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Man dressed in Orthodox religious garb speaking at podium.
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Hier eine kurze Zusammenfassung der im Februar und April geleisteten Arbeit:

 Am 25. Februar hat Sauca Präsident Putin nachdrücklich aufgefordert, „den Krieg zu beenden und den Frieden in der Ukraine wiederherzustellen.“ Der Ökumenische Rat der Kirchen hat diesen am 24. Februar 2022 von Seiner Seligkeit des Metropolits von Onufrij und der gesamten Ukraine (Moskauer Patriarchat) veröffentlichten Aufruf bekräftigt und unterstützt. Dieser Aufruf, so Sauca, müsse befolgt werden. „Der ÖRK übermittelt den gleichen Appell an Präsident Putin und fordert die Beendigung dieses Bruderkrieges sowie Frieden für das ukrainische Volk und die ukrainische Nation.“ 

Eine gemeinsame Delegation des ÖRK und des ACT-Bündnisses hat im März Ungarn, der Ukraine und Rumänien einen Besuch abgestattet und den dortigen Kirchen, die sich weiterhin als Ersthelfer in dieser schweren Krise bewähren, ihre Solidarität bekundet.

Der geschäftsführende ÖRK-Generalsekretär, Priester Prof. Dr. Ioan Sauca, hat einen offenen Brief an den Patriarchen Kyrill gesandt und ihn nachdrücklich aufgefordert, zu vermitteln und einen Beitrag zur Beendigung dieses Krieges zu leisten. Sauca hat ebenfalls Briefe an Wladimir Wladimirowitsch Putin, Präsident der Russischen Föderation, und Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskj, Präsident der Ukraine, gesandt und ihnen deutlich vermittelt, dass eine friedliche Lösung allein in ihren Händen liege.

Eine weiteren offenen Brief hat Sauca an die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, geschickt mit der Bitte, gemeinsam für den Frieden und ein Ende des Krieges zu beten, damit er Ostern in Kiew feiern könne.

Sauca hat ebenfalls zu einem ökumenischen Rundtischgespräch über die Lage in der Ukraine geladen, das am 30. März im Ökumenischen Institut in Bossey stattgefunden hat.

Zu den Gästen gehörten führende Delegierte von ÖRK-Mitgliedskirchen aus mehreren europäischen Ländern, die an die Ukraine angrenzen oder direkt von dem aktuellen Konflikt betroffen sind. Der Zweck dieser Gespräche bestand darin, sich zu beraten, über Perspektiven auf diesen Konflikt und seine Ursachen zu sprechen und mögliche weitere Vorgehensweisen aufzuzeigen.

 

  1. Es gibt viele Stimmen, die den „Ausschluss“ des Moskauer Patriarchats aus dem ÖRK fordern aufgrund der unlängst geäußerten Standpunkte zum Krieg in der Ukraine. Ist es denkbar, dass der ÖRK diese Entscheidung trifft? Welche Gründe gibt es, nicht so zu entscheiden? Und welche Gründe könnten stattdessen zu einem möglichen Austritt Moskaus aus dem ÖRK führen?

Pater Ioan Sauca: Die Entscheidung, die Mitgliedschaft einer Kirche der ÖRK-Gemeinschaft ruhen zu lassen, liegt nicht im Ermessen des Generalsekretärs, sondern ist die Entscheidung des Zentralausschusses, unseres Leitungsgremiums. Die ÖRK-Satzung legt die Regelungen für die Aussetzung einer Mitgliedschaft eindeutig in Artikel I,6 fest: „Der Zentralausschuss kann die Mitgliedschaft einer Kirche aussetzen: (i) auf Antrag der Kirche; (ii) weil die Grundlage für die Mitgliedschaft oder die theologischen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft von der Kirche nicht aufrechterhalten wurden; (iii) weil die Kirche ihre Verantwortung der Mitgliedschaft wie in Satzungsartikel II beschrieben dauerhaft nicht erfüllt hat.“

Eine solche Entscheidung wird vom Zentralausschuss des ÖRK erst nach gründlicher Abwägung, Anhörungen sowie einem Besuch der betroffenen Kirchen, nach Dialogen und Debatten getroffen. 

