Überwindung von Gefährdungen der menschlichen Gesundheit im Kontext von HIV/AIDS / Bioethik und die Herausforderung durch die neuen Technologien Verantwortlicher Umgang mit den Ressourcender ErdeDie Rassismusagenda / Nulltoleranz bei Gewalt gegen Frauen und Kinder

17. Der Skandal der Armut und wachsenden Ungleichheit

Armut bedroht Leben und Würde des Menschen. Armut ist kein Schicksal, sondern entsteht durch die Art und Weise, wie in den einzelnen Gesellschaften und weltweit Reichtum geschaffen und verteilt wird. Ungleichheit wächst nicht zufällig, sondern entsteht durch die Art und Weise, wie wirtschaftliche und politische Prozesse ablaufen und strukturiert sind. Armut untergräbt die Lebensgrundlagen von Milliarden von Kindern, Frauen und Männern, denen nicht nur der Zugang zu den Wohltaten des wachsenden Reichtums, sondern auch zu den Grundgütern des Lebens verweigert wird. Überkonsum und Überentwicklung auf der einen Seite stehen Hunger, Krankheit und Leid auf der anderen gegenüber.

Die Bibel erinnert die Christen an Gottes Liebe zu den Menschen (agape) und ruft zum Miteinanderteilen von Gaben und Ressourcen auf, damit alle ein erfülltes Leben leben können. Im Licht der biblischen Vorstellung von Gerechtigkeit und Gottes bevorzugter Option für die Armen sind Ungleichheit und Armut ein Skandal. Gott spricht durch den Propheten Amos zu den Menschen und verurteilt diejenigen, die "die Waage fälschen" und "die Armen um Geld und die Geringen um ein Paar Schuhe in unsere Gewalt bringen" (Amos 8,5f). Jesus fordert die Reichen auf, ihre Habe mit den Armen zu teilen, - und geht damit weit über das hinaus, was heute als caritas praktiziert wird. "Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!" (Lk 18,22b). Gerechtigkeit für die Armen ist daher der biblische Maßstab, an dem jedes Wirtschaftssystem gemessen werden kann. Diese Glaubensüberzeugung fordert uns zu entschlossenem Engagement für eine Welt ohne Armut und Ungleichheit auf.

In einer Reihe von ökumenischen Reflexionen über Christentum, Reichtum und Armut ist eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Skandal der wachsenden Kluft zwischen Reich und Arm und der zunehmenden Ungleichheit gefordert worden. Wir müssen uns fragen, was wir konkret tun können, damit alle Menschen einen gerechten Anteil an den Ressourcen der Erde haben. Kann das Miteinanderteilen unter und innerhalb unserer Kirchen wieder neu thematisiert und gerechter und transparenter gestaltet werden? Haben wir gegenüber den Reichen den besonderen Auftrag, sie zum Miteinanderteilen anzuhalten? Welche Beispiele können wir für die Veränderung von Strukturen anführen, die Armut schaffen? Welchen Beitrag können unsere Kirchen zur Entwicklung glaubwürdiger Alternativen leisten?

Es ist nicht leicht, Veränderung zu bewirken. Die Kontexte, mit denen wir es zu tun haben, sind komplex und müssen sorgfältig analysiert werden, damit die Hauptakteure und ihre Rolle im Netz der Unterdrückung und Ausgrenzung erkannt und Maßnahmen beschlossen werden können, die Einzelne, Gemeinschaften und die Kirchen ergreifen sollten.

Die erste Arbeitssitzung wird der Frage gewidmet sein, inwiefern die Schaffung von Reichtum für den Skandal der Armut in der heutigen Welt verantwortlich ist, und den Teilnehmenden Gelegenheit bieten, die wichtigsten Faktoren zu identifizieren, die zur wachsenden Ungerechtigkeit und zum Skandal der Armut auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene beitragen.

Die zweite Arbeitssitzung wird spezifische Beispiele kirchlicher Arbeit, Begleitung und Fürsprachearbeit vorstellen, bei denen die Kirchen sich entweder allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren für die Überwindung von Ungleichheit und Armut einsetzen. Dabei sollen bestimmte Pilotprojekte (best practice) hervorgehoben werden und sollen die Teilnehmenden darüber nachdenken, welche Lehren daraus gezogen und mit der ökumenischen Gemeinschaft geteilt werden können.

