Kirchen für Frieden und Versöhnung

Das vorliegende Dokument möchte die Erfahrungen, die Dynamik und die Ergebnisse der ersten Hälfte der Dekade vermitteln und gleichzeitig daran erinnern, dass die Dekade weitergeht. Das Papier wurde im September 2005 dem Exekutivausschuss vorgelegt, der seinen Inhalt bestätigt hat unter der Voraussetzung, dass das Dokument den Delegierten im Kontext der Plenarsitzung zur Dekade zur Überwindung von Gewalt als ein Aufruf zur Neuverpflichtung der Kirchen ausgehändigt wird.

"Nichts zeichnet einen Christen so sehr aus als dies: Friedensstifter zu sein."
(Basilius der Große)

Fünf Jahre sind vergangen, seit der Ökumenische Rat der Kirchen die Dekade zur Überwindung von Gewalt eröffnet hat. Die Vollversammlung in Porto Alegre findet zur Halbzeit der Dekade statt und bietet eine Gelegenheit, zu feiern, was erreicht worden ist, Erfahrungen auszutauschen, eine Zwischenbilanz zu ziehen und die Leitlinien für den zweiten Fünfjahreszeitraum neu festzusetzen.

Die Ziele, Gewalt zu überwinden und eine Friedenskultur aufzubauen, bedeuten geistliche, theologische und praktische Herausforderungen für unsere Kirchen, die uns in unserem Wesenskern als Kirche berühren. Die Diskussion über das gesamte Spektrum von Geist und Logik der Gewalt hat begonnen, aber der eingeschlagene Kurs erfordert Hartnäckigkeit und Ausdauer.

Es ist ermutigend, dass der Impuls der Dekade in einer stetig wachsenden Zahl von Kirchen und Regionen aufgenommen wurde. Verbindungen ökumenischer Solidarität auf dem Weg zu Versöhnung und Frieden sind aufgebaut und gestärkt worden: auf der ganzen Welt sind neue Initiativen ins Leben gerufen worden, neue Bündnisse in der Friedensarbeit sind entstanden, eine neue theologische Diskussion hat eingesetzt und immer mehr Christen entdecken die Spiritualität der Gewaltlosigkeit neu.

Der interreligiöse Dialog über die verdeckten Verbindungen zwischen Religion und Gewalt ist zu einem der Schwerpunkte der Dekade geworden. Dies gilt insbesondere für den Dialog zwischen Christen und Muslimen. Das durch geduldigen Dialog und praktische Zusammenarbeit zum Wohl aller aufgebaute Vertrauen kann verhindern, dass Religion als Waffe eingesetzt wird.

In der ersten Hälfte der Dekade wurden wir mit brutalen terroristischen Anschlägen konfrontiert, die zu Kriegen in Afghanistan und im Irak geführt haben. Geist, Logik und Ausübung von Gewalt zeigten sich einmal mehr in unerwartetem Ausmaß. Die massive Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen im Kontext des sogenannten "Kampfes gegen den Terror" haben zu einer deutlichen Verbreitung von Waffen und insgesamt zu einer wachsenden Militarisierung der Welt geführt. Auch wenn wir die ethischen Anforderungungen, die sich aus der Verantwortung für den Schutz derer ergeben, die sich nicht selbst schützen können, allmählich deutlicher erkennen, sind und bleiben wir doch überzeugt davon, dass der internationale Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln besiegt werden kann. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass immer mehr Menschen der Gewalt zum Opfer fallen in zivilen und lokalen Konflikten, die mit leichten Waffen und Kleinwaffen geführt werden. Dies bleibt eine große Herausforderung für die Kirchen insgesamt.

Die Sorge um Sicherheit ist zum beherrschenden Motiv für individuelle wie auch für gesellschaftliche und politische Entscheidungen geworden. "Menschliche Sicherheit" setzt gerechte Beziehungen in einer Gemeinschaft voraus. Wir müssen feststellen, dass Sicherheit zunehmend durch die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung bedroht wird. Daher sind die Bemühungen um eine "alternative Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde" als entscheidender Beitrag zur Fortführung der Dekade anzusehen.

Die Achtung der Menschenwürde, die Sorge um das Wohl des Nächsten und die aktive Förderung des Gemeinwohls sind Gebote des Evangeliums Jesu Christi. Mann und Frau sind beide nach dem Bild Gottes geschaffen und gerecht durch seine Gnade. Daher sind Menschenrechte die grundlegenden Elemente der Prävention von Gewalt auf allen Ebenen - der individuellen, der zwischenmenschlichen wie der gemeinschaftlichen -, insbesondere in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und Kinder. Dies muss das Bestreben einschließen, Rechtsstaatlichkeit überall herzustellen und zu entwickeln. Wir müssen das Verständnis der "wiederherstellenden" oder "transformativen" Gerechtigkeit weiter fördern mit dem Ziel, funktionierende gerechte Beziehungen in den Gemeinschaften aufzubauen.