  1. Gibt es Beispiele für eine solche Aussetzung der Mitgliedschaft oder des Ausschlusses einer Kirche aus dem ÖRK?

Pater Ioan Sauca: Der ÖRK war auch schon in der Vergangenheit mit ähnlichen Fällen konfrontiert. Am bekanntesten ist der Fall der Holländisch- Reformierten Kirche in Südafrika, die die Apartheid unterstützte und theologisch dafür argumentiert hat. Das hat zu erbitterten Debatten innerhalb der anderen ÖRK-Mitgliedskirchen geführt, die diesen Standpunkt verurteilt haben. Schließlich war es die Kirche selbst, die aus dem ÖRK „ausgetreten“ ist, weil sie nach eigener Auffassung nicht mehr zu dieser Gemeinschaft gehörte. Es war also nicht der ÖRK, der diese Mitgliedschaft ausgesetzt oder beendet hat. Mittlerweile wurde diese Kirche aber wiederaufgenommen.

Es gab noch andere Fälle offener Konfrontation, besonders zwischen Kirchen aus dem Sowjetblock und Kirchen aus der westlichen Welt. Auch hier drohte der Ausschluss während der Vollversammlungen in Nairobi 1975 und in Vancouver 1983 bzw. die Beendigung der Mitgliedschaft aus eigener Entscheidung.

Die eindeutigsten Fälle aus der jüngeren Vergangenheit hatten wir auf der Vollversammlung in Canberra 1991. Während der Vollversammlung wurde der Golfkrieg zu einem der kontroversesten Themen. Die große Mehrheit der Delegierten entschied eindeutig und im Konsens, dass dieser Krieg „weder heilig noch gerecht“ sei. Stimmen gegen die Forderung nach einer sofortigen und bedingungslosen Waffenruhe kamen jedoch von anderen Delegationen, in erster Linie von den amerikanischen Kirchen und der Kirche von England: „Wollen wir uns gut fühlen, oder Gutes tun?“, fragten diejenigen, die gegen den Waffenstillstand waren. Viele warnten davor, dass der Konflikt zu einer weiteren Verschärfung der Spannungen zwischen Menschen christlichen und muslimischen Glaubens in unterschiedlichen Teilen der Welt führen könnten und den Armen wertvolle Ressourcen nicht mehr zuteil kommen würden. Es wurden theologische Fragen im Zusammenhang mit Kirchen aufgeworfen, die den Krieg verteidigten. Die brisante Frage, ob „Kirchen, die offen einen Krieg verteidigten, weiterhin Mitglieder unserer Gemeinschaft sein können“, wurde langsam manifest, und es waren  Stimmen zu hören, die den Ausschluss dieser Kirchen forderten. 

Auch hier hat sich der ÖRK einmal mehr nicht für eine radikale Lösung ausgesprochen oder sich dazu entschlossen, diese Kirchen auszuschließen. Der Wunsch, weiter miteinander zu reden, war als Option überzeugender. Auf der einen Seite wurde der Antrag mit dem Wortlaut „Wir fordern [von den Kirchen], von jeder theologischen oder moralischen Rechtfertigung des Einsatzes militärischer Macht, sei es im Krieg oder in Form anderer repressiver Sicherheitssysteme, Abstand zu nehmen und zu öffentlichen Anwälten eines gerechten Friedens zu werden“ abgelehnt.  Auf der anderen Seite lag der Schwerpunkt nicht nur auf dem Beschluss einer öffentlichen Erklärung, sondern auch auf einer nächtlichen Mahnwache für den Frieden.

Der spirituelle Ansatz blieb vorrangig. Die am häufigsten zitierte Aussage in Canberra stammte vom Generalsekretär des MECC. Gefragt, auf welcher Seite des Krieges Gott zu finden sei, antwortete er: „Gott ist an der Seite der Leidenden.“

Dann hatten wir ähnliche Fälle mit Kirchen, die in den Völkermord in Ruanda im Jahre 1994 eingebunden waren oder auch in den Balkankrieg zur gleichen Zeit.

