Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten nahm folgende Vorschläge zur Beschlussfassung durch den Zentralausschuss entgegen.

A. Vom Exekutivausschuss:

1. Erklärung zum Irak

2. Erklärung zum Internationalen Strafgerichtshof

3. Erklärung zu den Menschenrechten und Sprachen indigener Völker

4. Erklärung zu entwurzelten Menschen

B. Eingereichte Vorschläge von Zentralausschussmitgliedern innerhalb der 24-Stunden-Frist nach Ankündigung der Vorschläge des Exekutivausschusses:

1. Erklärung zum Tsunami

2. Geeignete Beschlussfassung zum 90. Jahrestag des armenischen Genozids

3. Die Frage des Abzugs von Investitionen aus Geschäftsunternehmen, die die israelische Besetzung palästinensischer Territorien unterstützen

4. Geeignete Reaktion auf die Entwicklungsinitiative der britischen Regierung für Afrika

5. Geeignete Reaktion auf die Menschenrechtssituation in Guantanamo Bay

6. Geeignete Beschlussfassung zur Lage der ungarischen Minderheit in Vojvodina, Serbien-Montenegro

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten erörterte alle vorgelegten Vorschläge und behandelte sie wie folgt.

Am Sonntag, dem 24. April 2005, wird des 90. Jahrestags des armenischen Genozids gedacht, des tragischen Massakers von eineinhalb Millionen Armeniern in der Türkei und der Vertreibung einer weiteren Million aus ihrer Heimat.

Der Ökumenische Rat der Kirchen hat darauf hingewiesen, dass die Gräueltaten öffentlich anerkannt werden müssen und dass sich die Türkei mit diesem dunklen Kapitel ihrer Geschichte beschäftigen muss. Wie wichtig die Aufarbeitung ihrer Geschichte für die Türkei ist, insbesondere auch, um die Beziehungen zur armenischen Minderheit zu verbessern, hat kürzlich auch die Konferenz Europäischer Kirchen im Zusammenhang mit dem Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union hervorgehoben.

Aus christlicher Perspektive erfordert die Verwirklichung von Gerechtigkeit und Versöhnung die Anerkennung des begangenen Verbrechens als eine sine qua non-Bedingung für die Heilung der Erinnerung und die Möglichkeit zur Vergebung. Vergebung bedeutet nicht Vergessen, sondern Rückblick mit dem Ziel, die Gerechtigkeit, den Respekt vor den Menschenrechten und die Beziehungen zwischen Tätern und Opfern wiederherzustellen.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt dem Generalsekretär und dem Mitarbeiterstab, allen Mitgliedskirchen vorzuschlagen, Sonntag, den 24. April, zu einem Gedenktag an den armenischen Genozid zu machen und des Weiteren geeignete Aktionen im Zusammenhang mit dem 90. Jahrestag des armenischen Genozids zu erwägen.

Die Situation in Vojvodina in Serbien-Montenegro gibt weiterhin Anlass zu großer Sorge. Mehrere kirchliche Delegationen und Regierungsabordnungen haben die Region vor kurzem besucht oder planen einen Besuch. Der ÖRK sieht es als eine Priorität an, die Einhaltung der Menschenrechte für alle Menschen und die Einheit zwischen den Mitgliedskirchen in der Region zu unterstützen. Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt der CCIA, die Entwicklung im Kontakt mit der KEK zu beobachten und geeignete Beschlussfassungen in Erwägung zu ziehen.

Im Anschluss an den Bericht des Generalsekretärs an den Zentralausschuss wurde der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten gebeten, eine geeignete Beschlussfassung als Reaktion auf die Entwicklungsinitiative der britischen Regierung für Afrika in Betracht zu ziehen.

Dies ist ein Kairos-Jahr für Afrika, in dem wichtige Entscheidungen zu Handelsbestimmungen, Schuldenerlass und Entwicklungshilfe getroffen werden. In den kommenden Monaten wird die Rolle Großbritanniens in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung sein. Diese Rolle wurde unlängst beim Besuch eines hochrangigen Vertreters der britischen Regierung im ÖRK erörtert. Die von Großbritannien geplanten Maßnahmen sehen einen umfassenderen und breiter gestreuten Schuldennachlass für ärmere Länder, besonders in Afrika vor. Großbritannien wird den ärmsten Ländern einen 100%-igen Schuldenerlass gewähren und hat zu entsprechenden Maßnahmen zum Erlass multilateraler Schulden aufgerufen. Ziel der vorgeschlagenen Finanzfazilität ist es, die ärmsten Länder der Welt und die internationale Gemeinschaft dabei zu unterstützen, die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen. Das britische Konzept sieht die Einrichtung der Afrika-Kommission vor.

Angesichts der Kolonialgeschichte des Vereinigten Königreichs und der Schwierigkeiten des Landes, das UN-Ziel von 0,7% des BIP für Entwicklungshilfe einzuhalten, ist dies in der Tat eine ermutigende Lösung. Und die Schlüsselrolle, die Großbritannien mit dem Vorsitz der G8 und dem baldigen Vorsitz der EU zufällt, kann die politische Wirkung dieser Führungsrolle vervielfachen. Diese Initiativen sollten daher begrüßt werden.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten fordert den Zentralausschuss auf, den Generalsekretär und den Mitarbeiterstab zu ersuchen, die Kontakte zur britischen Regierung aufrechtzuerhalten und zu beobachten, wie sich diese und andere Initiativen in afrikanischen Ländern in Bezug auf Schulden, Handel und Hilfe auswirken, und zu untersuchen, wie die ökumenische Bewegung sich für eine faire und gerechte Lösung der Herausforderungen einsetzen kann, vor die der afrikanische Kontinent und sein Volk gestellt sind.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten konnte auch einen von ihm in Auftrag gegebenen Bericht entgegennehmen, den Botschafter Bethuel Kiplagat über die Fortschritte im Friedensprozess in Somalia verfasst hatte.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt Beschlussfassungen des Zentralausschusses zu folgenden Fragen vor.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt dem Zentralausschuss vor, den nachfolgenden Protokollpunkt zu Israel/Palästina anzunehmen.

Protokollpunkt zu bestimmten wirtschaftlichen Maßnahmen für Frieden in Israel/Palästina

Im Konflikt zwischen Israel und Palästina gibt es neue Hoffnung, obwohl die Probleme, die die Konfliktparteien spalten, bislang nicht geringer geworden sind. Die Palästinenser haben trotz der andauernden Besetzung zwei Wahlen mit positivem Ausgang organisiert und planen, Mitte des Jahres eine weitere Wahl abzuhalten. Die Kirchen begrüßen, dass es neue Impulse für den Frieden und die Suche nach Lösungen gibt, welche die für den Frieden Verantwortlichen - die Mächtigen wie die Schwachen - in glaubwürdiger Weise in die Pflicht nehmen.

Die Kirchen stellen fest, dass das zeugnishafte kirchliche Engagement, das sowohl Israelis als auch Palästinenser einschließt, zunehmend Wirkung zeigt. Das vom ÖRK geleitete Ökumenische Begleitprogramm (EAPPI) ist sowohl unter Palästinensern als auch unter Israelis, die unter den gegenwärtigen Bedingungen leiden, präsent und unterstützt beide Seiten. In den Kirchen wächst auch das Interesse an neuen Maßnahmen, die ihr Engagement für einen gerechten und dauerhaften Frieden in Israel und Palästina zum Ausdruck bringen und die Aussichten darauf verbessern.

Bemerkenswert sind hier Initiativen in den Kirchen, die darauf abzielen, dass die Kirchen sich stärker für die Schaffung von Gerechtigkeit bei wirtschaftlichen Aktivitäten verantwortlich fühlen, die sie mit fortdauernden Verletzungen des Völkerrechts in den besetzten Gebieten in Verbindung bringen. Der Zentralausschuss begrüßt die aktuellen Maßnahmen der Presbyterianischen Kirche (USA), die einen Prozess des abgestuften, selektiven Abzugs von Investitionen aus multinationalen Unternehmen in Gang gesetzt hat, die in die Besetzung verstrickt sind. Diese Aktion ist als Methode und Praxis empfehlenswert, sie geht von Kriterien aus, die im Glauben wurzeln, und ruft die Mitglieder auf, das zu tun, "was zum Frieden dient" (Lk 19,42).

Hierbei geht es darum, als Grundlage für einen gerechten Frieden Gesetze zu befolgen. Multinationale Unternehmen sind beteiligt an der Zerstörung palästinensischer Häuser, am Bau von Siedlungen und Infrastrukturanlagen für Siedlungen in den besetzten Gebieten, am Bau der Trennmauer, die auch weit in die besetzten Gebiete hineinreicht, und an anderen Völkerrechtsverletzungen, die über die im Waffenstillstand von 1949 international anerkannten Grenzen des Staates Israel hinaus stattfinden.

In diesem 38. Jahr der Besetzung wächst die Sehnsucht nach einem gerechten und dauerhaften Frieden. Für die Mitgliedskirchen des ÖRK basieren solche Hoffnungen auf Positionen und Programmen, die zeigen, dass mitten in diesen Konflikten Wahrheitssuche stattfindet.

Der ÖRK hat seit 1969 "wirksame internationale Garantien für die politische Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Nationen in diesem Gebiet, einschließlich Israels", gefordert und dieses Anliegen in regelmäßigen Abständen bekräftigt. Zum letzten Mal geschah das 2004, als er Israels "ernsthafte und legitime Sicherheitsinteressen" anerkannte.

1992 stellte der ÖRK-Zentralausschuss fest, dass "Kritik an der Politik der israelischen Regierung nicht per se antijüdisch ist". Während der Osloer Friedensgespräche in den 1990er Jahren unterstützten die Kirchen zivilgesellschaftliche Projekte der Wiederannäherung zwischen den Konfliktparteien im Heiligen Land.

1995 stellte der Zentralausschuss Kriterien für wirtschaftliche Maßnahmen im Dienste der Gerechtigkeit auf: diese müssen Teil einer umfassenden Strategie der Friedensstiftung sein; dürfen nur verhängt werden, wenn flagrante und anhaltende Verletzungen internationaler Normen vorliegen; müssen eine klare und begrenzte Zielsetzung haben; müssen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen; bedürfen einer angemessenen Überwachung und müssen transparent durchgeführt werden.

