Damals kamen diese Handwerkerfamilien aus der Stadt Katahia in der Türkei. Heute ist es Nishan Balian, der in dritter Generation diese Familientradition fortführt und unter dem Namen seines Großvaters weiterhin Kunstkeramikfliesen in Jerusalem herstellt. Er hat sich für uns die Zeit genommen und darüber nachgedacht, wie er seine Arbeit als Teil der Familientradition sieht, Brücken zwischen unterschiedlichen Religionen zu bauen.
„Ich bin stolz darauf, dass armenische Christen diese wundervollen Keramikornamente restauriert haben, die wir heute noch bewundern können“, sagte Balian, der als Handwerker diese schönen Keramikfliesen herstellt, die wir nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Frankreich und an anderen Orten sehen können. Er erinnert sich an die Lebensumstände der Familie Balian vor vielen Jahrzehnten.
„Die Menschen haben ungeachtet ihrer Religion in Frieden zusammengelebt,“ sagt er. „Die Geschichte meiner Familie ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass Menschen unterschiedlicher Konfession miteinander leben und beeindruckende Kunst erschaffen können.“
Die Kunst, so glaubt er, überwindet die Trennlinien zwischen Menschen und Religionen. „Dass meine Familie an den Renovierungsarbeiten im Felsendom beteiligt war, ist eine große Ehre, und aus diesem Grund haben wir in Jerusalem einen guten Namen“, erklärte er. „Heute fertige ich Keramikfliesen für Synagogen, für Moscheen in Katar und Dubai und für Kirchen überall auf der Welt an, darunter auch in Jerusalem, Frankreich und in anderen Ländern.
Geometrische Ornamente und Fliesen in Moscheen haben einen besonderen Platz im Herzen vieler muslimischer Gemeinschaften, denn die bildliche Darstellung von Menschen ist nicht erlaubt. Bereits im 9. Jahrhundert wurden Fliesen zur künstlerischen Gestaltung von Moscheen, heiligen Schreinen, Palästen, Gräbern und Religionsschulen verwendet. Heute gehören dekorative Fliesen zur Tradition, und der Felsendom spielt hier eine besonders wichtige Rolle – er wird von Menschen muslimischen Glaubens als der Ort verehrt, von dem der Prophet Mohammed in den Himmel aufgestiegen ist.
Die Tradition des Respekts gegenüber anderen Religionen, die auch in künstlerischer Kreativität ihren Ausdruck findet und die mit Balians Großvater begann, lebt bis heute fort. Balian ist jedoch besorgt wegen der Spaltung der Gesellschaft und der von Hass geprägten Auseinandersetzungen der letzten Zeit.
„Leider ist die Situation nicht mehr so, wie sie einmal war, und heute sehe ich ein gespaltenes Jerusalem – aber diese Spaltung hat politische Gründe“, sagte er. „Ich sehe diese Spannungen nicht als Ausdruck eines religiösen Konflikts.“
Unabhängig davon, so Balian, vertiefe sich diese Spaltung immer mehr, und Jerusalem sei nicht mehr die Stadt, die er vor 40 Jahren kennengelernt hat. „Es gibt nicht mehr dieses pluralistische Lebensgefühl, das Jerusalem viele Jahrhunderte lang geprägt und es zu einer weltweit einzigartigen Stadt gemacht hat“, sagte er.
Wie ist der heutige Status Quo? Und warum gibt es Anlass zur Sorge?
Im Folgenden werden die Hintergründe des historischen Status Quo erläutert, auf den Nishan Balian anspielt, und es wird erklärt, warum die religiösen Beziehungen in Jerusalem immer angespannter werden.
Eine Erklärung der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen entspricht der Forderung Balians nach einem dauerhaften Frieden und nach Sicherheit im Nahen Osten. „Aufruhr, gewalttätiger und religiös motivierter Extremismus, andauernde militärische Besatzungen, Diskriminierung und systematische Menschenrechtsverletzungen, Wirtschaftskrisen und Korruption, die Abwesenheit des Rechtsstaates sowie weitere Faktoren haben zu einer existenziellen Krise beigetragen, die alle in der Region betrifft“, heißt es in der Erklärung. Weiterhin bekräftigt die Erklärung, dass sich der ÖRK zu „Gottes Gerechtigkeit und Liebe für die ganze Schöpfung, den Grundrechten aller Menschen, der Achtung der Menschenwürde, der Solidarität mit den Bedürftigen und dem Dialog mit Menschen anderen Glaubens“ verpflichtet.
Die Spaltung in Jerusalem wird durch extreme Strömungen in der israelischen Politik und Gesellschaft verschärft, die eine Bedrohung des Status Quo der muslimischen und christlichen Heiligen Stätten in Jerusalem darstellen. Nachdem Israel 1967 die Kontrolle über den Tempelberg erlangt hatte, traf sich der damalige Verteidigungsminister Mosche Dajan am 17. Juni 1967 mit Vertretern der islamischen Aufsichtsbehörde Waqf, um ihr die Verwaltung des Tempelbergs zu überlassen. Nach dieser Vereinbarung bestimmt die Waqf, wer an der Stätte beten darf. Damit wird aber im Endeffekt anderen Religionen das Gebet am Tempelberg verwehrt. Dajans Absicht war es, Spannungen und Blutvergießen zu minimieren und zu verhindern, dass sich der arabisch-israelische Konflikt zu einem Religionskrieg auswächst. Israels Verpflichtung wurde Jordanien gegenüber am 26. Oktober 1994 im Rahmen des israelisch-jordanischen Friedensvertrags (auch als Wadi Araba-Abkommen bekannt) erneuert. Am 31. März 2013 haben der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, und der jordanische König Abdullah II ein Abkommen unterzeichnet, nach dem selbst die Palästinensische Autonomiebehörde die Rolle Jordaniens beim Schutz der heiligen Stätten in Jerusalem anerkennt. Die Rolle Jordaniens als Schutzmacht begann 1924, als der Oberste Islamische Rat im britischen Mandatsgebiet Palästina dem Urgroßvater von König Abdullah II dieses Amt übertrug.
Israels langjährige Zusage wurde gebrochen, als am 3. Januar 2023 zum ersten Mal ein israelischer Minister, Itamar Ben Gvir,die al-Aqsa-Moschee besucht hat. Dieser Schritt wurde innerhalb der Region und der internationalen Gemeinschaft scharf kritisiert.