Ein Verzicht auf jegliche theologische und ethische Rechtfertigung von Gewalt setzt eine Geisteshaltung voraus, die ihre Stärke aus der Spiritualität und aus einer Nachfolge der aktiven Gewaltlosigkeit bezieht. Wir haben uns selbst zu einer eingehenden gemeinsamen ethisch-theologischen Reflexion und zu einem Eintreten für gewaltfreie Konfliktprävention, ziviles Konfliktmanagement und Friedenssicherung verpflichtet. Die Praxis der Gewaltlosigkeit muss in einer Spiritualität verwurzelt sein, die sich der eigenen Verwundbarkeit bewusst ist; die die Machtlosen ermutigt und ermächtigt, sich denen, die ihre Macht missbrauchen, zu widersetzen; und die auf die aktive Gegenwart der Macht Gottes in menschlichen Konflikten vertraut und daher den scheinbaren Mangel an Alternativen in Situationen der Gewalt überwindet.

In der zweiten Hälfte der Dekade werden wir unsere Bemühungen verstärken, diese Bündnisse und Verbindungen zwischen Kirchen, Netzwerken und Bewegungen zu stärken und effektiver zu gestalten. Wir werden gemeinsame Projekte unterstützen und koordinieren, Projekte, die den Aufbau von Strukturen, Instrumenten und Gemeinschaften des gewaltfreien zivilen Konfliktmanagements zum Ziel haben. Der von der Dekade ermöglichte "ökumenische Raum" muss gestaltet werden durch Begegnungen, auch mit staatlichen und Nichtregierungsorganisationen.

Unser Ziel bleibt es, das Streben nach Versöhnung und Frieden "vom Rand in das Zentrum des Lebens und des Zeugnisses der Kirchen" zu rücken. Frieden zu schaffen ohne Gewalt, ist eine christliche Kerntugend und ein Gebot der Botschaft des Evangeliums. Wir sind entschlossen, zu werden, wozu wir berufen sind, nämlich "Botschafter der Versöhnung" (2 Kor 5) zu sein. Dies ist der Heilungsauftrag und dazu gehört es auch, diejenigen, die keine Stimme haben, verantwortlich zu begleiten und den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Wir wenden uns gegen jeden Versuch, Gewalt und Angst als Instrumente der Politik einzusetzen.

Die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen ist ein kraftvoller Ausdruck der Überzeugung, dass die Gemeinschaft aller Heiligen, die ein Geschenk Gottes und in Gottes dreieinigem Leben verwurzelt ist, die stets zu Teufelskreisen der Gewalt führende Kultur der Feindschaft und Ausgrenzung überwinden kann. Sie ist selbst zu einem Sinnbild für die Möglichkeiten eines versöhnten Miteinanders unter Anerkennung der nach wie vor bestehenden Unterschiede geworden. Wenn diese Gemeinschaft für eine Versöhnung aller Menschen eintritt, die auf der ganzen Welt unter Gewalt leiden, und aktive, gewaltfreie Wege der Konfliktlösung anbietet, werden wir in der Tat zu einem glaubwürdigen Zeugnis der Hoffnung, die in uns wohnt, und werden eine Kultur des Friedens und der Versöhnung der gesamten Schöpfung aufbauen.

Es ist müßig zu sagen, dass die liebende Freundlichkeit Christi untrennbar mit dem Frieden verbunden ist. Daher müssen wir lernen, von dem Unfrieden mit uns selbst, gegeneinander oder gegen die Engel abzulassen und statt dessen gemeinsam mit eben diesen Engeln für die Erfüllung von Gottes Willen zu arbeiten, in Einklang mit der Vorsehung Jesu, der alles in allen erwirkt und Frieden schafft, einen unbeschreiblichen und von der Ewigkeit vorherbestimmten Frieden, und der uns mit Ihm selbst, und durch Ihn mit dem Vater versöhnt. Über diese übernatürlichen Gaben ist bereits genug gesagt und durch das heilige Zeugnis der Schriften bestätigt worden.
(Dionysius der Areopagit)

Wir beten: In deiner Gnade, Gott, verwandle uns, verwandle die Welt.