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von Henrike Müller (*)

Astrid Berner-Rodoreda ist Beraterin für HIV/Aids in Afrika bei Brot für die Weltund zugleich Sprecherin des "Aktionsbündnisses gegen Aids". Dieser Zusammenschluss der deutschen Partner der Ecumenical Advocacy Alliance, eines im Dezember 2000 gegründeten internationalen Aktionsbündnisses kirchlicher und kirchennaher Organisationen, umfasst über 70 Nichtregierungsorganisationen (NROs), die in unterschiedlicher Weise an dem Thema HIV/Aids arbeiten und gemeinsam einen Beitrag zur Bewältigung dieses globalen Problems leisten möchten.

In diesem Interview spricht sie unter anderem über Frauen und Mädchen als besonders gefährdete Risikogruppe für HIV-Infektionen und über die Bedeutung kirchlicher Partner bei der Aids-Bekämpfung.

--- Der Welt-Aids-Tag 2004 steht unter dem Thema "Frauen, Mädchen, HIV und Aids". Damit wird zum zweiten Mal seit 1990 der Fokus wieder auf die Frauen gerichtet. Warum sind Frauen und Mädchen, besonders in Afrika, eine besonders gefährdete Risikogruppe für HIV-Infektionen?

Ein wichtiger Faktor ist die fehlende Gleichstellung von Männern und Frauen. Der Mann erwirbt in weiten Teilen Afrikas durch die Heirat das Recht auf die Sexualität der Frau. In der Regel haben verheirate Frauen wenig Mitbestimmungsrecht, wann, wo oder wie oft sie in der Ehe Geschlechtsverkehr haben möchten. Es ist daher für eine Frau sehr schwierig, sich vor einer Infektion zu schützen. Zudem sind Kondome in Afrika noch wenig als Verhütungsmittel akzeptiert und setzen die Bereitschaft der Männer voraus, diese zu benutzen. Kondome werden automatisch mit HIV/AIDS in Verbindung gebracht. Frauen haben ausserdem durch die große Oberfläche und Verletzungsanfälligkeit der vaginalen Schleimhaut ein doppelt so hohes Risiko wie Männer, sich bei ungeschütztem Sex anzustecken.

Oft werden junge Mädchen an ältere Männer verheiratet, die schon viele Jahre sexuell aktiv sind. Das Risiko, dass sie sich im Laufe der Zeit infiziert haben und ihre Frau anstecken, ist relativ hoch.

Im südlichen Afrika, das am stärksten von HIV/Aids betroffen ist, sind viele Männer in ländlichen Regionen aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, in Städten und Bergwerken ihr Geld zu verdienen. Sie sind also einen Großteil des Jahres nicht zuhause. Wenn sie während dieser langen Zeit der Trennung sexuelle Beziehungen eingehen und sich infizieren, stecken sie bei der Rückkehr ins Dorf ihre Frauen an.

--- Also spielt die Genderfrage eine grosse Rolle?

Für Frauen gibt es bisher wenige Möglichkeiten, sich selbst zu schützen. Es muss deshalb darum gehen, in Familien und Partnerschaften Sexualität und die Situation von Männern und Frauen offen ansprechen zu können. Die Genderfrage ist bei der Behandlung genauso relevant wie bei der Prävention. Es geht darum, dass Frauen den gleichen Zugang zu anti-Aids Medikamenten bekommen wie Männer. Und natürlich geht es uns darum, in Deutschland auf die besondere Verletzlichkeit von Frauen hinzuweisen. Die Situation von Frauen spielt in unseren Publikationen eine große Rolle. Unser aktueller Informationsbrief geht sehr stark auf Frauen ein, informiert über ihre Situation und gibt besonders Frauen, die mit dem Virus leben, eine Stimme.

Eine Projektpartnerin eines Frauenprojekts in einer ländlichen Gegend erzählte: 'Erst arbeiteten wir nur mit Frauen in der HIV/Aids-Prävention. Aber dann merkten wir, dass das Thema HIV/Aids von den Frauen zuhause überhaupt nicht angesprochen wurde. Uns war klar, wir müssen direkt mit den Männern arbeiten, wenn wir Verhalten ändern wollen.' Die Zielgruppe in der HIV/Aids Arbeit muss auf alle Fälle auch Männer mit einschließen.

--- Mit welchen konkreten Massnahmen versucht das "Aktionsbündnis gegen Aids" die Situation der Frauen und Mädchen zu verbessern?