2001 empfahl der ÖRK-Exekutivausschuss einen internationalen Boykott von Waren, die in illegalen Siedlungen in den besetzten Gebieten produziert werden, und die Mitgliedsorganisationen der ÖRK-nahen APRODEV arbeiten gegenwärtig daran, dass Produkte aus den israelischen Siedlungen vor ihrer Verschiffung in die Europäische Gemeinschaft gemäß dem Assoziierungsabkommen der EU mit Israel umfassend und deutlich gekennzeichnet werden.

Die illegalen Aktivitäten in den besetzten Gebieten dauern jedoch an, so als ob ein funktionsfähiger Friede für beide Völker keine realistische Möglichkeit darstelle. Wir verschließen nicht die Augen vor den Tatsachen und wir dürfen sie nicht gut heißen, auch nicht unbeabsichtigt. Der Zentralausschuss, der vom 15.-22. Februar 2005 in Genf tagt,

ermutigt daher die Mitgliedskirchen, neue Wege in der Friedensarbeit zu gehen und ernsthaft wirtschaftliche Maßnahmen zu erwägen, die gerecht, transparent und gewaltfrei sind;

hält die Mitgliedskirchen an, bei solchen Initiativen gute Beziehungen mit Schwesterkirchen zu unterhalten, um sich gegenseitig unterstützen und beraten zu können;

fordert nachdrücklich dazu auf, im Engagement für den Frieden mehr Wege der Zusammenarbeit zwischen christlichen, muslimischen und jüdischen Gemeinschaften zu schaffen und bestehende Beziehungen auszuweiten;

erinnert Kirchen, die über Investitionsmittel verfügen, daran, dass sie die Möglichkeit haben, diese Mittel verantwortlich zur Unterstützung von friedlichen Konfliktlösungen einzusetzen. Wirtschaftlicher Druck, der in angemessener Weise und offen angewendet wird, ist ein solches Aktionsmittel.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt dem Zentralausschuss vor, folgende Erklärung zu den Menschenrechten und Sprachen idigener Völker anzunehmen:

1. Erklärung zu den Menschenrechten und Sprachen indigener Völker

Der Ökumenische Rat der Kirchen beschäftigt sich seit 1980 mit den Rechten indigener Völker. Er begleitete und unterstützte die Sonderarbeitsgruppe "Indigene Bevölkerungsgruppen" der Vereinten Nationen und war am Entwurf der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen beteiligt.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fühlt sich der Erklärung über die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, in der die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Überleben indigener Völker verankert sind, weiterhin verpflichtet. Die Erklärung des ÖRK-Zentralausschusses im Juli 1982 in Genf rief u.a. die Mitgliedskirchen dazu auf, indigenen Menschen Gehör zu schenken und von ihnen zu lernen, um das christliche Verständnis von (und die Solidarität mit) ihren gesetzlich verbrieften Rechten, ihrer politischen Lage, ihren kulturellen Leistungen und Bestrebungen und spirituellen Überzeugungen zu vertiefen. Sie ermutigte ferner die Kirchen, sich politisch an der Seite der indigenen Völker zu engagieren und mit ihnen die Mächtigen und Gewaltigen zu bekämpfen, die diesen Landrechte und Menschenrechte verwehren wollen.

Die Erklärung der Siebten Vollversammlung des ÖRK 1991 in Canberra zu indigenen Völkern und Landrechten forderte die Mitgliedskirchen dazu auf, auf Worte nun Taten folgen zu lassen und mit indigenen Völkern insbesondere darüber zu verhandeln, wie ihnen von Kirchen zu Unrecht beanspruchtes Land zurückgegeben werden kann; das Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität anzuerkennen und nachdrücklich zu unterstützen sowie bei Regierungen und internationalen Gremien ihren Einfluss geltend zu machen, damit das Ziel der Gerechtigkeit durch die Verwirklichung der Souveränität und Selbstbestimmung der indigenen Völker aktiv verfolgt wird.

Im Laufe der Jahre befasste sich der Rat mit verschiedenen Aspekten der Rechte indigener Völker, ohne jedoch genauer auf die Frage ihrer Sprachen einzugehen.

Der ÖRK ist sich seiner Verantwortung für die Bewahrung des Lebens bewusst und beobachtet mit Sorge den Verlust der Sprachenvielfalt in der Welt. Nach Angaben der UNESCO verstummt im Durchschnitt alle zwei Wochen eine Sprache für immer. Man geht davon aus, dass bis Ende dieses Jahrhunderts nahezu 90% der 6700 Sprachen der Welt aussterben werden. In indigenen Sprachen sind entscheidende Kenntnisse darüber aufbewahrt, wie die Biodiversität an einem gegebenen Ort erhalten werden kann, und sie können somit zur Bewahrung des Lebens auf dem Planeten insgesamt beitragen. Wissenschaftlicher erkennen in zunehmendem Maße, dass eine wichtige Verbindung zwischen Sprachenvielfalt und Biodiversität besteht, und weisen auf eine analoge Beziehung zwischen beiden hin.

Die Missionsgeschichte der Kirchen hat viele ambivalente Seiten und eine davon hat mit den indigenen Sprachen zu tun. In vielen Fällen haben Bibelübersetzungen dazu beigetragen, indigene Sprachen zu erhalten und weiterzuentwickeln, während sich in anderen Fällen der Gebrauch der Kolonialsprachen gegenteilig ausgewirkt hat.

Mit Blick auf die kulturelle, geistige und spirituelle Vielfalt der Menschheit ist es deshalb wichtig, die indigenen Sprachen weltweit neu zu beleben. Diese Sprachen sind auch Trägerinnen von Wissen, das im Laufe der Jahrtausende gesammelt und weiterentwickelt wurde und unverzichtbar für das Verständnis lokaler Ökosysteme, der medizinischen Nutzungen von Pflanzen, spezifischer Formen der Landwirtschaft und einer sanften Anpassung an die regionale Umwelt ist.

Angesichts der Notwendigkeit, die Rechte indigener Völker und insbesondere deren Sprachen zu schützen, wiederholt der ÖRK-Zentralausschuss seine Unterstützung für das Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität indigener Völker, wie sie in Kirche und Gesellschaft definiert werden, und ruft seine Mitgliedskirchen auf,

- darauf zu drängen, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2006 zum Internationalen Jahr indigener Sprachen erklären;

- an ihre Regierungen zu appellieren, alle Gesetze abzuschaffen, die indigene Sprachen diskriminieren, und dafür zu sorgen, dass der Druck auf indigene Sprachen im Bildungs- und Gesellschaftssystem abgebaut wird, sowie sich aktiv um die Einhaltung internationaler Übereinkommen und Verträge über das Grundrecht aller Menschen auf ihre ererbte Sprachkultur zu bemühen;

- NROs und Stiftungen, die in diesem Bereich arbeiten, dazu aufzufordern, dem Schutz der weltweiten Sprachenvielfalt bei der Vergabe von Mitteln und struktureller Unterstützung höchste Priorität einzuräumen, da Gemeinschaften in der ganzen Welt darum kämpfen, ihre überkommenen Traditionen mit Hilfe ihrer indigenen Sprachen am Leben zu erhalten;

- die Kirchen und die Christengemeinschaft daran zu erinnern, dass die Vielfalt der gesprochenen Sprachen als Zeichen der Fülle des Geistes Gottes in der Apostelgeschichte (Kap. 2) und als integraler Teil der Vision von der Anbetung vor dem Thron Gottes in der Offenbarung (7,9) erwähnt wird.

- sprachbezogene Dienste und Aktivitäten, insbesondere Bibelübersetzungen durch Mitgliedgesellschaften der Vereinigten Bibelgesellschaft weiterhin zu unterstützen, die gegenwärtig in 500 bis 600 Sprachen übersetzen und damit eine wichtige Katalysatorfunktion bei der Stabilisierung und Entwicklung von Sprachen übernehmen;

- zur Auseinandersetzung mit ihrer Rolle und eventuellen Mitverantwortung für Praktiken kultureller Unterdrückung durch Internate, andere Einrichtungen und Prozesse zu ermutigen;

- die Kirchen dazu aufzufordern, über praktische Mittel zur Überwindung dieser weltweiten Krise nachzudenken, wobei darauf aufmerksam gemacht wird, dass dem kritischen Thema des Sprachensterbens auf lokaler genauso wie auf internationaler Ebene entgegengewirkt werden

muss;

- die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dazu aufzurufen, die noch bestehenden Differenzen und Streitigkeiten auszuräumen, die der Unterzeichnung der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, die speziell deren Sprachenrechte schützt, noch im Wege stehen;

- und auch alle Staaten mit indigenem Bevölkerungsanteil dazu aufzurufen, das IAO-Übereinkommen 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern von 1989 zu unterzeichnen und zu ratifizieren, das in Artikel 28 und 30 auf die Sprachenrechte indigener Völker eingeht.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt dem Zentralausschuss, die folgende Erklärung zur Tsunami-Katastrophe anzunehmen:

2. Erklärung zu den vom Tsunami betroffenen Ländern

Wir sind durchdrungen von der Vision einer Kirche, die auf alle zugeht im Teilen, in der Fürsorge, in der Verkündigung der frohen Botschaft von der Erlösung durch Gott, ein Zeichen für Gottes Reich und glaubwürdig im Dienst an der Welt. (Unsere ökumenische Vision, Achte Vollversammlung des ÖRK 1998)

Tief erschüttert und mit großer Trauer befasst sich der Zentralausschuss auf seiner Tagung in Genf, Schweiz, im Februar 2005, mit der Tsunami-Katastrophe, die die Region rund um den Indischen Ozean am 26. Dezember 2004 ereilte - eine der tödlichsten Naturkatastrophen, die die Welt je erlebt hat. Die gewaltigen Flutwellen, die durch ein Seebeben ausgelöst worden waren, verwüsteten Stunden später Küstenstädte in Indonesien, Thailand, auf den Malediven, in Sri Lanka, Indien, Somalia, Tansania und Myanmar (Informationen über den entstandenen Schaden und die Todesopfer in Myanmar hat die dort herrschende Militärjunta bislang nicht vorgelegt), brachten unzähligen Menschen, Einheimischen und Touristen, den Tod, zerstörten ganze Gemeinschaften, vernichteten zahlreiche Gebäude und verursachten unermessliches menschliches Leid. Wir bedauern auf das Tiefste, dass technische Anlagen, mit denen vor drohenden Tsunamis hätte gewarnt werden können, im Indischen Ozean nicht eingerichtet waren. Ein Frühwarnsystem hätte Tausende von Menschenleben retten können. Es müssen Schritte unternommen werden, um in allen ungeschützten Gebieten ein Frühwarnsystem zu installieren.

