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1.       Kolumbien leidet seit mehr als einem halben Jahrhundert unter einem internen bewaffneten Konflikt. Die Gewalt hat Tausenden von Menschen das Leben gekostet, mehr als vier Millionen Menschen wurden zu Binnenvertriebenen und die Vertreibung ist noch nicht zu Ende. Angehörige indigener Völker, Kolumbianer mit afrikanischen Vorfahren, Bauern, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Gewerkschaftsvertretende, Kirchen- und Gemeindeverantwortliche, die sich für die Rückgabe von Land und für Gerechtigkeit einsetzen, verschwinden oft einfach oder werden umgebracht. Auch 2010 kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch durch das Militär und durch verschiedene bewaffnete Einheiten, u. a. durch Guerillas und durch aus den paramilitärischen Kräften hervorgegangene Gruppen.

2.       Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Frau Navanethem Pillay, brachte in ihrem Bericht 2010 über die Lage der Menschenrechtsverteidiger in Kolumbien ihre tiefe Sorge über die zunehmende Bedrohung und Stigmatisierung verschiedener Kategorien von Menschenrechtsverteidigern durch Staatsbeamte und nichtstaatliche Akteure zum Ausdruck. Sie nannte Beispiele von Tötungen, Drohungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, Sexualdelikten, Einbrüchen in Häuser und Büroräumlichkeiten, illegaler Überwachung durch den staatlichen Geheimdienst und gegen Menschenrechtsaktivisten gerichtetem Informationsdiebstahl. Diese Taten werden Mitgliedern illegaler bewaffneter Gruppen zugeschrieben, die nach der Entwaffnung aus den paramilitärischen Einheiten und aus der Guerillabewegung, insbesondere der FARC-EP (revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee), entstanden oder in einigen Fällen durch Mitglieder der Sicherheitskräfte gegründet worden sind.

3.       Im August 2010 wurde Juan Manuel Santos zum Präsidenten gewählt, als Nachfolger von Álvaro Uribe, dessen Regierungszeit durch unzählige Menschenrechtsverletzungen einschließlich der Schikanierung von Oppositionspolitikern, Richtern des obersten Gerichtshofes und Journalisten geprägt gewesen war. Die neue Regierung hat auf legislativer Ebene einige positive Schritte hinsichtlich der Rückgabe von Land und der Entschädigung von Opfern des Missbrauchs durch Staatsbeamte unternommen. Präsident Santos hat Missbrauch und Drohungen gegen Menschenrechtsverteidiger öffentlich verurteilt und die Notwendigkeit einer unabhängigen Justiz und der Wahrung des Rechtsstaates betont. Obwohl diese Maßnahmen positiv zu werten sind, reichen sie nicht aus, um den anhaltenden Missbrauch wirksam zu bekämpfen. Die neue Regierung muss ihre Entschiedenheit und ihren Willen, die Krise zu bewältigen und eine friedliche Lösung für den bewaffneten Konflikt zu finden, der das soziale Gefüge der kolumbianischen Gesellschaft zerstört hat, sehr viel konkreter unter Beweis stellen.

4.       Auf der Tagung der ÖRK-Regionalgruppe Lateinamerika und des Lateinamerikanischen Rates der Kirchen (CLAI), die 2009 in Bogotá, Kolumbien, stattfand, wurde eine vermehrte internationale, ökumenische Begleitung gefordert. Kolumbien war 2009 auch ein Schwerpunktthema der Advocacy-Woche des ÖRK bei den Vereinten Nationen. Der Exekutivausschuss des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) verabschiedete auf seiner Tagung vom 23. bis 26. Februar 2010 in Bossey, Schweiz, einen Protokollpunkt zur Lage in Kolumbien. Der ÖRK ist seit vielen Jahren in der Begleitung der kolumbianischen Bevölkerung in ihrem Bemühen um die Beendigung des bewaffneten Konflikts aktiv, denn „das Recht ist zurückgewichen, und die Gerechtigkeit hat sich entfernt; denn die Wahrheit ist auf der Gasse zu Fall gekommen, und die Aufrichtigkeit findet keinen Eingang. Und die Wahrheit ist dahin, und wer vom Bösen weicht, muss sich ausplündern lassen.“ (Jesaja 59,14-15). Der ÖRK hat sich an Programmen zur Förderung von Frieden mit Gerechtigkeit und Versöhnung, zur Unterstützung der Menschenrechte und zur Beendigung der weitverbreiteten Straffreiheit beteiligt. In seinem Protokollpunkt bekräftige der Exekutivausschuss erneut die Solidarität des ÖRK und dessen Gebete für die Menschen in Kolumbien, rief aber gleichzeitig zur Entwicklung von Begleitprogrammen für die Unterstützung der Kirchen und Menschen in Kolumbien in ihren Bemühungen um Frieden und Versöhnung auf.

