Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens

Spiritualität im Kontext von Gewalt und Frieden

Samstag, 6. Juni 2015. 15:00 – 18:00 Uhr, Geistliches Zentrum

Moderatorin: Antje Heider-Rottwilm

Vortrag von Pastor Dr. Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des ÖRK

1. Aufruf

Liebe Freundinnen und Freunde, Schwester und Brüder,

Wir wissen es doch:

Die Kirche muss hinausgehen -  dorthin, wo Christus gegenwärtig ist im Heiligen Geist:

zu den Armen an den Rändern der Gesellschaft;

zu allen, die wegen Gewalt und Krieg Angehörige verloren haben,

deren Häuser und Existenzen zerstört sind und die sich nach Frieden sehnen.

 

Sie und ihre Kinder, aber auch die Kirche selbst, wir alle brauchen einander, um wieder Hoffnung zu schöpfen und die gute Botschaft des Evangeliums glaubhaft zu bezeugen.

 

Im Namen Christi und für uns alle bitte ich Euch deshalb:

Macht Euch auf den Weg!

Lasst Euch von Gottes Geist leiten!

Geht mit auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens!

 

Tretet ein für die bedrohte Schöpfung, für Gerechtigkeit und Frieden,

damit Menschen Hoffnung schöpfen können und das Leben blüht.

Widersteht den Mächten, die uns nur tiefer in Ungerechtigkeit, Gewalt und Zerstörung der Lebensgrundlagen führen.

Wer sich mit uns auf den Pilgerweg macht, ist bereit, Christus nachzufolgen in Solidarität mit den Leidenden und sich den Mächten des Todes in den Weg zu stellen.

Wer sich mit uns auf den Pilgerweg macht, wird nicht schon nach ersten Rückschlägen und Enttäuschungen aufgeben, sondern wird jeden Tag neu aufbrechen, jeden Tag neu im Gebet nach Gottes Gegenwart fragen, sich nach Weggenossen umschauen und für das Leben einstehen.

Wer sich mit uns auf den Pilgerweg macht, wird das Ziel nicht aus den Augen verlieren: die Verheißung einer Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit wohnen.

Wir wollen mit Euch und vielen anderen weltweit gemeinsam gehen, gemeinsam arbeiten, gemeinsam beten, damit Menschen wieder hoffen können – hoffen auf mehr Gerechtigkeit, auf mehr Frieden, auf neues Leben.

 

2. Spiritualität einer Weggemeinschaft der Gerechtigkeit und des Friedens

Hier in Deutschland habt Ihr die Tradition der Bekennenden Kirche und das Beispiel Dietrich Bonhoeffers, der vor 70 Jahren im KZ Flossenbürg ermordet wurde. Seine Spiritualität verpflichteter Gemeinschaft in Christus kann Euch ermutigen und Kraft geben auf Eurem Weg. Diejenigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg und der Hölle von Dachau und Auschwitz den Deutschen Evangelischen Kirchentag ins Leben gerufen haben, wollten ihn zu einem Ort der Erneuerung der Kirche und eines glaubwürdigen und wirksamen Zeugnis für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt machen. Das ist auch der Grund, warum ich selbst und viele Freunde aus der ökumenischen Bewegung gerne zum Kirchentag kommen. Wir wissen uns alle gemeinsam diesen Zielen verpflichtet. Wir sind uns alle bewusst, dass Welt und Kirche, Handeln und Spiritualität, Weltgestaltung und Glaube untrennbar zusammengehören.

Wo diese beiden Pole auseinander fallen, verlieren beide: Kirche und Welt. Unsicherheit und Angst werden zu Begleitern einer Kirche, die nicht weiß, wohin der Gott des Lebens sie führen will. Viel zu leicht sind wir dann manipulierbar und werden zum Spielball der Macher, Moden und Mächte, die ihren eigenen Vorteil suchen. Ihnen zu widerstehen, brauchen wir die Gemeinschaft derjenigen, die sich mit uns im Glauben auf den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens machen.

„Pilgerweg – Widerstand aus dem Glauben“ lautet das Thema, das mir für diesen Vortrag im Rahmen des Podiums zur Spiritualität im Kontext von Gewalt und Frieden gestellt wurde. Ich möchte deshalb an dieser Stelle konkreter werden. Denn wer z.B. das Schlüsselwort „spirituality“ in einer bekannten Suchmaschine aufruft, kommt nach 0,34 Sekunden auf 108 Millionen Ergebnisse; für „justice“ sind es nach 0,54 Sekunden 633 Millionen und für „peace“ nach 0,40 Sekunden sind es sogar 748 Millionen.

