BOTSCHAFT DER KONFERENZ

„FREMDENFEINDLICHKEIT, RASSISMUS UND POPULISTISCHER NATIONALISMUS

IM KONTEXT GLOBALER MIGRATION“

GEMEINSAM AUSGERICHTET VOM DIKASTERIUM FÜR DIE GANZHEITLICHE ENTWICKLUNG DES MENSCHEN (Vatikanstadt)

UND DEM ÖKUMENISCHEN RAT DER KIRCHEN (Genf)

IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM PÄPSTLICHEN RAT ZUR FÖRDERUNG DER EINHEIT DER CHRISTEN (Vatikanstadt)

ROM, 18. - 20. SEPTEMBER 2018

 

Wir bekennen unseren Glauben an den Gott Jesu Christi, und wir glauben, dass die Menschheit von Gott geschaffen wurde und von ihm geliebt wird, dass alle Menschen dieselbe Menschenwürde besitzen und dass ihnen dieselben grundlegenden Menschenrechte zustehen.

 

1. In einer Weltsituation, die von Binnenmigration und Migration zwischen den Ländern gekennzeichnet ist, kamen wir Teilnehmende der Konferenz „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und populistischer Nationalismus im Kontext globaler Migration“ vom 18. bis 20. September 2018 in Rom zusammen. Wir sind uns der zunehmenden fremdenfeindlichen und rassistischen Reaktionen auf Flüchtlinge und Migrant/innen bewusst und haben uns darum bemüht, deren Ausgrenzung, Marginalisierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung sowie die Rechtfertigungen für diese Haltungen und Diskurse, die inzwischen in mehreren Teilen der Welt und sogar innerhalb der Kirche existieren, zu beschreiben, zu analysieren, zu verstehen und darauf zu reagieren.

2. Als Christ/innen verschiedener Konfessionen und Regionen – und gemeinsam mit Vertreter/innen interreligiöser, zivilgesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Partner – ist die gemeinsame Grundlage für unsere Überlegungen die Überzeugung, dass alle Menschen dieselbe Würde und dieselben Rechte besitzen und gleichermaßen respektiert und geschützt werden müssen, und dass wir somit von Gott berufen sind, uns dem Bösen zu widersetzen, gerecht zu handeln und nach Frieden zu streben, um die Welt zu verwandeln. Diese Grundüberzeugung steht fest und unveränderlich in unserem Streben nach Dialog zur Lösung möglicher Meinungsverschiedenheiten bezüglich der in dieser Botschaft aufgeführten Punkte.

3. (a) Migration – Menschen, die an andere Orte ziehen – ist eine natürliche Erscheinung menschlichen Lebens. Sie kommt im Laufe der Menschheitsgeschichte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und in der biblischen Erzählung immer wieder vor. Wir sind alle Migrant/innen und Fremdlinge, und wir gehören alle derselben Menschheit an.

(b) Zu den aktuellen Determinanten von Zwangsvertreibung und Migration gehören ungelöste brutale Konflikte und die nach wie vor unbewältigten Folgen der globalen Wirtschaftskrise und der Austeritätspolitik sowie weitere grundlegende Ursachen wie extreme Armut, Ernährungsunsicherheit, Chancenlosigkeit und unsichere Lebensumstände. Die zunehmenden Folgen des Klimawandels werden höchstwahrscheinlich entscheidend zu weiterer Migration beitragen.

(c) Einerseits erkennen wir das Recht von Flüchtlingen an, in ihre jeweiligen Heimatländer zurückzukehren und dort in Würde und Sicherheit zu leben; andererseits bekräftigen und unterstützen wir aber auch das Asyl für diejenigen, die vor bewaffneten Konflikten, Verfolgung oder Naturkatastrophen fliehen. Außerdem fordern wir Respekt für die Rechte aller Menschen, die sich auf dem Weg befinden, unabhängig von deren Status.

(d) Auch wenn sich Migration im Allgemeinen sowohl auf das Ziel- als auch auf das Herkunftsland positiv auswirkt, erkennen wir an, dass es im Zusammenhang mit Migration noch erhebliche Herausforderungen gibt, insbesondere wenn es darum geht, die Rechte von Migrant/innen ohne Papiere zu schützen.