Das Los der Kinder, die unter den Einwirkungen des Tsunami leiden, bereitet uns besondere Sorge. Etwa ein Drittel der Todesopfer sind Kinder. Tausende, die überlebt haben, sind verwaist oder von ihren Familien getrennt worden. Es wächst die Befürchtung, dass Menschenhändler Kinder als Sexsklaven ausbeuten oder sie zur Arbeit in Fabriken unter unwürdigen Arbeitsbedingungen oder als Kindersoldaten anwerben. Kinder sind für uns Zeichen der Hoffnung. Ihr Wohl heute sichert uns eine bessere Welt von morgen. Unsere Hoffnung wird erfüllt, wenn es uns gelingt, diese verletzlichen Kinder vor Missbrauch und Entwürdigung zu bewahren. Die Kirchen, aber auch andere müssen alles tun, um der Ausbeutung der Kinder Einhalt zu gebieten, die in ihrem zarten Alter schon genug unter einem Trauma von solchen Ausmaßen zu leiden haben.

Wir weisen besonders auf die Auswirkungen des Tsunami auf Frauen hin. In einigen Fällen haben Witwen keinen Rechtsanspruch auf ihre Häuser und sind auf Grund der Frauendiskriminierung beim Wiederaufbau ihrer Existenz mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Laut UNIFEM sind Frauen, die von der Flutwelle vertrieben wurden, vergewaltigt und sexuell missbraucht worden.

Wir sind ermutigt durch die spontane Reaktion, die diese Krise international, national und vor Ort sowie bei den Religionsgemeinschaften in der Region und darüber hinaus hervorgerufen hat. Hierzu gehören sowohl seelsorgerliche als auch materielle Hilfe. Die ökumenische Familie und ihre Partnerorganisationen haben im Rahmen von Kirchen helfen gemeinsam (ACT) schnell auf die Bedürfnisse der Menschen in den betroffenen Gebieten reagiert. Sie haben dringend benötigte Nahrungsmittel, Medikamente und medizinische Geräte geliefert, medizinische Nothilfe geleistet und beim Beginn des Wiederaufbaus mitgeholfen. Wir danken Gott, dass er den starken Geist des Mitleidens, der Fürsorge und der Gemeinschaft, der uns zu einer menschlichen Familie verbindet, hat offenbar werden lassen.

Die Kirchen in Indonesien, Indien, Sri Lanka und Thailand haben beispielhaft den Weg interreligiöser Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Tsunami-Katastrophe gewiesen, indem sie die befreienden humanitären Elemente ihrer Religionen eingesetzt haben, um die Not der Überlebenden zu lindern. Die christlichen Gemeinschaften in Indonesien, insbesondere der PGI (Christenrat von Indonesien) und die KWI (Katholische Bischofskonferenz von Indonesien) haben alle Bemühungen zurückgewiesen, die humanitäre Arbeit zur "Christianisierung" zu missbrauchen, und erklärt, dass es an der Zeit sei, dass alle Glaubensgemeinschaften gemeinsam ans Werk gehen, um die Katastrophe so schnell wie möglich zu überwinden.

Der Auftrag der Kirchen, mit den Betroffenen der Tsunami-Katastrophe zusammenzuarbeiten, kommt aus dem biblischen Gebot, die Heiligkeit und den Wert des Lebens zu verkündigen. Nie vergisst Gott "das Schreien der Elenden" (Psalm 9,13).

Wir würdigen ebenso den Beitrag, der von Regierungen, nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie von den Sonderorganisationen der UNO geleistet wurde, um das Leiden der Überlebenden und ihrer Familien zu lindern. Sie haben sich vorbildlich für die von dieser Tragödie heimgesuchten Menschen engagiert. Diese Antwort auf den Tsunami, die ohne Beispiel in der Geschichte ist, sollte die Geber nicht dazu verleiten, als Folge von "komplexen politischen Notfällen" und Naturkatastrophen ihre Verpflichtungen gegenüber den Bedürfnissen von notleidenden Menschen in anderen Regionen der Welt zu vernachlässigen.

Wir sind dankbar für alle humanitäre Hilfe und Unterstützung, für die rasche Unterstützung durch Militäreinheiten aus verschiedenen Ländern und für den Einsatz der ausländischen Helfer, die ihr Wissen und Können eingebracht haben. Doch würden wir unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir nicht unterstreichen würden, wie wichtig es ist, dass im Mittelpunkt der Hilfe- und Rehabilitationsmaßnahmen die Einheimischen stehen müssen. Auch wenn ausländische Hilfe und Unterstützung mit Erfolg das akute Leiden und die Not der Betroffenen lindern, wird auf lange Sicht eine konstruktive Zusammenarbeit der verschiedenen Glaubensgemeinschaften erforderlich sein, um die Menschen geistlich zu begleiten, damit sie ihre Existenz wiederaufbauen und ihr Trauma überwinden können. Diese Maßnahmen müssen in die Lebensweise der Gemeinschaften vor Ort eingebettet werden und diese respektieren - dazu müssen die Kirchen in der Region befähigt werden.

Alle Länder, die sich an diesen Hilfsmaßnahmen beteiligen, müssen für Rechenschaftspflicht und Transparenz sorgen, um der Korruption vorzubeugen. Die UN-Hauptabteilung für humanitäre Angelegenheiten ist bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und hat eine angesehene unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt, eine umfassende Prüfung der empfangenen und verteilten Finanzmittel vorzunehmen.

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spricht denen, die ihre Angehörige verloren haben, sein Mitgefühl aus und betet für sie, dies gilt auch den Ausländern, die vor Ort waren, als der Tsunami die Küsten von Süd- und Südostasien heimsuchte;

begrüßt die spontane Reaktion der internationalen Gemeinschaft, der einheimischen Bevölkerung, der Kirchen, der ökumenischen Familie und ihrer in ACT zusammengeschlossenen Hilfswerke, die den Überlebenden und ihren Familien humanitäre Hilfe und Unterstützung zukommen liessen;

empfiehlt den ökumenischen Partnern, Kirchen und nationalen Kirchenräten in der Region ihre Management- und Führungskompetenzen zu stärken, um die aus dem Ausland empfangene Hilfe und Unterstützung effizient und effektiv zu nutzen;

sorgt sich um das Wohl der Kinder, die den Tsunami überlebt haben, und hofft, dass sie die notwendige Betreuung erfahren und dass Kinder und Frauen nicht zum zweiten Mal zu Opfern werden, indem sie in die Hände von Menschenhändlern geraten;

ist ferner besorgt angesichts der potenziellen langfristigen Auswirkungen einer Neuausrichtung der Entwicklungshilfeprogramme, der Beteiligung ausländischen Militärpersonals an den humanitären Hilfsprogrammen, insbesondere in Gebieten innerstaatlicher Konflikte in der Region; es bleibt zu hoffen, dass die Krise dazu beiträgt, dass die Konfliktparteien zusammenkommen und ihre Differenzen beilegen, um für das Wohl der Menschen zu sorgen und ihren Bedürfnissen zu dienen;

fordert die Kirchen und humanitären Organisationen, die sich in Hilfs- und Unterstützungsprogrammen engagieren, nachdrücklich auf, aufmerksam und sensibel für die Wertvorstellungen, die Kultur und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zu sein und ihre Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Kirchen durchzuführen;

ruft die Kirchen auf, langfristige geistliche Begleitung und Traumaberatung für die soziale Rehabilitierung der Überlebenden und ihrer Familien anzubieten;

legt dem Ökumenischen Rat der Kirchen nahe, lebendige Briefe in die vom Tsunami betroffenen Kirchen und Länder zu entsenden.

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Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt dem Zentralausschuss vor, die folgende Erklärung zum Internationalen Strafgerichtshof anzunehmen:

3. Erklärung zum Internationalen Strafgerichtshof

1. Einleitung

Das Streben nach Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung steht im Zentrum der Mission der christlichen Kirchen in ihrer Antwort auf die Lehre Jesu in der Bergpredigt: "Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden... Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen" (Mt 5, 6 und 9).

Christen und Kirchen auf der ganzen Welt haben die Suche nach Gerechtigkeit und Frieden zu einem zentralen Element ihres christlichen Engagements in allen Bereichen, vom alltäglichen Leben bis zur internationalen Ebene, gemacht. Der ÖRK hat bei etlichen Gelegenheiten hervorgehoben, welch bedeutende Rolle das Völkerrecht beim Aufbau einer gerechteren Welt spielt.

2. Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofs

Die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist einer der wichtigsten Fortschritte im Völkerrecht der letzten Jahrzehnte. Mit dem Gericht wird für die Weltgemeinschaft ein Instrument zur Verteidigung der Menschenrechte und der Gerechtigkeit sowie zur Verfolgung bestimmter Straftaten geschaffen, die ansonsten ungesühnt blieben. Die Tätigkeit des IStGH ist ein wichtiger Schritt zur Versöhnung innerhalb von und zwischen Völkern und Gemeinschaften.

