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ÖRK-Generalsekretär Philip Potter nimmt die junge Mwuselele Nyoni in seine Armen bei der 6. Vollversammlung in Vancouver. Foto: ÖRK

ÖRK-Generalsekretär Philip Potter nimmt die junge Mwuselele Nyoni in seine Armen bei der 6. Vollversammlung in Vancouver. Foto: ÖRK

2018 feiern wir das 70-jährige Jubiläum des Ökumenischen Rates der Kirchen. Damit wir aus erster Hand Erfahrungsberichte über die ökumenische Gemeinschaft und unseren gemeinsamen Weg vorlegen können, haben unsere Mitgliedskirchen Geschichten über Menschen, Ereignisse, Erfolge und auch Misserfolge beigetragen, die alle unsere gemeinsame Suche nach christlicher Einheit vertieft haben.

Diese Geschichte hat Ulrich Becker aus Deutschland geschrieben.

Alle Ansichten oder Meinungen, die in diesem Artikel geäußert werden, sind diejenigen der Autorin und entsprechen nicht unbedingt den Grundsätzen des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Normalerweise lässt man die Geschichte der ökumenischen Bewegung mit der 1. Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 und mit den sich wenig später formierenden Bewegungen für Glaube und Kirchenverfassung und für Praktisches Christentum beginnen. Bei dieser Dreiteilung der ökumenischen Bewegung in ihrer vorinstitutionellen Phase werden die aus missionarischen und erwecklichen Impulsen hervorgegangenen Vorläuferbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts oft unterschlagen. Zu ihnen zählt die Sonntagsschulbewegung.

Ihre Anfänge reichen bis in die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück, als in England auf dem Hintergrund der industriellen Revolution die während der Woche arbeitenden Kinder am Sonntag von der Straße geholt und anhand von Bibel und Katechismus alphabetisiert und sozialisiert wurden. Rasch griff diese Bewegung mit zunehmend stärkerer missionarischer Akzentsetzung auf den europäischen und nordamerikanischen Kontinent über und wurde im 19. Jahrhundert auch auf den Missionsfeldern immer heimischer.

Den Zusammenschlüssen von Verantwortlichen der Sonntagschulbewegung auf nationaler Ebene ab 1791 folgten solche auf internationaler Ebene: Die 1. Weltsonntagschulkonferenz (World Sunday School Convention) fand 1889 in London statt und empfing bereits Berichte aus 15 sogenannten Missionsländern. 1907 entstand daraus die World Sunday School Association und schließlich 1947 der Weltrat für Christliche Erziehung (World Council of Christan Education, 1950 World Council of Christian Education and Sunday School Association) mit Mitgliedsorganisationen in 60 verschiedenen Ländern.

Sonntagsschülerinnen beteiligen sich an Gabensammlung für zurückgekehrte Flüchtlinge, Griechenland. Foto: ÖRK

Aufgabe dieser weltweiten Zusammenschlüsse war es, die interkonfessionellen, regionalen und nationalen Sonntagsschulgruppen und -vereine inhaltlich und organisatorisch zu beraten, sie finanziell zu unterstützen, die Arbeit an gemeinsamen Lehrplänen, Arbeitsmaterialien und Fortbildungsveranstaltungen zu fördern und internationale Kontakte zu pflegen.

Aber viel wichtiger, als die einzelnen organisatorischen Schritte und Aufgabenfelder dieser großen Sonntagsschulbewegung aufzuzählen, ist es, ihre Bedeutung für die Kinder und die in ihr Tätigen zu beschreiben. In einer sehr lesenswerten Auswertung von Geschichte und Theologie der amerikanischen Sonntagsschulbewegung heißt es dazu:

"Millionen Kinder nahmen mit der biblischen Muttermilch auch gleich die Einheits-'Sahne' zu sich; Glaube und Bewusstsein kamen vom Gemeinsamen her. Alle späteren ökumenischen 'Heroen', zumindest sofern sie Angelsachsen waren, kamen aus dieser 'Alma Mater' [der Sonntagsschulbewegung].

Mit Sicherheit verdanken fast alle angelsächsischen Delegierten der Weltmissionskonferenz von Edinburgh (1910 ) ihre ersten ökumenischen Schritte und die Grundlegungen ihres Bewusstseins ob der Einheit der Christinnen den 'Uniform Lessons', werden einige ihre kirchliche Karriere als Sonntagsschulhelfer im exegetisch interessierten Vorbereitungskreis und im monatlichen Gebetstreffen für die Verbreitung von Sonntagsschulen bis an die Enden der Welt begonnen haben....