Konkret gab es während des Krieges in Jugoslawien ernsthaften Druck, die Mitgliedschaft der Serbischen Orthodoxen Kirche auszusetzen. Zunächst hatte Patriarch Pavle die politische Führung und die Mehrheit des Volkes unterstützt, die den Krieg als legitimes Mittel zur Verteidigung der nationalen Identität und des historischen Mutterlandes ansahen. Als er jedoch erkannte, dass er auf seinem politischen Weg falsch abgebogen war, hatte er die Größe, sich öffentlich zu entschuldigen, und er ging das Risiko ein, an den massiven regierungsfeindlichen Protesten in Belgrad teilzunehmen. Es hatte den Mut, öffentlich zu erklären, dass „ich es niemals akzeptieren würde, wenn ein Großserbien nur durch verbrecherische Taten zusammengehalten werden könnte; Großserbien mag verschwinden, aber es durch Verbrechen zu bewahren – nein (...). Auch wenn wir verschwinden, werden wir nicht als Menschen verschwinden, sondern weiterleben in den Händen des lebendigen Gottes.“ Ein beispielhafter Hirte, ein heiliger Mann Gottes! Ein unerschrockener Zeuge der Werte unseres christlichen Glaubens in einer schwierigen und sensiblen Situation, die für uns heute als Leitlinie und Beispiel für eine Urteilsbildung dienen könnte.  

Die einzige Kirche, deren Mitgliedschaft viele Jahre lang ausgesetzt wurde, die wir aber oftmals besucht haben und mit der der ÖRK den Dialog gesucht hat, allerdings mit unbefriedigendem Ergebnis, war die Kimbanguistenkirche. Der Grund des Zerwürfnisses waren theologische Standpunkte, die mit der trinitarischen Grundlage des ÖRK nicht mehr vereinbar waren. Nach einer langen Debatte und zahlreichen Gesprächen mit der Kirche selbst und den anderen ÖRK-Mitgliedskirchen aus der Region und mit der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz hat diese Kirche ihre Mitgliedschaft beim ÖRK vor kurzem beendet.

  1. Pater Ioan, welche Ergebniserwartungen haben Sie persönlich an die nächste Tagung des Zentralausschusses im Juni 2022?

Pater Ioan Sauca: Ich kann die Entscheidung des nächsten Zentralausschusses nicht vorhersehen, aber ich gehe davon aus, dass der Krieg eines der brisanten Themen sein wird, die zur Debatte stehen.

Meine persönliche Meinung? Die Verhältnisse sind zurzeit sehr kompliziert, und wir befinden uns an einem Wendepunkt der Geschichte. Wie viele andere auch, leide ich an der Situation besonders als orthodoxer Priester, denn ich weiß, dass der orthodoxen Kirche sowohl in Russland als auch in der Ukraine viele Gläubige angehören. Und die tragischen Ereignisse, das große Leid, Tod und Zerstörung stehen im tiefen Widerspruch zur orthodoxen Theologie und Spiritualität und zu dem, was uns unsere Väter und Mütter durch ihr persönliches Leben im Laufe der Geschichte gezeigt haben.

Wie Sie gesehen haben, habe ich mich bemüht, mutig und prophetisch zu sein: Ich habe die russische Aggression gegen die Ukraine verurteilt. Ich habe die Erklärung des Metropolits von Onufrij unterstützt und diesen Krieg als „Bruderkrieg“ bezeichnet, ich habe Sorge und Mitgefühl für die Opfer und Geflüchteten angesichts dieses unermesslichen Leids und der Zerstörungen gezeigt. Ich habe an Patriarch Kyrill geschrieben und beide Präsidenten aufgefordert, den Krieg zu stoppen. Eine ÖRK-Delegation ist von Ungarn und Rumänien aus in das Grenzgebiet zur Ukraine gefahren und hat sich dort mit Geflüchteten getroffen.

Wir alle haben keine Hoffnung, sind wütend und frustriert und enttäuscht – und menschlich und emotional tendieren wir zu spontanen radikalen Entscheidungen. 