4. Ausgehend von interdisziplinären Erkenntnissen, Erfahrungen und Berichten aus verschiedenen religiösen Traditionen für ein besseres Verständnis der Gründe und Auswirkungen von Hassreden gegen Migrant/innen und Flüchtlinge und von Spannungen zwischen einzelnen Ländern bzw. zwischen sozialen, kulturellen oder religiösen Gruppen im Kontext globaler Migration haben wir versucht zu verstehen, was in der Begegnung mit anderen Menschen, die aufgrund von Krieg oder Armut schutzlos geworden sind und nach Asyl, Schutz und Würde trachten, auf dem Spiel steht.

5. (a) Im Zentrum unserer Überlegungen stand die Art und Weise, wie eine Person, die durch Gewalt oder wirtschaftliche Unsicherheit schutzlos geworden ist, betrachtet wird. Xenophobie, wörtlich die „Angst vor dem Fremden“, zeigt sich in einer Haltung, die die andere Person in ihrer schwierigen Lage ausgrenzt und einengt, und in Formen und Strukturen der Gleichgültigkeit und Ablehnung, was sich sogar in der Verweigerung von Hilfe in Notfällen und zum Überleben niederschlägt. Deswegen ist es notwendig, diese Angst vor Fremden zu thematisieren und die Ausgrenzung und Marginalisierung von Migrant/innen und Flüchtlingen in Frage zu stellen. Diese Angst kann von einer komplexen persönlichen oder kollektiven Beziehung mit der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft zeugen und in der Sorge begründet sein, die eigene Identität, Sicherheit, sein Eigentum oder die Macht, mit den Herausforderungen des Lebens und der Zukunft umzugehen, zu verlieren.

(b) Gleichermaßen muss die Angst eines Menschen anerkannt werden, der aufgrund bewaffneter Konflikte, schädlicher nationaler oder regionaler Politik, durch Verfolgung, Naturkatastrophen oder aufgrund von schlimmer Armut gezwungen ist, sein Zuhause und sein Land zu verlassen.

6. (a) Rasse ist ein soziales Konstrukt, das durch die Betonung körperlicher, sozialer, kultureller oder religiöser Kriterien Trennungslinien zwischen bestimmten Gruppen erklären und rechtfertigen will. Rassismus besteht in den systembedingten und systematischen Auswirkungen von Handlungen gegenüber Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe. Rassismus zieht Trennlinien zwischen Menschen im Namen einer falschen Vorstellung von Reinheit und Überlegenheit einer bestimmten Gruppe. Es handelt sich um eine Ideologie, die in der Marginalisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung von bestimmten Personen, Minderheiten, ethnischen Gruppen oder Gemeinschaften ihren Ausdruck findet.

(b) Die Definition von Rassendiskriminierung im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Art. 1.1) lautet wie folgt: „Jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“

(c) Rassismus bewirkt und wahrt die Angreifbarkeit von Mitgliedern bestimmter Gruppen, indem ihnen ihre Rechte vorenthalten werden und ihre Existenz verweigert wird, und indem ihre Unterdrückung gerechtfertigt wird. In diesem Sinn ist Rassismus sowohl auf persönlicher als auch auf Systemebene eine Sünde, die sich nicht mit dem christlichen Glauben vereinbaren lässt. Häufig findet er sich in den Ländern, aus denen Migrant/innen stammen, aber auch in den Ländern, in die sie gehen. Gläubige Menschen müssen Rassismus verurteilen, weil er die Menschenwürde und die Zugehörigkeit zu der einen Menschheitsfamilie verleugnet und das Abbild Gottes in jedem Menschen entstellt.

7. (a) Populistischer Nationalismus ist eine politische Strategie, die sich auf das Schüren von Ängsten von Einzelnen oder von Gruppen stützt, um eine autoritäre Politik durchzusetzen, um die Interessen der vorherrschenden sozialen oder ethnischen Gruppe in einer bestimmten Region zu schützen. Im Namen dieses „Schutzes“ rechtfertigen Populisten die Verweigerung von Asyl, der Aufnahme oder Integration von Einzelnen oder Gruppen aus anderen Ländern oder eines anderen kulturellen oder religiösen Hintergrunds.

(b) Aber Notleidenden die Aufnahme und Hilfe zu verweigern, ist das Gegenteil dessen, was Jesus Christus uns gelehrt und aufgetragen hat. Unter dem Vorwand, christliche Werte oder Gemeinschaften schützen zu wollen, Menschen auszugrenzen, die Schutz vor Gewalt und Leid suchen, ist inakzeptabel, untergräbt das christliche Zeugnis in der Welt und erhebt Landesgrenzen in den Rang von Götzen.

