Von Juan Michel (*)

Pfr. Dr. Hermen Shastri ist Generalsekretär des Rates der Kirchen in Malaysia (CCM), einer ökumenischen Organisation, die vor 57 Jahren gegründet wurde und vom 28. Juli bis 6. August 2004 Gastgeberin der Tagung des Plenums der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in Kuala Lumpur ist. Im folgenden Interview spricht er über Leben und Zeugnis der Kirchen in einem Land, in dem die Christen eine kleine Minderheit darstellen und Begriffe wie Evangelisation und interreligiöser Dialog, Ökumene und auch Politik eine andere Bedeutung bekommen.

-- Christen machen in Malaysia nur 7% der Bevölkerung aus. Was bedeutet es für Kirchen, sich in einer solchen Minderheitssituation zu befinden? Wie verstehen die Kirchen in Malaysia ihre Rolle in der Gesellschaft?

Als Minderheit leben wir in dem ständigen Bewusstsein, dass wir unter Menschen anderer Religionen leben. Wir sind täglich mit dieser Wirklichkeit konfrontiert, und wenn wir in unserem Land in Gerechtigkeit und Harmonie zusammenleben wollen, dann bedeutet das, dass unser Leben in einem gemeinsamen Schicksal miteinander verflochten sein muss.

Als Kirchen versuchen wir, einen positiven Beitrag zum Wohl unseres Volkes zu leisten. Konkreter gesprochen, sehen wir es als unsere Aufgabe an, einen Beitrag zur Bewahrung des säkularen, demokratischen Status' unserer Verfassung zu leisten, für den Schutz der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit einzutreten und mit der Regierung sowie interreligiösen und zivilgesellschaftlichen Gruppen in einen offenen Dialog über Fragen von gemeinsamem Interesse zu treten.

-- Welches sind die wichtigsten Herausforderungen, vor denen die malaysischen Kirchen stehen?

Angesichts des wachsenden Einflusses des Islam stehen wir vor der besonderen Herausforderung, uns zusammen mit anderen dafür einzusetzen, dass Malaysia kein "islamischer" oder "theokratischer" Staat wird. In diesem Zusammenhang gilt es auch, genau zu verfolgen, wo bürgerliche und religiöse Freiheiten eingeschränkt zu werden drohen.

Die anderen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, sind auch Kirchen in anderen Ländern bekannt: Engagement für die Rechte von Kindern, Frauen, Menschen mit Behinderungen und Wanderarbeitern/innen oder die Förderung nachhaltiger Entwicklung zum Schutz der Umwelt. Auf unserer Tagesordnung steht auch, die Kluft zwischen Katholiken/innen, ökumenisch engagierten Christen/innen und Evangelikalen zu überbrücken.

-- Wie sehen die Beziehungen zwischen Christen und anderen Glaubensgemeinschaften in Malaysia aus?

Mit den Hindus, Buddhisten und Sikhs unterhalten wir gute Beziehungen. Seit zwanzig Jahren arbeiten wir mit ihnen im Malaysischen Konsultativrat zusammen und der gemeinsame Weg, den wir in all den Jahren gegangen sind, hat dazu beigetragen, dass wir Vertrauen zueinander aufgebaut haben und dass wir heute in einer guten Atmosphäre zusammenarbeiten können.

Was die Beziehungen mit der muslimischen Gemeinschaft anbetrifft, so machen wir unterschiedliche Erfahrungen. Einige muslimische Gruppen, normalerweise die gemäßigten unter ihnen, sind offen für den Dialog. Andere Gruppen hingegen verschließen sich jedem Dialog, weil er ihres Erachtens gegeneinander und nicht miteinander geführt werden würde, und vielleicht auch, weil sie glauben, dass er Aspekte ihres Glaubens und ihres religiösen Lebens berühren würde, zu denen Nicht-Muslime sich nicht äußern dürfen.

Bei alledem sind staatliche islamische Einrichtungen jedoch bereit, mit uns in Dialog zu treten, um Lösungen für „sensible“ Fragen zu finden.

-- In welcher Verfassung ist die Gesellschaft, die die Kommissionsmitglieder von Glauben und Kirchenverfassung in Kuala Lumpur vorfinden werden? Sind die Beziehungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen harmonisch oder angespannt? Wird mit ethnischen Unterschieden positiv umgegangen oder herrscht Bitterkeit unter den ethnischen Gruppen? Ist es die Religion, die die Menschen von Malaysia voneinander trennt, und nicht die ethnische Zugehörigkeit, wie manche sagen?