Und doch – als Jünger Christi wurden wir mit dem Dienst der Versöhnung betraut, und das Thema der 11. ÖRK-Vollversammlung erinnert uns alle daran, dass die Liebe Christi die gesamte Welt versöhnt und eint. Ich kann meinen Glauben und unsere Berufung auch nicht in schweren Zeiten verleugnen.  Es wäre sehr einfach, die Narrative der Politik zu übernehmen, aber wir sind aufgerufen, die Sprache des Glaubens, unseres Glaubens zu benutzen. Es ist einfach, auszuschließen, zu exkommunizieren und zu dämonisieren, aber wir sind als ÖRK berufen, eine freie und sichere Plattform der Begegnung und des Dialogs zu nutzen, sich zu begegnen und einander zuzuhören, auch dann, wenn wir nicht einer Meinung sind. Das hat den ÖRK immer charakterisiert, und ich würde sehr darunter leiden, wenn während meiner Amtszeit diese Berufung verlorenginge und sich die unverwechselbare Natur des ÖRK verändern würde.

Ich glaube an die Macht des Dialogs und an den Prozess, der Versöhnung bringt. Ein aufgezwungener Friede ist kein Friede, ein dauerhafter Friede kann nur ein gerechter Friede sein. Krieg kann weder gerecht noch heilig sein; Töten bedeutet Töten, und das muss durch Dialog und Verhandlungen verhindert werden. Um das zu erreichen, ist es nicht genug, Konflikte zu beenden. Wir müssen vielmehr die Wurzeln und die Ursachen verstehen, und das wird uns nur durch Gespräche gelingen und indem wir zuerst den Opfern und dann den Tätern zuhören. Ich glaube nach wie vor, dass sich sogar die Täter ändern können, transformiert durch die Macht des Dialogs und das Wirken der Gnade Gottes, durch Akzeptanz der eigenen Fehler und Missetaten, durch Behebung der Schäden und durch Beschreiten eines Weges, der zu einem gerechten Frieden führt. Es mag sich idealistisch und utopisch anhören, wenn wir mit eindeutigen Beweisen für Kriegsverbrechen  konfrontiert werden, aber unsere Heilige Schrift und unsere Geschichte halten zahlreiche solcher Beispiele für uns bereit. Wir müssen voller Hoffnung auf unserem Pfad des Glaubens weitergehen.    

Was ich inzwischen bewundere, ist die Weisheit unserer Vorfahren. Visser 't Hooft hat alles dafür getan, um die Kirchen aus dem Sowjetblock in den ÖRK aufzunehmen trotz ihrer „Unterstützung“ der verwerflichen kommunistischen Ideologie und ihrer „Unterstützung“ totalitärer Herrschaftssysteme. Sie wurden eingeladen, sich der internationalen Gemeinschaft als Kirchen anzuschließen. Die Kirchen, die diese Unterdrückung erleben mussten, haben unendlich viel dazugewonnen.

Abschließend möchte ich sagen: Ich werde nie aufhören, mich gegen Aggressionen, Invasionen oder Kriege auszusprechen; ich werde weiterhin prophetisch sein. Aber ich werde mich mit all meiner Kraft dafür einsetzen, dass der ÖRK das bleibt, wofür er gegründet wurde, und dass die Tür für gemeinsame Gespräche immer geöffnet bleibt. Denn wenn wir diejenigen ausschließen, die wir nicht mögen oder denen wir nicht zustimmen, mit wem sollen wir dann sprechen, wie sollen wir zu Versöhnung und einem dauerhaften gerechten Frieden kommen?

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Ukrainische Flüchtlinge essen eine warme Mahlzeit an einer Anlaufstelle von AIDRom nahe dem Grenzübergang von Sculeni zwischen Rumänien und Moldau. An dieser Stelle reisen zahlreiche ukrainische Flüchtlinge ein, die vor den Kriegsgräueln fliehen, die die Invasion Russlands in der Ukraine seit Februar 2022 verursachte. Diese Thematik war eine von vielen, die in den ÖRK-Nachrichten und im Blog das ganze Jahr hindurch hervorgehoben wurde.

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  1. Es gibt ebenfalls einen andauernden „Konflikt“ zwischen den orthodoxen Kirchen. Welchen Plan verfolgt der ÖRK, damit es nicht zu einer Zerreißprobe kommt?