Die dritte Arbeitssitzung wird verschiedene Möglichkeiten prüfen, wie die ökumenische Bewegung sich stärker für Veränderungen einsetzen und sich - in ihrer theologischen und ethischen Reflexion wie auch im politischen Bereich - lokal und global entschlossener mit dem Skandal der Armut auseinandersetzen könnte.

 

18. Überwindung von Gefährdungen der menschlichen Gesundheit im Kontext von HIV/AIDS

Ein einzigartiges Wesensmerkmal des Christentums liegt darin, dass Heilung eine der vier Säulen der Kommunikation des Evangeliums ist - zusammen mit Predigt, Unterweisung und Erbauung/Seelsorge (Mt 4,23 und Mt 25,41-45). Begründet ist dies in der ganzheitlichen Vision von der Fülle des Lebens für alle Menschen. Die Kinder Gottes sind aufgerufen, wirksame Werkzeuge der heilenden und verwandelnden Kraft der Liebe Gottes zu allen Menschen zu sein.

Wir leben heute in einer von Sünde und Ungerechtigkeit gekennzeichneten Welt, die die Menschheit in noch nie gekanntem Maße anfällig für Gesundheitsgefährdungen macht. Trotz großer technischer Fortschritte bei der Vorbeugung und Behandlung vieler Krankheiten hat die Mehrheit der Weltbevölkerung auch heute noch praktisch keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Vermeidbare Krankheiten, wie HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose, verursachen unter den Armen und Schutzlosesten nach wie vor unsägliches Leid und Tod (jedes Jahr sterben schätzungsweise 6 Millionen Menschen an diesen Krankheiten). Gleichzeitig nehmen chronische Krankheiten, die häufig in direktem Zusammenhang mit Lebensstil und Lebensgewohnheiten stehen, weltweit zu.

In einer Welt, die schnellem Wandel unterworfen ist, haben Armut, Analphabetentum und unterdrückerische patriarchalische Gesellschaftsstrukturen auch weiterhin verheerende Auswirkungen auf den Gesundheitsstatus der menschlichen Familie. Tragischerweise kommen zahlreiche neue Herausforderungen hinzu, die unsere Kirchen dazu auffordern, geeignete Antworten finden, die den Menschen weiterhelfen und zur Überwindung der gegenwärtigen Gesundheitsbedrohungen beitragen. Wir wollen uns in unserer Reflexion auf konkrete Situationen konzentrieren, um spezifische Lösungswege vorschlagen zu können. Aus diesem Grund werden wir die HIV/AIDS-Epidemie in den Mittelpunkt unseres ökumenischen Gesprächs stellen und uns mit einigen der grundlegenden Fragen befassen, denen unsere Kirchen sich stellen müssen.

Wie können wir durch den ganzheitlichen Umgang mit dieser Krankheit zu neuen theologischen und ethischen Einsichten gelangen? Wir stehen auch weiterhin vor der Herausforderung, Fragen der Stigmatisierung, Diskriminierung und Marginalisierung mit Entschlossenheit und Mut anzugehen. Wie setzen unsere Kirchen die Erfahrungen, die sie gesammelt haben, sowie ihre geistlichen und theologischen Ressourcen auf der Kanzel, in der theologischen Ausbildung oder in erneuerten Liturgien um?

Sind Gemeinden in einer Situation, in der eine ganze Generation durch HIV/AIDS ausgelöscht worden ist und Waisen die Rolle als Familienoberhaupt übernehmen müssen, darauf vorbereitet und fähig, als Gemeinschaft für andere da zu sein? Welche Erfahrungen haben Kirchen damit gemacht, gastfreundliche Gemeinschaften zu werden und Menschen mit HIV/AIDS in ihrer Mitte und in der Gesellschaft sinnvolle Beteiligung zu ermöglichen?

