Image
© Peter Williams/ÖRK

© Peter Williams/ÖRK

Während eines zweitägigen Dialogs zwischen dem Muslimischen Ältestenrat und dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf (Schweiz) ging es am 30. September und 1. Oktober um die Rolle der Religionen in der Friedensförderung und der Bekämpfung von Gewalt. Zwei Gesprächsrunden, bei denen der ÖRK als Gastgeber fungierte, umfassten Präsentationen und Diskussionen zu wesentlichen Aspekten der Friedensarbeit und des interreligiösen Dialogs mit besonderem Augenmerk auf der Bekämpfung eines religiösen Extremismus, der an vielen Orten der Welt zu Gewalt führt.

Der Dialog begann mit Präsentationen der Vorsitzenden des ÖRK-Zentralausschusses, Dr. Agnes Abuom, und des ÖRK-Generalsekretärs, Pastor Dr. Olav Fykse Tveit.

Religiöse Führungspersonen, egal ob Christen oder Muslime, müssten in Zukunft mutiger sein als bisher, sagte Abuom. Sie bemerkte: „Auch wenn religiöse Führungspersonen Anschläge auf die jeweils andere Religion nicht direkt befürworten, gibt es Fälle, in denen sie mehr oder weniger stillschweigend gutheißen, was ihre Anhänger sagen und tun.“

Es sei im Buch Genesis klar festgelegt, dass Mord und menschliches Blutvergießen verboten seien, weil Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen seien, so Tveit. „Dass diese Worte ganz am Anfang unserer Heiligen Schrift stehen, zeigt, wie grundlegend es ist, dass Religion nie dafür verwendet werden darf, Gewalt zu legitimieren“, sagte er. Es habe zahlreiche Beispiele dafür gegeben, wie Gläubige beider Religionen versucht haben, für gewalttätiges Handeln religiöse Motive anzuführen. „Aber wenn religiöse Menschen ehrlich darüber sprechen können, auf welche Art Religion als Legitimation für Gewalt verwendet wurde, können wir auch Möglichkeiten finden, dass Religion Teil der Lösung wird“, sagte er.

Die Teilnehmenden vom ÖRK und der Al-Azhar-Universität, darunter Großimam Prof. Dr. Ahmad al-Tayyeb, arbeiten seit 2015 zusammen, als ECHOS, eine Kommission für die Jugend in der ökumenischen Bewegung, vom 8. bis 13. Mai in Kairo (Ägypten) tagte. Als Einleitung zu seiner Präsentation auf der Tagung in Genf letzte Woche stellte Al-Tayyeb fest, dass die heutige Welt von Egoismus, Hass und Konflikt geprägt sei. Es sei äußerst traurig, dass die Religionen für diesen furchtbaren Terrorismus verantwortlich gemacht würden, sagte Al-Tayyeb, der Vorsitzender des Muslimischen Ältestenrates ist.

„Vielleicht sind sich die Urheber dieser Anklage zwei wichtiger Aspekte nicht bewusst: Erstens hat Religion Frieden zwischen Völkern begründet, die Ungerechtigkeit der Unterdrückten hinweg genommen und die Heiligkeit menschlichen Blutes betont. Zweitens macht der Terrorismus – der den Religionen, hauptsächlich dem Islam, die Schuld zuschiebt – bei der Ausübung seiner Taten keine Unterschiede. Es wird nicht zwischen religiösen Menschen und Atheisten, oder zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen unterschieden. Wenn man sich einmal die Opfer des Terrorismus ansieht, stellt man schnell fest, dass die Muslime selbst mit ihrem Blut einen hohen Preis für diesen Terrorismus zahlen.“

Es sei nicht länger ausreichend, als Geistlicher Gewalt, Terrorismus und Hassreden zu verurteilen, sagte Al-Tayyeb. „Das ist, als würde man auf verschiedenen Inseln operieren, was zu schwachen Zielen führt und keinerlei konkrete und messbare Auswirkungen bringt. Aber eine gemeinsame Aktion muss koordiniert erfolgen, um das Phänomen der Gewalt zu konfrontieren, seine Ursachen zu erforschen und Lösungen zu finden, um es intellektuell, wissenschaftlich, gesellschaftlich und durch Bildung zu bekämpfen.“

Es müssten gemeinschaftliche Anstrengungen unternommen werden, um ein gemeinsames Problem zu lösen, sagte Bischof Angaelos, Generalbischof der Koptischen Orthodoxen Kirche in Großbritannien. „Die Entwicklungen der letzen Jahre sind zu schwerwiegend, als dass irgend ein Einzelner, eine Kirche, Religion oder sogar ein Land sie allein lösen könnte“, meinte er. „Es muss eine neue Art von Dialog geben, die das Narrativ der Hilflosigkeit und des Konflikts zu einem der Hoffnung und der Verheißung ändert. Dieser neue Dialog darf nicht auf Toleranz fußen. Stattdessen sollten wir nach Akzeptanz streben.“

