Von Martin Smedjeback (*)

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Aus verschiedenen Teilen der Welt waren junge und alten Menschen in das kleine Dorf Anata gekommen, um gemeinsam mit Israelis und Palästinensern ein zerstörtes palästinensisches Haus wieder aufzubauen. Sie alle wollten einer 23-köpfigen Familie zu einem neuen Haus verhelfen. Doch gab es noch ein bedeutenderen Antrieb: Der Hausbau war gleichzeitig ein Akt des Widerstands gegen die Besetzung.

Nachdem Familie Kabuah von ihrem Land in der Negev-Wüste vertrieben worden war, kam sie 1980 nach Anata am Stadtrand von Jerusalem. Sie kaufte ein Stück Land und begann, ein Haus zu bauen, das 1998 fertig wurde. Jahrelang hatte sich die Familie vergeblich um eine Baugenehmigung bemüht. Im Juni 2004 verfügten dann die israelischen Behörden den Abriss des Hauses, und die 23 Familienmitglieder wurden obdachlos.

Mit diesem Schicksal ist Familie Kabuah nicht allein. Nach Angaben des Israelischen Komitees gegen Häuserzerstörung (Israeli Committee Against House Demolitions ICAHD), hat Israel seit 1967 nahezu 9000 palästinensische Wohnstätten zerstört und damit rund 50 000 Menschen obdachlos gemacht und traumatisiert.

Die zerstörten Häuser gehörten nicht ausschließlich Selbstmordattentätern oder ihren Familien. Gemäß ICAHD wurde die überwiegende Mehrzahl der Bauten lediglich wegen fehlender Baugenehmigungen dem Erdboden gleich gemacht. Palästinenser bauen ohne Genehmigung, weil es für sie faktisch unmöglich ist, eine solche zu erhalten, sei es innerhalb Israels oder in den besetzten Gebieten. "Der Grund für die Häuserzerstörungen ist einzig und allein politisch, selbst wenn ein ausgeklügeltes System von Planungsbestimmungen, Gesetzen und Verfahren mit dem Ziel in die Welt gesetzt worden ist, eine gesetzliche Grundlage dafür zu liefern", sagt Lucia Pizarro, internationale ICAHD-Koordinatorin.

Der Abrissbefehl wird in der Regel an dem betroffenen Haus angeschlagen. Das kann dazu führen, dass bereits am nächsten Tag mit der Zerstörung begonnen wird. Da bei vielen palästinensischen Häusern die Genehmigung fehlt, wissen all diese Familien, dass ihr Heim zu jedem beliebigen Zeitpunkt niedergerissen werden kann, selbst wenn es vielleicht jahrelang stehengeblieben ist. Das führt zu ständiger Angst und Unsicherheit. Zum drohenden Verlust des Hauses kommt noch, dass Palästinenser für eine fehlende Baugenehmigung mit bis zu $ 25 000 Strafe rechnen können. Manchmal müssen sie sogar den Abbruch ihres Hauses bezahlen.

"Die systematische Zerstörung palästinensischer Häuser ist ein Angriff auf die Gesamtheit eines Volks, ein Versuch, die Palästinenser dazu zu bringen, sich mit einem Mini-Staat ... unter israelischer Kontrolle abzufinden", sagt ICAHD-Koordinator Jeff Halper. ICAHD ist eine gewaltlose Direct-Action-Gruppe, die ursprünglich mit dem Ziel gegründet wurde, Widerstand gegen israelische Häuserzerstörungen in den besetzten Gebieten zu leisten. Sie hat seitdem ihre Widerstandsanstrengungen weiter ausgedehnt, auf Landenteignungen, Siedlungserweiterungen, Umgehungsstraßen, die Politik der "Sperrung" und "Trennung", das Ausreißen von Obst- und Olivenbäumen sowie auf den Wiederaufbau von Häusern. Das Haus der Kabuahs war eines von denen, die das ICAHD zum Wiederaufbau ausgewählt hatte.

Ungerechte Gesetze brechen - eine vornehme Tradition

Auf Einladung des ICAHD kamen im August 2004 ungefähr 20 Menschen jeden Alters aus Europa und Amerika nach Anata, um zusammen mit Israelis und Palästinensern das Haus der Familie Kabuah wieder aufzubauen. Devorah Brous, eine junge Israeli und Camp-Leiterin, hieß am ersten Camp-Tag die internationalen Freiwilligen willkommen.

"Während dieses Camps werden wir uns bemühen, uns möglichst umfassend mit den einzelnen Komponenten der israelischen Besetzung vertraut zu machen und ihr die Stirn zu bieten", sagte Brous. "Das Bauen von Siedlungen, Umgehungsstraßen, Industriegebieten, sogar das Errichten von Naturreservaten ist Teil von Israels Strategie der vollendeten Tatsachen. Anstatt bloß zu demonstrieren, bloß Transparente hochzuhalten und zu protestieren gegen das, was da draußen passiert, schaffen wir ebenfalls vollendete Tatsachen. Wir arbeiten alle zusammen, um gegen die Besetzung Widerstand zu leisten: aktiv, strategisch, energisch." Und schon begann die Knochenarbeit.