Ferner werden wir uns in unserem ökumenischen Gespräch mit der Frage befassen, inwiefern unsere Arbeit für den gleichberechtigten Zugang aller Menschen zu Aufklärungsmaßnahmen, Prävention, Betreuung und Behandlung sowie unsere Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen der Geschlechterdiskriminierung und Armut positive Ergebnisse zeigt?

Die erste Arbeitssitzung wird einen Überblick darüber geben, in welcher Weise die HIV/AIDS-Pandemie die Verletzlichkeit unserer Gesellschaften in noch nie dagewesener Weise aufdeckt. Die Teilnehmenden werden über die verschiedenen Auswirkungen der Krankheit und die unterschiedlichen Reaktionen (einschließlich Verweigerungshaltung und Schweigen) in ihrer eigenen Kirche und Gesellschaft reflektieren.

Die zweite Arbeitssitzung wird den Teilnehmenden aus verschiedenen Regionen Gelegenheit bieten, sich über die Erfahrungen, Pilotprojekte und Modelle für Veränderung und anwaltschaftliche Arbeit ihrer Kirchen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene auszutauschen.

Die dritte Arbeitssitzung wird Vorschläge ausarbeiten, wie die Gemeinschaft der Kirchen den heilenden Dienst am besten ausüben und die Zusammenarbeit untereinander und mit der Zivilgesellschaft stärken kann.

 

19. Für die Heiligkeit des Lebens eintreten: Bioethik und die Herausforderung durch die neuen Technologien

Was bedeutet es, Mensch und ein Teil von Gottes Schöpfung zu sein?

Antworten auf diese Frage, die Jahrhunderte lang eindeutig und unerschütterlich zu sein schienen, werden von neuen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen ernsthaft in Frage gestellt. Die Gentechnik beispielsweise hat den Fähigkeiten der Menschen eine neue Dimension hinzugefügt: mit ihr können wir unsere eigene Entwicklung und die Entwicklung anderer Arten verändern und abwandeln. Die Gentechnik rührt an unsere tiefsten Überzeugungen vom Wert menschlichen Lebens und von der Menschenwürde. Häufig bedient man sich in der Öffentlichkeit dafür einer religiösen Sprache: "Wir erlernen die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat", wurde behauptet, als man mit der Entschlüsselung der Gesamtheit der menschlichen Erbanlagen begann.

Die ökumenische Bewegung hat sich im Rahmen eines Studienprozesses, der 1979 auf der Konferenz über Glauben, Wissenschaft und die Zukunft seinen Höhepunkt erreichte, mit einigen dieser Probleme befasst. In der Zwischenzeit haben sich die Kirchen mit den häufig schwierigen und spaltenden ethischen Fragen nach dem Beginn und dem Ende menschlichen Lebens auseinandergesetzt und sich mit den neuen Fragestellungen der sich rasant entwickelnden Technologien auseinandergesetzt. Es gibt heute genetisch verändertes Saatgut. Klonen, Stammzellenforschung und präimplantative Diagnostik sind möglich geworden.

Angesichts dieser Herausforderungen müssen wir intensiver nach Gemeinsamkeiten suchen, damit die Kirchen Zeugnis in der Welt ablegen können. Wie bewerten wir die neuen Möglichkeiten? Sehen wir sie als Chance oder Risiko für die Zukunft des Lebens? Wie gehen wir mit Fragen der Gerechtigkeit um, die sich in diesem Zusammenhang stellen, wie z.B. dem unterschiedlichen Zugang zu Technologien und der ungerechten Verteilung von Ressourcen, bei der die Erfüllung der Grundbedürfnisse keine Rolle spielt?

Wie beeinflussen unsere Vorstellungen und Überzeugungen von der Heiligkeit des Lebens unser Denken und Handeln? Es ist wichtig, sich einmal mehr die Frage nach dem biblischen Zeugnis zu stellen. Welches ist die tiefere Bedeutung der Tradition, nach der der Mensch zum Bilde Gottes erschaffen und das Leben eine Gabe Gottes ist (1 Mose 1)? Das menschliche Leben steht nicht zur Disposition, wenn es um die Erfüllung menschlicher Ziele und Wünsche geht. Wir sehen die Bedeutung des Menschseins im Lichte Jesu Christi, des einen Menschen, in dem Gottes Schöpferwille für die Menschheit und die ganze Schöpfung offenbart worden ist (Joh 1).