Der Begriff der Spiritualität hat Konjunktur. Es gibt tausende von Angeboten zur Meditation und spirituellen Begleitung auf dem Markt mit ganz unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen. Im Unterschied zu diesem Markt spiritueller Angebote, habe ich im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer von der Spiritualität einer verpflichteten Gemeinschaft in Christus gesprochen. Im christlichen Kontext verweist das Wort Spiritualität auf die Gegenwart des Heiligen Geistes und seiner Kraft, die alles Leben, ja die ganze Schöpfung, miteinander verbindet und erhält. Der Heilige Geist schafft auch unter uns ein Netzwerk lebendiger Beziehungen. Der Heilige Geist gibt die Kraft,  für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden einzustehen. Er ist der von Christus gesandte Tröster und Anwalt, wo wir selbst auf Grund der Erfahrungen von Unterdrückung, Gewalt und Niederlagen zu verzagen und zu verstummen drohen.

Gebet, Meditation und Kontemplation gehören zur Spiritualität – nicht jedoch als Selbstzweck, sondern auch als Vertiefung der Bereitschaft zum zeichenhaften Handeln und zur Vorbereitung des gemeinsamen Zeugnisses in der Welt. In der ökumenischen Bewegung wurde schon vor vielen Jahren von der Spiritualität des Widerstandes und des Kampfes gesprochen. Der Inder M.M. Thomas, der diesen Begriff geprägt hat, ließ sich dabei von den Propheten der hebräischen Bibel inspirieren und sicherlich auch von der Verkündigung Jesu von dessen ersten Auftritt in Nazareth bis zu seinen Aktionen im Tempel und dem Tod am Kreuz. Ein andere Referenz für M.M. Thomas waren die Briefe des Apostel Paulus, in denen er von der „Unterscheidung der Geister“ redete. Solche Unterscheidung von Gott und Götzen, von der Lebensmacht des Heiligen Geistes und selbstherrlichen Mächten ist notwendig, um die Fähigkeit zu entwickeln,  das Leben zu bejahen und Widerstand gegen Alles zu leisten, was das Leben bedroht und zerstört.

So ist die Spiritualität des Widerstandes in der Tat eine kreative Spiritualität der Gerechtigkeit und des Friedens. Auch mit diesen beiden Begriffen beziehen wir uns auf die Überlieferung der Bibel. Jesus und die Propheten verweisen uns auf Gottes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, der tzedaqa und dem shalom Gottes. Auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens leitet uns das Bild von Psalm 85:12, in dem Gottes Gerechtigkeit und Gottes Frieden gemeinsam auf der Erde unterwegs sind. Die Zeit erfüllt sich, wenn sich beide umarmen und küssen, wie es der Psalm beschreibt.

Die Ausrichtung auf Gottes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens leitete die Vollversammlung des ÖRK 1948 in Amsterdam:  „Krieg soll um Gottes Willen nicht sein!“ erklärten die Delegierten damals.  Später folgte die Verurteilung der Produktion von Massenvernichtungswaffen und der Logik und Praxis der Abschreckung. Ein anderes Beispiel war das Programm zur Bekämpfung des Rassismus, das  dem Rassismus im südlichen Afrika unzweideutig entgegentrat.

Die Verheißung von Gottes Gerechtigkeit und Frieden motivierte die Kritik an einer Form der Wirtschaft, die massenhaft Menschen in Armut stürzt und die Grundlagen des Lebens untergräbt. Als kreative Antwort auf den Schrei der Armen und die Sehnsucht nach Leben, wurde die Spiritualität der Gerechtigkeit und des Friedens verwirklicht

-          im Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung,

-          in der Dekade zur Überwindung der Gewalt mit dem Aufruf zum gerechten Frieden,

-          und nicht zuletzt in der intensiven Arbeit des ÖRK für Klimagerechtigkeit  gemeinsam mit vielen unserer Mitgliedskirchen und ökumenischen Partner.

