„Die auf Gewinn ausgerichtete Denkweise der digitalen Wirtschaft und deren immense Auswirkung auf die persönliche und öffentliche Kommunikation bedrohen allein schon die Struktur des Diskurses, der für die demokratischen Gesellschaften so wichtig ist. Es ist kein Zufall, dass das Internet voll ist mit Falschmeldungen und Hassreden, mit Verschwörungstheorien und extremistischen Inhalten. Dafür gibt es Gründe“, sagte er.
Mitorganisiert wurde das historisch bedeutsame Symposium auch vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und dem Weltverband für christliche Kommunikation (WACC). Es befasst sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gemeinschaften und Gesellschaften.
Zu den Mitorganisatoren gehören auch Brot für die Welt, die Evangelische Mission Weltweit in Deutschland und der Christliche Studenten-Weltbund. Außerdem wird das Symposium von der deutschen Bundesregierung gefördert.
„Aufmerksamkeit der Nutzer wird auf extreme Inhalte gelenkt“
Dr. Bedford-Strohm wies darauf hin, dass Studien gezeigt hatten, dass Plattformen wie YouTube mit ihren Empfehlungen und Algorithmen die Aufmerksamkeit der Nutzer rasch auf extremere, ja sogar extremistische Inhalte lenkten.
„Die Plattformen bewerten nicht den politischen Inhalt; sie gestalten ihre Algorithmen nicht nach Wahrheitskriterien oder bestimmten Grundwerten, sondern schlicht danach, wie viel Geld sich durch Werbung verdienen lässt“, sagte er. „Wenn extreme Inhalte die höchsten finanziellen Gewinne erwirtschaften, werden sie von den Algorithmen nach vorne geschoben, egal wie sehr sie der demokratischen Kultur oder der Förderung der Menschenwürde schaden.
Die Kirchen stecken „im dicksten Getümmel“ der Diskussionen über zukünftige Ereignisse, denn einige Menschen betrachten die Digitalisierung als Erfüllung einer biblischen Vorhersehung.
„Sicher kann man spüren, dass ein bisschen vom Heiligen Geist durch die neuen Möglichkeiten der digitalen Welt und ihres nicht-hierarchischen Kommunikationsmodells weht, da hier jeder zu jedem spricht“, sagte Bedford-Strohm.
Er erzählte vom scheinbaren „Wunder der Verständigung“, als er vor einigen Jahren mit Studierenden am Ökumenischen Institut in Bossey zusammensaß. Eine junge Frau aus Georgien zeigte ihm ihre Übersetzungs-App, die, das was sie auf Georgisch sagte, simultan in deutscher Sprache ausgab.
„Und doch besteht ein Unterschied zwischen dem pfingstlichen Sprachwunder und diesem digitalen Sprachwunder. Die Algorithmen, die so vieles in der digitalen Welt beherrschen, sind nicht von Gott geschaffen, sondern vom Menschen“, erklärte Bedford-Strohm.
„Was auf dem digitalen Schauplatz auftaucht, kommt nicht wie das Schicksal aus dem Nichts – es wird gelenkt und kontrolliert. Die Verantwortlichen einer solchen Wendung haben eine Telefonnummer und ein E-Mail-Konto.
Daher muss das, was in und mit der digitalen Welt geschieht, dem bewussten menschlichen Handeln unterstellt werden – hoffentlich unter Anleitung durch den Geist Gottes, aber dennoch als Ergebnis menschlichen Handelns.“
Er sagte, Christinnen und Christen sollten online sein, wenn es dabei helfe, die Welt hin zur Versöhnung und Einigkeit zu führen.
„Dabei dient die digitale Präsenz jedoch nicht dem Selbstzweck, sondern stellt ein Hilfsmittel dar. Wir sagen nicht: ‚Ich bin online, also bin ich‘. Sondern: ‚Ich bin in Christus, also bin ich‘. Genauer gesagt – und in Anerkennung unserer Relationalität: ‚Wir sind in Christus, also sind wir‘.“
„Die neue Realität ist nicht so neu“
Dr. Erin Green, eine kanadobelgische Forscherin und Aktivistin, die auf dem Gebiet „Künstliche Intelligenz (KI), Demokratie und Militarisierung digitaler Technologien“ arbeitet, griff Dr. Bedford-Strohm Rede auf und sagte, in ihren Studien zur KI habe es sie „immer wieder überrascht, dass diese gar nicht neu ist."
„Wenn wir uns den Fragen zur digitalen Gerechtigkeit zuwenden, finden wir in der christlichen Tradition eine unglaubliche Tiefe an Verständnis für ethnische Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, ökologische und wirtschaftliche Gerechtigkeit und für so vieles mehr, dass wir diese ganz leicht auch bei digitalen Themen zur Anwendung bringen können“, sagte Green.
„Statt zu befürchten, dass wir nicht genug über das Digitale wissen, um uns als Sachkundige in die Diskussion einzubringen, sollten wir lieber unser Verständnis von Sachkenntnis neu formulieren und zuversichtlich in dem Wissen vorgehen, dass wir eine unglaubliche Fülle zu bieten haben, wenn es darum geht, was es heißt, Mensch zu sein und gerecht im Gewebe der Schöpfung zu leben.“
In einer weiteren Reaktion sagte Dr. Sarah Macharia, Medien- und Geschlechtergerechtigkeitsbeauftragte des WACC: „So, wie sich die zunehmende Digitalisierung derzeit abspielt, sind Mädchen und Frauen vermehrt sexualisierter Belästigung, Stalking, Trollen und Online-Hass ausgesetzt, die allesamt aus der virtuellen Welt in die reale Welt, in der wir leben, überschwappen können."
Internationales Symposium „Kommunikation für soziale Gerechtigkeit im digitalen Zeitalter“