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Podiumsdiskussion zum Thema "Worum im Glauben streiten?"

Impuls: „Geht doch“

Auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München

Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit, ÖRK-Generalsekretär

„Der Ökumenische Rat ist wohl das paradoxeste Gebilde der bisherigen Kirchengeschichte.“ - sagte 1961 der deutsche Theologe Edmund Schlink. Das Paradoxe besteht darin, dass er Kirchen zusammenbringt, die sich gegenseitig gar nicht alle als Kirchen anerkennen! Aber genau diese Paradoxie macht seine Existenz möglich: Nur weil man es nicht zur Bedingung für die Mitgliedschaft gemacht hat, die anderen jeweils anzuerkennen, war es zum ersten Mal in der Geschichte möglich so unterschiedliche Kirchen wie Protestanten und Orthodoxe in der heute umfassendsten ökumenischen Organisation, die der ÖRK ist, zusammenzubringen.

Seit etwas mehr als 60 Jahren sind sie nun in der Gemeinschaft des Ökumenischen Rates zusammen, spätestens aber seit Anfang der 60-er Jahre, als alle orthodoxen Kirchen beitraten. UND wir sind zusammen geblieben vor 12 Jahren, 1998, als manche sagten: wir können nicht gemeinsam beten.

Es hat sich gezeigt:Das gemeinsame Gebet steht im Zentrum der Ökumene.

Wir haben in der Nähe von Genf einen Ort, den jemand als Ökumenisches Laboratorium bezeichnet hat. Es ist das Ökumenische Institut Bossey. Dort wurde und wird vieles ausprobiert, was später Eingang in die Arbeit des ÖRK fand.

Jedes Jahr findet sich dort eine Gruppe von etwa 40 Studierenden aus der ganzen Welt und aus allen christlichen Traditionen zusammen. Jeden Morgen feiern sie einen Morgengottesdienst: Pfingstler, Baptisten, Methodisten, Orthodoxe, Lutheraner, Katholiken, Anglikaner aus China, Nigeria, Brasilien, dem Pazifik, der Ukraine, Korea, Indien, Frankreich, Kanada. In der ersten Woche sagen alle: „Unmöglich, ich kann nicht mit diesen Leuten zusammen beten: Die tanzen ja, - das geht nicht!“ „Die beten Maria an, - das geht nicht!“ „Die beten Ikonen an, - das geht nicht!“ Oder: „Bei denen spricht eine Frau den Segen, - das geht doch nicht!“ - Nach vier Wochen sagen sie: „Es geht doch! Warum sollen wir nicht tanzen vor Gott wie die Äthiopier? - Es geht doch! Maria wird ja nicht angebetet, sondern als Vorbild im Glauben verehrt. - Es geht doch! Die Ikonen sind ja gar keine Götzenbilder, sondern helfen, unserem Glauben lebendigen Ausdruck zu verleihen. - Es geht doch! Auch Frauen können den Segen sprechen, denn bei Gott spielen die Geschlechterunterschiede keine Rolle.“ So sagen die Studenten. Und bei der Jugend ist viel Weisheit. Nach 5 Monaten wollen sie sich nicht von den anderen trennen, und nach einem Jahr schreiben sie uns Briefe und sagen: „Wir vermissen Bossey, wir vermissen die anderen, wir vermissen die Offenheit, wir vermissen die Vielfalt....“

Was in Bossey wie in einem Labor möglich ist, ist auch im weiteren Kontext des ÖRK möglich.

Was ich hier beschrieben habe, ist ein Prozess, ein Weg, den diese Studenten gemeinsam gehen. Es ist ein Weg, der nicht immer einfach ist, ein Weg, indem viele Konflikte auszutragen sind. Und auf so einem Weg befinden sich in der ökumenischen Bewegung nicht nur Einzelpersonen, sondern die verschiedenen Kirchen insgesamt. Wie schwierig das zu Zeiten sein kann, aber auch gleichzeitig wie tiefgehend, kann man am Beispiel der südafrikanischen Kirchen sehen. In der Zeit der Apartheid war die Einheit bedroht, und es ist wichtig, sich klar zu machen, wie man damit umging. Lutheraner, Reformierte und der ÖRK wählten nicht den einfachen Weg. Sie spielten die Apartheid nicht herunter um einer oberflächlichen Einheit willen. Sie erklärten Apartheid nicht nur als Sünde und Häresie, sondern stellten sich aktiv auf die Seite der unterdrückten schwarzen und farbigen Bevölkerung. Sie nahmen eine Trennung in Kauf um der tieferen Einheit mit Gott und mit den unterdrückten Schwestern und Brüder und der weiteren menschlichen Gemeinschaft willen. Die Tatsache, dass HEUTE die schwarze Reformierte Kirche darauf besteht, mit der weißen reformierten Kirche eine organische Einheit einzugehen, ist ein sichtbarer und bezeichnender Ausdruck für diese tiefere, teure Einheit.

In einer Gemeinschaft wie dem ÖRK, in der Nord und Süd zusammenkommen, in der Reiche und Arme ihren Schmerz und ihre Hoffnung miteinander teilen, werden wir gegenseitig verletzlicher und sehr viel sensibler für die Schmerzen der anderen, aber das gibt uns eine größere Chance, die Fülle des Evangeliums zu erlangen und zu leben. Diese nonkonformistische Vision einer tiefen und teuren Einheit half der ökumenischen Gemeinschaft, nicht vor der Mauer der Apartheid einfach stehen zu bleiben und Halt zu machen. Und sie darf nicht Halt machen vor anderen Mauern!

Mauern können von einem Tag auf den anderen fallen. Sie haben das hier in Deutschland selbst erlebt: Noch Ende 1988 oder gar im Frühjahr 1989 haben nur wenige Menschen sich vorstellen können, dass die Berliner Mauer fallen würde. Das ist ein Beweis dafür, dass Veränderung möglich ist, - oft in ganz unerwarteter Weise und zu unerwarteten Zeiten. Daher geht es in der ökumenischen Bewegung darum, stetig weiter zu machen, hartnäckig dran zu bleiben, solange bis die Mauern fallen, die uns daran hindern gemeinsam Abendmahl zu feiern.

Diese Hartnäckigkeit ist nur möglich, wenn wir Hoffnung haben. Die ökumenische Bewegung und der Ökumenische Rat der Kirchen sind in aller Paradoxie und aller Gegensätzlichkeit, die wir dabei erfahren, Hoffnungsträger für viele Kirchen und für viele Menschen in einer Minderheitensituation, für Kirchen im Kampf um Befreiung, für Kirchen, die im Streit miteinander liegen. Deshalb gibt es keine Alternative zur Ökumene.