Für den Pilgerweg konzentrieren wir uns in diesem Jahr ganz auf die Klimagerechtigkeit. Ich war in New York zum Klimagipfel der Vereinten Nationen zusammen mit vielen Verantwortlichen der Religionen dieser Welt. Ich war auch in Rom, wo mit Papst Franziskus sich nun auch die Katholische Kirche vorbehaltlos für die Klimagerechtigkeit einsetzt. Noch in diesem Monat soll ein Sendschreiben des Papstes dazu erscheinen. In New York wie in Rom traf sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Mun, mit uns. Er weiß, wie wenig sich in den Verhandlungen für die Klimakonferenz im Dezember in Paris bewegt. Er sagte uns, dass es den Glauben und die ethischen Überzeugungen der Religionen braucht, damit die Bewegung für die Klimagerechtigkeit so stark wird, dass die Politik folgen muss.

Es kommt auf uns an -  auf mich auf Dich, auf Euch alle! „Geht doch!“ heißt das Motto des Ökumenischen Pilgerwegs zur Klimagerechtigkeit,  zu dem auch hier beim Kirchentag aufgerufen wird. Geht doch! Macht Euch auf den Weg und vertraut darauf, dass es geht, dass Ihr Wirkung haben werdet mit Eurem Engagement. Dieses Jahr ist entscheidend. Und jede und jeder von uns sollte die Gelegenheit ergreifen und zur notwendigen Umkehr beitragen.

3. Der Weg des gerechten Friedens

Eine weitere Dimension des Pilgerweges, die heute immer wichtiger wird, sind die inter-religiösen Beziehungen und die inter-religiöse Kooperation für Gerechtigkeit und Frieden. Gemeinsam müssen wir dem Missbrauch der Religion zur Rechtfertigung von Diskriminierung und Gewalt widerstehen. Der ÖRK engagiert sich in sehr konkreten Projekten inter-religiöser Zusammenarbeit z. B. mit dem Aufbau eines Frühwarnsystems für Gewalt und Terror in Nigeria im Zusammenhang mit Kronprinz Ghasi bin Muhammad von Jordanien. In Ägypten fördern wir die Zusammenarbeit von Christen und Muslimen zur Jugendarbeitslosigkeit als Prävention von Gewalt.

Die Beratungsgruppe des Pilgerweges hat vorgeschlagen, dass wir im kommenden Jahr die gemeinsame Arbeit zum gerechten Frieden und die Situation im Mittleren Osten in den Mittelpunkt des Pilgerwegs stellen. Wir hoffen, dass solche Jahresschwerpunkte die Zusammenarbeit zu den jeweiligen Herausforderungen intensivieren und dann die Arbeit von den Mitgliedskirchen und ökumenischen Partnern selbständig weitergeführt wird. Der Prozess soll also Fahrt aufnehmen und sich ausweiten so wie wir es in diesem Jahr zum Schwerpunkt der Klimagerechtigkeit sehen.

Schon der Aufruf zum gerechten Frieden griff das Bild der zärtlichen Begegnung von Gerechtigkeit und Frieden im Psalm 85 auf: Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit und keine Gerechtigkeit ohne Frieden. Die Situation zwischen Israel und Palästina, aber auch die jüngsten Auseinandersetzungen im Süd Sudan und viele andere Konflikte bestätigen diese Einsicht.

Schon der Aufruf zum gerechten Frieden lud Menschen aller Weltanschauungen und religiösen Traditionen ein, sich gemeinsam auf den Weg des gerechten Friedens zu machen und auf diesem Weg das Leben zu teilen. Wichtige Ideen des Pilgerweges sind in dem Aufruf bereits vorweggenommen. Der Aufruf unterstrich, dass gewaltloser Widerstand aus dem Glauben und ziviler Ungehorsam wesentliche Strategien auf dem Weg des Friedens und der Gerechtigkeit sind. Von den großen Lehrern des gewaltlosen Widerstands wissen wir, wie notwendig für ihre Praxis die Vergewisserung im Glauben und die Verankerung in der Spiritualität der Gemeinschaft sind. In der Nachfolge Christi, sind wir nicht aufgefordert „um des lieben Friedens willen“ die „Hände in den Schoss zu legen“ und Augen und Ohren zu verschließen. Zur Arbeit für den Frieden gehört, „ dass wir kritisieren, anprangern, für andere eintreten und Widerstand leisten, so wie wir auch verkündigen, ermächtigen, trösten, versöhnen und heilen – ...bis unsere Sehnsucht ihren Halt findet in der Vollendung aller Dinge in Gott, wird die Friedensarbeit weitergehen als ein Aufflackern der uns zugesagten Gnade.“ – so der Aufruf zum gerechten Frieden.