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das Verbrechen des Völkermords, d.h. die Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten;

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Mord, Ausrottung, Vertreibung, Freiheitsentzug unter Verstoss gegen die Grundregeln des Völkerrechts, Folter, Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei, Verschwindenlassen von Personnen;

Kriegsverbrechen, darunter schwere Verletzungen der Genfer Abkommen und andere schwere Verletzungen der im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, insbesondere solche, die sich gegen die Zivilbevölkerung richten;

das Verbrechen der Aggression (sobald eine entsprechende Bestimmung von den Vertragsstaaten angenommen wird)

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Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen schrecklicher Grausamkeiten, Aggressionen und unmenschlicher Taten. Allein im 20. Jahrhundert gibt es vier Fälle von anerkanntem Völkermord: vor 90 Jahren den Völkermord an den Armeniern, vor 60 Jahren den Holocaust, vor fast 30 Jahren den Völkermord der Roten Khmer und vor etwas mehr als 10 Jahren den bislang letzten Völkermord in Ruanda. Mit diesen schrecklichen Verbrechen wurde sehr unterschiedlich umgegangen: Der Völkermord an den Armeniern blieb nahezu folgenlos; die alliierten Siegermächte hielten im Nürnberger Prozess Gericht über die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher; eine lokale Reaktion auf die Roten Khmer mit Unterstützung der UNO schlug fehl; ad-hoc wurde der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda eingerichtet.

Auch wenn nach den Grundsätzen des Strafrechts der IStGH nicht rückwirkend über die ungeahndeten Völkermorde des 20. Jahrhunderts richten darf, ist mit ihm ein ständiges Tribunal geschaffen worden, das künftig solche Verbrechen konsequent verfolgen wird; er wird nach Gerechtigkeit und Versöhnung streben und sich so mit Problemen wie Straffreiheit und strafrechtlicher Verantwortung auseinandersetzen.

Die Welt erlebt zahlreiche gewalttätige Konflikte in verschiedenen Regionen, und viele Staaten sind im Teufelskreis von Gewalt und Vergeltung gefangen. Die Verfolgung von Einzelpersonen für die von ihnen verübten Gräueltaten wird zur Gerechtigkeit für Opfer, Täter und die Gesellschaft insgesamt beitragen. Sie wird mithelfen, rechtsstaatlichen Grundsätzen Respekt zu verschaffen, für eine wahrheitsgetreue Geschichtsschreibung sorgen und künftige Verbrechen verhüten.

Zwar wird der Internationale Strafgerichtshof nicht alle künftigen Menschenrechtsverletzungen verhindern können, doch wird er ein Forum bieten, um die verabscheuungswürdigsten Verstöße gegen das Völkerrecht zu verfolgen, wenn nationale Rechtssysteme dazu nicht willens oder in der Lage sind. Er wird den Opfern Wiedergutmachung zuerkennen, wenn nationale Gerichte nicht in der Lage sind, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Er wird darüber hinaus die Chancen für den Frieden stärken und den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen, indem er Gerechtigkeit als Alternative zu Vergeltung anbietet. Schließlich wird er zum Prozess der Versöhnung beitragen, indem er das Stigma Kollektivschuld durch die Katharsis persönlicher Verantwortlichkeit ersetzt.

Das Römische Statut des Internationalen Gerichtshofs wurde bisher von 97 Staaten ratifiziert. Es ist eine weltweite Koalition für den IStGH entstanden, die sich darum bemüht, mehr Staaten in allen Teilen der Welt für die Ratifizierung des Vertrages zu gewinnen. Besonders intensiv sind die Bemühungen in den Vereinigten Staaten, die nach der Unterzeichnung des Römischen Statuts ihre Absicht erklärt haben, es nicht zu ratifizieren, und bilaterale Abkommen anstreben, um US-Bürger der Strafverfolgung durch den IStGH zu entziehen; dies ist ein unentschuldbarer Versuch, für die im Statut definierten Verbrechen Straffreiheit zu erwirken.

3. Die Kirchen und der Internationale Strafgerichtshof

"Du sollst nicht unrecht handeln im Gericht:

du sollst den Geringen nicht vorziehen, aber auch den Großen nicht begünstigen,

sondern du sollst deinen Nächsten recht richten." (3. Mose 19,15)

Die Kirchen begrü?en die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs; einige haben ihre Regierungen aufgefordert, das Römische Statut zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Kirchen stellen fest, dass der IStGH die Möglichkeit schafft, Einzelpersonen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich innerstaatlicher Strafverfolgung entziehen könnten.

Die Vollversammlung des ÖRK in Harare hat 1998 in ihrer Erklärung zu den Menschenrechten die Einigung über die Errichtung des IStGH begrüßt, und der Vorsitzende hat in seinem Bericht die Errichtung des IStGH als Instrument zur Unterstützung der Vereinten Nationen bei der Durchsetzung der Menschenrechte gewürdigt. Er rief den ÖRK dazu auf, in Situationen und Fällen, in denen Straffreiheit zu Ungerechtigkeit und Gewalt führt, mit den Kirchen und anderen Partnern zusammenzuarbeiten.

In verschiedenen Teilen der Welt und insbesondere in den Ländern, die in jüngster Zeit schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen erlitten haben, kämpfen die Kirchen auf nationaler und internationaler Ebene gegen Straffreiheit. In diesem Kampf geht es weniger darum, Täter zu bestrafen, als vielmehr, Gewalt und Straffreiheit zu überwinden, den Opfern beizustehen und Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung zu dienen.

Das Modell der wiederherstellenden Gerechtigkeit ist dazu geeignet, zu unterstreichen, wie wichtig die Heilung zerbrochener Beziehungen in den Gemeinschaften ist. Durch wiederherstellende Gerechtigkeit beginnen Menschen, die Verletzlichkeit des Anderen zu verstehen und ihr Menschsein anzuerkennen. Wiederherstellende Gerechtigkeit bedeutet, Opfer, Täter und Gemeinschaften zu heilen. Ein Ansatz, der auf allen Ebenen das Opfer in den Mittelpunkt stellt - von der Gemeinschaft bis hin zum Staat - ist ein wichtiges Merkmal der wiederherstellenden Gerechtigkeit. Dieser Dimension verleiht der Internationale Strafgerichtshof auf neue Weise internationale Präsenz, indem er in seinen Strukturen und Verfahren großes Gewicht auf die Teilnahme und Mitwirkung von Opfern legt.

Kirchen und ökumenische Organisationen haben die Schreie der Opfer als die Forderung nach Wahrung ihrer Rechte verstanden. Der IStGH ist eine Anerkennung des Rechts der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung. Die Opfer haben das Recht, genau zu wissen, was bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen geschehen ist. Opfer haben das Recht auf ein gerechtes Verfahren. Opfer haben ein Recht auf Wiedergutmachung, Wiedereinsetzung in ihre Rechte und Rehabilitation für den Schaden, den sie erlitten haben. Die Schlüsselrolle der Opfer wird in dem Abschnitt der IStGH-Statuten über die Einrichtung einer "Abteilung für Opfer und Zeugen" innerhalb der Kanzlei des Gerichts und in dem Abschnitt über "die Teilnahme der Opfer und die Wiedergutmachung für Opfer", sowie in der Einrichtung eines Treuhandfonds geregelt, der vor allem für die Wiedergutmachung für Opfer von Verbrechen bestimmt ist, die in die Zuständigkeit des Gerichts fallen.

Angesichts dessen beschließt der Zentralausschuss des ÖRK auf seiner Tagung vom 15. - 22. Februar 2005 in Genf,

die Bedeutung des Völkerrechts und völkerrechtlicher Instrumente für den Umgang mit den Herausforderungen der heutigen Welt im derzeitigen Globalisierungsprozess zu bekräftigen;

erneut seine Anerkennung für die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs zu erklären, welcher ein ständiges Instrument darstellt, um bestimmte Straftaten zu verfolgen und damit der Straffreiheit ein Ende zu setzen und Gerechtigkeit anzustreben;

an das Engagement der Kirchen in der Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frieden und Versöhnung - zu erinnern und hierbei dem biblischen Gebot zu folgen: "Suche Frieden und jage ihm nach!" (Psalm 34, 15);

die Einrichtung des IStGH als geeignetes Instrument, das zu Frieden mit Gerechtigkeit beitragen wird zu begrüßen und zu unterstützen;

den IStGH, seine Richter, den Ankläger, den Kanzler und seine Mitarbeiter aufzurufen, sich strikt an die im Römischen Statut festgelegten Verfahren zu halten, um so ihre Aufgabe zu erfüllen, in den vorgelegten Fällen Recht zu sprechen;

insbesondere die Bedeutung der Mitwirkung der Opfer hervorzuheben, wie sie in den Verfahren und der Einrichtung des Treuhandfonds des IStGH vorgesehen ist, um Opfer (bzw. Angehörige von Opfern) von Straftaten, die der Zuständigkeit des IStGH unterliegen, zu entschädigen;

zu würdigen, dass der IStGH erstmals die Menschenrechte von Frauen verankert und Verstö?e gegen geschlechtsspezifische Rechte als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen einstuft; dieser Schritt erlaubt von solchen Straftaten betroffenen Frauen, das Gericht anzurufen;

alle Regierungen, welche das Römische Statut des IStGH noch nicht ratifiziert haben, insbesondere die Vereinigten Staaten, aufzufordern, dies umgehend und ohne Vorbehalte zu tun und dem Strafgerichtshof so die umfassende Zuständigkeit für Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu übertragen, wie es der Vertrag vorsieht, und damit politische Ausgewogenheit zu gewährleisten;

allen Regierungen, die das Römische Statut des IStGH bereits ratifiziert haben, zu danken und sie zu ersuchen, die Normen des IStGH in ihre innerstaatliche Gesetzgebung aufzunehmen und alle in der Zuständigkeit des IStGH geführten Prozesse tatkräftig zu unterstützen;

die ÖRK-Mitgliedskirchen aufzurufen,

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sich für die weltweite Ratifizierung des Römischen Statuts des IStGH einzusetzen, besonders in den Ländern, die das Römische Statut noch nicht ratifiziert haben;

in den Ländern, in denen Verfahren bereits begonnen haben, aktiv mit dem IStGH zusammenzuarbeiten;

in ihrer Bildungsarbeit mehr Informationen über die Tätigkeit des IStGH zu vermitteln;? christliche, ökumenische und interreligiöse Initiativen zu unterstützen, die sich mit der Arbeit des IStGH befassen, wie das Glaubens- und Ethiknetzwerk für den IStGH und das Zentrum für Gerechtigkeit und Versöhnung in Den Haag;

sich in ihren Ländern und Regionen anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen anzuschließen, die die Arbeit des IStGH unterstützen;

auch weiterhin für eine gerechte und friedliche Welt zu beten.

