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Die Menschen reisen so viel wie nie zuvor. Aber bringt der Tourismus Nachhaltigkeit und Entwicklung? © Albin Hillert/ÖRK

Die Menschen reisen so viel wie nie zuvor. Aber bringt der Tourismus Nachhaltigkeit und Entwicklung? © Albin Hillert/ÖRK

Von Anli Serfontein*

Sommerferien! Die Länder der nördlichen Halbkugel schalten einen Gang zurück und verabschieden sich wie jedes Jahr in den entspannten Urlaubsmodus. Nach Aussagen von Tourism Watch in Deutschland hat der Tourismus jedoch in vielen armen Ländern in Aussicht gestellte Verbesserungen nicht verwirklichen können.

„Der Tourismus hat sein Versprechen, den armen Ländern mehr Entwicklung und Wohlstand zu bringen, nicht erfüllt", sagt Antje Monshausen, Tourismusexpertin für das global tätige Hilfswerk 'Brot für die Welt' der deutschen evangelischen Kirchen. „Die Gleichung 'Mehr Tourismus = mehr Entwicklung' geht so nicht auf."

Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren weltweit, geschätzt jeder elfte Arbeitsplatz ist direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig.  Noch nie sind so viele Menschen auf Reisen gegangen wie heute.

Tourism Watch warnt aber, dass große Teile der Bevölkerung in den armen Ländern, die beliebte touristische Reiseziele sind, nach wie vor kaum vom Tourismusboom profitieren. Europäische Reisende bevorzugen traditionell Mittelmeerländer als Urlaubsdestinationen, dort „haben die Regierungen eine starke und zentralisierte Touristikindustrie aufgebaut", sagte Monshausen.

„Die nordafrikanischen Länder haben gezeigt, dass Tourismus als Monokultur eine sehr riskante Entscheidung ist. Entwicklungsländer, die sich allein auf den Tourismus als wirtschaftlichen Entwicklungsmotor verlassen, sollten aus dieser Erfahrung lernen", fügte sie hinzu. Sie ist der Überzeugung, dass Länder auf diese Weise viel zu anfällig für externe negative Ereignisse werden. Damit sind nicht nur Terroranschläge, sondern auch Naturkatastrophen gemeint. Es ist deshalb wichtig dafür zu sorgen, dass soziale Ungleichheiten und elitäre Strukturen nicht noch zusätzlich verstärkt werden. Dies war in einigen Ländern im nördlichen Afrika der Fall, in denen sich die Eliten an den Gewinnen aus dem Tourismusgeschäft bereichert haben.

Die aktuelle Krisensituation, so Monshausen, könne sich in diesen Regionen aufgrund der Tatsache verschärfen, dass Touristinnen und Touristen, die nach wie vor dorthin reisen, nur Billigpreise zahlen und dass die Anzahl der Reisenden insgesamt rückläufig ist.  Sollte der Tourismus jedoch wieder anziehen, wünscht sie sich sich eine Reihe von Veränderungen. „Es kann keine Rückkehr zu den alten Tourismusstrukturen geben, als sich in Tunesien jemand wie Ben Ali bereichert und seine Diktatur durch den Tourismus stabilisiert hat. Es sollte vielmehr ein nachhaltiger Tourismus sein, und die ärmste Bevölkerung sollte politisch darüber mitbestimmen, welche Art von Tourismus ins Land kommt und wer finanziell davon profitiert."

Während der größten Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin Anfang März mit den großen Themen Menschenrechte, Flüchtlinge, nachhaltiger Tourismus und soziale Verantwortung hatte Monshausen den Kulturtourismus in Tunesien als Beispiel genannt. Die tunesische Regierung wollte den Kleintourismus dezentralisieren und die Gewinne umfassender verteilen.

Mit dieser Idee sollte der Kulturtourismus einen einzigartigen Stellenwert im Land erhalten und Tunesien nicht einfach durch ein anderes Sonne-Sand-und-Meer-Reiseziel ersetzt werden. Diese „Tourismusrevolution" wurde von allen gelobt, hat sich aber im Endeffekt nicht ausgezahlt. Viele Reiseveranstalter haben sich statt dessen für Spanien und Bulgarien und nicht für den Kulturtourismus entschieden. Für die lokale Bevölkerung gab es damit keine Aussicht mehr auf wirtschaftliche Entwicklung. Monshausen warnte: „Leider ist das eine neue Brutstätte für Terrorismus und Instabilität".

Im Rahmen ihrer Agenda 2013 haben die Vereinten Nationen das Jahr 2017 zum Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung erklärt. Die UN-Agenda 2030 hat 17 Entwicklungsziele und 169 Unterpunkte, sie ist ein ambitionierter Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand.

Die Autoren der vor kurzem veröffentlichten Publikation „Torismuswende:  die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" haben den Zusammenhang zwischen Tourismus und nachhaltiger Entwicklung aufgezeigt. Tourism Watch und der Schweizer Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung sowie die Organisation TourCert fordern mehr als nur Nachhaltigkeit. Das Autorenteam „zeigt, dass nicht der nachhaltige Tourismus gefördert werden muss, sondern die Nachhaltigkeit im Tourismus - und dies erfordert grundlegende sozioökonomische Veränderungen."

In der Publikation heißt es: „Die Agenda 2030 geht wiederholt auf den nachhaltigen Tourismus ein.  Absatz 33 fordert explizit die Förderung dieses Konzepts. Unerwähnt bleibt aber, dass eine Förderung allein nicht ausreicht, wenn nicht gleichzeitig auch herkömmliche Tourismusmuster überwunden werden, die bis heute jede Nachhaltigkeit verhindern.

Eine „fundamentale Veränderung des Tourismus setzt voraus, dass auf politischer Entscheidungsebene die Trendwenden erkannt und genannt werden müssen, die für die Tourismusindustrie und die Touristen selbst erforderlich sind. Die Förderung des Tourismus allein ist keine politische Strategie. Gebraucht wird die Unterstützung einer Politik, die eine andere Ausprägung des Tourismus ermöglicht - einen Tourismus, der sich nach dem Menschen richtet und der zukunftsfähig ist. Gleichzeitig müssen die Reiseveranstalter nicht-nachhaltige Praktiken in ihrem Sektor beenden."

Tourismuswende: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – englische & deutsche Publikationen

Offenders on the move – globale Studie über die sexuelle Ausbeutung von Kindern in der Reise- und Tourismusbranche

Report Child Sex Tourism EU

Fair Reisen mit Herz und Verstand

Tourism Watch Website auf Deutsch und Englisch

Pressemitteilung zur Internationalen Tourismusbörse

*Anli Serfontein ist eine in Berlin und Johannesburg lebende freiberuflich arbeitende Journalistin