Ich finde dieselbe Sorge um das Leben und dieselbe Liebe für Frieden und Gerechtigkeit in Desmond Tutu’s „Offenen Brief an den Kirchentag“, in dem er das Ende der Okkupation und ernsthafte Schritte zum Frieden in Israel - Palästina fordert. Mit eindringlichen Worten bittet er uns alle, sich mit ihm dafür einzusetzen. Ich möchte hier die Gelegenheit ergreifen, Desmond Tutu und seinen Aufruf zu unterstützen.

Die Spiritualität des Friedens und der Gerechtigkeit drängt uns dazu, uns für nicht mehr und nicht weniger als einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina einzusetzen. Weil wir die Menschen in Israel und in Palästina lieben, können wir nicht einfach die heutige Situation als Ergebnis der Konflikte akzeptieren. Siedlungen und der Bau der Mauer schaffen neue Fakten, die den Konflikt und die Ungerechtigkeit nur vertiefen. Wir müssen weiter und intensiver für den gerechten Frieden für alle in und um Jerusalem arbeiten und beten – dafür brauchen wir auch ganz besonders Euch und Eure Stimmen hier aus Deutschland. Niemand soll mit der Gewalt als etwas Normalem leben müssen.

In derselben Spiritualität des Friedens und der Gerechtigkeit arbeiten wir für Gerechtigkeit und Frieden in der ganzen von Gewalt und Krieg gezeichneten Region des Mittleren Ostens. Wir sind tief besorgt um die Zukunft der Christinnen und Christen insbesondere in Irak und Syrien. Wir alle müssen Verhandlungen und den Friedensprozess in Syrien unterstützen. Auch die Deutsche Regierung muss dazu das ihre leisten.

 

  1. 4. Räume der Begegnung und der Versöhnung schaffen – Orte des Lebens

Statt Mauern zu bauen, sollten wir alternative Räume der Begegnung und der Versöhnung schaffen, in denen Friede und Gerechtigkeit wachsen und gedeihen können. Wo immer das Leben bedroht ist, brauchen wir Wege zueinander und Begegnungsräume, die auf die Verheißungen der Gerechtigkeit und des Friedens Gottes verweisen. Auf solcher Basis kann die Kraft zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Gewalt wachsen und können Menschen Feindschaft und alles Trennende überwinden.

Es sind Räume, in denen das Leben für alle Menschen und die Schöpfung blühen kann. Der Begriff „Lebensräume“ jedoch hat in Deutschland eine eigene Geschichte. „Lebensraum im Osten suchen“ war eine Parole des Angriffs auf Polen und die Sowjetunion. Immer wieder müssen wir unsere Sprache und unsere Begriffe genau anschauen, was sie sagen und wie sie gehört werden. Orte des Lebens sind Orte des Teilens, des Dialogs, der Versöhnung – nicht der Raub und die Beute einer Gruppe.

Wenn die zweite Schöpfungsgeschichte vom Garten spricht, der den Menschen zur Pflege anvertraut ist, erscheint dieser Garten des Paradieses im Rückblick als alternativer Ort des Lebens. Wir Menschen haben die Aufgabe als Gärtner und Priester der Schöpfung diesen Ort des Lebens zu erhalten und zu bewahren. In meiner Predigt am Donnerstag habe ich deshalb von meinem Großvater gesprochen, der einen von Felsen übersäten steilen Hang in jahrelanger Arbeit in einen blühenden Garten und eine Weide für seine Tiere verwandelt hat. Anders als viele andere, ließ er sich vom Anblick des steilen Abhangs nicht entmutigen; er hatte offensichtlich schon eine klare Vorstellung, eine Vision, wie Garten und Weide einmal aussehen konnten. Ich denke oft an ihn, wenn mich die Nachrichten von Freundinnen und Freunden, die mitten in Krieg und Gewalt aushalten und dabei Angehörige und sogar das eigene Leben verlieren, verzweifeln lassen. Ich denke an ihn und an das Evangelium der Herrschaft Gottes, von der Jesus sagte, dass sie kommt und schon mitten unter uns ist.

Amen.