübung medizinischer Berufe notwendig ist. Doch Gott, der Heilige Geist befähigt die christliche Gemeinschaft auch zu vergeben, Wunden zu heilen, Trennungen zu überwinden und sich so auf volle Gemeinschaft hinzubewegen. So erfüllt und erweitert der Heilige Geist die heilende und vergebende Mission Christi und macht sich allgemeingültig.

Durch sein Seufzen in Kirche und Schöpfung (Römer 8) verwirklicht der Geist auch Christi Solidarität mit den Leidenden und bezeugt damit die Kraft der göttlichen Gnade, die sich paradoxerweise auch in Schwachheit und Krankheit manifestiert (2. Korinther 12,9).

41. Der Heilige Geist erfüllt die Kirche mit der verwandelnden Autorität des auferstandenen Herrn, der heilt und vom Bösen befreit, und mit der Barmherzigkeit des leidenden Gottesknechts, der für die Sünde der Welt stirbt und die Unterdrückten tröstet. Eine vom Geist geleitete Mission umfasst zugleich mutiges Zeugnis und eine demütige Präsenz.

Gesundheit, Heilung und die Vorstellung von geistigen Kräften

42. Eins der hervortretenden Merkmale, mit denen der heilende Dienst Jesu im Neuen Testament beschrieben wird, ist das der letztgültigen Autorität über alle das Leben entstellenden und zerstörenden Kräfte einschließlich des Todes (Lukas 7,11-17; Johannes 11,11; Markus 5,35-43). Das biblische Weltbild setzt die Wirklichkeit der unsichtbaren Welt voraus und verbindet mit Geistern und der Geistwelt Macht und Autorität.

43. In Jesus Christus ist das Reich Gottes nahegekommen (Matthäus 4,17; Lukas 11,20) und ließ die Dämonen "zittern" (Jakobus 2,19), weil sie erkannten, dass Christus gekommen war, um "die Werke des Teufels zu zerstören (1. Johannes 3,8; s. Kolosser 2,15). Da mehrere biblische Heilungsgeschichten sich auf Dämonen und böse Geister als Ursache von Krankheit beziehen, wird der Exorzismus folglich zu einem der gebräuchlichsten Heilmittel (Markus 1,23-28; 5,9; 7,32-35; Lukas 4,33-37; Matthäus 8,16; Johannes 5,1-8), denn die Diagnose bestimmt die Therapie. Es gibt daher tatsächlich eine Form der Heilung, die in der Bibel als eine Machtbegegnung zwischen Christus und den bösen Kräften dargestellt wird, eine spezifische Form des Heilungsauftrags, die heute in mehreren Kirchen besonders hervorgehoben wird, insbesondere in Kirchen mit pfingstlerischem und charismatischem Hintergrund.

44. Durch Auferstehung und Himmelfahrt hat Christus alle bösen Mächte überwunden. Die Kirche feiert diesen Sieg in der Liturgie. Durch ihr Zeugnis und ihre Mission bezeugt die Kirche, dass die Mächte - alle Mächte - besiegt wurden und ihnen somit ihre bindende Gewalt über das menschliche Leben genommen wurde. Diejenigen, die Christus nachfolgen, wagen es, in seinem Namen alle anderen Mächte zu brandmarken und in Frage zu stellen, und bringen so die frohe Botschaft: "Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus" (Matthäus 10,7; vgl. Markus 16,9-20).

45. Dies bedeutet, dass es zum Auftrag der Kirchen, das Evangelium zu verkündigen, gehört, sich bewusst mit den Mächten zu befassen und sie zu benennen und sich dem Kampf mit dem Bösen zu stellen, in welcher Form es sich auch immer darstellen mag. Diese Mächte dürfen nicht leicht genommen, sondern müssen erkannt werden, weil ihre Wirklichkeit darin liegt, wie sie Menschen im Griff haben, für die sie die entscheidenden Koordinaten im Leben sind.

Diese Frage der Beziehung zwischen Dämonologie/Mächten und Heilung erfordert sorgfältige Untersuchung. Wie die Wirklichkeit und der Einfluss der Mächte in heutigen Kontexten und Kulturen interpretiert werden sollte, ist eine der dringlichen ökumenischen Debatten.19

Krankheit, Heilung und Sünde. Das "jetzt schon und noch nicht" des Gottesreiches

46. Wenngleich das Böse und die Sünde in Christus überwunden wurden, gibt es immer noch viele Katastrophen, Krankheiten, Mängel und Leiden (physischer, moralischer, geistiger und sozialer Art), die die Ankunft des Gottesreiches zu leugnen scheinen. Die Bibel kennt die Tradition, die besagt, dass Krankheit oder Unglück eine göttliche Antwort auf persönliche oder kollektive Sünde sein kann. Die Propheten haben das Gottesvolk beständig dazu aufgerufen, Buße zu tun für seinen Ungehorsam gegenüber dem Wort Gottes. Das Neue Testament kennt die mögliche Verbindung zwischen Sünde und Krankheit (1. Korinther 11,28-34). Jesus selbst leugnet jedoch nachdrücklich eine direkte Beziehung zwischen persönlicher Sünde und Krankheit: "Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern? …es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm" (Johannes 9,2). In ähnlicher Weise lässt er in seinen Antworten auf Fragen im Zusammenhang mit Unglücken die Frage ihrer Ursache offen (Lukas 13,1-5) und verweist statt dessen auf die dringende Notwendigkeit, zu Gott umzukehren und dem von ihm gebotenen Leben zu folgen.

47. In der Zeit zwischen Ostern und dem Ende der Geschichte geht das Leiden weiter. Die Evangelien geben keine Erklärung für dieses Geheimnis. Doch der Heilige Geist stärkt die Kirche für ihren heilenden und versöhnenden Auftrag und befähigt Menschen dazu, im Lichte der Erlösung Christi mit der Fortdauer von Leiden und Krankheit fertigzuwerden. Weil Christus den Preis für alle Sünde gezahlt hat und das Heil bringt, kann letztlich keine Macht den Menschen schaden, die ihr Vertrauen auf die in Christus offenbarte Liebe Gottes setzen (Römer 8,31-39).

48. Am Ende wird Christus seinem Vater das von Krankheit, Leiden und Tod befreite Reich übergeben (1. Korinther 15,24). In diesem Reich wird die Heilung vollkommen sein. Darin liegt die gemeinsame Wurzel von Heilung und Heil (salus). "Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein" (Offenbarung 21,4).

4. DIE KIRCHE ALS EINE HEILENDE GEMEINSCHAFT

Kirche, Gemeinschaft und Mission

49. Das Wesen und die Mission der Kirche ergeben sich aus der Identität und Mission des Dreieinigen Gottes selbst, mit deren besonderem Akzent auf der Gemeinschaft, in der Miteinanderteilen in dynamischer Interdependenz geübt wird. Es gehört zum innersten Wesen der Kirche - verstanden als der durch den Heiligen Geist geschaffene Leib Christi - als eine heilende Gemeinschaft zu leben, heilende Charismen zu erkennen und zu pflegen und Dienste der Heilung als sichtbare Zeichen der Gegenwart des Gottesreiches zu unterhalten.20

50. Eine versöhnende und heilende Gemeinschaft zu sein, ist eine wesentliche Ausdrucksform des Auftrags der Kirche, neue und erneuerte Beziehungen in der Perspektive des Gottesreiches zu schaffen. Dies bedeutet, Christi Gnade und Vergebung zu verkündigen, Körper, Geist und Seele zu heilen und zerbrochene Gemeinschaften in der Perspektive der Fülle des Lebens zu versöhnen (Johannes 10,10).

51. Es muss erneut bekräftigt werden, was im Dokument Mission und Evangelisation in Einheit heute21 erklärt wurde, nämlich dass "Mission eine ganzheitliche Bedeutung hat: die Verkündigung und das Miteinanderteilen der Frohen Botschaft des Evangeliums durch Wort (kerygma), Tat (diakonia) Gebet und Gottesdienst (leiturgia) und das alltägliche Zeugnis des christlichen Lebens (martyria); Lehre als Aufbau und Stärkung der Menschen in ihrer Beziehung zu Gott und zueinander; und Heilung als Ganzheit und Versöhnung zur koinonia - Gemeinschaft mit Gott, Gemeinschaft mit Menschen und Gemeinschaft mit der Schöpfung als ganzer."

Heilen der Wunden in Kirchen- und Missionsgeschichte

52. Wenn christliche Kirchen vom heilenden Dienst als einem unerlässlichen Element/Aspekt des Leibes Christi sprechen, müssen sie sich auch ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart stellen, wo sie eine lange und oft konfliktreiche Geschichte miteinander teilen. Kirchenspaltungen, Rivalität in Mission und Evangelisation, Proselytismus, Ausgrenzung von Personen oder ganzen Kirchen aus dogmatischen Gründen, Verurteilungen verschiedener kirchlicher Traditionen, die als häretische Bewegungen geächtet wurden, aber auch unangemessene Kollaboration zwischen Kirchen und politischen Bewegungen oder wirtschaftlichen und politischen Mächten haben in vielen Teilen des einen Leibes Christi tiefe Spuren und Wunden hinterlassen und wirken sich weiterhin schädlich auf interdenominationelle Beziehungen aus.

Christen und Kirchen brauchen immer noch dringend Heilung und gegenseitige Versöhnung. Die Tagesordnung der kirchlichen Einheit bleibt ein wesentlicher Teil des Heilungsauftrags. Die ökumenische Bewegung war und ist weiterhin eine der verheißungsvollsten und hoffnungsvollsten Instrumente für die notwendigen Heilungs- und Versöhnungsprozesse innerhalb der Christenheit. Was solche Prozesse bedeuten und beinhalten, ist in dem Dokument "Mission und der Dienst der Versöhnung" beschrieben worden, das im Jahr 2004 von der CWME-Kommission empfohlen wurde.22

Die örtliche christliche Gemeinschaft als vorrangiger Ort für den heilenden Dienst

53. Die Tübinger Konsultationen von 1964 und 196723 bekräftigten, dass die örtliche Gemeinde oder christliche Gemeinschaft der Hauptakteur für Heilung ist. Es wurde hervorgehoben, dass bei aller Notwendigkeit und Legitimität spezialisierter christlicher Einrichtungen wie Krankenhäusern, Diensten für elementare Gesundheitsversorgung und besondere Pflegeheimen jede christliche Gemeinschaft als solche - als der Leib Christi - eine heilende Bedeutung und Relevanz hat. Die Art und Weise, wie Menschen in einer örtlichen Gemeinschaft aufgenommen, begrüßt und behandelt werden, hat eine tiefgreifende Auswirkung auf deren heilende Funktion. Die Art und Weise, wie ein Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung, des Aufeinanderhörens und der wechselseitigen Sorge in einer Ortsgemeinde erhalten und gefördert wird, bringt die heilende Kraft der Kirche als ganzer zum Ausdruck. Alle Grundfunktionen der Ortsgemeinde haben auch für die breitere Gemeinschaft eine heilende Dimension: die Verkündigung des Wortes Gottes als eine Botschaft der Hoffnung und des Trostes, die Feier der Eucharistie als ein Zeichen der Versöhnung und der Wiederherstellung, der seelsorgerliche Dienst eines jeden Gläubigen, das persönliche und gemeinschaftliche Fürbittgebet für alle Glieder und insbesondere für die Kranken.24 Jedes einzelne Glied einer Ortsgemeinde hat eine einzigartige Gabe, um zum gesamten heilenden Dienst der Kirche beizutragen.