Dieses ökumenische Gespräch wird den Teilnehmenden Gelegenheit bieten, sich über die Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen, die die Kirchen und ökumenischen Partner in ihrer Auseinandersetzung mit den neuen Technologien gewonnen haben, wie z.B. der Gentechnik und den neueren Entwicklungen im Bereich der Nanotechnologien, jener Technologien, die im Nanometerbereich (1 Nanometer = 1 Milliardstel Meter) angesiedelt sind und sehr viel Aufmerksamkeit und Mittel für die Erforschung eines breiten Spektrums von Anwendungsbereichen erhalten. Eine Reihe dieser Anwendungen sind von besonderer Relevanz für Menschen mit Behinderungen.

Die erste Arbeitssitzung lädt zum Dialog über die verschiedenen Probleme ein, mit denen unsere Kirchen sich auseinandersetzen müssen, und über die ethischen Herausforderungen, vor die diese Fragen Kirchen und Gesellschaft stellen. Darin sollen einige der höchst komplexen Probleme und Konflikte herausgearbeitet und soll gleichzeitig nach Gemeinsamkeiten gesucht werden, die den Kirchen helfen können, sich den Herausforderungen dieser neuen Technologien zu stellen. Menschen mit Behinderungen werden ihre Perspektive zu diesen Fragen einbringen.

Die zweite Arbeitssitzung wird die Reaktion der Kirchen auf diese ethischen Herausforderungen anhand lehrreicher Beispiele beleuchten und sich intensiv mit Modellen für Reflexion und Zeugnis in der Welt befassen.

Die dritte Arbeitssitzung wird sich auf die Frage konzentrieren, wie die Kirchen einander besser zuhören und gemeinsam nach Lösungswegen suchen können, wie sie ihre eigenen Antworten - aufbauend auf den Ansätzen anderer - entwickeln und so voneinander lernen und mehr Gemeinsamkeit anstreben können.

 

20. Miteinander leben in Gottes Schöpfung: verantwortlicher Umgang mit den Ressourcen der Erde

Viele der Herausforderungen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, machen deutlich, dass die Kirchen aktiv nach Möglichkeiten eines besseren Umgangs mit der Erde und der Herstellung eines besseren Gleichgewichts zwischen unseren menschlichen Bedürfnissen und dem Schutz alles Lebendigen suchen müssen. Unser Verständnis vom Schöpfergott und von Gottes Heilsplan für die Schöpfung treibt uns an, als Kirche in Solidarität mit anderen beharrlich für das Leben - für "ein Leben in Fülle" - einzutreten. Die Schöpfungsgeschichten (1 Mose 1-2), aber auch die Psalmen (Ps 24, 104) und andere Bücher der Bibel erinnern uns daran, dass wir Teil der Erdengemeinschaft sind, dass wir Gottes Haushalt des Lebens angehören.

Wir sind aufgerufen, die wirtschaftlichen Paradigmen, die die Welt heute beherrschen und sowohl die Ressourcen der Erde als auch die Arbeitskraft und Kreativität des Menschen ausbeuten, kritisch zu hinterfragen. Es handelt sich dabei um Fragen, die die Menschheit vor einige der grundlegendsten ethischen Herausforderungen stellen. Für die Armen und Ausgegrenzten geht es dabei um Leben oder Tod, denn mehr als alle anderen sind sie Umweltverschmutzung, immer häufiger wiederkehrenden und verheerenderen Stürmen, verändertem Niederschlagsverhalten und anderen Formen von Katastrophen ausgesetzt. Umweltzerstörung und ein dramatischer Rückgang der Artenvielfalt sind das Erbe, das wir unseren Kindern und künftigen Generationen hinterlassen. Der sorgsame Umgang mit den Ressourcen der Erde steht daher in enger Verbindung mit unserem Eintreten für Gerechtigkeit.