Pater Ioan Sauca: Der Ökumenische Rat der Kirchen versucht seine Mitgliedskirchen dazu anzuhalten, ihre Differenzen und Spaltungen zu überwinden, indem sie füreinander beten, durch einen theologischen Dialog und gemeinsame Arbeit, wann immer und wo immer dies möglich ist. Der ÖRK ist rechtlich nicht über seine Mitgliedskirchen gestellt, aber er kann ökumenische Räume bereitstellen, in denen sie, falls sie dies wünschen, zur Diskussion stellen können, was sie trennt. Der theologische Dialog, der einen Beitrag zur Annäherung der östlich- und westlich-orthodoxen Kirchen geleistet hat, begann Anfang der 1960er Jahre, als sich die beiden orthodoxen Familien in einem der ÖRK-Räume trafen: der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung.  

Die verschiedenen ökumenischen Begegnungsräume, die der Ökumenische Rat der Kirchen bereitgestellt hat, haben dazu beigetragen, Brücken zu bauen und Vertrauen zwischen den orthodoxen Kirchen entstehen zu lassen, die aufgrund ihrer Geschichte voneinander isoliert waren. Man kann sagen, dass die Jahrzehnte der Vorbereitung und Anbahnung des Heiligen und Großen Konzils der Orthodoxen Kirche im Jahre 2016 durch die Panorthodoxen Präkonziliaren Konferenzen in Chambésy Hand in Hand mit der Intensivierung der interorthodoxen Beziehungen unter der Ägide des Ökumenischen Rates der Kirchen gingen.

Die anstehende Tagung der Interorthodoxen Vorbereitungskonsultation, die eine vor vierzig Jahren begonnene Tradition fortsetzt, findet im Mai in Zypern statt und bringt Delegierte aller östlich- und westliche orthodoxen Kirchen zusammen, die über das Hauptthema und die täglichen Themen der Vollversammlung reflektieren. Die Teilnehmenden haben hier die Möglichkeit, sich über ihre Erwartungen an die Vollversammlung und die Zeit danach auszutauschen, aber auch, sich mit den derzeitigen Imperativen und Herausforderungen sowie den kritischen Themen auseinanderzusetzen, mit denen die Kirchen und die Welt heute konfrontiert werden.  

Man kann noch weiter gehen – wenn der ÖRK eine solche Veranstaltung nicht einberufen würde, hätten die orthodoxen Kirche nicht die Gelegenheit, sich zu treffen. Wir stellen hier wieder einmal fest, was für ein Segen der ÖRK für die Versöhnung der Kirchen ist.

  1. Manche reden vom „Tod der Ökumene“ aufgrund der Unfähigkeit der orthodoxen Kirchen, miteinander zu reden. Inwiefern hat der Krieg Auswirkungen auf den ökumenischen Dialog zwischen den Kirchen?

Pater Ioan Sauca: Ich stimme der Aussage über „den Tod der Ökumene“ nicht zu, nur weil einige orthodoxe Kirchen nicht in der Lage sind, miteinander zu sprechen. Die orthodoxe Familie ist nicht die erste und einzige Familie, die heute interne Spannungen und Spaltungen bewältigen muss. Ich stimme eher der These zu, dass eine der größten Herausforderungen für die ökumenische Bewegung heute darin besteht, mit den Spannungen und Spaltungen „innerhalb“ einer Kirchenfamilie und nicht „zwischen“ Kirchenfamilien“ umzugehen. Es gibt einen ernsthaften, ich würde sogar sagen fundamentalen methodologischen Unterschied zwischen der Aufnahme und Ermutigung eines Dialogs zwischen  getrennten Kirchenfamilien (der eigentlichen Aufgabe der ökumenischen Bewegung) und Kirchen, die derselben Familie angehören (und was die ökumenische Bewegung heute in mehreren Fällen leisten muss). Überraschenderweise kommen die meisten Anfragen, die den ÖRK heute erreichen und ihn um eine Rolle als Mediator für Heilung und Versöhnung bitten, von getrennten Kirchen, die derselben Konfessionsfamilie angehören.  

Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei Kirchen, so gravierend sie auch sein mögen, bedeuten nicht das Ende der ökumenischen Bewegung. Die Suche nach christlichen Einheit erklärt sich aus dem Bekenntnis, dass die Kirche Christi eins ist, trotz unserer menschlichen (und oft sündigen) Trennungen. Wir engagieren uns in der ökumenischen Bewegung nicht deshalb, weil sie zu zahlreichen Ergebnissen führt, sondern vor allem deshalb, weil dies ein Gebot des Evangeliums ist.

Orthodoxe Kirchen, sowohl östlicher als auch westlicher Prägung, haben innerhalb des ÖRK immer einen stärkeren Fokus auf die Suche nach der christlichen Einheit gefordert, trotz aller Krisen und des mangelnden Interesses einiger Gruppen an ökumenischen Zielen. Die Tatsache, dass Delegierte dieser Kirchen zugestimmt haben, sich zu einer Konsultation im Vorfeld der 11. ÖRK-Vollversammlung zu treffen, zeigt ein großes Engagement für diese Sache und ebenfalls Interesse, zusammenzubleiben, sich zu beraten und voneinander zu lernen. Natürlich gibt es zunehmende ökumenische Herausforderungen, viele von ihnen durch unterschiedliche Beurteilungen moralischer und ethischer Probleme verursacht.

Aus diesem Grund erlebe ich diese Zeit nicht als „Tod der Ökumene“. Im Gegenteil beobachte ich mehr denn je die Bedeutung und Relevanz einer Organisation wie des ÖRK. Er ist nach wie vor der einzige und einzigartige freie Raum, in dem sich Kirchen aus aller Welt im Dialog begegnen können und Gemeinschaft finden. Wenn wir den ÖRK in diesen Zeiten nicht hätten, müssten wir ihn erfinden. Das ist unser einziger Weg zu Versöhnung und Einheit.

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: 17. März 2022, Siret, Rumänien: Hilfskräfte unterstützen ankommende Geflüchtete aus der Ukraine am Grenzübergang Vama Siret in Rumänien. BILDUNTERSCHRIFT: Der Grenzübergang Vama Siret verbindet den Nordosten Rumäniens mit der Ukraine. Der Grenzübergang nördlich von Siret – weiter im Süden liegt die Stadt Suceava – verbindet Rumänien mit dem ukrainischen Dorf Terebletsche und weiter nördlich mit der Stadt Czernowitz. Nach dem Beginn der Invasion der Ukraine durch das russische Militär am 24. Februar 2022 sind fast eine halbe Million Menschen über die ukrainische Grenze nach Rumänien geflüchtet. In den vergangenen 24 Stunden haben laut Informationen der Regierung mehr als 50.000 Menschen die Grenzen überquert und Schutz gesucht. Davon werden voraussichtlich 20 Prozent in Rumänien bleiben und sich nicht weiter auf europäische Länder verteilen.

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  1. Krieg erfüllt die Herzen mit Hass. Wie können wir Frieden schaffen?

Pater Ioan Sauca: Lassen Sie mich über ein konkretes Beispiel von der koreanischen Halbinsel berichten. Der ÖRK-Zentralausschuss 2018 hat mit einer Predigt von Pastorin Dr. Sang Chang (ÖRK-Präsidentin für Asien) begonnen, die über ihre Reise mit ihrer Mutter von Nordkorea nach Südkorea während des Koreakrieges berichtete. Ihre Gebete und ihre Ehrlichkeit gegenüber den nordkoreanischen Soldaten haben dafür gesorgt, dass sie und ihre Mutter nicht getötet wurden. Pastorin Chang sagte: „Die Aufrichtigkeit meiner Mutter hat dazu geführt, dass Vertrauen zwischen uns und den nordkoreanischen Soldaten entstanden ist und sie uns ihr Herz öffneten. Diese Erfahrung hat mich daran glauben lassen, dass Ehrlichkeit Vertrauen schafft, und Vertrauen bewirkt Wunder.“

Der Prozess der Versöhnung und der Friedensarbeit erfordert gegenseitiges Vertrauen; dies hilft uns zu erkennen, dass Friedensarbeit auch bedeutet, den anderen nicht zu dämonisieren, nicht zu skeptisch zu sein und nicht zu misstrauisch. Der Krieg erfüllt unsere Herzen wahrlich mit Hass, aber unser Weg als Friedensstiftende erfüllt unsere Herzen mit Liebe, denn er ist tief im Vertrauen verwurzelt.