Dem Aktionsbündnis geht es darum, dass HIV positive Menschen, die Behandlung benötigen, diese auch zu kostengünstigen Preisen bekommen. Aus den neuen Zahlen von UNAIDS geht hervor, dass 9 von 10 Menschen, die eine Behandlung mit Anti-Aids Medikamenten benötigen, diese nicht bekommen - die Mehrheit von ihnen lebt in Afrika.

Wir setzen uns dafür ein, dass zum einen unsere deutsche Regierung mehr Mittel für die HIV/Aids-Bekämpfung bereit stellt - erfreulicherweise hat vor wenigen Tagen die deutsche Regierung die Gelder für den Globalen Fonds 2005 auf 82 Millionen Euro erhöht. Dies sehen wir auch mit als Erfolg unserer Arbeit an.

Zum anderen richten sich unsere Forderungen an die Adresse der Pharmakonzerne, kostengünstige Anti-Aids Medikamente zu produzieren und durch die Vergabe von freiwilligen Lizenzen die Produktion von Generika zu unterstützen.

--- Inwieweit können Frauen selbst Verantwortung für Ihre Situation übernehmen?

Es ist wichtig, dass Frauen über HIV/AIDS Bescheid wissen, dass Mädchen lernen, 'nein' zu ungewolltem Geschlechtsverkehr zu sagen und Unterstützung in ihrer Altersgruppe und in ihrer Schule erfahren. Viele der von uns unterstützten Programme zielen auch darauf ab, den wirtschaftlichen Status der Frauen zu verbessern, um sie somit aus der Armutsfalle herauszuholen.

--- Zu den Mitgliedern des ökumenischen "Aktionsbündnisses gegen Aids" gehören zahlreiche Kirchen und Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen, kirchliche Organisationen für Mission und Ökumene. Inwiefern verstehen Sie Ihre Arbeit im Kampf gegen Aids als anwaltschaftliche Arbeit der Kirchen?

Die Arbeit mit kirchlichen Partnern spielt für uns eine wichtige Rolle. Allein die Tatsache, dass von den rund 40 Millionen Menschen mit HIV/Aids 30 Millionen Christen und Christinnen sind, ist ein klarer Auftrag an uns, dass die Kirchen aktiv werden müssen. Die Kirche ist genauso von AIDS betroffen wie die Gesellschaft um sie herum. Wenn wir es schaffen, als Kirchen die Krankheit zu bekämpfen und nicht länger diejenigen, die die Krankheit haben, dann haben wir schon viel geleistet. Wo beispielsweise HIV-positive Menschen in das Kirchenleben integriert werden oder Pfarrer offen in ihren Gemeinden darüber reden können, dass sie selbst HIV-positiv sind, da ist ein großer Durchbruch erreicht.

Unser Verständnis ist, dass die Kirche sich stark machen muss für die, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind; dass die Kirche aber auch in der Verantwortung steht, selbstkritisch die eigene Rolle zu beleuchten und dort Korrekturen vorzunehmen, wo auch die Kirche diskriminiert, ausschließt, abkanzelt.

--- Welche Bedeutung hat dabei die ökumenische Dimension der Arbeit, also die Tatsache, dass Gruppen aus unterschiedlichen Kirchen und Konfessionen zusammen arbeiten?

In der Afrika-Arbeit von Brot für die Weltist die ökumenische HIV/Aids Initiative eines der wichtigsten Programme. Sie bringt Kirchenführer verschiedener Länder und Konfessionen zusammen. Die Besuche bei einer anderen Kirche, die offen mit HIV/Aids umzugehen gelernt hat, bewirkt oft wahre Wunder - viele der heute im Bereich HIV/Aids aktiven Bischöfe, Kirchenführer, Generalsekretär/innen von Kirchenräten in Afrika wurden durch Süd-Süd-Austausche zu einer anderen Sichtweise von HIV/Aids 'bekehrt'.

Auch im Norden spielen ökumenische Netzwerke, wie die Ecumenical Advocacy Alliance oder nationale Netzwerke wie unser Aktionsbündnis gegen AIDS eine wichtige Rolle, in dem wir als Mitglieder eines Netzwerkes weitaus erfolgreichere Lobby und Advocacyarbeit leisten können als dies als Einzelorganisationen und -kirchen der Fall wäre.

--- Für afrikanische Kirchen stellt der Kampf gegen Aids oftmals eine besondere Herausforderung dar, da er sensible Themen wie Sexualität oder Gleichberechtigung von Frauen und Männern berührt. Wie gestaltet sich vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit mit kirchlichen Partnern vor Ort?