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Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt dem Zentralausschuss die folgende Erklärung zu Guantanamo Bay zur Annahme vor:

4. Erklärung zu den Gefangenen in Guantanamo Bay

Jeder Mensch ist ungeachtet seiner Rasse, seines Geschlechts und seines Glaubens von Gott als Einzelperson und als Mitglied einer Gemeinschaft erschaffen worden. "Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht." (Artikel 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)

Der Zentralausschuss ist daher zutiefst besorgt angesichts der anhaltenden skrupellosen und widerrechtlichen Haft, in der mehr als 600 ausländische Staatsbürger vorwiegend muslimischen Glaubens auf dem Marinestützpunkt Guantanamo Bay festgehalten werden. Die Häftlinge werden dort ohne ordnungsgemässes Gerichtsverfahren und unter absoluter Missachtung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte einschließlich des von den USA 1992 ratifizierten Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte gefangen gehalten.

Die US-Regierung verweigert den Häftlingen eine Untersuchung ihres Falles durch Gerichte in den USA mit der Begründung, sie seien "auf Anweisung des Präsidenten in seiner Eigenschaft als Oberkommandierender der Streitkräfte und kraft der Gesetze und Gebräuche des Krieges in Gewahrsam". Des Weiteren seien sie "Ausländer ohne Verbindungen zu den USA, die sich außerhalb des Hoheitsgebiets der USA aufhalten". Diese Haftgründe stellen eine Aushöhlung der universellen rechtsstaatlichen Grundsätze dar und verstoßen gegen die Grundrechte von Häftlingen.

Wir fühlen uns ermutigt durch die Schritte, die der Nationalrat der Kirchen Christi in den USA (NCCC-USA) unternommen hat. Er verfasste gemeinsam mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen sowie juristischen und religiösen NROs ein Memorandum und leitete es dem Obersten Gerichtshof der USA zu. Das Ersuchen des NCCC-USA, den Häftlingen in Guantanamo Bay seelsorgerliche und humanitäre Besuche abstatten zu dürfen, wurde von der Regierung abgelehnt. Der NCCC-USA setzt sich auch weiterhin für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit ein und überwacht nach wie vor die Lage, während die Fälle einzelner Häftlinge bereits vor US-Gerichten verhandelt werden.

Der Zentralausschuss, auf seiner Tagung vom 15. - 22. Februar 2005:

fordert die US-Regierung eindringlich auf, den Häftlingen unverzüglich ihre verbrieften Rechte zu gewähren, wie in dem Memorandum erläutert wurde, das der NCCC-USA zusammen mit anderen US-amerikanischen und internationalen Nichtregierungsorganisationen verfasst hat;

appelliert an die US-Regierung, dem NCCC-USA zu erlauben, seine seelsorgerlichen und humanitären Pflichten gegenüber den Häftlingen wahrzunehmen, indem sie dem Kirchenrat die Genehmigung erteilt, die Häftlinge in Guantanamo Bay zu besuchen.

Der Zentralausschuss ruft die Kirchen auf,

die vom NCCC-USA geleistete wichtige Arbeit zu würdigen und ihn zu ermutigen; sich auch weiterhin für rechtsstaatliche Grundsätze einzusetzen und dafür zu sorgen, dass die in Guantanamo Bay festgehaltenen Personen vor ordentliche Gerichte gestellt werden;

ihre Gemeinden über die Lage der Häftlinge in Guantanamo Bay zu informieren und zu sensibilisieren und ihrem Auftrag als Gemeinschaft des Glaubens in Christus gerecht zu werden, indem sie die Freilassung der unter unmenschlichen Bedingungen Inhaftierten fordern.

Er ruft die Mitgliedskirchen auf, dafür zu beten, dass die Inhaftierten gerecht behandelt und vor ein ordentliches Gericht gestellt werden, und er ruft sie auf, für ihre Familien zu beten.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt dem Zentralausschuss vor, die folgende Erklärung zum Irak anzunehmen:

5. Erklärung zur Irak-Krise: Plädoyer für Frieden, Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit

Die Krise im Irak hält an. Sie zieht die Bevölkerung des Landes schwer in Mitleidenschaft und hat langfristige Komplikationen für die internationale Gemeinschaft zur Folge. Der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), der vom 15. bis 22. Februar 2005 in Genf (Schweiz) zusammentritt, gibt diese Erklärung ab im Bewusstsein der Folgen dieser Krise und gedenkt dabei insbesondere der Frauen, Kinder und Männer, die ihr Leben in Krieg und Konflikt im Irak verloren haben, der ungezählten Toten, der vielen durch die Gewalt Verletzten, Erkrankten und Traumatisierten und der Millionen von Menschen, die in Trauer oder in Angst leben. Wir weisen darauf hin, dass dieser Krieg nur der jüngste von bisher acht Kriegen war, die der Irak seit dem Ersten Weltkrieg erlebt hat - in einem von Gewalt gezeichneten Jahrhundert, in dem ausländische Mächte und einheimische Eliten die Erdölvorräte der Region monopolisierten, während die Belange der Bevölkerung größtenteils vernachlässigt wurden.

Das Schicksal der ärmsten und anfälligsten Bürgerinnen und Bürger des Irak bereitet uns besondere Sorge: Sie stellen mit rund fünf Millionen Menschen ein Fünftel der Bevölkerung und ihre unter dem vorherigen Regime erlittenen Entbehrungen dauern bis heute an. Aufgrund der hohen Säuglingssterblichkeit, der geringen Einkommenshöhe und des mangelnden Zugangs zu sauberem Wasser, Hygiene und Gesundheitsversorgung gehört der Irak, der über die weltweit zweitgrößten Erdölvorräte und mehr Hilfszusagen als ganz Afrika verfügt, nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt.

Wir sprechen den christlichen Gemeinschaften im Irak unsere Anerkennung dafür aus, dass sie in der heutigen irakischen Gesellschaft eine einzigartige Rolle spielen, dass sie seit Urzeiten Zeugnis vom Evangelium ablegen und sich für ein Leben in Eintracht mit ihren Nachbarn engagieren. Wir erklären, dass der aktuelle Konflikt kein religiöser Konflikt ist und dass die führenden Persönlichkeiten der beteiligten Parteien die Religion nicht für eine weitere Anheizung des Konflikts missbrauchen dürfen.

Am Geburtsort Abrahams blicken wir auf seine Kinder - Juden, Christen, Muslime - und hoffen, dass sie zu Vermittlern der Heilung und Versöhnung werden, die der Irak so bitter nötig hat und die der Glaube so unmissverständlich gebietet.

Wir sehen einen Hoffnungsstrahl für die Zukunft in den Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die im letzten Monat zur Wahl gegangen sind, selbst wenn andere nicht gewählt haben, darunter auch einige christliche Gemeinschaften, deren Teilnahme an der Wahl verhindert wurde. Die Akzeptanz des demokratischen Prozesses ist eine Entscheidung für einen neuen Irak, der sowohl von der Diktatur als auch von der Besatzung befreit ist. Die meisten Nachrichten sind allerdings nicht positiv. Im jetzigen Stadium der Krise müssen wir leider feststellen, dass Positionen, die wir vor drei Jahren vertreten haben, immer noch gültig sind. Dazu gehören

unser Aufruf, die Suche nach friedlichen Lösungen mit diplomatischen Mitteln fortzusetzen, unsere Ablehnung präemptiver Militäraktionen und unsere Bekräftigung der völkerrechtlichen Normen (Erklärung des ÖRK-Zentralausschusses, 9/02);

unser Appell, die von der UN-Charta gesteckten Grenzen für den Einsatz von Gewalt zu beachten, unsere Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen im Irak und, am Vorabend des Krieges, unsere deutliche Unterstützung der weltweiten kirchlichen Aktionen für den Frieden (Erklärung des ÖRK-Exekutivausschusses, 2/03); und, fünf Monate nach dem Präemptivschlag gegen den Irak,

unsere Bestürzung darüber, dass der UN-Sicherheitsrat dem Druck nachgegeben und die Besetzung legitimiert sowie sein Mandat als Schiedsrichter für internationale Sicherheit untergraben hat, unsere Verurteilung der unter Saddam Hussein begangenen Gräueltaten, unsere Verteidigung der territorialen Integrität des Irak, unsere Unterstützung der ungehinderten und unparteiischen humanitären Arbeit im Land, unsere Besorgnis über die in den USA aufgrund des Krieges stattfindende Polarisierung, unsere Warnungen vor der Errichtung ausländischer Militärbasen im Irak, unser Ruf nach Zahlung von Reparationen an die irakische Bevölkerung und unsere Bestätigung der Rolle, die die Kirchen im Irak beim Wiederaufbau einer Zivilgesellschaft zusammen mit anderen Religionsgemeinschaften im Irak wahrnehmen müssen (Erklärung des ÖRK-Zentralausschusses, 9/03).

Wir weisen entschieden die Behauptung zurück, der so genannte "globale Krieg gegen den Terror" rechtfertige den Krieg gegen den Irak. Wer heute erneut derartig undifferenzierte Formulierungen gegen andere Länder in der Region richtet, ist verantwortungslos und gefährlich. Über die politischen Verantwortlichen, die angebliche terroristische Verbindungen und Massenvernichtungswaffen im Irak als Vorwand für ihren Krieg benutzt haben, wird die Geschichte richten. Im Laufe der Zeit werden wir auch erfahren, wie viele Menschen im Irak tatsächlich ums Leben gekommen sind, und Aufschluss darüber erhalten, wie Demokratien am besten auf terroristische Angriffe reagieren.

Der Zentralausschuss des ÖRK würdigt den von Kirchenführern und Kirchengliedern in der ganzen Welt geleisteten grundsatztreuen und entschiedenen Widerstand gegen den Irakkrieg und ist in höchstem Masse darüber beunruhigt, dass Kirchen, Gemeinschaften und Einzelpersonen, die konstruktive Kritik geübt haben, zum Schweigen gebracht werden, weil Chauvinismus in ihren Regierungen, Medien, Wahlkampagnen und sogar Gemeinden Hochkonjunktur hat.