Der Kampf indigener Völker um Land und Identität, die Anstrengungen von Bauern für eine nachhaltige Landwirtschaft, Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und die Initiativen ganzer Bevölkerungsgruppen zur Verteidigung ihres Rechts auf Wasser sind nur einige Schlüsselbeispiele, die deutlich machen, wie Menschen sich aktiv und entschlossen für Veränderungen einsetzen. Diese sind dringend erforderlich, da die Menschen, um die es hier geht, durch diese Krisen de facto in ihrer Existenz bedroht sind. Die Kirchen haben sich dieser Anliegen auf lokaler Ebene in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen und auf internationaler Ebene zusammen mit ökumenischen Partnern und Organisationen angenommen.

Welche Art von Maßnahmen wollen wir im Kampf um die Bewahrung lebenswichtiger Ressourcen unterstützen und stärken? Wie fördern wir in unserer christlichen Bildungsarbeit das Verständnis für den verantwortlichen Umgang mit Gottes Schöpfung? Wie können wir zusammen mit Angehörigen anderer Religionen die Diskussion über die Beziehung zwischen Umweltgerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit am besten vertiefen, in dem Bewusstsein, dass der Kampf um die Sicherung nachhaltiger Existenzgrundlagen ein Kampf für das Überleben der Menschheit ist?

Die erste Arbeitssitzung wird sich mit den wichtigsten aktuellen Umweltproblemen sowie unseren unterschiedlichen Auffassungen von der Beziehung zwischen Theologie/Spiritualität und Ökologie/Ökonomie und deren Auswirkungen auf unser Engagement in unserem lokalen Umfeld befassen.

Die zweite Arbeitssitzung wird den Teilnehmenden Gelegenheit zum Austausch darüber bieten, wie Kirchen auf lokaler Ebene Umweltprobleme angehen - Austausch über Erfahrungen, Pilotprojekte und Modelle für Wandel sowie Lobbyarbeit.

Die dritte Arbeitssitzung wird Ideen und Orientierungshilfen für ethisch und ökologisch verantwortliche Lehre und Praxis in Glaubensgemeinschaften vorschlagen und besonders darauf eingehen, wie die Gemeinschaft der Kirchen die Zusammenarbeit bei der Förderung gerechter und tragfähiger Alternativen am besten stärken kann.

 

21. Die Rassismusagenda: eine Priorität für die Kirchen?

Trotz der Tatsache, dass wir alle einer menschlichen Rasse angehören, ist Rassismus als gesellschaftliches Konstrukt eine Wirklichkeit. Jeden Tag berichten die Medien über rassistisch motivierte Gewalttaten überall in der Welt. In der jüngsten Vergangenheit ist es zu einem alarmierenden Anstieg rassistischer Ausschreitungen und Verunglimpfungen gekommen, vor allem in Europa, aber auch in allen anderen Kontinenten. Ist irgendein Land frei von Rassismus, Rassendiskriminierung und Xenophobie? Rassistische Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs - Rassismus kommt in vielen verschiedenen Formen, offen und verdeckt, zum Ausdruck.

Der Sieg über die institutionalisierte Form des Rassismus, die die Apartheid in Südafrika darstellte, bedeutete nicht, dass der Rassismus im Rest der Welt besiegt worden wäre. Systemimmanente und strukturelle Formen des Rassismus, die tief in unseren Gesellschaften verankert sind, bestehen unvermindert fort, wie z.B. in der Diskriminierung und Unterdrückung der Dalits, Roma, indigenen Völker, Afrikaner und afrikanischstämmigen Bevölkerungsgruppen deutlich wird. Der Rassismus wird immer komplexer und durchdringt alle Lebensbereiche, da er immer stärker in Wechselbeziehung mit dem weit verbreiteten Phänomen der Migration und vielen anderen wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Faktoren tritt. Er wächst und gedeiht in Krisen- und Konfliktsituationen und begleitet Polarisierungen, die durch Extremismen - seien sie religiöser, nationalistischer oder ethnischer Prägung - hervorgerufen werden. Diese Faktoren erklären auch, dass der Antisemitismus in Europa mehr als fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder erstarken konnte.