Gleich am ersten Camp-Tag standen die Freiwilligen auf dem Bauplatz, um sich umgehend an die Arbeit zu machen. Schließlich hatten sie für den Hausbau bloss zwei Wochen Zeit. Gemeinsam mit den palästinensischen Arbeitern schleppten sie schwere Zementeimer für die Hauspfeiler. Alt und jung, ob 20 oder 70, jeder machte mit.

Richard Ward, ein 57jähriger Schriftsteller und früherer Lehrer aus Neu-Mexiko, war einer der Freiwilligen auf der Baustelle. "Ein zerstörtes Haus wieder aufzubauen, wie wir das hier tun, ist eine zutiefst richtige Sache", sagte Ward. "Es gibt nichts Elementareres. Für jemand ein Haus zu bauen, ist symbolisch. Und gleichzeitig ist es auch ganz wirklich, ganz greifbar."

Alle Camp-Teilnehmer waren darüber informiert worden, dass sie von der israelischen Polizei wegen Beteiligung an dem nicht genehmigten Hausbau verhaftet werden könnten. Entsprechend wurden alle in gewaltlosem Verhalten ausgebildet, damit sie im Falle einer Verhaftung durch israelische Polizei- oder Militärkräfte das Richtige tun konnten.

Es war Ward klar, dass sie das Gesetz brachen; trotzdem war er überzeugt, dass ihre Handlungsweise richtig war. "Wir brechen das Gesetz, doch selbst in den Vereinigten Staaten hatten wir einen Martin Luther King, der sagte, es sei eine moralische Verpflichtung, ein Gesetz zu brechen, das ungerecht sei, und ich meine, dass wir diese Tradition - eine vornehmen Tradition - hier nachleben”, sagte Ward. "Ich fühle mich wohl dabei, in diesem Fall das Gesetz zu brechen, tatsächlich wohl. Und werden wir festgenommen, na, dann werden wir eben festgenommen."

Hausbau als Weg zu neuen Beziehungen

Hausbau ist auch ein Weg zu neuen Beziehungen und manchmal zu neuen Erkenntnissen und Gedanken. Matt Robson war eines von vier Mitgliedern des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen, die beim Hausbau halfen. "Die Verhältnisse in dieser Gegend sind äußerst polarisiert", sagte Robson. "Viele Palästinenser betrachten die Israelis als Schurken und umgekehrt. Ich mag Projekte, bei denen alle zusammenarbeiten und solche Schranken einreißen. Auf der Baustelle kam es wirklich nicht darauf an, wer man war und woher man kam. Wer eine besondere Fähigkeit hatte, konnte sie einbringen; und auch wer keine hatte, fasste mit an. Ich meine, das war ein gutes Beispiel von Zusammenarbeit."

Sara Turra, eine junge Italienerin, verbrachte die letzten fünf Monate für die Internationale Jugendliga in Hebron. Die einzigen Israelis, denen sie begegnet war, waren Siedler und Militär. "Für mich war es schwierig, sie einfach als ganz gewöhnliche Menschen zu betrachten", sagte Turra. "Nach dem Camp habe ich eine andere Meinung von Israelis. Das kompliziert die Sache. Es ist simpler, die Dinge in gut und böse einzuteilen: gute Palästinenser - böse Israelis. Aber eine differenziertere Sichtweise ist natürlich besser."

Für Bill Christison, einen Pensionär, der früher für die USA-Regierung gearbeitet hatte, war seine Beteiligung am Camp Teil seines langjährigen Engagements für die palästinensische Sache. Für ihn ist klar, dass die Amerikaner zugunsten der Siedler voreingenommen sind, ein Punkt, der sich in allen Friedensverhandlungen immer wieder als wesentliches Hindernis herausstellt. "Das Wort 'Siedler' ist für Amerikaner sehr positiv besetzt", sagte er. "Durch das ganze 18. Jahrhundert kamen Menschen als Siedler in die Vereinigten Staaten, so dass dieses Wort in den Ohren der Amerikaner einen guten Klang hat."

Vor ihrer Beteiligung am Bauprojekt machte sich Salome Phillmann, eine 23jährige Amerikanerin von Iowaner für ein freies Palästina Iowans for a Free Palestine, Sorgen darüber, wie die Palästinenser mit der Geschlechterfrage umgehen würden. Für gewöhnlich bauen Frauen in Palästina keine Häuser. "Ich wusste nicht, ob ich mit dem gleichen Respekt würde rechnen können wie die Männer, aber ich war völlig überrascht, da ich nie das Gefühl hatte, im Geringsten anders behandelt zu werden als jeder andere Arbeiter", sagte Phillmann. "Wann immer ich Lust auf eine bestimmte Arbeit hatte, wie Mauern oder Zementmischen, ließen sie es mich versuchen."

