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Im Nachgang zum Studienprozess über alternative Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde (AGAPE), der mit dem auf der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Porto Alegre 2006 vorgelegten AGAPE-Aufruf endete, rief der ÖRK ein Programm ins Leben, dessen Schwerpunkt darauf lag, die Armut abzuschaffen, der Anhäufung von Reichtum den Kampf anzusagen und die Integrität der Umwelt zu erhalten, und das auf dem Verständnis  basierte, dass Armut, Reichtum und Umwelt (Poverty, Wealth and Ecology - PWE) eng miteinander verwoben sind. Das PWE-Programm nahm einen kontinuierlichen Dialog auf mit religiösen, wirtschaftlichen und politischen Akteuren. Zu den Teilnehmenden gehörten ökumenische Führungspersönlichkeiten, Vertreter und leitende Persönlichkeiten aus den Kirchen weltweit, interreligiöse Partner, politische Führungskräfte und soziale Einrichtungen aus einer Vielzahl von Regionen und Nationen der Welt. Regionale Studienprozesse und Konsultationen fanden statt in Afrika (Daressalam) 2007, in Lateinamerika und der Karibik (Guatemala Stadt) 2008, in Asien und im Pazifik (Chiang Mai) 2009, in Europa (Budapest) 2010 und in Nordamerika (Calgary) 2011. Das Programm gipfelte in einem globalen Forum und einer AGAPE-Feier in Bogor, Indonesien, 2012. Der nachfolgende Aufruf zum Handeln ist das Ergebnis eines sechsjährigen Konsultations- und regionalen Studienprozesses, der die Themen Armut, Reichtum und Umwelt miteinander verband.

Präambel

1. Dieser Aufruf zum Handeln fällt in eine äußerst schwere Zeit. Die Menschen und die Erde sind in Gefahr durch den übermäßigen Konsum einiger, durch zunehmende Ungerechtigkeit, wie wir sie in der anhaltenden Armut vieler im Kontrast zum extravaganten Reichtum einiger weniger erleben, und durch miteinander verflochtene globale Finanz-, sozioökonomische, Umwelt- und Klimakrisen. Im Verlauf des Dialogs vertraten wir Teilnehmer an den Konsultationen und regionalen Studienprozessen unterschiedliche, zum Teil gar gegensätzliche Perspektiven. Wir gelangten auch zu der gemeinsamen Erkenntnis, dass das Leben in der globalen Gemeinschaft, wie wir es heute kennen, enden wird, wenn es uns nicht gelingt, uns den Sünden des Egoismus, der herzlosen Geringschätzung und der Habgier zu widersetzen, die diesen Krisen zugrunde liegen. So ist es mit einem Gefühl großer Dringlichkeit, dass wir diesen Dialog den Kirchen als einen Aufruf zum Handeln unterbreiten. Diese Dringlichkeit erwächst aus unserer tiefen Hoffnung und unserem tiefen Glauben: eine Ökonomie des Lebens ist nicht nur möglich, sie ist im Entstehen – und Gottes Gerechtigkeit ist ihre eigentliche Grundlage!

Theologische und geistliche Bekräftigungen des Lebens

2. Der Glaube, dass Gott die Menschen als Teil eines größeren Lebensgewebes geschaffen und die Güte der ganzen Schöpfung bekräftigt hat (1.Mose), ist die Grundlage des biblischen Glaubens. Die ganze Gemeinschaft lebender Organismen, die wächst und gedeiht, ist Ausdruck von Gottes Willen und arbeitet zusammen, um aus dem Land Leben zu beziehen und ihm Leben zu geben, eine Generation mit der nächsten zu verbinden und die Fülle und Vielfalt von Gottes Haushalt (oikos) zu erhalten. Die Ökonomie in Gottes Haushalt ergibt sich aus Gottes gnädiger Gabe des Lebens in seiner ganzen Fülle für alle (Johannes 10,10). Wir lassen uns inspirieren vom Bild der indigenen Völker, dass „Land Leben ist“ (Macliing Dulag), in dem erkannt wird, dass das Leben der Menschen und das Land in gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verwoben sind. So bringen wir unseren Glauben zum Ausdruck, dass „das Leben der Schöpfung und das göttliche Leben miteinander verflochten sind“ (Kommission für Weltmission und Evangelisation) und dass Gott über alles und in allem sein wird (1.Korinther 15,28).