Wir sind zutiefst beunruhigt angesichts der Gewalt, deren Zielscheibe unschuldige Zivilpersonen sind, mit der aber bestimmte Kategorien von Personen getroffen werden sollen - durch Selbstmordattentate bei Versammlungen, durch summarische Hinrichtung von Stellenbewerbern, durch Anschläge auf Kirchen und Moscheen und durch die Entführung und Ermordung von Geiseln.

Wir verurteilen mit größtem Nachdruck die Folterung und Demütigung von Gefangenen im Irak und beklagen, dass die Bestrafung dieser Verbrechen auf rangniedrige Soldaten abgewälzt wird, obwohl umfangreiches Beweismaterial dafür vorliegt, dass auf höchster Ebene der US-Regierung Entscheidungen getroffen wurden, mit denen die völkerrechtlichen Verpflichtungen in dieser Angelegenheit umgangen wurden.

Die allgegenwärtige Gewalt im Irak entsteht aus der unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt durch die Koalitionsstreitkräfte, die den Tod von bis zu 100 000 Zivilisten verursacht und ganze Städte und Stadtviertel unter dem Vorwand zerstört haben, sie retten zu wollen. Wir stellen fest, dass die Strategie der Besetzung und Unterwerfung neue Gewalt auslöst und bewirkt, dass die Gegner damit ihre eigenen barbarischen Akte entschuldigen können, dass die öffentliche Meinung in der ganzen Region aufgehetzt wird und dass die politische Schwelle für staatlich geförderte Gewalt in Konflikten in der ganzen Welt sinkt.

Die Verluste an Menschenleben durch Krieg und Konflikt lasten schwer auf den Frauen im Irak. Der Zusammenbruch der öffentlichen Sicherheit, des Gesundheitswesens und Hygienevorsorge und die Verweigerung der grundlegenden Menschenrechte beeinträchtigen vor allem Frauen und Mädchen und hindern sie daran, die Zukunft ihres Landes mitzugestalten.

Die Finanzierung des Krieges gegen den Irak war und ist eine skrupellose Fehlleitung des Reichtums der Welt. Die von der US-Regierung bereits jetzt für den Irakkrieg aufgewendeten 200 Milliarden Dollar würden beispielsweise ausreichen, um jedem bedürftigen Kind in der Welt zehneinhalb Jahre lang Trinkwasser zur Verfügung zu stellen und damit 25 Millionen Menschenleben zu retten. Was die bestehenden Verpflichtungen angeht, so könnten mit der bisher ausgegebenen Summe die Beiträge der USA zu den Vereinten Nationen für die nächsten 400 Jahre bezahlt werden.

Dieses eine Beispiel spiegelt das globale Ungleichgewicht zwischen nationalen Sicherheitsinteressen und menschlichen Sicherheitsbedürfnissen und zeigt, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung nicht nachgekommen ist.

Der Zentralausschuss des ÖRK ruft daher die Regierungen und zwischenstaatlichen Gremien auf, im Interesse sowohl des Friedens im Irak als auch eines wirksameren Managements künftiger Krisen, ihrer Rechenschaftspflicht nach den Regeln des Völkerrechts sorgfältiger nachzukommen; Wir bitten die Mitgliedskirchen und die mit dem ÖRK verbundenen Organisationen, ihre Regierungen zu ersuchen, sich diese Forderung zu Eigen zu machen, und sich für geeignete Maßnahmen in den folgenden Bereichen einzusetzen:

in geeigneten internationalen Foren Schritte zu unternehmen, um eine Debatte über einen Zeitplan für die Reduzierung und Beendigung der militärischen Präsenz der von den USA geführten Koalition im Irak und für die Räumung ihrer dortigen Militärbasen zu eröffnen;

alle im Jahr 2005 stattfindenden irakischen Wahlen zu überwachen, damit diese Willensbekundung des Volkes unter der faktischen Besetzung des Landes dazu genutzt wird, echte Selbstverwaltung zu fördern, und nicht dazu, die Autorität von nicht gewählten oder ausländischen Kräften aufrechtzuerhalten;

unter der Schirmherrschaft des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Vorbereitungen für die schrittweise Übertragung der Regierungsgewalt und des Ressourcenmanagements im Irak auf breit fundierte nationale Institutionen zu treffen, in denen konkurrierende Gruppen lernen können, über Macht und Politik zu verhandeln;

desgleichen Vorbereitungen für die Übertragung der Sicherheitsangelegenheiten des Iraks an eine gemeinsame Friedensstreitmacht der Iraker und der UNO zu treffen;

ein Instrument der Vereinten Nationen zu schaffen, mit dem der Wiederaufbau des Irak nach dem Krieg überwacht werden kann, und zwar nach Modalitäten, die sicherstellen, dass die internationale Hilfe und die irakischen Ressourcen im Einklang mit den Grundrechten und zum Wohl des irakischen Volkes eingesetzt werden, die Orientierung geben für die Wiedergutmachung von Kriegsschäden, die ein realistisches Höchstmaß der Beteiligung von Irakern an Wiederaufbauprojekten unter erheblicher Verminderung der Rolle ausländischer Unternehmen gewährleisten und die öffentliche Rechenschaftspflicht für solche Projekte garantieren;

zu bekräftigen, dass der Krieg gegen den Irak nach der Charta der Vereinten Nationen und nach dem Völkerrecht unrechtmäßig war, und sich um die Konsolidierung eines internationalen politischen Konsenses über die rechtlichen Grundlagen militärischer Aktionen und über legitime Reaktionen auf Bedrohungen zu bemühen;

eine unabhängige, glaubwürdige und korrekte Überprüfung der Opferzahlen auf allen Seiten dieses Konflikts durch unbeteiligte Dritte zu unterstützen und zu ermöglichen - wobei deutlich gemacht werden muss, wer für die Todesfälle, Krankheiten, Traumata und Verletzungen verantwortlich ist, die direkt und indirekt durch die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt, durch nicht explodierte Munition und durch die Verwendung von abgereichertem Uran verursacht wurden;

auf die US-Regierung einzuwirken, von den derzeitigen Verletzungen des Völkerrechts im Zusammenhang mit der Festnahme, Inhaftierung, Behandlung und gesetzlichen Vertretung von Gefangenen abzulassen und alle exterritorialen, außergesetzlichen Gefängnisse zu schließen;

für die Menschenrechte im Irak und für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts - insbesondere des Vierten Genfer Abkommens und seiner Zusatzprotokolle - durch die Besatzungsmächte, die Interimsregierung und die nachfolgenden Regierungen im Irak einzutreten.

Der Zentralausschuss des ÖRK ruft die Mitgliedskirchen und die dem ÖRK angeschlossenen Organisationen ferner auf, sich an folgenden lokalen und internationalen Aktionen zu beteiligen, um die Wunden, die während der Krise geschlagen wurden, zu heilen:

die christlichen Bürger und Bürgerinnen, die im Irak bleiben wollen, zu unterstützen, indem die Kirchen und Organisationen in deren Namen und für alle sprechen, die dort Gewalt, Mord, Überfälle und Entführungen erleiden, Kirchen und Hilfsorganisationen in den Nachbarländern Hilfe leisten, die Zehntausende von irakischen Christen aufgenommen haben, die aus dem Irak fliehen mussten, und für ihre sichere Rückkehr zu beten und zu arbeiten;

als Kirchen danach zu streben, Spaltungen zu heilen, die in der ganzen Welt vor, während und nach diesem Krieg entstanden sind, und die Regierungen aufzurufen, sich zusammen mit den Kirchen in dem langwierigen Prozess der Überwindung dieser Spaltungen einzusetzen;

die anhaltenden Bemühungen von Christen zu unterstützen, mit Muslimen und Menschen anderen Glaubens gemeinsame Ziele für den Irak und den Nahen Osten zu suchen und Wege zu finden, die zur Erreichung dieser Ziele führen;

die Kirchen in der ganzen Welt aufzurufen, für Frieden im Irak zu beten, solidarisch an der Seite der Kirchen zu stehen, die diesen Krieg in Frage stellen, und in der Erkenntnis, dass ein breiterer Dialog erforderlich ist, die zahlreichen Christen, die unsere Haltung gegen den Krieg nicht teilen, im Geist der Offenheit zu begleiten.

Zum Wohle des irakischen Volkes und im Interesse der Sache des Friedens im Nahen Osten empfehlen wir den Mitgliedskirchen und den Regierungen die in dieser Erklärung vorgeschlagenen Maßnahmen.

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schlägt dem Zentralausschuss das nachstehende Memorandum sowie die Empfehlungen zu entwurzelten Menschen zur Annahme vor:

7. Memorandum und Empfehlungen zur Praxis der Gastfreundschaft in einer Zeit neuer Migrationsformen

Vor zehn Jahren, im September 1995, verabschiedete der ÖRK-Zentralausschuss eine Erklärung über entwurzelte Menschen mit dem Titel "Ein Moment der Entscheidung: Solidarität mit den Entwurzelten". Der Begriff "Entwurzelte" wurde für all jene verwendet, die durch die Härte politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umstände gezwungen sind, ihr Land zu verlassen; dazu zählen Flüchtlinge, Binnenvertriebene und zur Migration Gezwungene. Oft sind es mehrere Gründe zugleich, die Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Sie fliehen vor dem Krieg, weil ihr Leben in Gefahr ist, häufig aber auch, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört sind. Menschen, die vor Verfolgung fliehen begeben sich häufig auf dieselben Migrationswege wie diejenigen, die Arbeit suchen.

Während die Schwierigkeiten für Menschen, die nach Sicherheit und Überleben in anderen Ländern suchen, nicht neu sind und bereits in früheren ÖRK-Erklärungen angesprochen wurden, sind doch im vergangenen Jahrzehnt bedenkliche Entwicklungen eingetreten. Die vorliegende Erklärung befasst sich speziell mit zwei dieser Entwicklungen: neue Formen der Migration als Folge der Globalisierung und die Auswirkungen der Ereignisse des 11. September 2001 auf die Migrationsbewegungen.