(c) Wir rufen alle Christinnen und Christen und all jene, die grundlegende Menschenrechte unterstützen, auf, solch populistische Initiativen, die den Werten des Evangeliums widersprechen, von sich zu weisen. Dies sollte das politische Leben und den politischen Diskurs anregen und insbesondere bei anstehenden Wahlen für grundlegende Entscheidungen eine Rolle spielen.

(d) Außerdem rufen wir alle Medienplattformen auf, keine spaltenden und entmenschlichenden Gedanken und Initiativen weiterzuverbreiten, und verpflichten uns, Medien für die Förderung positiver Botschaften einzusetzen.

8. (a) In diesen Überlegungen und in diesem Dialog nehmen wir die Bedeutung von Narrativen und Gedächtnis auf persönlicher, Gemeinschafts- und institutioneller Ebene zur Kenntnis. Die biblische Grundlage, die uns auf dieser Konferenz zusammenbringt, erinnert uns daran, dass die Erfahrung der Migration ein konstantes Thema der abrahamitischen Traditionen ist. Die biblische Erzählung schildert viele Situationen, in denen das Volk umherzieht. Und auf dieser Reise erfährt das Volk, dass Gott mit ihm ist. Die Pflicht der Gastfreundschaft, die für alle Söhne und Töchter Abrahams gilt, klingt in dem Empfang der Fremden durch Sarah und Abraham an (1 Mos 18,1-16), ist Teil der Lehre der Propheten und wird von Jesus selbst aufgenommen, der sich mit dem Fremden identifiziert (Mt 25,35-40) und alle Gläubigen aufruft, den Fremden als Akt der Liebe durch den Glauben willkommenzuheißen.

(b) Wir erkennen an, dass die Sorgen vieler Menschen und Gruppen, die sich durch Migrant/innen bedroht fühlen – sei es aus Gründen der Sicherheit, des Wohlstands oder der kulturellen Identität – ernstgenommen und beachtet werden müssen. Wir möchten mit allen, die solche Bedenken haben, in einen wirklichen Dialog treten. Aber ausgehend von den Grundsätzen unseres christlichen Glaubens und dem Beispiel Jesu Christi wollen wir dem populistischen Narrativ von Angst und Hass das Narrativ der Liebe und der Hoffnung entgegensetzen.

9. Die Kirchen und alle Christinnen und Christen haben den Auftrag zu verkünden, dass jeder Mensch Respekt und Schutz verdient. Außerdem sind die Kirchen täglich dazu aufgerufen, aktiv Fremde willkommen zu heißen und gleichzeitig alle Menschen zu schützen und sich gegenseitig zu ermutigen – jeweils entsprechend der eigenen vielfältigen Herkunft und Geschichte – ihre jeweiligen Talente für den Aufbau einer Gesellschaft einzusetzen, die nach einem friedlichen Leben in Gleichwertigkeit strebt und jegliche Diskriminierung ablehnt. Kirchen sind stets dazu aufgerufen, Orte zu sein, an denen wir Vielfalt erfahren und dafür Respekt entwickeln können, und wo wir uns an der Begegnung und gegenseitigen Bereicherung erfreuen können. Dies ist von besonderer Bedeutung im Kontext der Seelsorge, der Predigt und solidarischer Initiativen innerhalb der Kirchen, mit besonderem Augenmerk auf Initiativen für und mit jungen Menschen.

10. Wir sind aufgefordert, diejenigen zu begleiten und zur Rechenschaft zu ziehen, die Macht ausüben und direkt an Entscheidungen beteiligt sind, die sich auf die Zukunft der menschlichen Gemeinschaft auf nationaler und internationaler Ebene auswirken.  Der Ratschlag, den all gläubigen Menschen geben können, mag von der Goldenen Regel inspiriert werden, die auch unterschiedlichen Traditionen gemein ist und die da lautet: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“ (Matthäus 7,12). Diese Goldene Regel findet ihre Umsetzung in den fundamentalen Menschenrechten, die nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst gelten sollen und eine Aufforderung für den sozialen Zusammenhalt darstellen. Nur ein inklusiver Handlungsansatz, der alle Dimensionen des Menschen miteinbezieht und die Teilhabe jedes einzelnen Menschen am gesellschaftlichen Leben fordert, ermöglicht einen effektiven Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.