Die charismatischen Gaben des Heilens

54. Nach der biblischen Tradition sind der christlichen Gemeinschaft durch den Heiligen Geist vielfältige Gaben des Geistes anvertraut (1.Korinther 12), unter denen Charismen, die für den heilenden Dienst wesentlich sind, eine herausragende Rolle spielen. Alle Gaben des Heilens innerhalb einer gegebenen Gemeinschaft brauchen eine bewusste Ermutigung, geistliche Stärkung, Fortbildung und Bereicherung, aber auch einen eigenen Dienst der seelsorgerlichen Begleitung und der kirchlichen Aufsicht. Charismen sind nicht auf sogenannte "übernatürliche" Gaben beschränkt, die über das allgemeine Verständnis und/oder die persönliche Weltsicht hinausgehen, sondern sind in einem weiteren Sinne zu verstehen, in dem sowohl Begabungen als auch Verfahrensweisen der modernen Medizin, alternative medizinische Ansätze wie auch Gaben der traditionellen Heilung und spirituelle Formen der Heilung zu ihrem eigenen Recht kommen. Von den wichtigsten Mitteln und Ansätzen des Heilens innerhalb der christlichen Tradition sollten folgende erwähnt werden:

- die Gabe des Gebets für Kranke und Trauernde
- die Gabe der Handauflegung
- die Gabe der Segnung
- die Gabe der Salbung mit Öl
- die Gabe der Beichte und der Buße
- die Gabe der Tröstung
- die Gabe der Vergebung
- die Gabe des Heilens von verwundeten Erinnerungen
- die Gabe des Heilens zerbrochener Beziehungen und/oder des Familienstammbaums
- die Gabe des meditativen Gebets
- die Gabe der schweigenden Präsenz
- die Gabe des gegenseitigen Zuhörens
- die Gabe der Abwendung und Austreibung böser Geister (Dienst der Befreiung)
- die Gabe der Prophetie (in persönlichen und sozio-politischen Bereichen)

Die Eucharistie als christliches Heilungsgeschehen par excellence

55. Die Feier der Eucharistie wird von der Mehrheit der Christen als die herausragendste Gabe der Heilung und als einzigartiger Heilungsakt in der Kirche in allen ihren Ausdrucksformen angesehen. Wenngleich der wesentliche Beitrag der Eucharistie zur Heilung nicht von allen denominationellen Traditionen in gleicher Weise verstanden wird, wird der sakramentale Aspekt des christlichen Heilens heute in vielen Kirchen in tiefergehender Weise geschätzt und zum Ausdruck gebracht. In der Eucharistie erfahren Christen und Christinnen, was es bedeutet, zusammengebracht und vereint zu werden, wieder zum Leib Christi gemacht zu werden über alle sozialen, sprachlichen und kulturellen Grenzen hinweg, jedoch noch nicht über konfessionelle Grenzen hinweg. Die verbleibende Trennung zwischen Kirchen, die eine gemeinsame Feier am Tisch des Herrn verhindert, ist der Grund, warum es vielen Christen und Christinnen schwer fällt, die Eucharistie als das Heilungsgeschehen par excellence zu verstehen und zu erleben.

56. Die eucharistische Liturgie bietet jedoch den Rahmen und den sichtbaren Ausdruck für Gottes heilende Gegenwart inmitten der Kirche und durch sie in der Mission gegenüber dieser gebrochenen Welt. Der Heilungsaspekt der Eucharistie wird unterstrichen durch die weit in die alte Kirche zurückreichende Tradition, die verlangt, dass man sich vor der Teilhabe an der Eucharistie mit Bruder oder Schwester versöhnt. Er kommt außerdem durch den Austausch des Friedensgrußes und die Vergebung der Sünden zwischen Gott und den Gläubigen in der Beichtliturgie zum Ausdruck. Es gibt auch sehr frühe Belege für die christliche Praxis, die Eucharistie mit den Kranken zu teilen und sie in Wohnungen und Krankenhäuser zu bringen. Der für die leidende Welt gebrochene Leib Christi wird als die zentrale Gabe der heilenden Gnade Gottes empfangen. Jede eucharistische Feier stellt zugleich die Gemeinschaft der Kirche wieder her und erneuert die heilenden Gaben und Charismen. Nach alten Quellen ist die liturgische Tradition der Salbung der Kranken mit Öl in der eucharistischen Feier verwurzelt. In der römisch-katholischen wie in der orthodoxen Tradition wird das für die Krankensalbung verwendete Öl25 in der Liturgie der Segnung des Öls während der Karwoche durch den Ortsbischof geweiht (Chrismations-Messe), wodurch der heilende Dienst der Kirche sowohl in der Eucharistie als auch in Kreuz und Auferstehung Christi verankert wurde.

Die heilende Dimension des Gottesdienstes allgemein und besonderer Heilungsgottesdienste

57. Es gilt für alle christlichen Denominationen und kirchlichen Traditionen, dass die gottesdienstliche Gemeinde und der Gottesdienst selbst eine tiefgreifend heilende Dimension haben können. Sich in Lobpreis und Klage Gott zu öffnen, sich den anderen als einer Gemeinschaft von Glaubenden anzuschließen, von der Schuld und den Lasten des Lebens befreit zu werden, selbst unglaubliche Gesundung zu erfahren, sich vom Erleben des Gesangs und des Lobpreises entflammen zu lassen, das sind ungeheuer heilende Erfahrungen. Es muss jedoch auch anerkannt werden, dass dies niemals selbstverständlich ist. Unangemessene Formen des christlichen Gottesdienstes, wie triumphalistische "Heilungsgottesdienste", in denen der Heiler auf Kosten Gottes verherrlicht wird, und in denen falsche Hoffnungen geweckt werden, können Menschen zutiefst verletzen und schädigen. An vielen Orten werden jedoch noch besondere monatliche oder wöchentliche Gottesdienste als authentisches Zeugnis von Gottes heilender Kraft und Fürsorge erlebt. In einem solchen Gottesdienst werden ausdrücklich die Nöte von Menschen angesprochen, die aus der Erfahrung von Verlust, innerer Zerrissenheit, Verzweiflung oder körperlicher Krankheit Heilung suchen. In vielen kirchlichen Traditionen wird im Gottesdienst die Eucharistie verbunden mit dem Ritual des persönlichen Gebets für die Kranken und der Handauflegung als eine angemessene Antwort auf den Auftrag der Kirche wie auf die Sehnsucht nach Heilung im Volk. Der Beitrag des Pentekostalismus und der charismatischen Bewegung sowohl innerhalb als auch außerhalb der historischen Kirchen zur gegenwärtigen Erneuerung des Verständnisses der heilenden Dimension des Gottesdienstes und der Mission im allgemeinen muss in diesem Zusammenhang anerkannt werden.