Im Zusammenhang mit den neuen Migrationsformen ist es wichtig festzuhalten, dass Migration normal und Teil unserer Geschichte ist. Viele Leute indessen werden durch verhängnisvolle Ereignisse zur Migration gezwungen. Christus ruft uns auf, Migranten und Flüchtlingen Gastfreundschaft zu gewähren. Das Thema der Gastfreundschaft wurde 2004, auf der Tagung des Plenums der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, im Rahmen des Textes "Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob" (Röm 15,7) besonders hervorgehoben. Die täglichen Schwierigkeiten für Migranten und Flüchtlinge heute machen deutlich, dass noch viel zu tun bleibt, wenn wir diesen Aufruf zur Gastfreundschaft in die Tat umsetzen wollen.

Globalisierung der Volkswirtschaften

In dem Maße, wie die Integration nationaler Wirtschaften in die Weltwirtschaft die Disparitäten zwischen Reich und Arm akzentuiert hat, trachten mehr Leute, ihr Heimatland zu verlassen, auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten - oder nach Überleben. Gemäß der Internationalen Organisation für Migration gibt es heute 175 Millionen Migranten auf der Welt. Die Revolutionierung der Kommunikations- und Transportmittel, ebenfalls eine Folge der Globalisierung, verschafft den Menschen verbesserten Zugang sowohl zu Informationen über die besseren Lebensbedingungen in anderen Teilen der Welt als auch zu den Möglichkeiten, dorthin zu gelangen. Während in der Vergangenheit wirtschaftlich motivierte Wanderung überwiegend junge, unverheiratete Männer betraf, sind es heute mehr als 50% Frauen, die zur Arbeitssuche in andere Länder aufbrechen.

Zwar bedeutet die Globalisierung auch, dass viele Menschen über mehr Bewegungsfreiheit verfügen, doch haben Regierungen im Norden und im Süden im Allgemeinen eine Politik der geschlossenen Grenze gegenüber denjenigen verfolgt, die versuchen, auf ungesetzlichen Wegen ins Land zu gelangen. In dem Maße, wie die Grenzen einiger reicher Länder schwerer zu erreichen sind, verschieben sich die Reiseziele der Migranten. So sehen sich die Behörden Mittel- und Osteuropas mit viel mehr Migranten konfrontiert, seit der Zugang zu Westeuropa schwieriger geworden ist oder ihre Länder Ziel der Abschiebung Asylsuchender werden. Je mehr der Zugang in reiche Länder erschwert wird, zu desto gefährlicheren Routen nehmen die Menschen darüber hinaus Zuflucht, sei es in unsicheren kleinen Booten über das Mittelmeer, sei es über abschreckende Staatsgrenzen in die USA. Die Zahl der Todesfälle unter denen, die in reiche Länder zu gelangen suchen, steigt. Und schließlich suchen immer mehr Auswanderungswillige ihr Heil für den Grenzübertritt bei Schleppern und Menschenhändlern. Eine weitere Konsequenz besteht darin, dass viele Flüchtlinge keinen Asylantrag mehr stellen, sondern das Untertauchen vorziehen, aus Angst, selbst ein gerechtfertigter Antrag würde zur Ausweisung in ein Drittland führen.

Neue Migrationstendenzen

Zum Menschenhandel gehören Anwerben und/oder Transport von Menschen unter Einsatz von Gewalt, andere Formen von Zwang sowie irreführende Informationen zum Zweck wirtschaftlicher oder sexueller Ausbeutung (z.B. durch Zwangsprostitution und Sklavenarbeit). Opfer des Menschenhandels sind oft in einer sklavenähnlichen Lage und werden daran gehindert, über ihren Aufenthalt und ihr Schicksal zu bestimmen. Frauen und Kinder sind dem Menschenhandel ganz besonders ausgesetzt. Gemäß einem UNICEF-Bericht hat sich der Kinderhandel zwischen 1989 und 1999 verdoppelt. Menschenhandel ist mittlerweile zu einem Riesengeschäft geworden. Schätzungen gehen von jährlich 600 000-800 000 Opfern und von Gewinnen in Höhe von US$ 8-10 Mrd. aus.

Angesichts des Trends zu sinkenden Geburtsraten und zur Vergreisung der Bevölkerung benötigen die Industrieländer Zuwanderer, um ihren Lebensstandard halten, ihre Steuereinkünfte sichern und die Renten ihrer alternden Bevölkerung bezahlen zu können. Diese weithin geteilte Analyse steht in krassem Gegensatz zur tatsächlichen Praxis der Einwanderungspolitik - wenn es eine solche denn überhaupt gibt.

Allerdings stellt die Einwanderung die Gastländer vor viele Herausforderungen. In Industrieländern versehen Einwanderer, und besonders Einwanderer ohne Papiere, Arbeiten, die die Einheimischen häufig nicht verrichten wollen. Einwanderer können auch gut die Rolle von Sündenböcken übernehmen, wenn Regierungen es nicht schaffen, notwendige Sozialprogramme umzusetzen. Daneben führt Einwanderung mehr und mehr zu multikulturellen und multikonfessionellen Gesellschaften, was Fragen der nationalen Identität aufwirft. Dies alles hat zur Folge, dass die Einwanderer oft nicht auf Toleranz und gegenseitige Achtung treffen, sondern auf fremdenfeindliches und rassistisches Denken und Handeln. Dabei verhält es sich so, dass auch in Entwicklungsländern der Rassismus markant zunimmt, da sich dort - ebenfalls im Zuge der Liberalisierung der Weltwirtschaft - Beschäftigung und soziales Umfeld verschlechtern.

Auf der Plusseite steht, dass eine Reihe von Ländern seit Jahren eine Politik und Programme zur Förderung von "Multikulturalismus" betreiben, die sowohl Einwanderergruppierungen als auch Gastgemeinden beim Aufbau gegenseitiger Achtung unterstützen. Kirchen haben durch die Aufnahme von Einwanderern eine Wandlung erlebt und die Gründung steigender Zahlen von Einwanderer-Kirchen bereichert vielerorts die ökumenische Landschaft.

Multikulturelle Förderprogramme sind allerdings immensem Druck ausgesetzt. Während multikulturelle Gesellschaften in den meisten Ländern Wirklichkeit sind, werden in zunehmendem Maße die Rechte der Einwanderer - vor allem Sozialrechte, aber auch Grundrechte - beschnitten. Allzu oft sind Arbeitskraft und Dienstleistungen willkommen - die Menschen sind es nicht. In einem restriktiven politischen Umfeld verläuft das Leben einer zunehmenden Zahl von Einwanderern in Unsicherheit und diese suchen dann Zuflucht bei ihren eigenen ethnischen Gemeinschaften. Es sieht nach einem Teufelskreis aus, nach einer "Self-Fulfilling-Prophecy", dass Integration scheitern muss, nach stets höheren Integrationshürden und daraufhin jedesmal steigenden Ängsten in der Gesellschaft.

Migration hat auch Rückwirkungen auf die Ursprungsländer der Betroffenen. Es gibt eine weitverbreitete Besorgnis über den so genannten "brain drain" als Folge der Auswanderung. Gemäß der Internationalen Organisation für Migration hat Afrika schon ein Drittel seines Humankapitals eingebüßt. Dafür gibt es viele Beispiele. Ein Drittel von Äthiopiens Ärzten hat schon das Land verlassen. In den 1980er Jahren hat Ghana 60% seiner medizinischen Studienabgänger verloren.

Auswanderer schicken Geld nach Hause. Die Überweisungen von Auswanderern stiegen von geschätzten US$ 2 Mrd. im Jahr 1970 auf US$ 100 Mrd. in 2003; Untersuchungen deuten auf eine Dunkelziffer von weiteren US$ 100 Mrd. hin. Diese Zahlen übersteigen die US$ 68,5 Mrd., die die reichen Länder an offizieller Entwicklungshilfe aufwenden, und stellen einen namhaften Teil des BIPs zahlreicher Staaten der südlichen Hemisphäre dar. Der steigende Umfang dieser Überweisungen weckt die Begehrlichkeiten der Regierungen, die bestrebt sind, von diesen Hartwährungsgeldern via Transferbesteuerung einen Teil abzuzweigen. Während ein Teil dieser Beträge in Infrastrukturprojekte fließt, bestehen für Auswanderer kaum Anreize, derartige Transfermöglichkeiten für eigene Investitionen oder für die Begründung von Renten- oder Sozialversicherungsansprüchen zu nutzen. Ausgewanderte beklagen sich auch über hohe Transferkosten - manchmal bis zu 20 und 30% der Transfersumme -, die sie bei ihren Überweisungen auf sich nehmen müssen.

Sicherheit versus Migration

Seit dem 11. September 2001 sind Regierungen bemüht, die Einreise von "Terroristen" in ihr Hoheitsgebiet durch eine Vielzahl restriktiver Maßnahmen zu unterbinden. Neue Gesetze, schärfere Passkontrollen, massivere Sanktionen gegenüber Transportunternehmen, rigorosere Visabeschränkungen und zunehmende Militärpräsenz an den Grenzen verfolgen den Zweck einer möglichst vollständigen Kontrolle des Zugangs zum jeweiligen Hoheitsgebiet. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen sind für die Migranten aus bestimmten Regionen besonders einschneidend. Zahlreiche Touristen und ökumenische Besucher haben die Folgen verschärfter Einreise- und Visabestimmungen bereits zu spüren bekommen.

Die Internierung von Asylbewerbern, die bereits in großem Umfang von den Regierungen der nördlichen Hemisphäre praktiziert wurde, hat seit dem 11. September 2001 zugenommen. In Australien unterliegt jede Person - Mann, Frau oder Kind -, die ohne Visum ins Land kommt, um Asyl zu beantragen, der unbefristeten Zwangsinternierung ohne Revisionsanspruch. Asylsuchende, die auf dem Weg nach Australien von der Marine abgefangen werden, werden in Durchgangslagern im Pazifik zwangsinterniert, wo Verantwortlichkeiten und Durchsetzbarkeit der Menschenrechte unklar und schwach ausgebildet sind.

Einige europäische Regierungen verspüren nun den Wunsch, Australiens "Pazifik-Lösung" zu kopieren, und arbeiten an neuen Möglichkeiten, die Verantwortung für Asylbewerber auf Drittländer abzuschieben, indem sie Auffanglager in anderen Regionen errichten. Während diese Vorschläge offiziell von der Agenda der EU verschwunden sind, nachdem eine Studie gezeigt hat, dass das Konzept nicht durchführbar ist, taucht die Idee immer wieder auf. Es besteht das Bestreben, die Verantwortung für die Prüfung der Asylanträge und den Schutz der Flüchtlinge an Drittländer - mit schwächeren Rechtsgarantien zugunsten der Flüchtlinge und weniger wirtschaftlichen Möglichkeiten zur Betreuung und Integration der Flüchtlinge - abzutreten.