3. Christliche und viele andere Ausdrucksformen der Spiritualität lehren uns, dass das „gute Leben“ nicht im konkurrierenden Streben nach Besitz, in der Anhäufung von Reichtum, in Festungen und in Waffenarsenalen liegt, um unsere Sicherheit zu gewährleisten, noch im Einsatz unserer eigenen Macht gegenüber den anderen (Jakobus 3,13-18). Wir bekräftigen das „gute Leben“ (Sumak Kausay in der Kichua-Sprache und das Konzept Waniambi a Tobati Engros aus Westpapua) in Gestalt der Gemeinschaft der Dreieinigkeit in Gegenseitigkeit, geteilter Partnerschaft, Wechselseitigkeit, Gerechtigkeit und liebender Güte.

4. Das Seufzen der Schöpfung und die Schreie der Menschen in Armut (Jeremia 14,2-7) führen uns vor Augen, wie sehr unser gegenwärtiger gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und ökologischer Notstand Gottes Vision vom Leben in seiner Fülle zuwiderläuft. Viele von uns lassen sich allzu leicht zu der Annahme verleiten, menschliche Wünsche stünden im Zentrum von Gottes Universum. Wir errichten Trennungslinien, Schranken und Grenzen, um uns von unserem Nachbarn, der Natur und Gottes Gerechtigkeit zu distanzieren. Gemeinschaften werden aufgespalten und Beziehungen zerbrochen. Unsere Habgier und unsere Selbstbezogenheit gefährden sowohl die Menschen wie auch den Planeten Erde.

5. Wir sind aufgerufen, uns von Werken abzuwenden, die den Tod bringen, und uns in ein neues Leben verwandeln zu lassen (metanoia). Jesus ruft uns Menschen auf, für unsere Sünden der Habgier und des Egoismus Buße zu tun, unsere Beziehungen zu den anderen und zur Schöpfung zu erneuern, das Bild Gottes wiederherzustellen und ein neues Leben zu beginnen als Partner von Gottes lebensbejahender Mission. Wir hören den Ruf der Propheten neu von den und durch die Menschen, die von unserem derzeitigen Wirtschaftssystem in die Armut getrieben werden und am meisten unter dem Klimawandel leiden: Übt Gerechtigkeit und lasst eine neue Erde entstehen!

6. Unsere Vorstellung von Gerechtigkeit wurzelt in der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, der die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieb (Matthäus 21,12), die Schwachen stark und die Starken schwach machte (1.Korinther 1,25-28) und die Definition von Armut und Reichtum in einem neuen Licht erscheinen ließ (2.Korinther 8,9). Jesus identifizierte sich mit den an den Rand Gedrängten und Ausgeschlossenen, nicht nur aus Mitleid, sondern weil ihr Leben von der Sündhaftigkeit der Systeme und Strukturen zeugte. Unser Glaube verlangt von uns, nach Gerechtigkeit zu trachten, Zeugnis abzulegen von der Gegenwart Gottes und teilzuhaben am Leben und an den Kämpfen jener Menschen, die von Strukturen und Kulturen schwach und verwundbar gemacht werden – Frauen, Kinder, Menschen in Armut in der Stadt und auf dem Land, indigene Völker, rassisch unterdrückte Gemeinschaften, Menschen mit Behinderungen, Dalits, Zwangsmigranten, Flüchtlinge und religiöse ethnische Minderheiten. Jesus sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40).

7. Wir müssen eine „verwandelnde Spiritualität“ verkörpern (Kommission für Weltmission und Evangelisation), die uns wieder mit den anderen verbindet (Ubuntu und Sansaeng), die uns motiviert, dem Gemeinwohl zu dienen, die uns ermutigt, uns gegen jegliche Form der Ausgrenzung zu wenden, die die Erlösung der ganzen Erde anstrebt, die den lebenzerstörenden Werten widersteht und uns inspiriert, neue Alternativen zu entdecken. Diese Spiritualität macht es möglich, die Gnade zu entdecken, die darin besteht, sich mit genug zufrieden zu geben und mit all jenen zu teilen, die in Not sind (Apostelgeschichte 4,35).

8. Die Kirchen müssen aufgefordert werden, sich heute an Christi Ruf zu erinnern, ihn zu hören und zu beherzigen: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15). Wir sind aufgerufen, uns verwandeln zu lassen, Gottes Werke des Heilens und der Versöhnung fortzuführen und „das zu sein, wozu wir gesandt wurden – Volk Gottes und eine Gemeinschaft in der Welt“ (Armut, Reichtum und Umwelt in Afrika). So ist die Kirche Gottes Vermittler der Verwandlung. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Jüngern Jesu Christi, der das Leben in seiner ganzen Fülle für alle bekräftigt, gegen jegliche Negation des Lebens.