Vertiefung eines gemeinsamen Verständnisses einer christlichen heilenden Spiritualität

58. Es ist für alle christlichen Traditionen klar, dass christliche Heilungsdienste nicht als bloße Techniken und professionelle Fertigkeiten oder bestimmte Rituale verstanden werden dürfen. Sie sind alle von einer christlichen Spiritualität und Disziplin abhängig, die sich auf alle Bereiche des persönlichen wie des beruflichen Lebens auswirkt. Eine solche Spiritualität hängt ab vom Glauben an Gott, von der Nachfolge in Christi Fußspuren, vom Umgang mit dem Körper und mit den Begrenzungen von Raum und Zeit und mit Schmerz und Krankheit, von der Art zu essen und zu fasten, zu beten und zu meditieren, Kranke zu besuchen, den Notleidenden zu helfen und im Offensein gegenüber dem Geist Gottes Schweigen zu bewahren.

Es ist notwendig zu erkennen, was authentische christliche Spiritualität ausmacht. Es gibt Theologien und Formen christlicher Praxis, die nicht zur Heilung beitragen. Verzerrte Formen von Spiritualität oder Frömmigkeit können zu ungesunder Lebensweise und zu einer fragwürdigen Beziehung zu Gott und den Mitmenschen führen.

Ordinierte und Laien im heilenden Dienst

59. In vielen Gemeinden kann man feststellen, dass es nur Ordinierten erlaubt ist, Segenszeichen und Heilungsgebete für notleidende Menschen zu gebrauchen. Das biblische Zeugnis erinnert uns jedoch daran, dass der Heilige Geist und die Gaben des Geistes allen Mitgliedern des Gottesvolkes zugesagt sind (Apostelgeschichte 2,17; 1. Korinther 12,3ff) und dass jedes Glied der Kirche dazu berufen ist, sich am Heilungsdienst zu beteiligen. Die Kirchen werden dazu ermutigt, die Gaben und die Fähigkeiten insbesondere von Laien zu fördern, sowohl in Ortsgemeinden als auch in Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge. Menschen dazu zu befähigen, als Botschafter und Botschafterinnen des Heilungsdienstes zu wirken, ist eine wesentliche Aufgabe der ordinierten Pfarrer/innen und Diakon/innen in der Kirche wie auch der Christen und Christinnen, die beruflich in verschiedenen gesundheitsbezogenen Einrichtungen tätig sind.

60. Wie jede einzelne Kirche am besten den Auftrag der örtlichen Gemeinschaft erkennen und die Verantwortung der Ordinierten und der Laien im Blick auf den Heilungsdienst zum Ausdruck bringen kann, hängt von ihrer eigenen Tradition und Struktur ab. Die Kirche von England hat zum Beispiel an vielen Orten auf Diozesanebene einen Berater/eine Beraterin für Heilungsdienste ernannt. Dieser/diese Beauftragte ist dafür verantwortlich, in Zusammenarbeit mit dem Regionalbischof neu entstehende Heilungsdienste durch Ermutigung, Unterweisung und auch geistliche und seelsorgerliche Beratung zu fördern. Dadurch erhält der heilende Dienst der Kirche eine sichtbare Anerkennung und Unterstützung in der Kirche als ganzer, anstatt lediglich an spezialisierte Einrichtungen delegiert oder auf einen Ort begrenzt zu werden.

Die Notwendigkeit, Christen und Christinnen für den heilenden Dienst heranzubilden - Integration statt Aufteilung

61. Man ist sich immer mehr darin einig, dass die Heranbildung für verschiedene Formen des christlichen Heilungsdienstes nicht so weitverbreitet und entwickelt ist, wie sie in den verschiedenen Bereichen des kirchlichen Lebens sein sollte. In vielen Lehrplänen der theologischen Ausbildung ist die explizite Unterweisung über das christliche Verständnis von Heilung unterentwickelt oder überhaupt nicht vorhanden. In der letzten Zeit hat es jedoch Bemühungen gegeben, HIV/AIDS in den Lehrplan von theologischen Ausbildungsstätten in Afrika aufzunehmen. Doch viele Ausbildungs- und Bildungsprogramme finden lediglich im Rahmen der jeweiligen beruflichen Fachgebiete statt. Es besteht keine Interaktion zwischen verschiedenen Bildungsprogrammen und Fachbereichen, und es wird versäumt, Fragen und elementare Themen des christlichen Heilens in die Grundausbildung für das Pfarramt und in die Erwachsenenbildung im allgemeinen aufzunehmen.

Der heilende Dienst der Gemeinschaft und der heilenden Berufe

62. Die Beratungen der Tübinger Konsultationen in den Jahren 1964 und 1967 und die Gründung der Christlichen Gesundheitskommission (CMC) 1968 mit der Entwicklung des Konzepts der Elementaren Gesundheitsversorgung (Primary Health Care - PHC) in den 80er-Jahren führten zu einer PHC-Bewegung, die mit großen Hoffnungen auf eine Veränderung begann, aber nicht durchgehalten hat. Die Trennung, die zwischen technologisch hochentwickelter Medizin auf der einen Seite und elementarer Gesundheitsversorgung auf der anderen Seite entstand, hat sich schädlich ausgewirkt auf die Bemühungen um eine bessere und gesundere Welt. Während engagierte christliche Fachleute hervorragende Programme im Bereich der elementaren Gesundheitsvorsorge entwickelten, war die Beteiligung der Gemeinden an der PHC-Bewegung sporadisch und minimal. Obwohl diese Bewegung sich in gewissem Maße mit den Fragen des Zugangs zu gesundheitlicher Betreuung und der Gerechtigkeit befasst hat, wurden die spirituellen Aspekte nicht in angemessener Weise behandelt. In vielen Ländern wurden traditionelle Formen der Medizin von der modernen Schulmedizin unnötigerweise verurteilt. Sie haben sich in Isolierung und Konkurrenz dazu weiter entwickelt und im Blick auf die Beziehung zwischen christlichen Gemeinschaften und Fachleuten der traditionellen Medizin Probleme geschaffen.

