Der Grundgedanke der ökumenischen Bewegung bleibt bestehen, aber die ökumenischen Strukturen müssen überdacht und der veränderten Zeit angepasst werden.

Diese Erkenntnis hat den Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Pfr. Dr. Konrad Raiser, veranlasst, eine Konsultation zum Thema "Neugestaltung der ökumenischen Bewegung" einzufordern, die vom 17. - 20. November 2003 in Antelias, Libanon, stattfinden soll. Gastgeberin der Konsultation wird die Armenische Apostolische Kirche sein.

In seiner Einladung an etwa 25 Personen stellt Raiser fest, dass die derzeitige Breite der ökumenischen Organisationen, die neuen Möglichkeiten des Zusammengehens mit den Basisbewegungen und der Zivilgesellschaft und die finanzielle Lage vieler Organisationen danach drängen, über neue Modelle der ökumenischen Arbeit auf nationaler, regionaler und globaler Ebene nachzudenken.

Die Konsultation soll dazu dienen:

* die wichtigsten Herausforderungen der sich wandelnden Welt und ihre Implikationen für die Gestaltung der ökumenischen Bewegung zu analysieren;

* die zentralen Bereiche für Wandel und Erneuerung herauszustellen, die Voraussetzung für die Neugestaltung sind;

* einen Konsultations- und Studienprozess zu entwerfen, der in einen Bericht über die Neugestaltung der ökumenischen Bewegung an den Zentralausschuss 2005 und gegebenenfalls auch an die Vollversammlung des ÖRK im Jahr 2006 einmünden soll.

Eingeladen zu dieser November-Konsultation sind Verantwortliche und Mitarbeiter/innen von Kirchen, weltweiten christlichen Gemeinschaften, regionalen und nationalen Kirchenräten, Missionswerken, kirchennahen Werken und Einrichtungen sowie internationalen ökumenischen Organisationen. Alle Teilnehmenden sollen ihr persönliches Engagement, ihren Sachverstand und ihre Erfahrungen in der ökumenischen Bewegung in unterschiedlichen Kontexten und auf unterschiedlichen Ebenen einbringen. Raiser betont, Auswahlkriterium für die Einladung "ist nicht, dass die Teilnehmenden offizielle Vertreter und Vertreterinnen von Organisationen sind, sondern dass sie über die derzeitigen Strukturen hinausblicken können."

In gewissem Sinne sei die Einberufung dieser Zusammenkunft und die Teilnahme daran, so Raiser, das Echo auf den in den 30er Jahren begonnenen Prozess, der schließlich zur Gründung des ÖRK geführt habe. Damals hätten sich die Schlüsselpersonen verschiedener ökumenischer Anstrengungen zusammengeschlossen, um der Notwendigkeit größerer Einheit und wirksameren Handelns auf internationaler Ebene Rechnung zu tragen.

Eine Jugendkonsultation unmittelbar vor der Neugestaltungstagung soll jungen Menschen - derzeitigen ökumenischen Führungskräften und denen, die die Bewegung in die Zukunft führen sollen - die Möglichkeit geben, ihre Vorstellungen und Gedanken in die Diskussion einzubringen.

Notwendigkeit und Chancen einer Neugestaltung sollen von den Schlüsselpersonen bereits vor der November-Konsultation erörtert werden, und zwar bei der Tagung:

* des ÖRK-Zentral- und Exekutivausschusses (24. August - 2. September)

* der Generalsekretäre/innen des ÖRK und der regionalen ökumenischen Organisationen (17. - 18. September)

* der regionalen ökumenischen Organisationen und der kirchennahen Werke und Einrichtungen (19. - 20. September)

* des Fortsetzungsausschusses des Globalen Christlichen Forums (18. - 20. Oktober)

* der Konferenz der Generalsekretäre/innen der weltweiten christlichen Gemeinschaften (21. - 24. Oktober).

Warum gerade jetzt?

Der Generalsekretär des ÖRK hatte die derzeitige Debatte über die Neugestaltung der ökumenischen Bewegung in seinem Bericht an den Zentralausschuss des ÖRK 2002 angestoßen. "Ich denke, dass es Zeit ist, die organisatorischen und strukturellen Arrangements in der weltweiten ökumenischen Bewegung, die wir von den vorangegangenen Generationen übernommen haben, zu überprüfen und eine ökumenische Neugestaltung zu erkunden, die wirksam auf die Herausforderungen eingehen kann, die im 21. Jahrhundert vor uns liegen."

Raiser hob besonders hervor, dass es eines gemeinsamen Rahmens bedürfe, innerhalb dessen der Kurs bestimmt und Entscheidungen gefällt werden können. Ein solcher Rahmen könnte auch die Doppelarbeit der verschiedenen Organisationen verringern und die Geschlossenheit der ökumenischen Vision und des ökumenischen Zeugnisses stärken. Auch die Strukturen müssten offener und flexibler werden, wenn sich die ökumenischen Organisationen mit Fragen des Mandates, der Mitgliedschaft, der finanziellen Unterstützung, der Leitung und der Prioritätensetzung befassen, sagte er. In seinem Bericht im Jahre 2002 nannte er konkrete Gründe, die eine Neugestaltung zum jetzigen Zeitpunkt angezeigt erscheinen lassen.