Ökumene war somit von Anfang an Horizont in vielen amerikanischen Denominationen – dank der Sonntagsschule. Die Sonntagsschulbewegung gewann ihre weltweite und beneidenswerte Einheit und Stärke aus der rührenden Naivität ihres Biblizismus in Absage an theologische Lehrbildung, in weltweiter 'Uniformitas', in der Freude an der eigenen Erwählung und Berufung zum weltweiten Lehren und Verkündigen. Auf dem Banner stand: 'Christian Unity'. Es wurde 'engstirnigen' Denominationen tatkräftig und stolz abgesagt, Bestätigung aus Angriffen bezogen und Visionen eschatologischen Friedens in Einheit geträumt, wie ihnen entgegengegangen...

Einheit 'in nuce', 'communicatio in sacris', 'koinonia' und 'unitas dei', 'Union with Christ and each other', die Attribute überschlugen sich ob dieser erfahrenen, Grenzen übersteigenden und Schranken beseitigenden Wirklichkeit. Was sollte es darüber hinaus noch weiteres gegeben? Beschäftigung mit Gottes Wort war der vernünftige Gottesdienst, vollzogen im Alltag der Welt – nicht im theologischen Elfenbeinturm, oft mit ausgegrenzten, unerreichten Menschen jenseits der Kirchen. Und all das baute an Gottes Reich. War das nicht genügend sichtbare Einheit?"

"Zusammen mit Hundertausenden meiner Generation kann ich sagen, dass ich in einem gewissen Sinne ein Produkt der Sonntagsschule bin", bekannte Philip Potter, der langjährige Generalsekretär des ÖRK (1972 - 1984).

Es ist auf dem Hintergrund der Tatsache, dass viele ökumenische Pioniere durch die Sonntagsschule bzw. durch ihre Mitarbeit vor Ort oder in ihrer regionalen oder weltweiten Vernetzung hindurchgegangen sind, nicht verwunderlich, dass sich schon die großen ökumenischen Konferenzen in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts (von Edinburgh 1910 bis zur Bildung eines vorläufigen Ökumenischen Rates der Kirche 1937/38) immer auch den Fragen von Erziehung und Bildung zuwandten, und dass sich danach die Zusammenarbeit zwischen dem 1948 endgültig gegründeten ÖRK und dem Weltrat für Christliche Erziehung/Sonntagsschulvereinigung immer stärker intensivierte. Sie führte schließlich 1971 zu der Entscheidung dieses Weltrates, sich mit dem ÖRK zusammenzuschließen. In dem 1969 beim ÖRK eingerichteten Büro für Bildungsfragen sollten seine Aufgaben fortgeführt werden.

Das geschah dann auch in den folgenden Jahren und erreichte bei der VI. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver/Kanada insofern einen Höhepunkt, als es zum ersten Male gelang, Kinder in Form von verschiedenen Beiträgen am Leben der Vollversammlung teilnehmen zu lassen. Wie wichtig und wirkungsvoll diese Beiträge waren, dass lässt sich u.a. daran ablesen, dass schließlich ein Kind zum Symbol dieser Vollversammlung wurde:

Beim Eröffnungsgottesdienst war vorgesehen gewesen, dass Kinder und Erwachsene Symbole des Lebens zum Altar tragen sollten. Plötzlich reihte sich in diese Prozession auch eine junge Mutter aus Simbabwe mit ihrem Kind, das sie auf dem Rücken gebunden trug, ein und reichte es über den Altar hin dem Generalsekretär zu.

"In diesem Augenblick versammelte sich die dankbare Freude und die angstvolle Sorge aller um das Leben auf unserer bedrohten Erde in diesem kleinen Kind....Vancouver hatte in elementarer Weise das Leben auf unserer Erde als solches zum Thema. Die Vollversammlung musste sich daher jenen zuwenden, in denen das Leben weiter getragen wird: den Kindern.“ So fasste ein Teilnehmer dieses Geschehen zusammen.

 

Für Quellenhinweise und weiterführende Informationen, siehe: Ulrich Becker, Die ökumenische Bewegung als Anwalt des Kindes – oder: wie das Kind in die Ökumene kam, in: Jahrbuch für Kindertheologie, Band 5, Stuttgart 2006, S.49-55.

Weitere Informationen über das 70-jährige Jubiläum des ÖRK

#WCC70: Geschichten von unserer gemeinsamen Reise

Engagement des ÖRK für Kinder