Grundsätzlich kann man sagen, dass sie eine gemischte Gesellschaft vorfinden werden, in der unterschiedliche ethnische (Malaysier, Chinesen, Inder, indigene Gruppen) und religiöse Gemeinschaften (Islam, Buddhismus, Taoismus, Hinduismus, Christentum, Gemeinschaft der Sikhs) friedlich zusammenleben. Das ist der allgemeine Eindruck.

Ethnische und religiöse Unterschiede sind eine Realität, die akzeptiert wird. Schwierige sozioökonomische und religiöse Probleme, die auf eine an ethnischen Interessen ausgerichtete Politik zurückzuführen sind, werden abgemildert, weil die Menschen sensibel damit umgehen und guten Willen zeigen. Jeder Malaysier und jede Malaysierin ist sich bewusst, dass die Stabilität der gesellschaftlichen Beziehungen in einem multiethnischen und multireligiösen Umfeld gefährdet ist.

Bislang ist es der malaysischen Gesellschaft gelungen, einen gemäßigten Weg zu gehen und ihre Vielfalt mit Verständnis füreinander, Kompromissen und gemeinsam getragener Verantwortung als positiv zu erfahren.

-- In Malaysia gehören 54% der Bevölkerung dem Islam an und der Islam ist die offizielle Staatsreligion. Welche Auswirkungen haben islamische Gesetze und Bestimmungen - wie z.B. jene, die die Abkehr vom Islam verhindern sollen oder sogar unter Strafe stellen - auf das tägliche Leben der Christen in Malaysia?

Islamische Gesetze und Bestimmungen wirken sich auf das Leben der anderen religiösen Gemeinschaften in Form reeller oder befürchteter Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben aus.

Ein Problem, das uns gegenwärtig beschäftigt, ist, dass die Abkehr vom Islam unter der Scharia als „Apostasie“ angesehen wird. In allen Dialogsitzungen mit Regierungsstellen oder islamischen Gruppen wird dieses Problem von den anderen Religionen angesprochen.

Es ist unwahrscheinlich, dass die muslimische Haltung in einer so sensiblen Frage flexibler wird, aber z.B. im Blick auf Mischehen oder das Sorgerecht für Kinder bei Bekehrung eines Elternteils zum Islam gibt es kleine Anzeichen für eine gewisse Entspannung.

Wir haben uns dafür entschieden, den Dialog nicht im Geist der Konfrontation zu führen. Ein sensibler Umgang mit dieser Frage setzt Geduld sowie ein Verständnis der konservativen wie der gemäßigten Kräfte innerhalb des Islam voraus.

-- Was bedeutet Evangelisation in diesem Kontext?

In Malaysia ist allen Religionen die Mission unter Muslimen gesetzlich verboten. Das hat direkte Auswirkungen auf den christlichen Auftrag zur Evangelisation. In den meisten Stellungnahmen nationaler christlicher Gremien, seien sie römisch-katholisch, protestantisch oder evangelikal, wird nachdrücklich empfohlen, mit diesem Problem sehr vorsichtig umzugehen. Das mag von Außenstehenden als inakzeptabler Kompromiss angesehen werden, aber die Christen in Malaysia sind überzeugt davon, dass ein Konfrontationskurs zu nichts führen würde.

Deshalb sprechen die malaysischen Christen von einer "Evangelisation durch Leben und Wort". Die Christen sollten ein vorbildliches Leben führen und anderen Menschen so Gelegenheit geben, die geistlichen Grundlagen christlichen Lebens kennen zu lernen.

-- Haben die jüngsten geopolitischen Ereignisse spürbare Auswirkungen auf Leben und Zeugnis der malaysischen Kirchen und einzelner Christen gehabt?

Ja, auf jeden Fall! Die Muslime haben den Eindruck, dass die westlichen Medien den Islam in eine Art "Belagerungszustand" versetzt haben, weil sie den Eindruck vermitteln, dass allein die Gegenwart von Muslimen bereits Konflikte verursacht. Das ist jedoch nicht wahr. In Malaysia geht die Regierung entschlossen gegen sektiererische muslimische Gruppen vor, die extremistische religiöse Positionen vertreten. Die religiöse Rechtfertigung des Terrorismus wird nicht geduldet.

