Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. – Apostelgeschichte 2,1-4 

Dieser biblische Bericht in der Apostelgeschichte beschreibt, wie sehr die Jünger Jesu mit jeder Faser ihres Seins durch das Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und die Feuerzungen angeregt und begeistert wurden. Sie fassten Mut, um aus dem Schatten herauszutreten und eine Vision von Heil und Erlösung zu verkündigen. Und diese Vision war ungetrübt von Zögern, Angst und Untätigkeit. Sie verhieß einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Aber ist diese Pfingstvision in den Jahrhunderten seither enger oder kleiner geworden? Ist sie zu einem spirituellen Erlebnis des oder der Einzelnen geworden? Scheint die Vision von Pfingsten einen immer kleineren Teil unserer Gedanken, unseres Geistes und unseres theologischen Terrains einzunehmen? Gehört sie inzwischen ausschließlich jenen, die durch Wissen, Ort oder Zeit eine privilegierte Stellung einnehmen?

„Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr groß; in Hoheit und Pracht bist du gekleidet.“ (Psalm 104,1)

Lassen Sie uns anlässlich des diesjährigen Pfingstfestes noch einmal genauer hinschauen. In der aktuellen Zeit, der in der so viele Katastrophen aufeinandertreffen, wurde uns sehr deutlich offenbart, wie dringend notwendig eine moralische und spirituelle Verbindung der Menschen untereinander, mit der ganzen Schöpfung und mit dem Schöpfer selbst ist. Aber gleichzeitig hat die Vision von Pfingsten ihre Strahlkraft nicht verloren. Sie macht das Evangelium für die ganze Schöpfung lebendig: Wir können sie wahrnehmen durch die heilenden Hände all jener, die sich um Menschen kümmern, die von der Pandemie geplagt und betroffen sind. Wir können sie erkennen in dem flammenden Engagement von Kirchengemeinden weltweit für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und für Klimagerechtigkeit. Wir spüren sie in dem Drängen von Frauen, jungen Menschen und Seniorinnen und Senioren auf eine neue Erde, wie es der Prophet Joel vorhergesagt hat.

Wenn die Notwendigkeit das ausschlaggebende Kriterium ist, ist jetzt der beste Moment für ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm der Erneuerung. Die Last einer von Angst geprägten Zukunft ist eine Bedrohung für jedes noch so kleine Teilchen der Schöpfung. Wir brauchen die Hoffnung, die in der pfingstlichen Vision von Leben und Liebe zum Ausdruck kommt. Wie aber sollen wir zu einer Gemeinschaft von Kirchen werden, die befeuert ist von der Liebe Gottes und vereint durch die Leidenschaft für sein Volk und seine Schöpfung? Wo genau sollen wir nach dieser pfingstlichen Hoffnung suchen, die einen neuen Himmel und eine neue Erde hervorbringt?

In unserer Zeit wie zu allen Zeiten lädt Jesus uns ein, ihm nachzufolgen zu dem bebenden Herzstück des Pfingstfestes, das wir bei den Armen, den Gefangenen, den Kranken, den Hungrigen und den schlecht Gekleideten finden. Wir werden dort und in unserer Liebe zueinander erkennen, dass „die Liebe Gottes ausgegossen [ist] in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5) und dass damit die Verheißung von Pfingsten erfüllt ist. Während wir also unserem Erlöser dorthin folgen, lassen Sie uns erneut die Verheißung des Heiligen Geistes vernehmen, die uns erneuert und unsere Zeit und das Antlitz der Erde. Wir beten:

Geist des Lichts, erleuchte unsere Sinne und unseren Verstand,

Geist der Liebe, entfache das Feuer in unseren Herzen,

Geist des Lebens, gib unseren Gliedmaßen Kraft.

Göttlicher Geist, jetzt und immerdar, heile uns und befreie uns,

dass wir mit Leidenschaft und einer Aufgabe, die Verheißung von Pfingsten praktisch leben können.

 

Lasst alle Kirchen gemeinsam sagen: „Amen!“

 

Die Präsidentinnen und Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen:

Pastorin Prof. Dr. Sang Chang, Presbyterianische Kirche in der Republik Korea

Erzbischof Anders Wejryd, Kirche von Schweden

Pastorin Gloria Nohemy Ulloa Alvarado, Presbyterianische Kirche von Kolumbien

Erzbischof Mark MacDonald, Anglikanische Kirche von Kanada

Pastorin Dr. Mele’ana Puloka, Freie Wesleyanische Kirche von Tonga

Seine Seligkeit Johannes X., Patriarch der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien und dem gesamten Morgenland

Seine Heiligkeit Karekin II., Oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier