Nach seiner Rückkehr von einer intensiven16-tägigen ökumenischen Besuchsreise am Grossen Horn von Afrika und in Tansania verweist Pfr. Dr. Konrad Raiser, der Generalsekretär des ÖRK, auf die überaus komplexen interreligiösen Beziehungen in der Region und hebt hervor, dass diese "sehr viel stärker" berücksichtigt werden müssen, als die internationale ökumenische Gemeinschaft das bisher getan hat.

"Wir können nicht nur unsere Besorgnis über den muslimischen Fundamentalismus zum Ausdruck bringen, ohne anzuerkennen, dass es auf christlicher Seite einen ganz ähnlichen Fundamentalismus gibt", bemerkt Raiser. Er stellt fest, dass die Christen häufig in der Vorstellung gefangen seien, ihnen käme die Aufgabe zu, den muslimischen Einfluss "einzudämmen oder zurückzudrängen". Aber dies, so Raiser, führe nur dazu, dass beide Seiten sich im Kampf um Land und Vorherrschaft in feindlichen Lagern wiederfinden würden.

Hauptziel der Reise der ÖRK-Delegation war es, sich mit den Grundursachen des Konflikts und der Gewalt in der Region auseinanderzusetzen. "Es reicht nicht mehr zu sagen, wie wir es bisher tendenziell getan haben, dass 'Ungerechtigkeit' die Hauptursache ist", stellt Raiser fest. Seiner Meinung nach liegen machtpolitische Gründe, Zugang zu Ressourcen, einschliesslich Land und Bodenschätzen, ethnische Zugehörigkeit, religiöse Identität, religiöse Militanz, Rechtlosigkeit und Straffreiheit im Zentrum der Konflikte, die gegenwärtig in der Region ausgetragen werden. "Das sind die spezifischeren Grundursachen von Gewalt und Ungerechtigkeit", sagt er. "Friedensarbeit muss zwar gegen Ungerechtigkeit vorgehen, aber unsere Strategien müssen zielgerichteter sein. Sie müssen gegen die wirklichen Ursachen angehen. Der ÖRK muss im Rahmen seines Afrika-Schwerpunkts und der Dekade zur Überwindung von Gewalt in diese Richtung gehen".

Besorgnis erregende Lage in Eritrea

Letztes Reiseziel der von Raiser geleiteten ökumenischen Delegation war Eritrea. Raiser teilt die "tiefe Sorge" der Delegation über die Lage vor Ort und fügt hinzu:"An der Oberfläche wird das Friedensabkommen zwischen Eritrea und Äthiopien akzeptiert, die Grenzen werden anerkannt, die Mission der Vereinten Nationen wird fortgeführt und beide Regierungen scheinen zu kooperieren." "Aber", so fährt er fort, "für die Menschen, die mit diesem Krieg bestimmte Interessen verfolgt haben, ist das Friedensabkommen bisher nicht viel mehr als ein Blatt Papier. Ihr gegenseitiger Hass und ihre tiefe Ernüchterung sind damit keineswegs überwunden."

Raiser sieht die Haltung der eritreischen Regierung gegenüber ihrem eigenen Volk und gegenüber jeder Kritik an ihrer Politik als besonders Besorgnis erregend an. Er sieht darin die "Mentalität des ewigen Kriegs, der darauf angewiesen ist, Feindbilder aufrechtzuerhalten" und befürchtet, dass Eritrea ein weiteres Beispiel für eine Befreiungsbewegung bieten könnte, die unfähig ist, von militärischem Denken zu verantwortlichem Regierungshandeln überzugehen. "Mit dieser Belagerungsmentalität, die mit Verschwörungstheorien gefüttert wird, werden sie unfähig sein, in Frieden miteinander zu leben", stellt er fest.

Raiser weist jedoch auch darauf hin, dass die Bemühungen, religiöse Führungspersönlichkeiten miteinander ins Gespräch zu bringen, sowohl in Äthiopien als auch in Eritrea gute Resultate erbringen. "Es war ermutigend zu sehen, wie unverkrampft die christlichen und muslimischen Repräsentanten miteinander umgegangen sind", beobachtet Raiser. "Sie tun auch alles dafür, um ihren Gläubigen diese Haltung der Offenheit zu vermitteln."