Natürlich geraten malaysische Kirchen in das Visier von Muslimen, wenn sie Positionen vertreten, die als "westlich" empfunden werden, z.B. wenn sie sich für ein säkulares Demokratieverständnis aussprechen, das in unserem soziokulturellen Kontext als inakzeptabel angesehen wird.

Aber in anderen Fragen - wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt, bei dem der Rat der Kirchen eine gerechte Lösung auf der Grundlage des Zwei-Staaten-Modells unterstützt und sich der muslimischen Gemeinschaft in der Ablehnung der Gräueltaten gegen die Palästinenser anschließt - haben die malaysischen Kirchen nicht den Ruf, blind amerikanische Positionen zu vertreten.

-- Ein christlicher Journalist schrieb vor kurzem: "Auch wenn wir uns über einige negative Entwicklungen beklagen, müssen wir (die malaysischen Christen) doch auch anerkennen, dass wir in unserem wunderbaren Land Freiheiten genießen." Können Sie uns einige dieser negativen Entwicklungen nennen?

Am schwierigsten ist für uns, dass der Islam sich immer wieder in inner- und zwischenkirchliche Streitfragen einmischt. Er befindet sich hier auf einer Gratwanderung; einerseits tritt er nachdrücklich für die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit ein und andererseits macht er Zugeständnisse an gewisse „Sensibilitäten“.

Eine weitere negative Entwicklung ist, dass wir mit der rapiden Ausbreitung unabhängiger Kirchen zu kämpfen haben. Problematisch ist, wie dieses Phänomen von anderen Glaubensgemeinschaften wahrgenommen wird. Das Christentum wächst faktisch in diesem Land. Aber genauso wachsen Kirchen heran, die christliche Lehren aller Schattierungen verkünden. Bedeutet Religionsfreiheit, dass die Ausbreitung von Kirchen aller Art geduldet werden muss?

-- Die Tatsache, dass der malaysische Ministerpräsident eine Rede vor dem Plenum von Glauben und Kirchenverfassung halten wird, scheint zu zeigen, dass die Regierung die wichtige gesellschaftliche Rolle der malaysischen Kirchen anerkennt. Wie sehen die Beziehungen zwischen den malaysischen Kirchen und der Regierung aus?

Sie sind gut! Der stärkste Dialogpartner bei allen Fragen, die das Leben der Kirchen betreffen, war und ist die Regierung. Der Grund dafür ist, dass wir von einer Koalition politischer Parteien regiert werden, die sich dafür einsetzt, dass alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften des Landes an den Früchten des Fortschritts teilhaben.

Leitende Kirchenvertreter stehen in engem Kontakt mit christlichen Politikern in der Regierung, um Einfluss auf die Beschlüsse der Regierung auszuüben. Manchmal können die Kirchen so in direkten Kontakt zum Ministerpräsidenten treten und durch seine Intervention werden viele Probleme gelöst.

Die Erfahrung zeigt, dass Regierungsstellen zum ernsthaften Dialog mit Glaubensgemeinschaften bereit sind, um Angelegenheiten zu regeln, mit denen Nicht-Muslime im Land konfrontiert sind, aber es ist nicht immer einfach, Lösungen zu finden.

-- Aber gleichzeitig ist in einer der jüngsten Ausgaben der CCM-Veröffentlichung "Berita" (Nachrichten) die "zunehmende staatliche Politik der Islamisierung der Gesellschaft" als besorgniserregende Tendenz erwähnt worden.

Ja, und das trifft auch zu! Die Regierung, die mehrheitlich von Muslimen geführt wird, muss ihren muslimischen Anhängern fortwährend versichern, dass sie islamisch ist. Die "Islamisierung" in ihren verschiedenen Auslegungen wird von ihr offen unterstützt. Das macht uns Sorgen. Die Verfassung sieht keinen islamischen Staat vor und deshalb wird diese Politik von den nicht-muslimischen Gemeinschaften einhellig abgelehnt.

-- Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Lage der Ökumene in Malaysia? Wie sehen die Beziehungen zwischen den Kirchen selbst aus?

Auf institutioneller Ebene tendieren die Kirchen dazu, ökumenische Beziehungen zu pflegen. Es gibt Organisationen, die die Kirchen zur Zusammenarbeit ermutigen, wie unser Rat der Kirchen; die Kirchen, die der evangelikalen Tradition angehören, gehören ihrerseits der Nationalen Evangelikalen Christlichen Gemeinschaft an. Diese beiden Einrichtungen haben 1985 zusammen mit der Nationalen Katholischen Bischofskonferenz die Christliche Föderation von Malaysia gegründet, eine Einrichtung mit beratender Funktion, die die Aufgabe hat, die christlichen Interessen angesichts der wachsenden Islamisierung zu verteidigen.