Verflochtene und akute Krisen

9. Unsere ganze derzeitige globale Realität ist so voll von Tod und Zerstörung, dass wir keine nennenswerte Zukunft haben werden, wenn das vorherrschende Entwicklungsmodell nicht radikal umgewandelt wird und Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zur treibenden Kraft für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Erde werden. Die Zeit läuft uns davon.

10. Wir erkennen die fatale Verflechtung der globalen finanziellen, sozioökonomischen, klimatischen und ökologischen Krisen, die an vielen Orten auf der Welt einhergehen mit dem Leiden der Menschen und ihrem Kampf ums Leben. Die weitreichende Marktliberalisierung, Deregulierung und uneingeschränkte Privatisierung von Gütern und Dienstleistungen beuten die gesamte Schöpfung aus, zerstören soziale Programme und Dienste und eröffnen Wirtschaftsmärkten über Grenzen hinweg ein scheinbar grenzenloses Produktionswachstum. Unkontrollierte Finanzströme destabilisieren die Wirtschaft in einer wachsenden Zahl von Ländern weltweit. Die verschiedenen Aspekte der Klima-, Umwelt-, Finanz- und Schuldenkrisen sind gegenseitig voneinander abhängig und verstärken einander. Man kann nicht länger separat mit ihnen umgehen.

11. Der Klimawandel und die Bedrohungen für die Integrität der Schöpfung sind zur großen Herausforderung der vielschichtigen Krisen geworden, mit denen wir konfrontiert sind. Der Klimawandel wirkt sich direkt auf die Lebensumstände der Menschen aus, gefährdet kleine Inselstaaten in ihrer Existenz, reduziert die Verfügbarkeit von Frischwasser und vermindert die Biodiversität der Erde. Er hat weitreichende Auswirkungen auf die Nahrungsmittelsicherheit, die Gesundheit der Menschen und die Lebensgewohnheiten eines immer größeren Teils der Bevölkerung. Durch den Klimawandel kann sich das Leben in seinen vielen Formen, wie wir es kennen, im Laufe von wenigen Jahrzehnten unwiderruflich verändern. Der Klimawandel führt zur Vertreibung der Menschen, zu einer zunehmenden, vom Klima erzwungenen Migration und zu bewaffneten Konflikten. Noch nie dagewesene Herausforderungen des Klimawandels gehen Hand in Hand mit der unkontrollierten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und führen zur Zerstörung der Erde und zu einer substantiellen Veränderung des Habitats. Klimaerwärmung und Umweltzerstörung werden immer mehr zu einer Frage von Leben und Tod.

12. Unsere Welt war nie wohlhabender und gleichzeitig ungerechter als heute. Die Ungerechtigkeit hat ein Niveau erreicht, das wir nicht länger außer Acht lassen können. Die Aufschreie der Menschen, die in die Armut und in erdrückende Schulden getrieben, ausgegrenzt und vertrieben wurden, sind akuter und vernehmlicher denn je. Die Weltgemeinschaft muss erkennen, dass wir alle uns zusammentun und Gerechtigkeit üben müssen angesichts der beispiellosen und katastrophalen Ungerechtigkeiten bei der Verteilung des Reichtums.

13. Habgier und Ungerechtigkeit, das Streben nach schnellem Profit, ungerechte Privilegien und kurzfristige Vorteile auf Kosten langfristiger und nachhaltiger Ziele sind die Grundursachen der verflochtenen Krisen und sind nicht zu übersehen. Diese lebenzerstörenden Werte haben sich langsam eingeschlichen, dominieren nun die heutigen Strukturen und führen zu einem Lebensstil, der die Grenzen der Erneuerbarkeit der Erde und die Rechte der Menschen und anderer Lebensformen grundsätzlich geringschätzt. Die Krise hat deshalb tiefe moralische und existenzielle Dimensionen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind nicht in erster Linie technologischer und finanzieller, sondern ethischer und geistlicher Art.