5.       Die Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten des ÖRK empfahl auf ihrer Tagung vom 2. bis 8. Oktober 2010 im Kloster St. Vlash in Durrës, Albanien, die Schaffung eines ökumenischen Begleitprogramms in Kolumbien. Als Reaktion auf diesen Aufruf organisierte der ÖRK im Dezember 2010 in Genf eine Konsultation über Kolumbien, an der Vertreterinnen und Vertreter kolumbianischer Kirchen, des CLAI und ökumenischer Organisationen aus Europa und Nordamerika teilnahmen und mögliche Maßnahmen angesichts der Krise in Kolumbien erörterten. Die Konsultation erkannte die Bedeutung einer biblischen und theologischen Herangehensweise an: Die Solidarität Gottes mit den Leidenden. Dabei wurde die Möglichkeit diskutiert, ein Begleitprogramm ins Leben zu rufen, das langfristig darauf abzielt, die gesellschaftlichen Verantwortlichen und ihre Organisationen und Gemeinschaften zu schützen, die Fürsprachefähigkeit verschiedener Gruppen zu stärken, die Angst in den Gemeinschaften, insbesondere für Menschen, die „zurückkehren“, abzubauen, und die Opfer zu befähigen. Die Konsultation schlug zudem vor, mit Kirchen, ökumenischen Gruppen und örtlichen zivilgesellschaftlichen Organisationen ein Ökumenisches Forum für Kolumbien zu schaffen. Dabei wurde beschlossen, dass 2011 mit nationalen, regionalen und internationalen ökumenischen Partnern eine internationale Konsultation in Kolumbien organisiert werden soll, um gezieltere Aktionspläne und angemessene Maßnahmen, die in nächster Zukunft gemeinsam mit dem CLAI eingeleitet werden können, zu besprechen.

Angesichts dessen fasst der ÖRK-Zentralausschuss auf seiner Tagung vom 16. bis 22. Februar 2011 in Genf folgenden Beschluss. Der Zentralausschuss:

1.       ruft alle Konfliktparteien in Kolumbien auf, das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen umfassend zu befolgen und dadurch das Leben, die Integrität und das Eigentum der Zivilbevölkerung zu bewahren;

2.       ruft die kolumbianische Regierung nachdrücklich auf, die erforderlichen gesetzlichen und politischen Veränderungen (oder Fortschritte) weiter umzusetzen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um gegen die staatlichen und nichtstaatlichen Akteure, die für Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich sind, zu ermitteln, sie strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen;

3.       würdigt die Arbeit der kolumbianischen Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, ermutigt sie in ihren Bemühungen zur Förderung des Friedens in Kolumbien und betont die Notwendigkeit, den Konflikt durch die Unterstützung und Förderung von Plattformen für friedlichen Dialog und politische Verhandlungen zu beenden, und gleichzeitig eine friedliche Lösung des Konfliktes, die Entwaffnung der paramilitärischen Einheiten und die Wiederherstellung des Rechtsstaates zu fördern;

4.       bekräftigt seine Solidarität und betet für die Menschen in Kolumbien, insbesondere für die Familien derjenigen, die umgebracht oder vertrieben wurden, oder die verschwunden sind, und bringt eine tiefe Wertschätzung gegenüber all jenen zum Ausdruck, die die kolumbianischen Friedensinitiativen bereits heute zu ihrer Priorität gemacht haben;

5.       appelliert an die Regierungen, die Auswirkungen der Handelsbestimmungen auf die Menschenrechte zu beurteilen, bevor sie mit Kolumbien ein Freihandelsabkommen (FTA) schließen, und eine nachhaltige Politik zu verfolgen, die dem Schutz der Bauern, Angehörigen indigener Völker, Kolumbianern mit afrikanischen Vorfahren und Gewerkschaftsvertretern besondere Rechnung trägt, da diese Menschen stark unter der Anwesenheit transnationaler Unternehmen im Land leiden;

6.       wiederholt die Forderung an die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, den „Plan Colombia“ sofort einzustellen und die ausländische Unterstützung Kolumbiens von militärischen auf humanitäre Zwecke umzuleiten sowie die Priorität vermehrt auf eine verstärkte Achtung der Menschenrechte im Land zu setzen;

7.       fordert vom ÖRK, die erforderlichen Schritte einzuleiten, um in Kolumbien gemeinsam mit dem CLAI eine internationale Konsultation unter Beteiligung von Kirchen, ökumenischen Entwicklungsdiensten und -werken, nationalen, regionalen und internationalen ökumenischen Organisationen und örtlichen Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft zu organisieren, auf der die Möglichkeit eines Begleitprogramms und/oder eines ökumenischen Forums zur Unterstützung der Friedensarbeit der Kirchen und der Menschen in Kolumbien sondiert würde.

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