Der Friede wird nicht einfach durch ein Abkommen erreicht, er erfordert große Anstrengungen und das Bekenntnis, einander zu vertrauen. Die ökumenischen Initiativen für den Frieden und die Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel sollten ein gutes Beispiel geben. Als der ÖRK 1986 die erste Glion-Konsultation in der Schweiz veranstaltete und Menschen christlichen Glaubens aus Nord- und Südkorea zusammentrafen, war diese Begegnung auf beiden Seiten von offenem Misstrauen geprägt. Am Schluss war es aber die Feier der Eucharistie, dieses wirkmächtigen Symbols der Einheit und des Vertrauens aller Kinder Gottes, die die unsichtbaren Trennmauern niedergerissen hat. Christinnen und Christen aus dem Norden und Süden brachen in Tränen aus und umarmten sich. Dies war der Anfang eines Friedensprozesses, und seither ist der ÖRK die einzige Institution, die diese jährliche ökumenische Begegnung organisiert, um das gegenseitige Vertrauen auf der koreanischen Halbinsel zu fördern.

2020, zum Gedenken an den Beginn des Koreakrieges vor 70 Jahren, hat der ÖRK als ökumenische Manifestation sowohl von Klagen als auch Hoffnung die globale Gebetskampagne für Frieden auf der koreanischen Halbinsel ins Leben gerufen: „Wir beten für Frieden jetzt, beendet den Krieg!“ Während der Kampagne erzählte der ÖRK Geschichten über getrennte Familien und Opfer des Koreakrieges, berichtete über Entschuldigungen von Soldaten, die ökumenischen Initiativen für Frieden und Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel und über Gebete in allen Teilen der Welt. Wir haben dies getan, weil wir glauben, dass Gebete uns dabei helfen können, unsere Herzen vom Hass zur Liebe, von der Angst zum Vertrauen und von der  Verzweiflung zur Hoffnung zu bekehren.

Ein Teil dieses Interviews wurde  in der italienischen SIR Agenzia d'informazione veröffentlicht.

ÖRK reagiert mit Abscheu auf die Berichte von Gräueltaten in der Ukraine (4. April 2022)

ÖRK organisiert Rundtischgespräch über Ukraine und ruft zu Diplomatie statt Drohungen, zum Dialog statt Konfrontation auf (ÖRK-Pressemitteilung vom 30. März 2022)

Reaktion der Kirchen auf ankommende Flüchtlinge: „Ich sehe das Bild Gottes in dir“ (ÖRK-Pressemitteilung vom Donnerstag, 24. März 2022) 

ACT Alliance/ÖRK-Delegation besucht Ungarn, die Ukraine und Rumänien, mit Schwerpunkt auf humanitäre Bedürfnisse und die Antwort der Kirchen (ÖRK-Pressemitteilung vom 18. März 2022)

Reaktion der Kirchen auf die zunehmenden humanitären Bedürfnisse in der Ukraine und in den angrenzenden Ländern (ÖRK-Pressemitteilung vom 11. März 2022)

ÖRK entsetzt über die eskalierenden Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine (ÖRK-Pressemitteilung vom 11. März 2022)

Patriarch Kyrill antwortet auf Brief des geschäftsführenden Generalsekretärs, in dem dieser um Einsatz für den Frieden bat (ÖRK-Pressemitteilung, 10. März 2022)

Appell des geschäftsführenden ÖRK-Generalsekretärs an den Patriarchen Kyrill von Moskau: „Erheben Sie Ihre Stimme, damit der Krieg beendet werden kann“ (ÖRK-Pressemitteilung vom 2. März 2022)

ÖRK fordert Präsident Putin nachdrücklich auf, den Krieg zu beenden und den Frieden in der Ukraine wiederherzustellen (ÖRK-Pressemitteilung vom 25. Februar 2022)