14. Der Marktfundamentalismus ist mehr als ein Wirtschaftsmodell, er ist eine gesellschaftliche und moralische Philosophie. In den letzten dreißig Jahren hat die Marktgläubigkeit auf der Grundlage ungezügelten Wettbewerbs und ausgedrückt durch das Kalkulieren und Monetisieren aller Aspekte des Lebens die Bereiche Wissen, Wissenschaft, Technologie, öffentliche Meinung, Medien und sogar Bildung erfasst und deren Richtung bestimmt. Dieser vorherrschende Ansatz hat vor allem denen Reichtum zugeschanzt, die bereits reich sind, und es den Menschen erlaubt, die natürlichen Ressourcen der Welt weit über die Grenzen hinaus zu plündern, um ihren eigenen Reichtum zu vergrößern. Dem neoliberalen Paradigma fehlen die selbstregulierenden Mechanismen, um mit dem von ihm geschaffenen Chaos umzugehen, mit weitreichenden Folgen, vor allem für die Verarmten und Ausgegrenzten.

15. Diese Ideologie durchdringt alle Bereiche des Lebens und zerstört es von innen wie von außen, indem sie in das Leben von Familien und lokalen Gemeinschaften eindringt, in der natürlichen Umwelt und in traditionellen Lebensformen und Kulturen ein Chaos anrichtet und die Zukunft der Erde zunichte macht. Auf diese Weise droht das vorherrschende globale Wirtschaftssystem sowohl den Bedingungen für eine friedliche Koexistenz als auch dem Leben, wie wir es kennen, ein Ende zu setzen.

16. Der einseitige Glaube, dass sich aus dem Wirtschaftswachstum (BIP) automatisch ein gesellschaftlicher Nutzen ergibt, ist irregeleitet. Uneingeschränktes Wirtschaftswachstum erstickt das Gedeihen unseres natürlichen Habitats: Klimawandel, Entwaldung, Versauerung der Meere, Verlust der Biodiversität, usw. Die politische und wirtschaftliche Elite hat das ökologische Gemeingut entwertet und sich durch den Einsatz militärischer Macht zu Eigen gemacht. Übermäßiger Konsum auf der Grundlage der Kosten ungedeckter Schulden mit der daraus resultierenden massiven gesellschaftlichen und ökologischen Verschuldung, seitens der entwickelten Länder im globalen Norden gegenüber dem globalen Süden, sowie der Verschuldung gegenüber der Erde ist ungerecht und schafft einen enormen Druck für zukünftige Generationen. Die Vorstellung, dass dem Herrn die Erde gehört und was sie erfüllt (Psalm 24,1; 1.Korinther 10,26), wurde fallengelassen.

Quellen der Gerechtigkeit

17. Wir bekennen, dass Kirchen und Kirchenglieder Mitschuld an dem ungerechten System tragen, insofern sie an unhaltbaren Lebensweisen und Konsumgewohnheiten teilhaben und in der Ökonomie der Gier verstrickt bleiben. Es gibt Kirchen, die weiterhin eine Theologie des Wohlstands, der Selbstgerechtigkeit, der Vorherrschaft, des Individualismus und der Annehmlichkeit predigen. Manche unterstützen eine Theologie der Wohltätigkeit statt der Gerechtigkeit für die Verarmten. Wieder andere stellen Systeme und Ideologien, die auf unbegrenztem Wachstum und auf unbegrenzter Anhäufung beruhen, nicht in Frage oder legitimieren sie sogar und lassen die Realität der Umweltzerstörung und das Leid der Opfer der Globalisierung außer Acht. Einige sind auf kurzfristige, messbare Ergebnisse ausgerichtet auf Kosten tiefgreifender qualitativer Veränderungen. Doch ist uns auch bewusst, dass, auch wenn viele ihr eigenes Produktions-, Konsum- und Investitionsverhalten nicht überprüfen und verändern, eine wachsende Zahl von Kirchen in allen Teilen der Welt größere Anstrengungen unternehmen und ihrem Glauben Ausdruck verleihen, dass Wandel möglich ist.

18. Unsere Hoffnung stammt letztlich aus Christi Auferstehung und seiner Verheißung des Lebens für alle. Wir sehen einen Beweis für diese Auferstehungshoffnung in den Kirchen und Bewegungen, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Sie sind das Licht und Salz der Erde. Wir sind höchst ermutigt von den zahlreichen Beispielen des Wandels innerhalb der Kirchenfamilie und in den wachsenden Bewegungen von Frauen, Menschen in Armut, jungen Menschen, Menschen mit Behinderungen und indigenen Völkern, die eine Ökonomie des Lebens aufbauen und sich für eine florierende Umwelt einsetzen.

