Erhältlich in:

Von ÖRK-Generalsekretär Pastor Dr. Olav Fykse Tveit.

Neue Ausdrucksformen von polarisierendem Populismus spalten unsere Welt und unsere Gesellschaften immer tiefer. Wir erleben mehr Kommunitarismus, Nationalismus, Rassismus und Gewalt. Diese Trends wurzeln häufig in den negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung – oder ihrem genauen Gegenteil, des wirtschaftlichen Protektionismus, der Ungleichheit und der Ausgrenzung. Immer mehr Menschen werden an den Rand gedrängt und zurückgelassen, das Gefälle zwischen reich und arm nimmt stetig zu. Einige der Zurückgelassenen äußern sich und stimmen ab, einige sind jung und arbeitslos, viele leben am Rande der Gesellschaft, ohne in der Öffentlichkeit gehört zu werden, einige sind gar obdachlos.

Die Ängste einer Gruppe zu besänftigen, indem man die Ängste einer anderen Gruppe schürt, kann nicht die Lösung sein. Diese Herausforderungen erfordern eine Führung, die der gesamten und einen Menschheit gegenüber um der Gerechtigkeit und des Friedens willen verantwortlich ist. Wirklich verantwortungsvolle Beziehungen, nicht nur gegenüber den Firmeneignern, sondern auch gegenüber den Angestellten, sind eine Voraussetzung für ein gesundes Unternehmen. Verantwortungsvolle globale Führung in der heutigen Zeit setzt ein sehr viel weiter reichendes Verständnis von Verantwortlichkeit voraus – als Haltung, als selbstkritische Erkenntnis der negativen Folgen eingeschränkter Interessen und des Ausschließens so vieler vom Wachstum und der Entwicklung, von denen einige wenige profitieren. Die Gewinne aus der Wirtschaft müssen die materielle Basis für Bildung, Arbeitsplätze, Gesundheit und eine gesunde Umwelt bilden, und zwar für alle. Steuern sind gemeinsame Mittel, die notwendig sind für die nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft, und sie sollten nicht umgangen oder vermieden werden. Wenn wir die gegenseitige Verantwortlichkeit gegenüber der Menschheit und der Zukunft dieses einen Planeten Erde in einem größeren Zusammenhang sehen, dann können wir viel bessere Lösungen gemeinsam finden als jeder für sich allein.

Zahlreiche mächtige und prominente Frauen und Männer werden bald nach Davos zum jährlichen Weltwirtschaftsforum anreisen. Sie werden sich darüber unterhalten, was verantwortungsvolle globale Führung in unserer Zeit bedeutet. Dieses Thema passt in jeden historischen Kontext – doch heute erscheint es besonders kritisch. Die Leitungsverantwortlichen in allen Bereichen müssen gestützt auf die gegenseitige Verantwortlichkeit Führung definieren und verkörpern, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu meistern. Verantwortungsvolle Führung kann nicht auf Halbwahrheiten oder auf einem postfaktischen Ansatz aufbauen.

Es ist an der Zeit, dass alle verantwortungsvollen Führungspersönlichkeiten gemeinsam und mit neuem Geiste das angehen, was heute, in dieser Zeit, von uns verlangt wird. Auch religiöse Leitungspersonen sind dazu aufgerufen; wir müssen eine führende Rolle übernehmen bei der eigenen Verantwortlichkeit für unsere moralischen und spirituellen Werte gegenüber den Bedürftigsten. Und zwar gestützt auf unseren Glauben, dass die Verantwortlichkeit gegenüber Gott bedeutet, dass wir auch gegenüber all denjenigen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, verantwortlich sind. Lassen Sie mich hierzu einige dringende Beispiele ansprechen.

Es ist offenkundig: Wir müssen den Klimawandel sowohl als weltweites Problem, wie auch als lokales Anliegen überall angehen, indem wir Rechenschaft ablegen für die gemeinsamen Verpflichtungen von Paris 2015 und Marrakesch 2016. Dazu gehört auch die Verantwortlichkeit gegenüber den Opfern der gegenwärtigen und zukünftigen Klimaänderungen. Nie dürfen wir vergessen, dass die Verletzlichsten bereits heute unter den schwersten Folgen der Treibhausgasemissionen leiden. Die wirtschaftliche Entwicklung –die wir alle benötigen – zeigt sich dann gemeinsam verantwortlich, wenn sie nachhaltigen Energiequellen und nachhaltigen Produktions- und Beförderungsmethoden den Vorrang gibt. Diese „grüne Wende“ ist möglich. Sie erfordert jedoch moralische Motivation, politische Entscheidungen und das Einschlagen neuer Richtungen bei den Investitionen und im Geschäft. Die Erde ist unsere eine und einzige Heimat, und sie ist auch die Heimat unserer Kinder und Enkelkinder.

Tatsächlich sind es die Kinder, die oft am meisten unter der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und den neuen Formen der Polarisierung, unter lokalen Konflikten und Gewalt leiden. Wir erkennen an, dass Religion manchmal missbraucht wird, um Gewalt gegen Kinder zu legitimieren oder zu rechtfertigen, selbst im eigenen Heim. Kinder haben das Recht, ohne Gewalt und in Sicherheit aufzuwachsen. Kinder, die nicht erhalten, was sie für ihre Entwicklung brauchen – Ernährung, Sicherheit, Gesundheit, Bildung und liebevolle Fürsorge – leiden heute, und sie werden diese Wunden ihr ganzes Leben lang in sich tragen. Es gibt keine bessere Investition für eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit als Fürsorge und Bildung für alle Mädchen und Jungen. Verantwortungsvolle Führungspersönlichkeiten aus allen Bereichen müssen den Bedürfnissen der Kinder mehr Aufmerksamkeit schenken – denn sie sind die Hoffnung der Menschheit.

In vielen Teilen der Welt treten neue und neuartige Formen von Gewalt und Terrorismus auf. Gewalt geschieht zuhause, gegen Frauen, in Gemeinschaften, gegen vielerlei Minderheiten, zwischen Stämmen, Gemeinschaften und Nationen, ausgeübt von Einzelnen und Gruppen, von Staaten als Unterdrückung und strukturelle Gewalt, oder durch den Einsatz von Waffen. Ein Teil dieser Gewalt will sich durch religiöse Motive rechtfertigen. Aber Gewalt im Namen von Religion ist Gewalt gegen den wahren Sinn der Religion. Religiöse Führungspersönlichkeiten und diejenigen, die glauben und ihren Glauben praktizieren, müssen ihre Verantwortlichkeit offenlegen und zusammenstehen gegen den Missbrauch von Religion als direkte Begründung oder indirekte Legitimation von Gewalt. Es ist unsere Verantwortung als religiöse Leitende heute, zu ermitteln, wie religiöser Glaube und religiöse Praktiken zu mehr Gerechtigkeit und mehr Frieden für die gesamte Schöpfung Gottes führen können.

Eine wahre Führungsperson weiß, dass wir gegenseitig die Weisheit der anderen brauchen, die wir erworben haben durch einen offenen, ja sogar kritischen Dialog über Interessen und Grenzen hinaus. Sich einer Vision der Inklusivität und gegenseitigen Verantwortlichkeit zu verschreiben, ist eine Herausforderung für alle, unabhängig davon, in welchem Bereich wir tätig sind. Doch genau das ist es, was die heutige Zeit von einer globalen Führung erfordert. Wir müssen für Hoffnung eintreten – für alle, nicht nur für unsere eigenen Interessen oder diejenigen von Unternehmen, spezifischen Gruppen oder Nationen, denn sonst ist es keine wirkliche Hoffnung.