Die Ökumene ist auch in den verschiedenen Gruppen lebendig, die sich innerhalb oder außerhalb der Kirchen für bestimmte Anliegen einsetzen. Das Netzwerk für die Rechte von Kindern stellt dafür ein gutes Beispiel dar. Es gibt auch eine Reihe christlicher Aktionsbündnisse, die eng mit Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten.

Bei vielen lokalen Kirchen weckt der Begriff "Ökumene" jedoch keine positiven Assoziationen. Sie verbinden ihn mit „Liberalismus“ im Gegensatz zum „Evangelikalismus“, den sie selbst vertreten. Sie sprechen lieber von der „Einheit des Geistes“ als von der „Einheit des Leibes“, die das Streben nach organischer Einheit der Kirchen implizieren kann.

Die lokalen Kirchen neigen eher dazu, sich gemeinsam für "evangelikale" Anliegen zu engagieren als für die Einheit der Kirche. Das einzige ekklesiologische Problem, mit dem die Kirchen in Malaysia direkt konfrontiert sind, ist die rapide Ausbreitung unabhängiger Kirchen. Diese arbeiten nicht mit anderen zusammen und verfolgen Ziele, die allgemeinen ökumenischen Überzeugungen zuwiderlaufen.

-- Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen den Bemühungen der verschiedenen christlichen Konfessionen um Einheit und der Tatsache, dass Malaysier unterschiedlicher ethnischer Herkunft ethnische Grenzen überwinden und zu einer gemeinsamen nationalen Identität finden müssen?

Ich glaube, dass es eindeutig eine Beziehung zwischen Einheit und nationaler Identität gibt. Einheit hat einen schalen Beigeschmack, wenn sie nicht mehr ist, als sich gegenseitig zu dulden. Es muss eine gemeinsame Suche nach den tieferen Dimensionen geben, die uns als Nation eins werden lassen. An welchem Punkt überwinden wir ethnische Grenzen und finden zu einer gemeinsamen nationalen Identität? Diese Frage ist in den letzten zwanzig Jahren in unserem Land häufig diskutiert worden. Desgleichen müssen die Kirchen vor die Herausforderung gestellt werden, konfessionelle Grenzen zu überwinden und zu versuchen, eine Einheit heranwachsen zu lassen, die bis in die innere Mitte des Evangeliums vordringt.

-- Welche Erwartungen haben die malaysischen Kirchen an die Tagung von Glauben und Kirchenverfassung?

Nur leitende Kirchenvertreter wissen bei uns, was Glauben und Kirchenverfassung ist. Normale Kirchgänger hingegen haben noch nie etwas davon gehört, aber sie hören interessiert zu, wenn man ihnen von diesem christlichen Forum erzählt, das versucht, lehrmäßige Unterschiede zu überwinden, die die Kirchen spalten.

Wir hoffen, dass diese Tagung den malaysischen Kirchen neuen Antrieb geben wird, die ökumenische Tagesordnung fortzuführen. Darüber hinaus müssen die Kirchen hier bei uns lernen zu akzeptieren, dass „ökumenische Bildung“ nicht ein zusätzlicher, sondern integraler Bestandteil der Nachfolge in unserer modernen Welt ist.

(*) Juan Michel ist Medienbeauftragter des ÖRK.

Weitere Informationen über das Treffen in Kuala Lumpur, ein detailliertes Programm und ein Formular für Presseakkreditierung finden Sie auf der Webseite des Treffens unter

www.wcc-coe.org/kualalumpur2004.html

Berichterstattung: Ein ökumenisches Medienteam wird täglich Features und Nachrichten in Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch ebenso wie Fotos zur Verfügung stellen. Das Material kann auf der angegebenen Webseite angesehen und kostenfrei heruntergeladen werden.

Features in Kuala Lumpur: Obwohl der vorliegende Artikel den üblichen journalistischen Standards der Genauigkeit und Ausgewogenheit genügt, sollte er - da er sich an eine breite Öffentlichkeit richtet - weder als formeller akademischer oder theologischer Text noch als offizielle Stellungnahme der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung verstanden werden.

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider. Dieses Material kann mit freundlicher Genehmigung des Autors nachgedruckt werden.