19. Gläubige Menschen, Christen, Muslime und Führer der Ureinwohner auf den Philippinen, setzen ihr Leben dafür ein, die Verbindung zu dem Grund und Boden, zu dem sie gehören, aufrechtzuerhalten und weiterhin Kraft daraus zu schöpfen. Kirchen in Südamerika, Afrika und Asien führen Prüfungen der Auslandsverschuldung durch und fordern Bergbau- und Rohstoffunternehmen auf, Rechnung abzulegen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden. Kirchen in Lateinamerika und Europa tauschen ihre verschiedenen Erfahrungen mit der Globalisierung aus und lernen daraus und arbeiten an der Definition gemeinsamer, doch verschiedenartiger Zuständigkeiten, am Aufbau der Solidarität und an strategischen Allianzen. Christen definieren Indikatoren für die Habgier und führen Gespräche mit Buddhisten und Muslimen, die darauf ausgerichtet sind, gemeinsame Grundlagen im Kampf gegen die Habgier zu finden. Die Kirchen diskutieren zusammen mit der Zivilgesellschaft die Parameter für ein neues internationales Finanz- und Wirtschaftsgefüge, das eine lebenspendende Landwirtschaft fördert und ein solidarisches Wirtschaftswesen aufbaut.

20. Die Frauen arbeiten an feministischen Theologien, die den patriarchalen Systemen der Vorherrschaft den Kampf ansagen, sowie an einem feministischen Wirtschaftssystem, das die Wirtschaft in die Gesellschaft einbettet und die Gesellschaft in die Umwelt. Junge Menschen sind an vorderster Front in Kampagnen tätig, in denen es um ein einfaches Leben und einen alternativen Lebensstil geht. Die indigenen Völker verlangen eine ganzheitliche Entschädigung und die Anerkennung von Bodenrechten im Umgang mit gesellschaftlicher und ökologischer Schuld.

Engagement und Aufruf

21. Die 10. Vollversammlung des ÖRK findet zu einer Zeit statt, in der das pulsierende Leben von Gottes ganzer Schöpfung durch menschliches Tun zur Beschaffung von Reichtum ausgelöscht werden könnte. Gott ruft uns auf zu einem radikalen Wandel. Wandel wird es nicht ohne Opfer und Risiko geben; aber unser Glaube an Christus verlangt von uns, dass wir uns dafür engagieren, verwandelnde Kirchen und Gemeinden zu sein. Wir müssen den moralischen Mut nähren, den es braucht, um Zeugnis abzulegen von einer Spiritualität der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit und um eine prophetische Bewegung für eine Ökonomie des Lebens für alle aufzubauen. Dazu gehört, Menschen und Gemeinschaften zu mobilisieren, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen (Geld, Zeit und Kompetenzen) und besser verknüpfte und koordinierte Programme zu entwickeln mit dem Ziel, Wirtschaftssysteme, Produktion, Verteilung und Konsumgewohnheiten, Kulturen und Werte zu verändern.

22. Der Prozess der Verwandlung muss die Menschenrechte, die Menschenwürde und [die Verantwortlichkeit der Menschen für Gottes ganze Schöpfung] wahren. Über uns selbst und unsere nationalen Interessen hinaus tragen wir dafür Verantwortung, nachhaltige Strukturen zu schaffen, so dass auch zukünftige Generationen noch genug haben. Der Wandel muss jene einschließen, die am meisten unter systemischer Ausgrenzung leiden, nämlich Menschen in Armut, Frauen, indigene Völker und Menschen mit Behinderungen. Nichts, was ohne sie ist, ist für sie. Wir sind herausgefordert, Strukturen und Kulturen der Vorherrschaft und Selbstzerstörung, die das soziale und ökologische Gefüge des Lebens zerreißen, zu überwinden. Der Wandel muss unter dem Auftrag stehen, die ganze Schöpfung zu heilen und zu erneuern.

23. Wir rufen deshalb die 10. Vollversammlung in Busan auf, sich zu verpflichten, die Rolle des ÖRK zu stärken, indem er die Kirchen zusammenruft, mithilft, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen, die ökumenische Zusammenarbeit fördert und eine größere Kohärenz sicherstellt bei der Verwirklichung einer Ökonomie des Lebens für alle. Vor allem die entscheidend wichtige Arbeit am Aufbau eines neuen internationalen Finanz- und Wirtschaftsgefüges (ÖRK-Erklärung zu einem gerechten Finanzsystem und einer Wirtschaft, die dem Leben dient) im Blick darauf, die Anhäufung von Reichtum und die systemische Habgier herauszufordern und Maßnahmen gegen die Habgier zu fördern (Bericht der Studiengruppe über die Habgiergrenze), ökologische Schuld wiedergutzumachen und ökologische Gerechtigkeit zu fördern (Erklärung zu Öko-Gerechtigkeit und ökologischer Schuld), muss in den kommenden Jahren Vorrang haben und weiter vertieft werden.