Der "Erfolg" der Ökumene habe dazu geführt, dass viele Kirchen die Vision in ihr Selbstverständnis integriert hätten. Andererseits stellte er fest, dass der Denominationalismus wachse - Kirchen bemühten sich, ihr eigenes institutionelles Profil zu verstärken, eine bessere Sichtbarkeit und ein größeres Engagement zu erreichen, um in einer von Konkurrenz bestimmten Zivilgesellschaft finanzielle Unterstützung zu finden.

Die ökumenische Vision, die die Bewegung von den Anfängen bis heute verbinde, habe nicht mehr die Kraft, Menschen, vor allem junge Menschen zu begeistern und in Bewegung zu bringen, meint Raiser. Außerdem fehle die Klammer zwischen den derzeitigen Strukturen und den lebendigen ökumenischen Basisinitiativen - beispielsweise der Bewegung der konfessionsverbindenden Familien, ökumenischen Projekten vor Ort, ökumenischen Gemeinschaften etc.

Einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Diskussion jetzt geführt werden müsse, sei jedoch die Komplexität und die mangelnde Verflechtung der derzeitigen ökumenischen Strukturen.

In den Anfängen der ökumenischen Bewegung seien mehrere ökumenische Strömungen (beispielsweise Glauben und Kirchenverfassung und der Internationale Missionsrat) im ÖRK zusammengeführt worden. In den letzten Jahrzehnten jedoch seien, häufig vom ÖRK selbst, viele neue ökumenische Organisationen und Strukturen eingerichtet worden, die konkreten Bedürfnissen und Kontexten gerecht werden sollen.

Zu diesen Initiativen gehören beispielsweise:

* regionale und nationale Kirchenräte

* die Konferenz der Generalsekretär/innen der weltweiten christlichen Gemeinschaften

* Arbeitsgruppen mit der römisch-katholischen Kirche und, in jüngerer Zeit, mit Evangelikalen und Pfingstlern

* Das Globale Christliche Forum

* "Kirchen helfen gemeinsam" (Action by Churches Together - ACT)

* das Globale ökumenische Aktionsbündnis (EAA).

Zwar seien diese Organisationen miteinander verknüpft und werde auf unterschiedliche Weise versucht, ihre Arbeit zu koordinieren, doch müsse noch viel mehr geschehen, meint Raiser.

Im Grunde genommen müsse die Neugestaltung "das Bewusstsein einer ökumenischen 'Bewegung' wiedererwecken. Die ökumenische Bewegung ist den Kirchen als organisierten Körperschaften entwachsen und dem Institutionalismus anheim gefallen. Deshalb müssen wir eine Neugestaltung ins Auge fassen, die mehr Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zulässt."

Neues Potential für den Wandel

Die Debatte über die Neugestaltung erwächst aus einem langjährigen Anliegen. Das 1997 vom Zentralausschuss angenommene Dokument "Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis und einer gemeinsamen Vision des Ökumenischen Rates der Kirchen" (CUV) "war der Einstieg und hat unser Denken in den letzten acht Jahren beschäftigt", so Raiser.

CUV zeige zusammen mit dem Fortgang der Überlegungen über das Globale Christliche Forum, der Arbeit der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK sowie der ÖRK-Studiengruppe zu Fragen der Mitgliedschaft, dass ein neues Ethos und eine neue Kultur der ökumenischen Organisation im Werden begriffen sei. "Darin ist auch ein Anstoß für die Formulierung einer Alternative zur Vision der Globalisierung enthalten," meint Raiser.

Der ÖRK gebe der Diskussion über die Neugestaltung Raum, weil er "noch immer die umfassendste und repräsentativste ökumenische Organisation auf Weltebene ist" und damit besondere Verantwortung für den Zusammenhalt der ökumenischen Bewegung trage, bemerkt Raiser.

Er unterstreicht, dass die jetzt aufkommende Debatte wesentlich größere Chancen für einen Wandel biete als frühere Diskussionen über Koordinierungsfragen. Die Herausforderung, meint er, liege darin, dass "alle jetzt in die ökumenische Bewegung integrierten Strukturen gegenüber möglicherweise sehr weitreichenden Veränderungen aufgeschlossen und bereit sind, sich selbst neuen Partnerschaften und Arbeitsweisen zu öffnen."

Auch bei den bevorstehenden Veränderungen müssten die Kirchen selbst die führende Rolle übernehmen, betont er. "Wir müssen den ursprünglichen Geist zurückgewinnen, der zur Gründung des ÖRK geführt hat... Damals war klar, dass Kirchen, die dem Ökumenischen Rat der Kirchen beitreten, offen sind für Veränderungen. Diese Offenheit ist der geistige Motor, den wir zurückgewinnen müssen."

Hintergrunddokumente zum Prozess:

WCC Website > Presseecke

www.wcc-coe.org/wcc/press_corner/index-g.html