von Henrike Müller (*)

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Homosexualität und Zölibat, Leiblichkeit und zwischenmenschliche Beziehungen, Geschlechtsverkehr in der Ehe und ausserhalb, Gerechtigkeit zwischen Frau und Mann, HIV/Aids: Die Themen, die mit der Sexualität des Menschen zusammenhängen, sind vielfältig. Ebenso vielfältig sind die Methoden, Hintergründe und Interessen, mit denen sie in den Kirchen diskutiert werden. Mit einer ökumenischen Konversation zu "Aktuellen ethischen Herausforderungen" hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) auf seiner gegenwärtigen Zentralausschusstagung den Teilnehmenden einen Raum eröffnet, sich in gegenseitigem Respekt über das Thema auszutauschen.

Das Ziel dieser Konversation sei es, "die Diskussion für weitere Debatten innerhalb der Mitgliedskirchen zu öffnen" und solchen Kirchen, die einem Dialog skeptisch gegenüber stehen, zu zeigen, dass die Gespräche ohne Zwang geführt werden, so Vater Leonid Kishkovsky von der orthodoxen Kirche von Amerika. Die auf der Tagung des Zentralausschusses angewendete und zur endgültigen Annahme anstehende Konsensmethode, die eine stärkere Berücksichtigung von Minderheitenpositionen gewährleisten soll, könne zudem dafür sorgen, dass Kirchen und ihre Delegierten sich sicherer fühlten, ihre Position zu vertreten.

Bei Fragen der menschlichen Sexualität handelt es sich um ein sensibles Thema, das in vielen Kirchen tabuisiert wird. "Aber wir sollten den Zugang zu dieser Fragestellung nicht über die Probleme suchen, sondern Sexualität als etwas Positives würdigen", so Landesbischof Dr. Martin Hein von der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. "Es entsteht leicht der Eindruck, dass man über dieses Thema nicht spricht, ihm mit Scham begegnet." Sich dem Thema in seiner Komplexität zu nähern, brauche "Zeit, Verständigung untereinander und Akzeptanz der eigenen Grenzen." Für Hein stellen die Bemühungen des Ökumenischen Rates den Beginn eines "sehr positiven, aber auch ungemein langwierigen Prozesses" dar.

Der entscheidende Impuls, innerhalb des ÖRK Fragen menschlicher Sexualität anzusprechen, ist von der achten Vollversammlung in Harare (Simbabwe, 1998) ausgegangen. Eine Referenzgruppe identifizierte eine Reihe von Themen, die der Aufmerksamkeit der Kirchen empfohlen wurden. Sie bat alle Mitgliedskirchen, dem Rat bereits existierende Stellungnahmen zum Thema zur Verfügung zu stellen. "Alle Stellungnahmen, die wir erhalten haben, tendieren dazu, Sexualität grundsätzlich als etwas Positives und als ein Geschenk Gottes zu verstehen", so Dr. George Mathew Nalunnakal, Mitglied der Referenzgruppe. "Aber wir haben auch deutliche kontextuelle Unterschiede wahrgenommen." Dazu zähle beispielsweise die Tendenz der Kirchen "besonders in Asien und Afrika, sexuelle Themen als zu elitär und westlich zu verstehen".

Die Stellungnahmen der orthodoxen Kirchen seien weniger zahlreich gewesen. Ihre Zugangsweise unterscheide sich von der der Protestantischen Kirchen, da sie weniger das menschliche Individuum mit seinen Rechten und Pflichten in den Blick nähme. Vielmehr folgten sie einer Methode theologischer Anthropologie, die aus othodoxer Sicht im Dialog als weniger bedrohlich empfunden werde.

Die unterschiedlichen Zugänge lägen vorrangig in einem unterschiedlichen Schriftverständnis begründet, so Mathew Nalunnakal. Wenngleich die normative Funktion der Bibel in allen Stellungnahmen unbestritten sei, so bestünden doch Unterschiede in der Gewichtung von Heiliger Schrift, theologischer Tradition und Vernunft. So betont auch Landesbischof Hein: "Im Gespräch zwischen den Kirchen sind es nicht die Unterschiede in der Bewertung, die entscheidend sind, sondern die Voraussetzungen, die zu diesen unterschiedlichen Bewertungen führen." Wichtig sei es daher, die biblischen Texte gemeinsam zu lesen und zu interpretieren.

Ein wichtiger Schritt in der Arbeit des ÖRK waren drei Seminare, die zwischen 2001 und 2003 im ökumenischen Institut in Bossey stattfanden. Kulturelle, lokale und globale Zugänge zur Sexualität, kirchliche Stellungnahmen und Bibelstudien standen im Mittelpunkt. Das Hauptanliegen der Seminare war es, "den Teilnehmenden einem geschützten Raum zu bieten, um ihre Erfahrungen auszutauschen," so Dr. Valburga Schmiedt Streck, Theologieprofessorin aus Brasilien. "Die eigenen Erfahrungen müssen Ausgangspunkt bleiben, damit die theologische Diskussion nicht von der Lebenswelt getrennt wird", erklärte sie. Diese Methode war zugleich die Botschaft an die Kirchen, die Erfahrungen ihrer Mitglieder ernst zu nehmen.

Wie geht es weiter? - "Wir erwarten von den Kirchen die Bereitschaft, einander zuzuhören", sagte Dr Erlinda Senturias von den Philippinen. "Wir hoffen, dass der Dialog mit diesem Treffen nicht beendet ist, sondern erst beginnt." - "Auch innerhalb Deutschlands gibt es immer noch unterschiedliche Positionen", stellt Landesbischof Hein fest. "Hier gilt genauso wie für die Diskussion innerhalb der ökumenischen Gemeinschaft: wir dürfen nicht zu schnell die Grenzen ziehen, sondern müssen an den Grenze arbeiten. Wir müssen wieder eine positive Haltung zur Geschöpflichkeit gewinnen."

Die ökumenische Konversation zur menschlichen Sexualität wird auf der neunten ÖRK-Vollversammlung in Porto Alegre, Brasilien, im Februar 2006 fortgesetzt werden. Ein Komitee des Zentralausschusses wird dieser Tage entscheiden, in welcher Form das Thema in der Vollversammlung aufgenommen werden soll. "Ideologische Debatten werden ergebnislos bleiben", sagte Kishkovski. "Durch gegenseitiges Zuhören erreichen wir mehr als durch Urteile. Vielleicht können wir dann auch noch in einem Menschen, der eine entgegensetzte Position vertritt, das Ebenbild Gottes erkennen." [749 W.]

(*) Henrike Müller ist Vikarin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und arbeitet gegenwärtig im Medienbüro des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf.

Weitere Informationen:

www.wcc-coe.org/wcc/who/sexuality.html

Informationen über die Tagung des Zentralausschusses sowie Fotos finden Sie unter

www.oikoumene.org > Central Committee > Deu