11. Wir befürworten weitere Initiativen der Vereinten Nationen und ihrer Mitgliedstaaten, im Kontext des Globalen Vertrags für sichere, geordnete und geregelte Migration „alle Formen der Diskriminierung zu beseitigen, Äußerungen, Handlungen und Erscheinungsformen von   Rassismus, Rassendiskriminierung, Gewalt,   Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz gegenüber allen   Migranten zu verurteilen und zu bekämpfen“ (Ziel 17) und „alle Formen der Diskriminierung zu bekämpfen und uns für ein friedliches Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Gastgebergemeinschaften  einzusetzen“ im Kontext des Globalen Paktes für Flüchtlinge (Artikel 84), der explizit „die Macht und die positiven Auswirkungen der Zivilgesellschaft, der Organisationen mit konfessionellem Hintergrund und der Medien“ (ibid) anerkennt. Beide Vertragswerke sollen bis Ende des Jahres angenommen werden. Die beiden Globalen Verträge, die ,mit aktiver Beteiligung der Kirchen, der Zivilgesellschaft, der wissenschaftlichen Welt, des privaten Sektors und von Regierungen ausgearbeitet worden sind, liefern  nützliche und auf Menschenrechten basierende globale politische Rahmen, die von allen Beteiligten für die Bekämpfung fremdenfeindlicher und rassistischer Übergriffe gegenüber Migrierenden und Flüchtlingen verwendet werden sollten.

12. Die Kirchen sind wichtige Akteure der Zivilgesellschaft und des politischen Lebens, und wir fordern sie nachdrücklich auf, sich in enger Zusammenarbeit mit interreligiösen und anderen Partnern in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu engagieren, unseren Planeten als „unser gemeinsames Haus“ zu bewahren und sich für die Leidenden zu verwenden, indem sie Netze der sozialen Sicherung durch Fürsprache aufbauen und hierfür rechtliche und ethische Grundsätze vorschlagen (siehe auch die 20 Aktionspunkte des Heiligen Stuhls für die Global Compacts). Eine gute Zusammenarbeit zwischen den Glaubensgemeinschaften, den Akteuren der Zivilgesellschaft, der akademischen Welt sowie Akteuren in Wirtschaft und Politik ist ein wichtiger Aspekt im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

13. (a) Wir als Teilnehmende der Weltkonferenz gegen  „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und populistischen Nationalismus vor dem Hintergrund weltweiter Migration“ appellieren an alle Gläubigen, die in ihren eigene Traditionen die Würde des Menschen und die Solidarität unter den Völkern anerkennen, dass sämtliche Verletzungen fundamentaler Menschenrechte, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus mit aller Konsequenz durch Bildung (einschließlich  Menschenrechtserziehung), den demokratischen Prozess, den Dialog zwischen den Religionen, Gesetze und Liebe bekämpft werden.

(b) Wir verpflichten uns, aus Gründen der Stabilität und Sicherheit gemeinsam für die Veränderung sich  verstetigender ungerechter Strukturen und Systeme zu kämpfen, die aufgrund der daraus entstehenden Kulturen und Bedingungen andere Menschen ausgrenzen und ihnen die Würde und die allen Menschen zustehenden Rechte verweigern.

(c) Wir erwarten von den Kirchen, dass sie federführend an einer kritischen Bewusstseinserweiterung innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaften im Hinblick auf  die Affinität mancher theologischer Lehren zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus mitwirken und sich eindeutig von dieser Art Theologie distanzieren. Die Kirche muss ihre Rolle als Mahnerin in diesem Kontext vorbehaltlos annehmen.

(d) Wir erklären uns solidarisch mit den Kirchen, die unter Verfolgung oder fremder Besetzung leiden.

(e) Kirchen sind aufgefordert, Orte der Erinnerung, der Hoffnung und der Liebe zu sein. Im Namen Jesu, der selbst ein Leben  als Migrant und Flüchtling geführt hat und für die Ausgeschlossenen und Leidenden Worte der Hoffnung fand, engagieren wir uns in besonderer Weise für die Förderung einer Kultur der Begegnung und des Dialogs und erkennen Gott in den Gesichtern der Flüchtlinge. Denn stärker als der Tod sind das Leben und die Liebe.

 

Rom, 19. September 2018