In der Welt von heute könne man keine klare Trennlinie zwischen Ost und West ziehen, es gäbe zahlreiche christliche Minderheiten im Osten und viele muslimische Minderheiten im Westen. „Als Religionsführer müssen wir das Narrativ ändern, das den Nahen Osten als Konfliktort darstellt“, sagte Angaelos. „Fakt ist, dass der Nahe Osten unzweifelhaft ein Ort der Religion und des Glaubens ist. Religion darf nicht als Feind, sondern sollte als Verbündeter für Staat und Zivilgesellschaft betrachtet werden. Wir können nicht weiterhin als Problem angesehen werden; stattdessen müssen wir rechtmäßig als Lösung anerkannt werden.“

Wir würden für die Taten religiöser Extremisten verantwortlich gemacht, weil wir alle Gläubige seien, so Angaelos. „Die starke säkulare Lobby in der ganzen Welt zeigt jetzt auf uns und sagt uns, dass Religion das Problem sei. Das ist unser Kampf – und nicht der von irgendwem anders. Wenn wir schweigen, werden andere für uns sprechen.“

Während der Tagung referierte sich Prof. Quraish Shihab, ehemaliger Minister für religiöse Angelegenheiten in Indonesien und Mitglied des Muslimischen Ältestenrates, über verschiedene Definitionen von Extremismus. „Die Unfähigkeit, einen anderen Glauben als unseren eigenen oder den unserer Gemeinschaft zu respektieren, solange dieser friedlich ist, bzw. die Ignoranz eines solchen Glaubens, ist ein Indikator für Isolation, Radikalismus und Extremismus“, so Shihab.

Pastor Dr. Martin Junge, Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, sagte auf der Tagung, die Rolle von religiösen Führungspersonen heute sei es, sich prophetisch gegen Botschaften, Einstellungen und Taten zu wenden, die Gottes Plan des Friedens für die gesamte Menschheit widersprächen. Laut Junge ist Bildung eines der wesentlichen Handlungsfelder, auf denen etwas bewirkt werden könne. „Wir sind dafür verantwortlich, den religiösen Führungspersonen in unseren Gemeinschaften ein Bewusstsein für das Thema Extremismus und eine Anleitung an die Hand zu geben, wie man sich dagegen schützen kann. Ich bin insbesondere ein Verfechter davon, dass wir mutig genug sind, in unseren eigenen heiligen Schriften die Stellen und Bezüge zu identifizieren, die zur Legitimierung von Gewalt aufgrund von religiösen Überzeugungen verwendet wurden.“

Im interreligiösen Dialog werde zu häufig die Friedensbotschaft der jeweils eigenen Tradition betont und verschwiegen, dass es auch diese anderen Texte gebe, die so ausgelegt werden könnten, dass sie Gewalt befürworten oder dazu anstiften, so Junge. „Was machen wir mit solchen Texten? Was sagen wir unseren Predigerinnen und Predigern, wie sie mit diesen Stellen umgehen sollen? Wir können den religiösen Extremismus nicht bekämpfen, ohne unseren Führungspersonen Hilfestellung zu geben, wie sie diese Texte erklären und auslegen sollen.“

Prof. Dr. Mahmoud Hamdi Zaqzouq erklärte den Teilnehmenden zusammengefasst das islamische Konzept des Friedens, das sich in drei Kreise gliedere, von denen jeweils einer zum anderen führe. Zunächst gebe es den persönlichen Frieden, den jeder von uns für sich selbst anstrebe. Zweitens den Frieden mit Gott, der in unseren religiösen Überzeugungen zum Ausdruck komme. Drittens den Frieden mit anderen und der Welt um uns herum. „Gott sagt im Koran, dass Er selbst der Frieden ist, und das arabische Wort für Islam leitet sich vom Wort mit derselben Bedeutung ab – Frieden“, sagte Zaqzouq.

Wir seien vielleicht der Ansicht, dass die Konflikte der heutigen Welt uns nichts angingen, weil wir weit weg von ihnen lebten – das stimme aber nicht, sagte Metropolit Prof. Dr. Gennadios von Sassima, stellvertretender Vorsitzender des ÖRK-Zentralausschusses. „Aber trotz dieser polarisierenden Tendenzen will Gott, dass wir uns dazwischen stellen und Frieden stiften. Tatsächlich bietet uns diese Situation die Möglichkeit, die gute Nachricht des Friedens zu verkünden, wie es bei Jesaja steht: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen...” (Jes 52,7).

Vollständiger Text des gemeinsamen Kommuniqués vom 1. Oktober 2016

Fotos von der Tagung in hoher Auflösung zum Download

Kairoer Großimam besucht ÖRK (ÖRK-Pressemitteilung vom 1. Oktober 2016)

Gemeinsames christlich-muslimisches Kommuniqué zu Extremismus, Dialog und Frieden (ÖRK-Pressemitteilung vom 1. Oktober 2016)

Fruchtbarer Dialog zwischen ÖRK und Muslimischem Ältestenrat (ÖRK-Pressemitteilung vom 30. September 2016)