Auf weitreichende Folgen der Globalisierung für das Selbstverständnis der christlichen Kirchen hat der Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates (ÖRK), Seine Heiligkeit Aram I., Katholikos von Kilikien, zum Auftakt der Plenarsitzung am Montag, 26. August hingewiesen. Die Globalisierung sei ein unumkehrbarer Prozess, den Kirchen "aus der Perspektive des Glaubens mit kritischem Realismus" begleiten sollten, sagte der orthodoxe Kirchenführer.

Nach seiner Auffassung schafft die Globalisierung zunehmend unkontrollierbare und unhaltbare Bedingungen. Sie zerstöre Gemeinschaften, "homogenisiere" Kulturen, führe zu Machtverlagerungen von nationalen zu multinationalen Einrichtungen und vertiefe die Ungleichheit, indem sie eine gerechte Verteilung von Ressourcen verhindert. Die Globalisierung, so Aram I., veranlasse Menschen, den Kapitalströmen über Landesgrenzen und Regionen hinaus zu folgen. Die dadurch entstehenden kulturellen, religiösen und politischen Konflikte liessen Migration zu einem Weltproblem werden.

Der Katholikos riet den Kirchen, von einem statischen zu einem dynamischen Kirchenkonzept überzugehen. Sie seien bislang zu stark um Abgrenzung untereinander bemüht und hätten bestehende Unterschiede zur Selbstverteidigung gegen andere benutzt, stellte er fest. Die Selbstbezogenheit und Selbstgenügsamkeit der Kirche würden heute aber zunehmend in Frage gestellt. Die Kirche könne ihre Theologie, Lehre und Liturgie nicht länger als "Schutzschild gegen das Eindringen neuer Realitäten und Werte" benutzen.

Nach Einschätzung Arams I. verliert besonders die institutionaliserte Kirche im Westen gegenüber neuen Formen des "Christseins" an Bedeutung. Das Interesse an Spiritualität und privat gelebtem Christentum nehme zu. Hier sei in der Kirche ein intensiver Prozess der Selbstanalyse und Selbstdefinition nötig.

Neu nachgedacht werden müsse auch über das Spannungsverhältnis zwischen Lokalem und Globalem. "Die Globalisierung wird das vorherrschende Kirchturmdenken, den Provinzialismus und den Nationalismus in unseren Ekklesiologien noch stärker in Frage stellen", sagte Aram I. voraus.