Raiser bekräftigt, dass Norwegian Church Aid seine ökumenische Vermittlerrolle in den Friedensbemühungen fortsetzen werde. Er betont jedoch, dass die internationale Gemeinschaft ihre Aufmerksamkeit stärker auf die Unterstützung von Binnenflüchtlingen richten müsse, die auf die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen angewiesen seien. ACT ("Kirchen helfen gemeinsam") sei in diesem Bereich bereits sehr aktiv geworden. "An einem gewissen Punkt", so Raiser, "werden wir sehen müssen, wie wir von unserer Konzentration auf Nothilfe wegkommen und zu einer Strategie des Wiederaufbaus übergehen können."

Frieden muss von den Menschen gewollt werden

Die Delegation besuchte sowohl den Nord- als auch den Südsudan und traf mit Vertretern der Regierung in Khartum und der Volksbefreiungsarmee SPLA sowie der Kirchen und der Zivilgesellschaft zusammen.

Beide Seiten nehmen unter Leitung der IGAD (Inter-Governmental Authority on Development) an Friedensverhandlungen teil. Raiser stellt fest, dass die Personen, mit denen die Delegation im südlichen Sudan zusammengetroffen sei, ganz klar die Position vertreten würden, dass "sie ein Friedensabkommen nur anerkennen können, wenn es die Rolle von Religion und Staat regelt und das Recht auf Selbstbestimmung anerkennt."

"Für die Menschen ist klar, dass sie die Option haben müssen. Die Kirche selbst bezieht zu keiner Option Stellung. Was die Kirche fordert, ist, dass die Menschen die Möglichkeit haben müssen, ihre Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen", stellt Raiser fest. "Die Kirchen sagen ganz klar, dass sie Selbstbestimmung zwar als grundlegendes Recht anerkennen, dass Selbstbestimmung als solche aber, je nachdem wie sie interpretiert wird, noch keine Lösung darstellt."

"Die Stimme des Volkes muss gehört werden, wenn ein Friedensabkommen Bestand haben soll", betont Raiser. "Es ist im langfristigen Interesse Khartums und der SPLA, dass die Stimme des Volkes in den Verhandlungen gehört und ernst genommen wird. Bislang ist aber noch nicht zu erkennen, wie dies geschehen könnte." Raiser hofft, dass der ÖRK den Anspruch der Kirchen, an den Friedensverhandlungen beteiligt zu werden, gestärkt hat. Laut Raiser strebt der ÖRK keine Sonderrolle an, sondern will dazu beitragen, dass die Kirchen sich über das Sudanesische Ökumenische Forum zu Wort melden können und gehört werden. Als einen der nächsten Schritte planen der Rat der Kirchen im Sudan (SCC) mit Sitz in Khartum und der Neue Rat der Kirchen im Sudan (NSCC), der im Süden angesiedelt ist, ein Treffen zwischen leitenden Kirchenrepräsentanten und Vertretern der Verhandlungsparteien, um sich mit den grundlegenden Fragen zu befassen, die für einen dauerhaften Frieden geregelt werden müssen.

"Die Menschen wollen Frieden - das steht ausser Frage", schliesst Raiser. "Aber sie wollen nicht Frieden um jeden Preis."

Mitglieder der Delegation:

Pfarrer Dr. Konrad Raiser, ÖRK-Generalsekretär

Karimi Kinoti, ehemalige Koordinatorin der FECCLAHA (Gemeinschaft der Christenräte und Kirchen im Gebiet der grossen Seen und am Horn von Afrika), Gesamtafrikanische Kirchenkonferenz)

Stein Villumstad, Regionalvertreter Ostafrika, Norwegisches Hilfswerk - NCA (Sudan-Khartum, Äthiopien, Eritrea)

William Temu, ÖRK-Regionalreferent für Afrika

Mitch Odero, Leiter der Abteilung Information und Kommunikation, Gesamtafrikanische Kirchenkonferenz

Peter Williams, Photograph und Videograph des ÖRK (Südsudan, Äthiopien, Eritrea)

Fotos des Besuchs finden Sie auf unserer Webseite:

www.photooikoumene.org/events/events.html