Moltmann war emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Universität Tübingen.
Moltmann war überzeugter Ökumene, von 1968 bis 1983 Mitglied der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und nahm als solches an vielen Versammlungen, Konferenzen und Dialogen teil.
Pastor Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des ÖRK, sagte über den Tod von Jürgen Moltmann: „ [Er] war mir nicht nur persönlich ein lieber Freund. Er war auch ein großer Freund des Ökumenischen Rates der Kirchen und der ökumenischen Bewegung. Zeitlebens hat er sich in ihr engagiert. Seine ‚Theologie der Hoffnung‘ hat weltweit Theologiegeschichte geschrieben. Nicht nur das Leben eines großen Theologen ist nun zu Ende gegangen, sondern auch das Leben eines großen Menschen, eines Menschen mit einem weiten Herzen. Er erfährt jetzt die ganze Liebesfülle des Reiches Gottes, von dem er so viel geschrieben hat und die selbst so sehr ausgestrahlt hat.“
Auch ÖRK-Generalsekretär Pastor Prof. Dr. Jerry Pillay sagte: „Wir alle sind von der Nachricht über Jürgen Moltmanns Tod mit Trauer erfüllt. Sein Beitrag zur ökumenischen Bewegung war sehr bedeutend und er war uns beim ÖRK ein guter Freund. Für meine Generation war Moltmanns Theologie eine Inspiration und in Südafrika, als wir hoffnungsvoll gegen die Apartheid kämpften, wurde seine Theologie eifrig gelesen. Sein Werk wird uns stets leiten und ermutigen.“
Pastor Prof. Dr. Ioan Sauca, von 2000 bis 2003 amtierender Generalsekretär des ÖRK und seit 1994 für den ÖRK tätig, erinnert sich: „Ich empfing als Direktor des Ökumenischen Instituts in Bossey Jürgen Moltmann mehrere Male an unserem Institut, wo er immer angeregte Diskussionen mit den Studierenden führte. Er hatte auch ein großes Interesse am Dialog mit der orthodoxen Kirche und entwickelte eine enge Beziehung und Freundschaft zum rumänischen orthodoxen Theologen Dumitru Stăniloae.“
Er fährt fort: „Besonders mit seinen Schriften zur Trinität und zum Heiligen Geist und dem Filioque schuf er Möglichkeiten zum Dialog mit der orthodoxen Theologie. Unter der Ägide der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung spielte er bei der Verfassung des Klingenthal-Memorandums (1979), in dem empfohlen wurde, dass alle Kirchen zurück zum Originaltext des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel kehren sollten, eine zentrale Rolle.“
Moltmann war einer der ersten Theologen, die über politische Theologie, ökologische Theologie und Theologie nach Auschwitz schrieben. Besonders bekannt ist er für sein 1964 erschienenes Buch „Theologie der Hoffnung: Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie“, das 1967 auch auf Englisch erschien.
Im Buch wird der Begriff der Eschatologie, die in der christlichen Doktrin traditionell als „Lehre der letzten Dinge“ verstanden wird, radikal neu ausgelegt. Der Fokus liegt darin vielmehr auf dem Grundgedanken der Hoffnung im christlichen Glauben und auf der verantwortungsvollen Ausübung dieser Hoffnung in Gedanken und Taten in der heutigen Welt.
Das Buch erlangte rasch internationale Beachtung, fand über Jahrzehnte eine breite Leserschaft in der akademischen Welt und unter Laien und hatte einen großen Einfluss auf Kirchen und Predigten.
Während Moltmanns letzten Besuchs beim ÖRK 2019 in Genf hielt er anlässlich der Veröffentlichung seines Buchs „Hope in These Troubled Times“ durch den ÖRK einen Vortrag zum Geist der Wahrheit.
„Beim Kampf um die Wahrheit und gegen die Lüge geht es um Leben und Tod. Es ist ein Kampf um das Überleben der Menschheit“, sagte er in seinem Vortrag.
„Nationalistisch orientierte Machtpolitik hat kein Interesse mehr an der Wahrheit“, sagte er. „Unter dem Deckmantel des Friedens führt sie Kriege – in Form einer Mischung aus Wirtschaftssanktionen und Cyber-Kriegen, Fake News und Lügen.“
Der Leitende Bischof der Kirche von Norwegen, Pastor Dr. Olav Fykse Tveit, von 2010 bis 2020 ÖRK-Generalsekretär, sagte über Moltmann: „Bei der Nachricht von Jürgen Moltmanns Tod erfüllt Trauer mein Herz, aber auch tiefe Dankbarkeit. Sein Leben und Werk in den letzten Jahrzehnten als Theologe, Lehrer und Leitperson der Kirchen sind ein großes und einzigartiges Geschenk für die ökumenische Gemeinschaft.“
Er sagt außerdem: „Moltmann formulierte mit umfassender Sachkenntnis und tiefer theologischer Reflexion die Herausforderungen und die tiefgreifenden Antworten dazu. Er trug einen Glauben an und Liebe zum dreieinigen Gott, zu Gottes Schöpfung, zu einer geeinten Menschlichkeit und zur Kirche und ihrer Gemeinschaft voran. Für mich persönlich war er und wird immer ein Lehrer und Leiter in unserer Arbeit als Theologen und Kirchenverantwortliche bleiben. Die schönen Begegnungen und Gespräche mit ihm werden mir immer in Erinnerung bleiben.“
Die Originalität und Tiefe in Moltmanns Werk und die Vielfalt seiner Interessen und Quellen brachten ihm die Anerkennung quer durch die theologische Welt, darunter auch von orthodoxen, pfingstkirchlichen und jüdischen Theologen.