63. In den letzten Jahren haben weitere einschneidende Veränderungen in der Gesellschaft und in Gesundheitssystemen bei denjenigen, die innerhalb der etablierten Gesundheitssysteme arbeiten, insbesondere in industrialisierten Ländern und Zentren, zu verstärkten Spannungen geführt. Zunehmender Druck, die Gesundheitsversorgung zu rationalisieren, die Kosten und das medizinische Personal einzuschränken, neigen dazu, Ärzte und Ärztinnen, Krankenschwestern und Assistenten und Assistentinnen von einem ganzheitlichen Ansatz im Blick auf Gesundheit und Heilung abzuhalten. Gleichzeitig hat es sich in vielen Teilen der Welt ganz offenkundig als notwendig erwiesen, sich bei der gesundheitlichen Betreuung um den ganzen Menschen zu bemühen. Es bleibt eine offene Frage, wie das medizinische Personal in der Lage sein wird, auf diese widersprüchlichen Forderungen zu reagieren. Es ist ermutigend, in vielen säkularen Institutionen des etablierten Gesundheitssystems Zeichen und Signale einer neuen Bemühung und Offenheit im Blick auf Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen, insbesondere mit christlichen Kirchen, festzustellen.

64. Christliche Kirchen sollten offen und aufnahmefähig sein, um auf diejenigen zu hören und von ihnen zu lernen, die mit den ständig wachsenden Widersprüchen und Mängeln innerhalb des etablierten Gesundheitssystems zu tun haben.

Diejenigen, die beruflich im Gesundheitswesen tätig sind, sollten ihrerseits erkennen, dass Gesundheitsfragen über die Einzelperson hinaus etwas mit der Gemeinschaft zu tun haben, die ein soziales Netzwerk mit vielen Ressourcen und Fertigkeiten ist, das Gesundheit fördern kann. Sie werden dazu herausgefordert, sich selbst als Teil eines breiteren Netzwerks heilender Disziplinen zu betrachten, zu denen die medizinischen, technischen, sozialen und psychologischen Wissenschaften wie auch Religionen und traditionelle Heilmethoden gehören. Diese breitere Sicht wird den beruflich im medizinischen Bereich Tätigen helfen, das Leiden in das Gesundheitskonzept zu integrieren und Menschen mit unheilbaren physischen Problemen befähigen, Geheilte zu werden. Sie wird die BerufsmedizinerInnen auch dazu ermutigen, den Patienten und Patientinnen Informationen mitzuteilen und sie dazu befähigen, sich verantwortlich zu fühlen und Entscheidungen für ihre eigene Gesundheit zu treffen.

65. Der primäre Bereich der Gesundheitsfürsorge in der Gemeinschaft sollte von angemessenen sekundären und tertiären Pflegeeinrichtungen gestützt werden. Das System der Überweisung sollte auf gegenseitiger Basis und wechselseitiger Unterstützung beruhen.

Heilender Dienst und Anwaltschaft

66. Wenngleich dieses Dokument sich auf die medizinischen und spirituellen Aspekte des heilenden Dienstes konzentriert, nimmt es doch zur Kenntnis, dass es eine umfassendere Definition von Heilen gibt, die die Bemühungen von Personen, Bewegungen, Gesellschaften und Kirchen um eine grundlegende Änderung solcher Strukturen einschließt, die Armut, Ausbeutung, Schaden und Krankheit oder Leiden hervorbringen. Die frühere CMC-Studie aus dem Jahr 199026 wird immer noch als gültige Richtschnur für jenen breiteren Aspekt des heilenden Dienstes betrachtet, der mit der HIV/AIDS-Pandemie noch an Dringlichkeit zunahm. Das Dokument von 1990 betrachtet Gesundheit als ein Problem der Gerechtigkeit, eine Frage des Friedens und eine Frage, die mit der Bewahrung der Schöpfung zusammenhängt. Folglich fordert sie eine heilende Gemeinde, die "den heilenden Dienst in die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereiche hineinbringt und

  • sich für die Beseitigung von Unterdrückung, Rassismus und Ungerechtigkeit einsetzt;
  • den Befreiungskampf von Völkern unterstützt;
  • sich anderen Menschen guten Willens anschließt, um gemeinsam zu mehr sozialem Bewusstsein zu gelangen und
  • die Unterstützung der öffentlichen Meinung für den Kampf um Gerechtigkeit im Bereich der Gesundheit gewinnt".27

67. Alle Christen und Christinnen, insbesondere diejenigen, die aktiv in heilenden Diensten und in medizinischen Berufen tätig sind, und diejenigen, die mit den Charismen der Prophetie begabt sind, sind dazu aufgerufen, auf der nationalen und internationalen politischen Bühne FürsprecherInnen für einen solchen ganzheitlichen Ansatz zu sein. Mit ihrer spezifischen Kompetenz und Erfahrung tragen sie eine besondere Verantwortung, mit den und im Namen der Marginalisierten und Unterprivilegierten zu sprechen und zur Stärkung der Netze der Anwaltschaft und der Kampagnen beitragen, um Druck auf internationale Organisationen, Regierungen, Industrien und Forschungsinstitutionen auszuüben, damit der jetzige skandalöse Umgang mit Ressourcen grundlegend in Frage gestellt und verändert wird.

Ausbildung

68. Wegen aller dieser Aspekte der kirchlichen Mission im Blick auf Gesundheit und Fürsorge wird die Ausbildung von Fachkräften im medizinischen und gesundheitsbezogenen Berufen ein Schlüsselbereich für entsprechende Vorgehensweisen sein. Gemeinden und Personen, die in seelsorgerlichen Bereichen arbeiten, benötigen ebenfalls eine Unterweisung über die ganzheitlichen Ansätze im Gesundheitswesen und die in diesem Dokument erwähnten spezifischen Beiträge, die sie leisten können.

