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Photo: Koinonia.

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Am 28. Juni verstummte in Rio de Janeiro eine der wichtigsten Stimmen der brasilianischen und lateinamerikanischen ökumenischen Bewegung für immer: Jether Pereira Ramalho hinterlässt vielen Generationen ein Vermächtnis der Inspiration, Hingabe und Verwandlung.

„Mit großer Trauer vernahmen wir die Nachricht vom Tode Jether Ramalhos“, sagte Priester Prof. Dr. Ioan Sauca, der Interims-Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK). „Er trat für das gemeinsame Gedeihen aller, insbesondere der Armen und Unterdrückten, ein, indem er einer in der verwandelnden Kraft des Evangelium wurzelnden Ökumene Ausdruck verlieh und den Traum einer demokratischen, gerechten und mitbestimmenden Gesellschaft teilte.“

Ramalho war evangelischer Kongregationalist und Sohn eines Landarbeiters, der später zum Priester wurde und in armen Gemeinden Dienst tat. Der 1922 geborene Ramalho hatte die Armut hinter sich gelassen und war erfolgreicher Zahnarzt geworden. Dann jedoch folgte er seinem Traum: er gab seinen Beruf als Zahnarzt auf, studierte Sozial- und Erziehungswissenschaften und machte sich mit Hingabe ans Werk, die soziale Verantwortung der Kirchen und die ökumenische Bewegung in Brasilien und Lateinamerika aufzubauen.

Ramalho widmete den Großteil seines Lebens sozialen Projekten in der ökumenischen Bewegung Brasiliens, die im Evangelischen Bündnis von Brasilien in den 1950er Jahren ihren Anfang nahm. Er war Mit-Organisator der historischen „Nordost-Konferenz“, die 1962 unter dem Motto „Christus und der brasilianische Revolutionsprozess“ stand. Die Konferenz gilt in Bezug auf die öffentliche Verantwortung der Kirchen als Meilenstein der ökumenischen Bewegung Brasiliens.

In den Jahren nach dem Militärputsch von 1964 begann für das Evangelische Bündnis von Brasilien ein langsamer und schmerzhafter Prozess der Auflösung sowohl durch das Militärregime als auch durch interne Unterdrückung in den Kirchen. In diesem Umfeld wagten es seine Brüder und Schwestern, die Botschaft des Evangeliums als wichtigen Beitrag zum Widerstand und im Kampf für die Demokratie weiter hochzuhalten.

Ramalho gehörte zu den Inspiratoren und Begründern des Ökumenischen Informationszentrums, aus dem das Ökumenische Zentrum für Dokumentation und Information - und später die Koinonia - hervorging.

15 Jahre lang war Ramalho Herausgeber des Magazins „Tempo e Presença“, deren Seiten er für die soziale Bewegung der Armen, die Ökumene sowie die Rechte von Kindern und Frauen öffnete.

Rubem Alves, einer der Pioniere der Befreiungstheologie, sagte einmal, dass Jether ein Teenager sei, der gerne spiele. „Tatsächlich wich sein beim ersten Treffen scheinbar förmliches Benehmen schon bald der Freimütigkeit“, so Alves.

Rafael Soares de Oliveira, der Leiter von Koinonia in Rio, sagte, dass seine Organisation viel von Ramalhos Erbe in sich trägt. „Jethers Leben und Wirken war stets von Liebe und Hingabe an die Sache der Befreiung der Unterdrückten geprägt“, sagte er.

Ramalho unterstützte auch die Gründung des Zentrums für Bibelstudien und des Ökumenischen Evangelisations - und Bildungszentrums CESEP. Zudem war er einer der Hauptberater für die Basisgemeinden der römisch-katholischen Kirche in Brasilien.

„Jether hinterlässt der lateinamerikanischen ökumenischen Bewegung ein unermessliches Erbe“, sagte Magali do Nascimento Cunha von der methodistischen Kirche von Brasilien, „meine Ausbildung zur Ökumene ging über Jether Ramalho, dem ich auch den Ansporn verdanke, jeden Grund zum Dialog und zur Förderung des Lebens zu ergreifen. Jether weilt nicht länger unter uns, doch er bleibt in der Hoffnung lebendig, die fortwährend Anlass zu Beharrlichkeit und Widerstand gibt.“

1979 wurde Ramalho zum Berater der ÖRK-Kommission für kirchlichen Entwicklungsdienst für das Projekt „Die Kirchen und die Armen“ ernannt. Unter dem Vorsitz von Julio de Santa Ana bestand seine Hauptaufgabe darin, Vorschläge für die ökumenische Bewegung in Lateinamerika, hauptsächlich im Bereich Jugend, zu unterbreiten.

Santa Ana erinnert sich, dass während der Militärdiktatur viele Verfolgte Zuflucht in Ramalhos Heim fanden, darunter auch Paulo Freire, der brasilianische Lehrer und maßgebliche Befürworter einer kritischen Pädagogik, dem Ramalho bei seinem Umzug nach Genf unter die Arme griff, damit Freire dort 1970 beim ÖRK arbeiten konnte.

„Mir wird es fehlen, soviel von ihm zu lernen, und ich vermisse auch die Momente, die mir in dem umfassenden Bekenntnisprozess der brasilianischen, lateinamerikanischen und globalen ökumenischen Bewegung, zu der auch die Volksbewegung und ihre vielfältigen Ausprägungen gehören, mit ihm vergönnt waren“, sagte Eliana Rolemberg, die ehemalige Leiterin von CESE.

Fray Carlos Mesters, ein bekannter Bibelwissenschaftler der Befreiungsbewegungen in Brasilien, gedachte der Bedeutung, die Ramalhos Beitrag zum Entstehen und zum Weg des Zentrums für Bibelstudien durch seine Vorschläge und Entscheidungen zukommt. „Ich habe schon immer gesagt und wiederhole es noch einmal: er war der ökumenischste Mensch, der mir jemals begegnet ist“, sagte Mesters.

In einer offiziellen Erklärung, die wenige Tage nach Ramalhos Tod veröffentlicht wurde, erklärte der Nationale Rat Christlicher Kirchen in Brasilien: „Jether zeichnete sich durch die Kohärenz seines christlichen Lebens aus, das ganz im Dienste der Sache für das Reich Gottes und die Verteidigung der Menschenrechte stand.“

Sein ganzes Leben über trat er leidenschaftlich für die ökumenische Sache ein, und so schrieb Ramalho einmal: „Zwar sind zur Norm gewordene Ausdrücke ohne Zweifel wichtig und von Bedeutung, doch ist die Ökumene ein so reichhaltiger Prozess, dass sie nicht darauf reduziert werden kann. Sie ist nicht das Monopol einer Gruppe noch eine einfache kirchliche Strategie. Ökumene findet ihren schönsten Ausdruck an der Kirchenbasis und in den Volksbewegungen.“

Jether Ramalho war mit der 2017 verstorbenen Lucília Ramalho verheiratet. Er hinterlässt seine Kinder José Ricardo, Luiz Augusto, Jair Felipe und Maria Judith, seine Enkelkinder Emiliano, Tomás, Gabriel, Carolina, André und Max sowie seinen Urenkel Pedro.

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