Abschiebungen von Ausländern nehmen zu. Unter Regierungen, die in der Vergangenheit die Anwesenheit abgewiesener Asylbewerber toleriert hatten, werden diese nun aufgespürt und in ihr Ursprungsland oder ein Drittland abgeschoben. Im Fall von Mittelamerika und der Karibik haben solche Abschiebungen ernsthafte Folgen, besonders wenn die Abgeschobenen wegen Verbrechen oder Bandenzugehörigkeit aktenkundig sind.

Sicherheitsinteressen haben in einigen Ländern zu Verstößen gegen die bürgerlichen Freiheiten und zu verminderter Rechtssicherheit betreffend Niederlassungsstatus und verfügbare Rechtsmittel geführt. In einem Umfeld, in dem Migranten, besonders solche arabischer Herkunft oder islamischen Glaubens, verdächtigt werden, potenziell Kriminelle oder "Terroristen" zu sein, haben rassistisch und ethnisch motivierte Angriffe drastisch zugenommen.

Zunehmende militärische Beteiligung an humanitären Einsätzen

Zur gleichen Zeit wie Menschen weiterhin durch Krieg und Bürgerkrieg vertrieben werden, wird humanitäre Hilfe an Flüchtlinge und Heimatlose gefährlicher. Angriffe auf humanitäre Helfer werden häufiger, im Irak, in Afghanistan, Tschetschenien und vielen anderen Ländern. Die zunehmende Instrumentalisierung der humanitären Hilfe als Mittel der Außenpolitik und der steigende Einsatz des Militärs bei der Verteilung der humanitären Hilfe haben die Grenzen zwischen humanitärer Hilfe und politischen Zielsetzungen verwischt. Der humanitäre Bewegungsspielraum wird enger. Unverändert werden Menschen durch Konflikte in die Flucht getrieben, doch Lösungen lassen sich immer schwerer finden. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge auf der Welt sind seit mehr als 10 Jahren unterwegs, im Wesentlichen ohne Aussicht auf Repatriierung, lokale Integration oder Umsiedlung.

Während es eine umfangreiche Gesetzessammlung für den Rechtsschutz von Flüchtlingen gibt, ist dieses internationale Instrumentarium im Verlauf des letzten Jahrzehnts geschwächt worden. Regierungen wenden die grundlegenden Bestimmungen des internationalen Flüchtlings- und Menschenrechts restriktiver an. Seit 15 Jahren liegt die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller ausländischen Arbeitskräfte und ihrer Familienangehörigen zur Unterzeichnung auf und seit zwei Jahren ist sie in Kraft getreten. Bislang hat jedoch noch keine Regierung eines Landes sie unterzeichnet, in dem sich große Zahlen von Flüchtlingen aufhalten. "Migrationsmanagement" - statt Rechte der Migranten oder Gerechtigkeit - ist zum Schlagwort bei internationalen Debatten über Migration geworden, deren Hauptaugenmerk weiterhin auf Migrationskontrolle und -verhinderung beschränkt ist.

Eine Analyse der weltweiten Migrationsmuster lässt eine riesige Kluft zwischen dem Gebot des Evangeliums zur Gastfreundschaft gegenüber Fremden und der politischen Wirklichkeit und Regierungspraxis der geschlossenen Grenzen erkennen. Wir bekennen, dass es Christen gibt, die Menschen ablehnen, weil diese anders sind. Gleichzeitig arbeiten Tausende einzelner Christen und Gemeinden mit Flüchtlingen und Zugewanderten unter zunehmend schwierigen Bedingungen und bedürfen der Unterstützung. Gut durchdachte Gegenmodelle existieren, die die rigoroseren Regierungspraktiken ersetzen könnten; diese Modelle sollten zugänglich gemacht und als Grundlage für gemeinsames Vorgehen benutzt werden. Kirchen sind auf lokaler und nationaler Ebene sehr engagiert in Gemeinwesen- und Fürsprachearbeit und das Bedürfnis nach internationaler Zusammenarbeit in der anwaltschaftlichen Arbeit für die Entwurzelten war nie größer.

Empfehlungen

Der Zentralausschuss, der vom 15.-22. Februar 2005 in Genf tagt, ruft den Ökumenischen Rat der Kirchen auf, geeignete, mit diesen Empfehlungen übereinstimmende Programme zu evaluieren, und ruft seine Mitgliedskirchen und alle Christen auf:

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Kirchen und Christen zu ermutigen und zu unterstützen, die sich für die Verteidigung des Lebens und den Schutz aller Entwurzelten einsetzen: Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Migranten;

sich zu einer Kultur der Begegnung, der Gastfreundschaft und herzlichen Aufnahme für Migranten zu bekennen und positive Beispiele zu benennen, wo Kirchen gemeinsam daran gearbeitet haben, wirksame Alternativen zu restriktiven Praktiken zu entwickeln;

in den Kirchen und Gemeinden das Bewusstsein dafür zu intensivieren, welches Potenzial und Kapital Migranten und Flüchtlinge für die Gemeinschaft darstellen können, und in diesem Sinne auch Begegnungen zwischen Gastgebern und Entwurzelten zu organisieren, um Vorurteile, Ängste und Klischees auszuräumen;

Gebetsversammlungen und bewusstseinsbildende Kampagnen rund um den Internationalen Tag der Migranten (18. Dezember), den Weltflüchtlingstag (20. Juni) oder um ähnliche thematische Tage zu organisieren die in einzelnen Ländern begangen werden;

mit Kirchen und kirchennahen Organisationen in regionalen und globalen ökumenischen Netzwerken für entwurzelte Menschen zusammenzuarbeiten, um auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen, die gezwungen sind, Grenzen zu überschreiten; für die Einhaltung ihrer menschlichen Grundrechte einzutreten und Kapazitäten aufzubauen, damit Kirchen in verschiedenen Teilen der Welt einschlägige Programme durchführen können;

multikulturelle Dienste zu fördern durch die Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter/innen in den Gemeinden und, durch Austauschaktivitäten zwischen Kirchen in Gast- und Ursprungsländern; und die theologische Reflexion über die Themen der Gastfreundschaft und der Entwurzelung zu vertiefen;

in Veranstaltungen im Rahmen der Dekade zur Überwindung von Gewalt den Sorgen Entwurzelter und insbesondere rassistische Gewalt gegen Migranten an geeigneter Stelle, Raum zu geben;

Handel mit Menschen, und besonders mit Frauen und Kindern zur sexuellen Ausbeutung, zu bekämpfen; mit Regierungen, Kirchen und zuständigen Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, um dafür zu sorgen, dass den Opfern von Menschenhändlern die notwendige Behandlung und Achtung zuteil wird; und gegen Versuche von Regierungen zu protestieren, die Tatsache des Menschenhandels für eine weitere Einschränkung der Einwanderung zu benutzen;

sicherzustellen, dass bei der Konzipierung von Fürsprache- und Hilfsprogrammen berücksichtigt wird, dass Geschlecht sowie Zugehörigkeit zu einer Rasse, Ethnie oder Klasse die Marginalisierung von Entwurzelten noch verschärfen können;

im interreligiösen Dialog eine proaktive Rolle zu Fragen der Gesellschaft und Religionsgemeinschaft zu übernehmen, um Konflikte in der Gesellschaft zu überwinden;

die politisch, wirtschaftlich, sozial und durch das Umfeld bedingten Gründe der Entwurzelung zu analysieren und zu erforschen und in diesem Zusammenhang besonders die Verantwortung von Regierungen für das Entstehen der Umstände zu untersuchen, durch welche Menschen entwurzelt oder Migranten in Notlagen gebracht werden, und Aufklärungsmaterial über die Ursachen der Entwurzelung für alle Bereiche des kirchlichen Lebens zu entwickeln;

Regierungen, die immer restriktivere Einwanderungsbestimmungen einzuführen versuchen, herauszufordern und sich gegen deren Tendenz zu stellen, Sicherheitsbedenken vorzuschieben, um die Festnahme aller Migranten und/oder Asylbewerber ohne Papiere zu rechtfertigen;

auf Regierungen einzuwirken, von Verfahren zur Kriminalisierung von Migranten oder denjenigen, die sie schützen wollen, abzusehen, und die Regierungen dafür zu gewinnen, für eine größere Aufnahmebereitschaft in der Gesellschaft und für die Integration von Flüchtlingen und Migranten zu sorgen;

grundsätzlich darauf zu bestehen, dass Migranten und Asylbewerber, die keine Papiere haben, nur in Ausnahmefällen festgenommen werden, und darauf zu achten, dass sie in solchen Fällen nur für eine begrenzte Zeit inhaftiert werden und Berufung einlegen sowie Rechtshilfe beanspruchen können. Unter keinen Umständen dürfen die Haftbedingungen für Migranten und Asylbewerber schlechter sein als für Strafgefangene;

Wege zu suchen, um die Zusammenarbeit zwischen Kirchen und kirchennahen Institutionen auszubauen zum Zweck der Verteidigung des internationalen Rechts und der internationalen Institutionen, deren Aufgabe es ist, Entwurzelten Schutz und Hilfe zu gewähren;

sich einzusetzen für die Ratifizierung und Umsetzung der Internationalen Flüchtlingskonvention und des Zusatzprotokolls (1951/1967) sowie der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller ausländischen Arbeitskräfte und ihrer Familienangehörigen (1990); und

anzuerkennen, dass humanitäre Rechte von Migranten, Flüchtlingen und Binnenvertriebenen ständig überprüft und revidiert werden müssen, da sich das internationale Umfeld laufend verändert. Die Kirchen sind aufgerufen, die Situation zu beobachten und sich zu dokumentieren, damit sie bei diesen komplizierten Fragen, die zu Änderungen in Gesetzen und Gesetzgebung auf internationaler und nationaler Ebene führen können, mitdiskutieren können.

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