69. Für Christen besteht die Herausforderung darin, weiterhin Gemeinschaften so zu aktivieren, dass die Pädagogik des Heilens in das kirchliche Leben einbezogen wird. Dies bedeutet:

  • Gemeinschaften dazu zu motivieren und mobilisieren, die Kernfragen der mangelnden Gesundheit herauszustellen, sich diese Probleme zu eigen zu machen und wirksame Maßnahmen zu ergreifen;
  • sich mit dem ganzheitlichen Verständnis des heilenden Dienstes im Evangelium zu identifizieren;
  • mit der breiteren Gesellschaft zusammenzuarbeiten, um Veränderungen in der Gesundheit und dem Leben der Menschen zu bewirken.

5. OFFENE FRAGEN UND NOTWENDIGE DEBATTEN

70. Dieses Kapitel enthält Fragen, über die Christen aus verschiedenen denominationellen Traditionen und/oder unterschiedlicher kultureller Herkunft weiterhin diskutieren. Dies bedeutet nicht, dass alle unten aufgeführten Aussagen umstritten sind; doch über deren Reichweite und Folgen wird diskutiert.

Alle Heilung kommt von Gott Christliche heilende Spiritualität und nicht-christliche Heilpraktiken

71. Dass alle Heilung von Gott kommt, ist eine Überzeugung, die von den meisten, wenn nicht von allen christlichen Traditionen geteilt wird.28 Es wird jedoch darüber debattiert, welche Konsequenz sich aus einer solchen Aussage ergibt für das Verständnis von Menschen und Traditionen oder Heilpraktiken in anderen Religionen.

72. Als Bekräftigung der Gegenwart der göttlichen Heilkräfte, die in der ganzen Schöpfung am Werk sind, sollten Dank und Lob ausgesprochen werden für alle verschiedenen Mittel, Verfahrensweisen und Traditionen, die zur Heilung von einzelnen Menschen und Gemeinschaften wie auch der Schöpfung beitragen, indem sie deren Heilpotential stärken.

73. In vielen Kontexten, wo sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirchen ein starkes Verlangen nach Heilung besteht, wird jedoch im Bereich der Kirchen und der christlichen gesundheitsbezogenen Einrichtungen über die Frage der Offenheit und des Vertrauens von Christen gegenüber Heilpraktiken, die in anderen Religionen (wie verschiedene traditionelle religiöse medizinische Ansätze, aber auch Yoga, Reiki, Shiatsu, Zen-Meditation etc.) viel debattiert. Inwieweit lässt sich christliche Heilungsspiritualität mit Heilpraktiken aus anderen Religionen in Einklang bringen? Sind diese mit den Grundprinzipien der christlichen Spiritualität vereinbar und passen sie zusammen?

74. Christliche Spiritualität sollte gegenüber allen Mitteln der Heilung, die sich als Teil der fortwährenden Schöpfung Gottes anbieten, Offenheit zeigen. Gleichzeitig gibt es Heilpraktiken, die sich mit einer religiösen Weltsicht verbinden, die den christlichen Grundprinzipien widersprechen kann, und einige Christen achten besonders auf solche Gefahren. Für wiederum andere Christen ist Vorsicht geboten, weil böse geistige Kräfte ihre zerstörerische Wirkung hinter solchen anscheinend wohltuenden Heilpraktiken verbergen könnten.

75. Keine Heilpraxis ist völlig neutral. Sie muss jeweils kritisch theologisch geprüft werden. Das heißt nicht, dass beispielsweise keinerlei Yoga- oder Reikipraktiken in christlichen Gemeindezentren angebracht wären. Sie können, wie viele Christen im Westen glauben, in einer Weise praktiziert werden, die nicht zu einer Aufweichung oder grundlegenden Verzerrung des christlichen Glaubens und der christlichen Gemeinschaft führt. Die Kirche ist sich stets dessen bewusst gewesen, dass Gott Einblicke darin geben kann, wie die Schöpfung wirkt und durch Völker anderer Sprachen, Kulturen und sogar religiöser Traditionen zur Heilung beitragen kann, und dies gilt auch für den Bereich der medizinischen Behandlung, der alternativen Medizin und der alternativen Heilpraktiken.

76. Vorsicht oder sogar ausdrücklich Ablehnung werden indessen überall dort empfohlen, wo

  • religiöse Abhängigkeit von dem Heiler oder Guru geschaffen wird;
  • absoluter spiritueller, sozialer oder wirtschaftlicher Gehorsam verlangt wird;
  • Menschen durch Heilpraktiken in einem Geist der Bedrohung, der Angst oder der
  • Knechtschaft gefangengehalten werden;
  • der Erfolg einer Heilung von grundlegenden Veränderungen in der religiösen Weltsicht der Christen abhängig gemacht wird.

77. Wie die biblische Tradition zeigt, werden Christen dazu aufgefordert und beauftragt, alles zu prüfen, am Guten festzuhalten und alles Böse zu meiden (1. Thessalonicher 5,21-22). Wenn Christen Heilpraktiken und energetischer therapeutischer Tätigkeit begegnen, die in anderen Religionen verwurzelt sind, sollten sie sich zunächst immer ermutigt fühlen, die reiche Vielfalt und die altüberlieferten spirituellen Heilpraktiken innerhalb der christlichen Kirche selbst neu zu entdecken.

Debatte über die Vorstellungen von Dämonologie und Machtbegegnung

78. Traditionsgemäß ist der Begriff "Dämonologie" in der christlichen Theologie mit der Lehre von den Engeln (Angelologie) verbunden worden. Dämonen/dämonische Kräfte bezeichnen die "dunkle" Seite der geistigen Wirklichkeit.

Der Begriff "Macht/Mächte" wird im theologischen und ökumenischen Diskurs mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Häufig und insbesondere in ökumenischen Kreisen wird er in Bezug auf politische Gewalt und unterdrückende gesellschaftliche Strukturen gebraucht.