HIV/Aids zwingt die Kirchen, Themen auf die Tagesordnung zu setzen, die in der Gesellschaft und besonders in den Kirchen weitgehend tabu sind. Wir versuchen im Umgang mit unseren Partnerorganisationen sie darin zu unterstützen, diesen mutigen Schritt zu tun: Dinge zu thematisieren, die kulturell und gesellschaftlich kaum offen angesprochen werden: Wie werden Frauen in der Ehe behandelt? Reicht es, Abstinenz und Treue zu predigen - wie sieht die Realität, vor allem für Frauen, aus? Muss ein Mann wirklich über viel sexuelle Erfahrung verfügen, um als männlich zu gelten? Schützen wir als Kirche unsere Jugendlichen, wenn wir nur Abstinenz predigen und erwarten, dass Anspruch und Wirklichkeit sich decken? Wie können wir als Kirche verhindern, dass sich noch mehr Leute mit dem Virus infizieren?

Hier ist vor allem der Austausch mit Kirchen, die diesen Weg schon beschritten haben, von großem Gewinn wie auch die Zusammenarbeit mit kirchlichen Organisationen von HIV-Positiven.

--- Welche besonderen Chance hat Ihrer Meinung nach die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen (NROs), in diesem Fall besonders die der kirchlich angebundenen Organisationen, im Vergleich zur staatlich angebundenen Anti-Aids-Arbeit?

NROs und Kirchen sind in meinen Augen näher an den betroffenen Menschen. Deshalb kommt ihnen auch eine ganz wichtige Aufgabe in der Aufklärung, Beratung, Pflege und Vorbereitung auf Behandlung zu. Kirchen sind meist besonders in der Pflege sehr aktiv.

Es muss jedoch auch darum gehen, dass in der Anti-Aids-Arbeit alle eingebunden werden und jeder seine Rolle spielt. Kirchliche und säkulare NROs können sich dafür einsetzen, dass der Staat in der Behandlung aktiv wird und kostengünstige Medikamente zur Verfügung stehen - selbst implementieren werden die NROs aufgrund der immensen Kosten und nötigen medizinischen Infrastruktur dies jedoch kaum. Kirchen und kirchliche Organisationen tragen viel zur Meinungsfindung von Menschen bei - deshalb muss es darum gehen, dass akkurate Informationen und nicht diskrimierendes Verhalten die Arbeit von Kirchen und kirchlichen Organisationen bestimmen. Die wichtige Rolle von Kirchen und NROs wird auch von UNAIDS, dem Global Fund und anderen internationalen Organisationen gesehen. Immer mehr internationale Organisationen sind darauf bedacht, dass Kirchen und kirchliche bzw. religiöse Organisationen ebenfalls Zugang zu Geldern für die Anti-Aids-Arbeit bekommen. Ein Vertreter von UNAIDS ist auch Berater in der Steuerungsgruppe der ökumenischen HIV/Aids-Initiative in Afrika - ein klares Zeichen dafür, wie wichtig diese Initiative auch von Seiten UNAIDS eingeschätzt wird.

--- Wo stossen Sie an Grenzen?

Ein Punkt, in dem sich Kirchen oft schwer tun, ist in der Aufklärung über Kondome als Schutz gegen eine HIV-Infektion - hier gibt es jedoch Vorgehensweisen, in denen Kirchen und kirchliche Organisationen eine Krankenschwester oder Vertreter einer säkularen Organiastion einladen, die dann über Kondome und deren Gebrauch informiert - die Vernetzung und Bereitschaft, mit anderen zusammenzuarbeiten, ist also äußerst wichtig in der Bekämpfung von HIV/Aids.

--- Welchen Beitrag können Kirchengemeinden und Basisgruppen, die sich gegen Aids engagieren wollen, dazu leisten?

Was wir von Deutschland aus tun können, ist die Bemühungen unserer Partner zu unterstützen, in dem wir uns dafür einsetzen, dass alle, die Anti-Aids Medikamente benötigen, diese auch kostengünstig erhalten können. Kirchengemeinden und Basisgruppen sind dazu eingeladen, unsere Forderungen an die Regierung und die Pharmaindustrie mit zu tragen, unserem Bündnis beizutreten, aber auch in ihren eigenen Gemeinden für eine Offenheit über HIV/Aids zu sorgen und dafür, dass Menschen mit HIV nicht länger ausgeschlossen, sondern integriert werden.

Ein kostenloses hochauflösendes Foto ist verfügbar unter

wcc-coe.org/wcc/what/mission/astrid.html

Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter

www.e-alliance.ch/german/

www.aids-kampagne.de

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(*) Henrike Müller arbeitet als Sondervikarin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers (Deutschland) im Büro für Medienbeziehungen des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf.

Die Meinungen, die in den ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider. Das Material ist zum Wiederabdruck unter Angabe des Autors freigegeben.