Im Vorfeld des Gipfels der Vereinten Nationen, der vom 14.-16. September 2005 stattfindet, hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) den Regierungen von Großbritannien und China - die Länder, die gegenwärtig den Vorsitz der G8 bzw. der G77 innehaben - seinen Standpunkt zur geplanten Reform der internationalen Organisation dargelegt.

In einem Brief, den ÖRK-Generalsekretär Pastor Dr. Samuel Kobia am 7. September an die beiden Regierungen gesandt hat, weist er darauf hin, dass ÖRK und UNO auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens, der Armutsbeseitigung, der Förderung und Verteidigung der Menschenrechte und der Menschenwürde gemeinsame Ziele haben und ruft die UNO auf, an ihren grundlegenden Prinzipien festzuhalten. Ferner skizziert er kurz die Position des Weltkirchenrates in den neun Arbeitsbereichen der UNO.

Insbesondere ruft der Generalsekretär dazu auf, Entwicklungs- und Sicherheitsfragen nicht voneinander zu trennen; innerhalb der UNO für größere Repräsentativität zu sorgen; Menschen, die sich in Gefahr befinden, Recht auf Schutz einzuräumen; armen Länder einen 100-prozentigen Schuldenerlass zu gewähren und die Ausgaben für Entwicklungshilfe zu erhöhen; den Einsatz militärischer Macht zu begrenzen; es nicht zuzulassen, dass Menschenrechte "im Namen der nationalen Sicherheit" beeinträchtigt werden; sowie die Millenniumsentwicklungsziele, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und das Kyoto-Protokoll umzusetzen.

Es folgt der vollständige Text des Briefes vom ÖRK:

"In zwei Wochen findet der Gipfel der Vereinten Nationen statt. Er wird darüber entscheiden, welche Richtung die Vereinten Nationen sowohl inhaltlich als auch organisatorisch einschlagen werden. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat seine Anerkennung für die zur Vorbereitung des Gipfels geschriebenen Berichte bereits bei früherer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht und ausführlich Stellung dazu bezogen.

Der ÖRK wird die Verhandlungen über die Abschlusserklärung genau verfolgen. Er möchte diese Gelegenheit nutzen und Ihnen - die Sie gegenwärtig in dem Prozess mitwirken, der die Stärkung der UNO, eine klarere Prioritätensetzung und die Mobilisierung des politischen Willens zur Erfüllung ihrer Aufgaben anstrebt, - seine Position darlegen.

Die Stellungnahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen zu internationalen Angelegenheiten basieren auf der ethischen und theologischen Reflexion, die er zusammen mit seinen 347 Mitgliedskirchen in aller Welt durchführt. Die in unserem Reflexionsprozess behandelten Fragen stehen in enger Verbindung mit der Agenda der UNO. Historisch gesehen verfolgen ÖRK und UNO gemeinsame Ziele auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens, der Armutsbeseitigung und der Förderung und Verteidigung der Menschenrechte und der Menschenwürde.

Der ÖRK ruft dazu auf:

1. Entwicklungs- und Sicherheitsfragen nicht voneinander zu trennen. Wenn ein gemeinsamer und integrativer Ansatz, der die Länder des Südens und des Nordens einbezieht, gefunden wird, so kann auf dieser Grundlage eine Reform der Vereinten Nationen in Angriff genommen werden;

2. eine Reform durchzuführen, die die UNO stärkt und handlungsfähig macht und eine größere Repräsentativität gewährleistet, so dass die Weltorganisation mit Erfolg den globalen Herausforderungen begegnen kann, denen die Menschheit gegenübersteht: Kriege, Konflikte, Kernwaffen, Umweltzerstörung, AIDS und andere Krankheiten, Unterentwicklung, extreme Armut und Terrorakte;

3. sich klar dazu zu bekennen, dass Menschen, die in größter Gefahr sind, das Recht auf Schutz haben und dass die internationale Gemeinschaft versuchen muss, diesen Schutz zu gewährleisten, falls die jeweiligen Regierungen dazu nicht in der Lage oder willens sind;

4. dass alle Länder sich für die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele einsetzen, indem sie insbesondere Ziel 8 - 'eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen' - umsetzen;

5. armen Ländern einen 100-prozentigen Schuldenerlass zu gewähren und die öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistence, ODA) auf die von der UNO empfohlene Höhe von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen;

6. den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) umfassend zu erfüllen; die Unterzeichnerstaaten werden aufgerufen, ihre Abrüstungsverpflichtungen ausdrücklich anzuerkennen und umfassend zu erfüllen, und Staaten, die den NPT bislang nicht unterzeichnet haben, werden aufgerufen, dem Vertrag beizutreten. Vorbedingung für die Aufnahme in den Sicherheitsrat als neues ständiges Mitglied sollte sein, dass das betreffende Land einen eindeutigen und überprüften Status als Nichtkernwaffenstaat hat;

7. dass die UNO ihre Verantwortung weiterhin ernst nimmt, militärische Gewalt nur im Rahmen des Völkerrechts und gemäß der Bestimmungen der UN-Charta anzuwenden und der Möglichkeit eines Präventivschlags auf der Grundlage von Artikel 51 keinen Raum zu geben;

8. dass Menschenrechte nicht im Namen der nationalen Sicherheit aufs Spiel gesetzt werden. Wesentliche Voraussetzung für die Beendigung von Armut und Terrorismus ist, dass die bürgerlichen und politischen wie auch die sozioökonomischen und kulturellen Rechte aller Völker verwirklicht werden;

9. das Kyoto-Protokoll zum UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen umzusetzen und Verhandlungen für die zweite Phase der Verpflichtungen zu führen. Der ÖRK bekräftigt die Notwendigkeit, über technische Änderungen in den Bereichen Energie, Transport und Wirtschaftspolitik hinauszugehen und zu einer grundlegenden Neuorientierung der sozioökonomischen Strukturen zu gelangen, die dem Phänomen des Klimawandels zugrunde liegen.

Erlauben Sie mir nun, Ihnen im Namen des Ökumenischen Rates der Kirchen meine Unterstützung für Ihre Arbeit im Rahmen der Vereinten Nationen sowie meine Wünsche für kluge und weitsichtige Entscheidungen in diesem sehr wichtigen Prozess zum Ausdruck zu bringen, der die Voraussetzungen dafür schaffen soll, dass die UNO sich für eine sicherere und bessere Welt für alle Menschen einsetzen kann."