Der Rassismus ist und bleibt in unserer heutigen Zeit ein zentrales Problem. Aber steht er immer noch ganz oben auf der Tagesordnung unserer Kirchen? Vor mehreren Jahrzehnten verurteilte die ökumenische Bewegung den Rassismus und bezeichnete ihn als Sünde. Unsere vielen christlichen Traditionen haben immer wieder bekräftigt, dass "alle Menschen (…) - unabhängig von Religion, Rasse, nationaler Herkunft, Hautfarbe, Glaube oder Geschlecht - lebendige Ebenbilder Gottes (sind), die von Natur aus eine entsprechende Achtung und Würde verdienen. Wenn Menschen ihre Mitmenschen und die Schöpfung nicht mit dieser Achtung behandeln, beleidigen sie den Schöpfergott" (Erklärung Seiner Heiligkeit, des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios). Die Herausforderungen, vor die der Rassismus die Kirchen stellt, sind nicht geringer geworden. Die Kirchen sind mit einer Reihe schwieriger Fragen konfrontiert: Wie gehen wir und unsere Kirchen konkret mit der Verpflichtung um, uns für die Überwindung des Rassismus einzusetzen? Wie können wir und unsere Kirchen uns auch in Zukunft für Menschen engagieren, die unter Rassismus und rassistischer Immigrationspolitik zu leiden haben, und konkrete Solidarität mit ihnen üben? Ist es uns gelungen, Rassismus in den Strukturen und Institutionen unserer eigenen Kirchen effektiv zu begegnen? Wie können wir und unsere Kirchen mit den Erinnerungen an rassistische Diskriminierung umgehen, die in der Vergangenheit z. T. im Rahmen der Missionsarbeit der Kirche wie auch durch ehemalige Kolonialmächte betrieben wurde.

Die erste Arbeitssitzung wird sich darauf konzentrieren, Tendenzen des Rassismus in der heutigen Welt herauszuarbeiten. Die Teilnehmenden werden Gedanken und Erfahrungen aus ihren eigenen Kontexten austauschen und Geschichten der Hoffnung und des Kampfes hören, einschließlich der Forderung nach Wiedergutmachung von Menschen, die gegenwärtig unter rassistischer Diskriminierung leiden.

Die zweite Arbeitssitzung wird sich mit der Frage des Beitrags der Kirchen zur Überwindung des Rassismus befassen. Es wird sowohl Erfahrungsberichte über das exemplarische Verhalten von Kirchen als auch über Schwierigkeiten geben, mit denen diese konfrontiert sind. Ferner soll veranschaulicht werden, wie Kirchen transformative Gerechtigkeit in ihrem Leben praktizieren und wie sie sich mit historischem Unrecht, dem sie sich gegenübergesehen haben, auseinandersetzen. Diese Arbeitssitzung wird eine theologische Reflexion über eine Welt ohne Rassismus und Ausgrenzung einschließen.

Die dritte Arbeitssitzung wird sich mit der Frage befassen, wie wir uns selbst und unsere Kirchen besser ausrüsten könnten, um uns für die Überwindung des Rassismus in allen seinen Formen einzusetzen.

 

22. Nulltoleranz bei Gewalt gegen Frauen und Kinder

Jeden Tag berichten die Medien über zunehmende Gewalt gegen Frauen und Kinder. Die Weltgesundheitsorganisation gibt einen Weltbericht "Gewalt und Gesundheit" heraus, aus dem hervorgeht, dass es die gegen den Intimpartner gerichtete Gewalt ohne Ausnahme in allen Ländern gibt - ungeachtet des sozialen, wirtschaftlichen, religiösen oder kulturellen Hintergrunds. Die Statistiken sind erschreckend: in 48 Bevölkerungserhebungen gaben 10-69% der Frauen an, dass sie irgendwann in ihrem Leben einmal von einem männlichen Intimpartner tätlich angegriffen worden seien. Das Problem sexueller Übergriffe durch Geistliche und der Pädophilie in der Kirche kann nicht länger totgeschwiegen werden und wird in verschiedenen Teilen der Welt angeprangert.