79. Unter pfingstlerisch-charismatischen Christen - aber darüber hinaus auch unter denjenigen, die weiterhin der Tradition des klassischen Christentums folgen - bedeutet die Bezeichnung "Mächte/Kräfte"gewöhnlich geistige Mächte/Kräfte, böse Geister, Dämonen. Folglich wird "Machtbegegnung" verstanden als eine Begegnung zwischen der (geistigen) Kraft Gottes und anderen Göttern/Geistwirklichkeiten. Diese Christen glauben, dass der wahre Gott Gottes Macht über andere beweisen wird. Es ist zwar wichtig, dass bei einem solchen Dialog die komplexen Verwicklungen der Geistwelten, die in dem und neben dem postmodernen Zeitalter gedeihen, nicht vereinfacht werden, doch gleichzeitig sollte ein solcher Dialog jedem Versuch widerstehen, den Heiligen Geist zu einem mächtigen Mittel zum Zweck zu machen, als ob die Kirche Gott rechtfertigen müsste.29 Die Kirche soll den lebendigen Gott bezeugen. Sie muss nicht beweisen, dass Gott im Recht ist.

80. Es ist eine ökumenische Herausforderung für die Kirchen, die verschiedenen Bedeutungen zu erkennen, die mit dem Reden über Mächte/Kräfte verbunden werden, und zu versuchen, Reduktionismus zu vermeiden. Während die traditionell übliche Verbindung der "Mächte" mit geistigen Kräften die primäre biblische Bedeutung zu sein scheint, ist das Verständnis von Mächten im Sinne von gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeiten ebenfalls in der Bibel zu finden (vgl. z.B. die Versuchungsgeschichte in Matthäus 4,1-11 und Lukas 4,1-13) und kann als legitime Auslegung der christlichen Botschaft verstanden werden.

81. Das pfingstlerisch-charismatische Interesse an Machtbegegnung stellt uns vor ernste Herausforderungen und kann theologische und seelsorgerliche Probleme mit sich bringen. Der Gedanke der "Machtbegegnung", wie er oben beschrieben wurde, kann zu einer triumphalistischen, aggressiven Darstellung des Evangeliums führen. In einigen Fällen werden "Geistern" Einfluss und Macht zugeschrieben, die über das hinausgehen, was theologisch angemessen erscheint, und wodurch die Bedeutung von persönlicher und kollektiver Verantwortung verwischt wird.

82. Aus diesem Grund stellen Dämonologie und Exorzismus kognitive und spirituelle Herausforderungen für diejenigen Kirchen dar, deren Bezugsrahmen und Theologie durch ein nach-aufklärerisches wissenschaftlich-rationales Denken geprägt ist, wie auch deren Weltsicht diejenige herausfordert, die Ereignisse durch Bezug auf Geistwesen erklärt. So erscheint ein angemessener interkultureller und ökumenischer Dialog im Interesse des gesamten Heilungsauftrags der Kirchen als dringlich.

Teilen von Ressourcen und Erkenntnissen im Blick auf christliches Heilen innerhalb der ökumenischen Gemeinschaft

83. Viele kirchliche Traditionen haben ihre eigenen reichen Erkenntnisse und liturgischen wie theologischen Schätze und können heute zu einem ganzheitlichen Verständnis und einer neuen Wertschätzung des christlichen Gesundheits- und Heilungsdienstes beitragen. Die anglikanische, die orthodoxe und die römisch-katholische Tradition bieten eigene und unterschiedliche Heilungsliturgien. Es wird dazu ermutigt, diese unter anderen Denominationen und Traditionen bekanntzumachen und solche liturgischen Ordnungen, die innerhalb der ökumenischen Kirchengemeinschaft vorhanden sind, miteinander zu teilen.

Studium und Dialog über Dämonologie

84. Es wäre eine lohnende Aufgabe für das Missionsreferat des ÖRK, auf breiter Basis einen Studienprozess über das Thema der Dämonologie und der geistigen Mächte in die Wege zu leiten, da dies, wie bereits erwähnt, ein Thema ist, mit dem Christen und christliche Gemeinschaften in ihrem alltäglichen Leben zu tun haben. Teil dieses Studienauftrags wäre es, die Frage zu erörtern, ob das Amt des Exorzisten als christlicher Dienst in jenen kirchlichen Traditionen rehabilitiert werden könnte, wo es bislang nicht besteht.

Ökumenische Initiative für heilende Spiritualität

85. Es könnte durchaus erwogen werden, ob für die nächsten Jahre eine ökumenische Initiative nötig wäre, um die christliche heilende Spiritualität zu vertiefen und entsprechende Ausbildungskurse für freiwillige Mitarbeiter/innen, gesundheitsdienstliches Personal und ordinierte Pfarrer/innen zu fördern.

Die Notwendigkeit Runder Tische über die Zukunft von Gesundheit, Spiritualität und Heilung

86. In vielen Ländern befinden sich etablierte Institutionen im Gesundheitswesen in einem Prozess der Umgestaltung und der institutionellen Krise, teilweise auf Grund von wirtschaftlichen Faktoren und mangelnder finanzieller Stabilität, Mängeln im Bereich von Management und Leitung, steigenden Kosten in der technologisch hochentwickelten Medizin, veränderten Verhaltensformen der Patient/innen, mangelnder Einwilligung der Patient/innen und demographischer Unausgewogenheit in vielen westlichen Ländern. Historisch gesehen hat die christliche Mission bei der Schaffung und Gestaltung des Gesundheitswesens in vielen Ländern des Südens eine Pionierrolle gespielt. Sie trägt auch Verantwortung dafür, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass die Krise der etablierten Institutionen der Gesundheitsfürsorge zu Beginn des 21. Jahrhunderts überwunden wird. Entsprechend der Tradition der Christlichen Gesundheitskommission und neuerer Vorschläge30 wird vorgeschlagen, dass die in den verschiedenen Regionen der Welt bestehenden christlichen Gesundheitskommissionen und Gesundheitsvereinigungen sich zusammentun und interdisziplinäre Gesprächsforen bilden über die Zukunft der Gesundheitsfürsorge und der Gesundheitssysteme im Westen wie im Süden. Man sollte sich um Möglichkeiten des Austauschs und der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen regionalen christlichen Gesundheitsvereinigungen bemühen, um dem christlichen Dienst des Heilens neues Profil zu geben und ihn vor den Augen der Welt sichtbarer und effektiver zu machen.

