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Prof. Dr. Jürgen Moltmann hält beim ÖRK in Genf einen Vortrag. Foto: Ivars Kupcis/ÖRK

Prof. Dr. Jürgen Moltmann hält beim ÖRK in Genf einen Vortrag. Foto: Ivars Kupcis/ÖRK

„Nationalistisch orientierte Machtpolitik hat kein Interesse mehr an der Wahrheit. Unter dem Deckmantel des Friedens führt sie Kriege – in Form einer Mischung aus Wirtschaftssanktionen und Cyber-Kriegen, Fake News und Lügen“, sagte Prof. Dr. Jürgen Moltmann zu Beginn seines öffentlichen Vortrags am Sitz der Hauptverwaltung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Genf am 2. Dezember.

Moltmann, der einer der meistgelesenen Theologinnen und Theologen unserer Zeit ist, sprach über den Geist der Wahrheit (Titel des Vortrags: „The spirit of truth“) im postfaktischen Zeitalter, „in dem es keine objektive Wahrheit mehr gibt, in dem jede Behauptung begründet und belegt werden kann und in dem es nicht mehr möglich ist, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden“.

„Wahrheit schafft Vertrauen und Vertrauen schafft Frieden. Und ohne Frieden ist Leben nicht möglich. Beim Kampf um die Wahrheit und gegen die Lüge geht es um Leben und Tod. Es ist ein Kampf um das Überleben der Menschheit“, sagte er.

Der öffentliche Vortrag war Teil einer größeren Veranstaltung zur öffentlichen Vorstellung des neusten Buchs von Moltmann in englischer Sprache, „Hope in These Troubled Times“, das von WCC Publications bzw. in Nordamerika von Westminster John Knox Press herausgegeben wurde.

Das Thema Wahrheit im Wandel betrachtete Moltman in seinem Vortrag unter drei unterschiedlichen Gesichtspunkten – die Objektivität der Wissenschaft, Menschheit und Wahrheit und der von Gott offenbarte Geist der Wahrheit.

Moltmann beschrieb wissenschaftliches Wissen als integralen Bestandteil der wissenschaftlich-technischen Kultur und Zivilisation, die sich weltweit durchgesetzt hätte, und wies darauf hin, dass sich unser „wissenschaftliches Wissen alle zehn Jahr verdoppelt, wir aber keine Macht über diese Kraft haben. Unser Forschungsinstinkt und Forschungsstreben und die Konkurrenz in der Forschung zwingen uns zu Fortschritt. Wir sind zu Fortschritt verdammt!“

Der einzige Ausweg aus diesem selbstzerstörerischen System ist Moltmanns Ansicht nach die Aneignung einer „humanen und ökologischen Weitsichtigkeit und Weisheit, um mit dieser riesengroßen Menge an Wissen auf eine Art und Weise umzugehen, die Leben fördert, und nicht Menschen auf transhumanistische Art und Weise optimiert und die Erde unbewohnbar macht“, erklärte er.

Wahrheit schafft Vertrauen und Vertrauen schafft Freiheit

„Wenn es Freiheit geben soll, muss Vertrauen herrschen. Das gesellschaftliche Zusammenleben von freien Menschen ist immer ein komplexes Geflecht von Versprechungen und Verlässlichkeit. Und Verlässlichkeit und Treue sind Erkennungsmerkmale für die Wahrhaftigkeit einer Person. In diesem Sinne ist ‚Persönlichkeit‘ Wahrheit“, bekräftigte er.

„Wir wissen mehr als für das Überleben der Menschheit notwendig ist, und wollen mehr als das wissen.“ Für Moltmann muss eine solche nicht aufhaltbare Suche nach Wahrheit aus dem Wissen heraus unternommen werden, dass „uns das Geheimnis menschlicher Wahrheit gegeben ist in unseren wahrheitsliebenden Geist und unsere ehrlichen und aufrichtigen Herzen. Das Geheimnis der göttlichen – das heißt der reinen – ganzen Wahrheit muss uns ‚offenbart‘ werden.“

„Im Glauben werden wir ergriffen von der Selbstoffenbarung der ewigen Wahrheit und dann treibt uns der Geist der Wahrheit in unserer Suche nach Wahrheit und unserem Streben nach Frieden voran.“

Zum Abschluss seines Vortrags erinnerte Moltmann, der ein führender Kopf und Vordenker der christlichen Theologie, der politischen und ökologischen Theologie und der Theologie der Hoffnung ist, an die Worte aus Psalm 36,10: „In deinem Lichte sehen wir das Licht“ der Wahrheit.

ÖRK-Generalsekretär Pastor Dr. Olav Fykse Tveit dankte Moltmann für seinen Vortrag und die vielen Fragen, die er darin angesprochen habe: „Sie haben uns die Gelegenheit gegeben, uns mit einer wirklich tiefschürfenden Frage menschlichen Lebens und des Lebens mit Gott und miteinander auseinanderzusetzen.“

„Durch die Art und Weise, wie Sie dieses vieldimensionale Thema hier erörtert haben, haben Sie uns dazu gebracht, uns wirklich Gedanken über uns selbst zu machen. Sie analysieren das Thema nicht nur aus theologischer und philosophischer, sondern auch aus politischer Perspektive und helfen uns damit, uns diese Fragen auch selbst zu stellen“, führte Tveit aus.

Im Rahmen seines Besuchs beim ÖRK in Genf wird Moltmann am 3. Dezember für die Studierenden am Ökumenischen Institut in Bossey und der Universität Genf auch noch ein Seminar zum Thema „The Ecumenical Church and Nationalism“ (Ökumenische Kirche und Nationalismus) halten.

 

Moltmanns Buch „Hope in These Troubled Times“

Videoaufzeichnung von Moltmanns Vortrag beim ÖRK

Fotos vom öffentlichen Vortrag und der offiziellen Präsentation von Moltmanns Buch in Genf