Moltmann war ein brillanter Denker und produktiver Autor. Während sechs Jahrzehnten und in 40 Büchern erweiterte er das Konzept der Theologie der Hoffnung und setzte sich mit großen Themen der christlichen Theologie auseinander, darunter Kreuz und Erlösung, Trinität, der Heilige Geist, Gott in der Schöpfung sowie Theologie der Freude, Leidenschaft für das Leben, Freundschaft und Liebe. Viele seiner Schriften gelten als Klassiker.
Moltmann trug besonders auch zum Werk der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung bei und setzte sich dabei mit dem alten und ungelösten Problem zwischen dem östlichen und westlichen Christentum bei dem Verweis auf den Heiligen Geist im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel von 381 n. Chr. auseinander.
Im westlichen Christentum wird, im Gegensatz zum östlichen Christentum, der lateinische Begriff „Filioque“ verwendet, um darauf hinzuweisen, dass der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn hervorgehe. Moltmann bevorzugte die Verwendung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa ohne diesen Zusatz. Diese Verwendung ist im Gebetsleben des ÖRK zur Norm geworden.
Die Vorsitzende der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung, Pastorin Prof. Dr. Stephanie Dietrich, sagte: „Wir sind für das Leben Jürgen Moltmanns und sein Engagement für unser Schaffen sehr dankbar. Er war ein Vorbild der ökumenischen Leitung. Er nahm theologische Erkenntnisse aus anderen Traditionen aufmerksam auf und integrierte sie. Seine Theologie förderte ein neues ökumenisches Verständnis über Konfessionsgrenzen hinweg und brachte die Einheit einer globalen Kirche voran.“
Echte christliche Hoffnung dürfe nicht mit simplem Optimismus verwechselt werden, sondern beginne mit der Auferstehung Christi und dem Versprechen auf ein neues Leben, sagt Moltmann. In der Kreuzigung sehen wir Gottes Identifizierung mit den Menschen und deren Leiden, in der Wiederauferstehung sehen wir Gottes Versprechen auf Heilung und Transformation der menschlichen Existenz und der gesamten Schöpfung. „Der gottverlassene Gottessohn wird solidarisch mit allen gottverlassenen Menschen“, schrieb er.
Moltmann wurde 1926 geboren und seine Kindheit war – wie er in seiner Autobiografie „Weiter Raum. Eine Lebensgeschichte“ schrieb – nicht besonders religiös. Doch seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg hinterließen tiefe Wunden und die drei Jahre, die er nach dem Krieg als Kriegsgefangener verbrachte, brachten ihn an den Rand der Verzweiflung und schlussendlich zum Glauben. Im menschlichen Leid fand er Gott.
„Ich begann den angefochtenen, verlassenen Christus zu verstehen […], der Weggefährte, der dich mitnimmt auf seinem Weg in die Freiheit und Auferstehung. Ich fasste wieder Lebensmut“, schrieb er.
1952 heiratete er Elisabeth Moltmann-Wendel, ebenfalls eine bekannte Theologin und eine der ersten zeitgenössischen Theologinnen, die sich mit feministischer und ökologischer Theologie auseinandersetzten. Sie und Moltmann verfassten einige Werke gemeinsam, darunter „Als Frau und Mann von Gott reden“, und hielten oft gemeinsame Vorträge. Sie hatten zusammen vier Töchter.
„Auferstanden in das ewige Leben: Über das Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele“, eines von Moltmanns letzten Werken, das 2020 auf Deutsch erschien, begann als sehr persönliche Reflexion nach dem Tod seiner Frau 2016. Darin wird das ewige Leben als in jedem Moment neu gelebtes Leben verstanden, das jeweils mit einem Vorzeichen auf die neue Schöpfung Gottes beginnt.
„Aus der Freude am geliebten und gelebten Leben fragen wir nach der ‚Fülle des Lebens‘ und nennen sie ‚ewiges Leben‘“, schrieb Moltmann. Es ist durch die Auferstehung erfüllt, die „die Finsternis endlich aus der Schöpfung vertreibt, bis wir ganz im Lichte stehen“.
Moltmann spricht über Geist der Wahrheit in postfaktischem Zeitalter
Moltmanns Buch „Hope in These Troubled Times“ (in englischer Sprache)
Tiefe Wertschätzung zum 95. Geburtstag des berühmten deutschen Theologen Prof. Dr. Jürgen Moltmann
Über Moltmann und die christliche Hoffnung (in englischer Sprache)
Über Moltmann, Sodepax und die ökumenischen Ursprünge der Befreiungstheologie
Moltmanns Text zur Frage des Filioque (in englischer Sprache)