Weltweite Kampagne für den Wiederaufbau palästinensischer Wohnstätten

ICAHD will den Hausbau stark ausdehnen und hat zu diesem Zweck unter dem Namen "Recht auf ein Heim ... und eine Heimat. Weltweite Kampagne für den Wiederaufbau palästinensischer Häuser" ein Programm auf den Weg gebracht. ICAHD hofft, genügend Geld für den Bau von 20 bis 30 Häusern zusammenzubringen und fordert Menschen auf der ganzen Welt auf, Partys zu organisieren mit dem Ziel, "den Leuten die Besetzung ins Bewusstsein zu bringen und sie zum Geldspenden für den Wiederaufbau zu veranlassen".

In Mohanda Gandhis gewaltlosem Kampf gegen die britische Besetzung Indiens war das Aufbauprogramm - the constructive programme - von gleicher Wichtigkeit wie Nichtkooperation mit der Besatzungsmacht. Gandhi war überzeugt, dass die Welt aufgebaut werden muss, zugleich ungerechte Handlungen bekämpft und schädliche Strukturen zu Fall gebracht werden müssen. Der Wiederaufbau palästinensischer Heime vereinigt beide Zielsetzungen in sich - gegen eine Unterdrückungsmacht wird Widerstand geleistet, indem man Häuser und möglicherweise einen Staat für das palästinensische Volk aufbaut.

Wie es zur Wahrnehmung des jeweils Anderen kommt, ist ein wesentlicher Punkt im Entstehen und bei der Lösung jedes Konflikts. Ein weiterer, eindeutig gewaltloser Aspekt des Hausbau-Camps ist die Weigerung, den Anderen als Feind wahrzunehmen. "Wir sind Israelis, wir sind Palästinenser und Internationale, die alle gemeinsam unseren Regierungen sagen: 'Wir weigern uns, Feinde zu sein'", betonte Halper.

Nach zwei Wochen war es soweit. Das Haus, das vormals ein Haufen Schutt war, stand wieder da wie Phönix aus der Asche. "Es ist wunderschön", sagte Phillmann und verbarg nicht ihren Stolz darüber, beim Bau dabei gewesen zu sein. Sie ist entschlossen, nächsten Sommer zurückzukommen, um zusammen mit ICAHD ein weiteres zerstörtes Haus wiederherzustellen.

"Plötzlich sehen 23 Menschen ihr Haus von Bulldozern umringt und werden auf die Straße geworfen", sagte Abu Jamal, das Oberhaupt der Kabuah-Familie. "Was für uns dann einzig noch bleibt, ist der Hass. Doch wenn wir all diese Freiwilligen sehen, die uns zu Hilfe kommen, wird uns bewusst, dass wir nicht allein sind. Ich möchte der internationalen Gemeinschaft, den Palästinensern und den Israelis dafür danken, dass sie uns wieder zu einem Heim verholfen haben."

Eine Menge Leute waren zur Hauseinweihung eingeladen. Es wurde gesungen und getanzt, es wurden Ansprachen gehalten und Bäume gepflanzt und es gab phantastisches Essen. Salim Shawamreh, dessen Haus viermal niedergerissen worden war, sagte zu den internationalen Hausbau-Freiwilligen: "Ich danke Ihnen dafür, dass Sie ihre Familien in Übersee zurückgelassen haben, um hierher zu kommen und Palästinensern zu helfen, nicht nur mit Worten, sondern mit Ihren Händen. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie hierher gekommen sind, um einer 23köpfigen Familie ihr Zuhause zurückzugeben. Die israelischen Besatzer haben sie auf die Strasse geworfen. Ihr bringt sie nun in ihr Heim zurück. Das ist eine große Sache."

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(*) Martin Smedjeback ist Referent für Gewaltlosigkeit im Swedish Fellowship of Reconciliation. Während eines früheren Besuchs in Israel und Palästina sammelte er Material für ein Buch mit dem Titel Nonviolence in Israel and Palestine. Er arbeitet gegenwärtig als ökumenischer Begleiter in Jerusalem.

Fotos zu diesem Feature finden Sie unter:

www.wcc-coe.org/wcc/what/international/palestine/anata.html

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Das Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) läuft seit August 2002. Ökumenische Begleitpersonen beobachten die Menschenrechtslage und melden Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht, unterstützen Aktionen gewaltlosen Widerstands an der Seite christlicher und muslimischer Palästinenser und israelischer Friedensaktivisten, gewähren Schutz durch ihre gewaltlose Präsenz, setzen sich für politische Veränderungen ein und üben ganz allgemein Solidarität mit den Kirchen und allen, die sich gegen die Besetzung wenden. Das Programm wird vom Ökumenischen Rat der Kirchen koordiniert.

www.eappi.org