Seit nahezu zwei Jahrzehnten steht die Frage der Gewalt gegen Frauen und Kinder auf der Tagesordnung der Kirchen. Sexuelle Gewalt wird theologisch und ethisch als "Sünde" verstanden. Diese Überzeugung hat viele Kirchen dazu geführt, sich für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Kinder einzusetzen. Und dennoch müssen Frauen in der Kirche auch heute noch immer und immer wieder die Frage stellen: "Wie lange müssen wir noch darüber sprechen? Wann wird man uns endlich Gehör schenken?"

Kern des Problems ist der Missbrauch patriarchalischer Macht, der zu gewalttätigem Verhalten gegen Frauen führt und als Mechanismus dient, um Frauen zu kontrollieren. Theologie, Bibel, kirchliche Lehren und Praktiken werden bisweilen missbraucht, um gewalttätiges Verhalten zu legitimieren. Der Psalmist hält uns vor Augen: "Wenn mein Feind mich schmähte, wollte ich es ertragen; …Aber nun bist du es, mein Gefährte, mein Freund und mein Vertrauter, die wir freundlich miteinander waren…" (Ps 55). Diese Verse beschreiben sehr gut, wie sehr Frauen sich verletzt fühlen, wenn jemand, dem sie vertrauen, Verrat an ihrer Beziehung übt. Wenn Gewalt aber ein zwingendes biologisches Merkmal von Männern wäre, wären alle Männer gewalttätig, und das ist nicht der Fall. Viele Männer haben sich Bewegungen angeschlossen, um ein positives Bild von Männern als anständige, liebevolle, verantwortliche Menschen zu fördern, die anderen mit Respekt begegnen, als Menschen, die Frauen keinen Schaden zufügen und bereit sind, zusammen mit anderen Männern das historische Unrecht, das Frauen erlitten haben, zu korrigieren.

Dieses ökumenische Gespräch wird einige dieser brennenden Fragen zur Sprache bringen.

Welches sind die Faktoren in unseren Kirchen und Gesellschaften, die auch heute noch dazu führen, dass diese weit verbreiteten Tendenzen zur Gewalt gegen Frauen und Kinder unvermindert anhalten? Tragen unsere Kirchen durch ihre Theologie und Praxis in irgendeiner Weise zur Förderung oder stillschweigenden Duldung von Gewalt gegen Frauen und Kinder bei? Jesus praktizierte in seinem Leben ein neues Verständnis von Macht - wie kann die Kirche diesem Vorbild in ihrem eigenen Leben nacheifern? Wie können Unterweisung, Predigt, Leitungsstrukturen, seelsorgerliche und praktische Arbeit der Kirche so verändert werden, dass Frauen und Kinder in der Kirche Fürsprache, Unterstützung und Zuflucht finden?

Die erste Arbeitssitzung wird sich mit den gegenwärtigen Tendenzen zur Gewalt gegen Frauen und Kinder in unseren Kirchen und Gesellschaften befassen. Die Teilnehmenden werden Gedanken und Erfahrungen aus ihren eigenen Kontexten miteinander austauschen und die Schlüsselanliegen identifizieren, denen Kirchen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene in Zukunft ihre Aufmerksamkeit schenken sollten.

Die zweite Arbeitssitzung wird der Frage gewidmet sein, inwieweit - und ob - unsere Kirchen sich mit diesen Anliegen befassen. Wir werden uns mit dem theologischen Gebot der Überwindung von Gewalt gegen Frauen und Kinder beschäftigen und Berichte über Initiativen von Frauen gegen Gewalt hören. Auch positive Beispiele von Männerinitiativen zur Überwindung von Gewalt gegen Frauen sowie die Herausforderungen, denen Männern sich in den Kirchen gegenübersehen, werden zur Sprache kommen. Sodann wird es Gelegenheit zu einem Erfahrungsaustausch über positive Ansätze und Reaktionen der Kirchen auf dieses Problem geben.

Die dritte Arbeitssitzung wird nach Wegen suchen, die unseren Kirchen helfen können, ihre Anstrengungen zur Überwindung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zu intensivieren und, indem sie sich neu dem Gebot des Evangeliums verpflichten, selbst verwandelt zu werden wie auch Werkzeug der Verwandlung in ihrer jeweiligen Gesellschaft zu werden.