Übersetzt aus dem Englischen

Sprachendienst des ÖRK

1 CWME-Vorbereitungspapier Nr. 10, www.mission2005org

2 Vgl. Christina de Vries: "The Global Health Situation: Priorities for the Churches' Health Ministry beyond AD 2000": International Review of Missions (IRM) Vol. XC, Nos. 356/357, p. 149ff.

3 Zur ÖRK-Definition siehe § 31 unten.

4 World Health Organisation (WHO): The World Health Report - Changing History, Genf 2004.

5 United Nations: Report on Millennium Development Goals. Vgl. www.un.org/millenniumgoals/. Hier wird auf #4 verwiesen: die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel zu verringern; #5: die Sterblichkeitsrate von Gebärenden um drei Viertel zu verringern; #6: die Verbreitung von HIV/AIDS einzudämmen und zurückzuwenden. Das Vorkommen von Malaria und anderen schweren Krankheiten einzudämmen und rückgängig zu machen.

6 WHO, op.cit.

7 Vgl. Healing and Wholeness. The Churches' Role in Health. The report of a study by the Christian Medical Commission, Geneva, WCC, 1990. Das Dokument wurde 1989 vom Zentralausschuss in Moskau entgegengenommen. Zitat aus Seite 1.

8 Wie "fast-food" und andere Konsumtrends, die in den Wohlstandsgesellschaften bei Kindern und Erwachsenen zu Übergewicht, Drogensucht, übermäßigem Konsum von Fernsehen und Video usw. führen.

9 Vgl. Harold G. Koeching, Michael E. Muccullogh, David B. Lason, eds, Handbook of Religion and Health, New York, Oxford University Press, 2001.

10 Die Frage nach der Beziehung zwischen Evangelium und Kulturen wurde 1996 von der Weltmissionskonferenz in Salvador eingehend behandelt, vgl. Christopher Duraisingh (ed.), Called to One Hope. The gospel in diverse cultures, Geneva, WCC, 1998.

11 Ein Begriff, der insbesondere von Paul Tillich entwickelt wurde. Vgl. Paul Tillich: "The meaning of health" (1961) in Id., Writings in the Philosophy of Culture / Kulturphilosophische Schriften (Main works/Hauptwerke 2) ed. by M. Palmer, Berlin-New York, 1990, pp. 342-52. Paul Tillich, "The relation of religion and health. Historical considerations and theoretical questions" (1946), in: Ibid., pp. 209-38. Id., Systematic Theology III. Life and the Spirit, History and the Kingdom of God, Chicago, 1963, pp. 275-82.

12 CMC-Studie "Healing and Wholeness", op.cit. (note 6), p. 6.

13 Ein Beispiel sind die Diskussionen um den Begriff "Salutogenese", der vom medizinischen Soziologen Aaron Antonowsky entwickelt wurde und sich auf diejenigen Faktoren konzentriert, die dazu beitragen, Gesundheit und Wohlbefinden an Leib und Seele zu erhalten, statt sich auf Faktoren zu fixieren, die Krankheiten verursachen.

14 A Time to Heal. A Report for the House of Bishops of the General Synod of the Church of England on the Healing Ministry, London, Church House Publishing, 2000.

15 Mission im Kontext. Verwandlung, Versöhnung und Befähigung. Ein Beitrag des LWB zu Verständnis und Praxis der Mission, Genf, LWB, 2004 (vorläufige deutsche Übersetzung).

16 Vgl. IRM Vol. 93, Nos 370/71, Juli/Oktober 2004, on "Divine Healing, Pentecostalism and Mission".

17 z.B. die CMC-Studie von 1990, Healing and Wholeness, op.cit.

18 Gruppenbericht aus einer 2002 in Ghana durchgeführten Konsultation mit Pfingstlern, veröffentlicht in IRM July/October 2004, op.cit., p. 371.

19 Siehe unten, Kapitel 5.

20 Dies bezieht sich auf Gemeinden wie auch auf kirchliche Institutionen der Gesundheitsfürsorge und spezialisierte diakonische Dienste.

21 CWME-Vorbereitungsdokument Nr.1.

22 CWME-Vorbereitungsdokument Nr.10, op.cit.

23 Zwei Konsultationen, die im Deutschen Institut für Ärztliche Mission (DIFÄM) in Tübingen/Deutschland durchgeführt wurden und am Anfang der Gründung der Christlichen Gesundheitskommission und der ÖRK-Arbeit im Bereich der Gesundheit standen. Vgl. The Healing Church. The Tübingen Consultation 1964, Genf, ÖRK, 1965 und James C. McGilvray, The Quest for Health and Wholeness, Tübingen, DIFÄM, 1981, deutsch unter dem Titel "Die verlorene Gesundheit - Das verheißene Heil", Radius-Verlag, Stuttgart, 1982.

24 Vgl. das ausgezeichnete Kapitel über die heilende Gemeinschaft im CMC-Dokument "Healing and Wholeness", op.cit. S. 31f.

25 Erst im Mittelalter wurde diese Tradition beschränkt auf ein sakramentales Zeichen, das den Sterbenden als ‚letzte Ölung' vorbehalten wurde.

26 Healing and Wholeness, op.cit.

27 Ibid., p. 32.

28 Vgl. IRM Juli-Oktober 2004, op cit. (Dialog mit Pfingstlern); vgl. auch LWB-Missionserklärung, op.cit., S. 39. Die Aussage, dass alle Heilung von Gott kommt, ist bereits in den Dokumenten zu finden, die sich aus der Tübinger Konsultation von 1954 ergeben haben, vgl. The Healing Church, op.cit., p. 36.

29 Gott rechtfertigt vielmehr die Kirche, Matthäus 10,19-20; Lukas 21,15; Markus 13,11.

30 Vgl. die Ergebnisse der im Jahr 2000 in Hamburg veranstalteten Konsultation, veröffentlicht in IRM, Vol. XC, Nos 356/357, Januar/April 2001 zum Thema "Health, Faith and Healing".