27. Mai 2019

Erklärung zur weltweiten Biodiversitätskrise und

zu einem dringend erforderlichen Strukturwandel

 

Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist auf der Erde.  Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels.   Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.  Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art.  Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

1. Moses 1, 11-25 (NRSV)

 

Gott liebt alle seine Geschöpfe, Flora und Fauna, die mit der ihnen innewohnenden Schönheit und Güte gesegnet sind. Die Menschen, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, sind aufgefordert, die ihnen von Gott in seiner Liebe gegebenen Ressourcen und Lebensräume mit großer Fürsorge zu nutzen und gerecht zu teilen, damit alle Lebewesen, Menschen und nichtmenschliche Lebewesen das Leben in all seiner Fülle genießen können.

Immer mehr gefährden aber das rücksichtslose Wachstumgsparadigma unserer vorherrschenden Wirtschaftssysteme und unsere individuelle und gesellschaftliche Obsession nach materiellem Wohlstand das heutige und zukünftige Wohlergehen, ja sogar das Überleben zahlreicher Geschöpfe Gottes. Letztlich werden unsere signifikanten und schädlichen Auswirkungen auf unsere Ökosysteme Folgen für  unsere eigene Zukunft als Menschheit haben. Bereits heute zerstört dieses Verhalten die Lebensgrundlage unserer einkommensarmen und besonders gefährdeten indigenen Schwestern und Brüder, die am wenigstens zu den ökologischen Schäden beitragen, für die die Menschheit in ihrer Gesamtheit verantwortlich ist.

Der vor kurzem veröffentlichte Globale Zustandsbericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) liefert umfassende und erschreckende Beweise für substanzielle Veränderungen und rapide Umweltzerstörungen besonders seit den 1970er Jahren, zurückzuführen auf die dramatische Zunahme direkten menschlichen Handelns. Der Bericht zeigt, dass 75% der Landfläche inzwischen in signifikanter Weise verändert wurden, 66% der Ozeane sind in einem kritischen Zustand, und mehr als 85% der Feuchtgebiete sind bereits zerstört. Zwar hat sich die Entwaldungsrate seit dem Jahre 2000 geringfügig verringert, aber zwischen 2010 und 2015 sind immer noch 32 Millionen Hektar Primärwald abgeholzt worden, und die Entwaldung geht ungehindert und in einem nicht nachhaltigen Ausmaß  weiter.

Aus diesem Grund sind ca. eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.

In den vergangenen 500 Jahren haben wir bereits mehr als 680 Tierarten verloren. Das Verschwinden der Pflanzen- und Tiervielfalt beeinträchtigt die Widerstandsfähigkeit der vom Klimawandel bedrohten Landwirtschaftssysteme und bedeutet ein ernst zu nehmendes Risiko für die Ernährungssicherheit weltweit.

Der Bericht weist darauf hin, dass dieser verstörenden Entwicklung „Produktions- und Konsumprozesse,  Trends und Dynamiken der Bevölkerungsentwicklung, Handel, technologische Innovationen und lokale und globale politische Steuerung“ zugrundeliegen. Setzen sich die aktuellen Verlaufsrichtungen fort, werden die aktuellen Ziele der ökologischen Erhaltung nicht erreicht, und die Umsetzung von 35 der 44 UN-Ziele für eine nachhaltiger Entwicklung ist in Gefahr, darunter auch die für Armut, Hunger, Gesundheit, Wasserversorgung, Klima, Ozeane und Land.

Der Bericht fordert nichts weniger als einen „strukturellen" oder „transformativen“ Politikwechsel und benennt dabei gleichzeitig mehrere „Wege der Hoffnung“, im Einzelnen:  (1) Förderung der Vorstellung eines guten Lebens, das nicht dem ewigen Wachstumsparadigma folgt; (2) weniger Konsum und Abfall, auch durch kontextuelle Thematisierung des Bevölkerungswachstums und des Pro-Kopf-Verbrauchs; (3) Durchsetzung neuer sozialer Normen für Nachhaltigkeit durch Rückbesinnung auf Werte wie Verantwortlichkeit; (4) Beseitigung von Ungerechtigkeiten zwischen Einkommens- und Geschlechterungleichheiten, die die Fähigkeit zur Nachhaltigkeit beeinträchtigen; (5) Durchsetzung von Inklusion bei Entscheidungsfindungen; faire und gerechte Verteilung des Nutzens der Ressourcenverwendung und Berücksichtigung von Menschenrechten bei Entscheidungen zum Artenschutz; (6) Einpreisung der Umweltzerstörung infolge von Wirtschaftstätigkeiten einschließlich des internationalen Handels; (7) Durchsetzung umweltfreundlicher technologischer und sozialer Innovationen, und (8) Förderung von Bildung, Wissensgenerierung und Erhalt unterschiedlicher Wissenssysteme und nicht zuletzt Einbeziehung des Wissens indigener Völker, die in den von ihnen bewohnten oder verwalteten Gebieten die Umweltzerstörung erfolgreich verlangsamen oder sogar verhindern.

Zu all diesen empfohlenen Maßnahmen können die Kirchen in besonderer Weise wichtige Beiträge leisten. Wir haben die Kapazitäten und den Willen zu handeln.

 

Der Exekutivausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen, der vom 22. bis 28. Mai 2019 in Bossey, Schweiz tagt:

Erinnert an die ÖRK-Erklärung zu Öko-Gerechtigkeit und ökologischer Schuld (Genf 2009), die die Kirchen auffordert, „[unser] Verständnis von Gerechtigkeit und vom Kreis derer, die unsere Nächsten sind, zu erweitern“;

Fordert zu einer fortgesetzten theologischen Reflexion darüber auf, was die Fülle des Lebens und die Sünde der Habgier bedeuten; zur Neudefinition der Begriffe „Reichtum“ und „Wohlstand unter Rückbesinnung auf christliche Traditionen und Praktiken der Askese; und zur Förderung einer Theologie der Genügsamkeit und Verantwortung durch eine vertiefte ökumenische und interkonfessionelle Ausbildung und durch die Entwicklung und Verbreitung relevanter theologischer, spiritueller, historischer und liturgischer Materialien;

Empfiehlt einen Prozess der Reflexion in den Kirchen, um weiterhin von der Weisheit und den Praktiken indigener Völker, Frauen, bäuerlicher Gemeinschaften und indigener Waldgemeinschaften zu lernen, die den Weg zu ökologischem Denken und einem sanften Umgang mit der Schöpfung weisen:

Fordert nachdrücklich die Kirchen auf, Regierungen, Politiker/innen und Unternehmen für die Zerstörung und Verschmutzung von Böden, Wasser und Luft  aus Gründe der „Entwicklung“ und des Gewinnstrebens zur Verantwortung zu ziehen;

Ermutigt die Kirchen, sich mit Priorität dafür einzusetzen, dass das Bruttoinlandsprodukt durch alternative Umweltindikatoren ersetzt wird, die ökologische und soziale Auswirkungen berücksichtigen, wie dies bereits im Ökumenischen Aktionsplan für eine neue internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur (NIFEA) erwähnt wird.

Fordert die Kirchen auf, das Konsumverhalten in den eigenen Gemeinschaften zu überprüfen und hierzu den Leitplan für eine Ökonomie des Lebens und für Umweltgerechtigkeit zu diskutieren und umzusetzen.