24. Weiter rufen wir die 10. Vollversammlung in Busan auf, in der Zeit bis zur nächsten Vollversammlung einen Zeitraum zu reservieren, in dem sich die Kirchen auf Glaubensaussagen zum Thema „Ökonomie des Lebens – Leben für Gottes Gerechtigkeit in der Schöpfung [Gerechtigkeit und Frieden für alle]“ konzentrieren. Der Prozess wird es der Gemeinschaft der Kirchen ermöglichen, einander zu stützen und Hoffnung zu geben, die Einheit zu stärken und das gemeinsame Zeugnis zu kritischen Fragen zu vertiefen, die den Kern unseres Glaubens bilden.

25. Die Erklärung zu einem „gerechten Finanzsystem und einer Wirtschaft, die dem Lieben dient“ fordert ein ethisches, gerechtes und demokratisches internationales Finanzgefüge, „das auf gemeinsamen Werten beruht – Ehrlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde, gegenseitige Rechenschaftspflicht und ökologische Nachhaltigkeit“ (ÖRK-Erklärung zu einem gerechten Finanzsystem und einer Wirtschaft, die dem Leben dient). Wir können und müssen eine Wirtschaft aufbauen, die dem Leben dient, die alle an den Entscheidungen, die sich auf das Leben auswirken, teilhaben lässt, die die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt durch gerechte Lebensgrundlagen, die die vor allem von Frauen geleistete soziale Reproduktion und Pflegearbeit schätzt und unterstützt und die zur Erhaltung des Lebens notwendigen Reserven an Luft, Wasser, Boden und Energie schützt und erhält (Armut, Reichtum und Umwelt in Asien und im Pazifik). Zum Aufbau einer Wirtschaft, die dem Leben dient, gehören eine Reihe von Strategien und Verfahrensweisen, u.a. – aber nicht nur – die folgenden: kritische Selbstbesinnung und radikale spirituelle Erneuerung; auf Rechte gestützte Ansätze; Raum schaffen und ausweiten, damit die Stimmen der  Ausgegrenzten an so vielen Stellen wie möglich Gehör finden; ein offener Dialog zwischen dem globalen Norden und globalen Süden, zwischen den Kirchen, der Zivilgesellschaft und staatlichen Akteuren und unter den verschiedenen Disziplinen und Weltreligionen, um Synergien aufzubauen zum Widerstand gegen Strukturen und Kulturen, die vielen ein Leben in Würde versagen; Steuergerechtigkeit sowie die Organisation einer breiten Plattform für gemeinsames Zeugnis und Fürsprache.

26. Der Prozess wird als florierender Raum gesehen, in dem die Kirchen voneinander und von anderen Glaubenstraditionen und gesellschaftlichen Bewegungen lernen können, wie eine verwandelnde Spiritualität den lebenzerstörenden Werten entgegenwirken und widerstehen und eine Mitschuld an der Ökonomie der Habgier überwinden kann. Es wird ein Raum sein, in dem man lernen kann, was eine Ökonomie des Lebens theologisch und praktisch bedeutet, indem man gemeinsam darüber nachdenkt und sich austauscht, welche konkreten Veränderungen in den verschiedenen Kontexten nötig sind. Es wird ein Raum sein zur Entwicklung von gemeinsamen Kampagnen und Fürspracheaktivitäten auf nationaler, regionaler und globaler Ebene, um methodische und systemische Veränderungen zu ermöglichen mit dem Ziel der Abschaffung der Armut und einer Neuverteilung des Reichtums; von Produktion, Konsum und Verteilung, die umweltverträglich sind; sowie von gesunden, gerechten, postfossilen und friedliebenden Gesellschaften.

Der Gott des Lebens ruft uns auf zu Gerechtigkeit und Frieden.

Kommt an Gottes Tisch des Teilens!

Kommt an Gottes Tisch des Lebens!

Kommt an Gottes Tisch der Liebe!

 

Bogor, 18.-22. Juni 2012